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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
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Heidelberger

Nr. 91.

Mittwoch, den 15. November 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Der Miniſter zuckte die Achſeln, ohne zu antworten.
Die Muſik begann wieder, auf ein ſeelenvolles Adagio
folgte ein anmuthiges Scherzo und ein ernſtes, gewal-
tiges Finale. Ein rauſchender Applaus, der ſowohl
dem Komponiſten, wie den ausführenden Virtuoſen galt,
belohnte die Künſtler.
Auf das Konzert folgte der Vortrag der Schubert'
ſchen Lieder von Signora Cavalieri. Der Baron hatte
ſich, in Gedanken verloren, in eine Ecke gedrückt, er
merkte nicht, daß die Thüren aufgingen und die Sän-
gerin an der Hand des Dirigenten auf die Eſtrade
trat. Aller Augen richteten ſich auf dieſelbe und im
ganzen Saale hörte man ein Flüſtern der Bewunderung.
Die Sängerin war in der That eine reizvolle Erſchei-
nung, deren Zauber noch durch die Einfachheit und
Anmuth ihres Auftretens vermehrt wurde. Die Baro-
nin ſah geſpannt nach ihr hin, ihr ſchien dies feine,
ideal gezeichnete Geſicht nicht unbekannt, ſie blickte auf
ihren Bruder, der noch immer in Gedanken verſunken
ſeiner Umgebung entrückt zu ſein ſchien. Da ertönten
einige einfache Akkorde als Vorſpiel, eine lautloſe Stille
herrſchte im Saal und mit mächtiger, tief ergreifender
Stimme begann die Sängerin:
Das Meer erglänzte weit hinaus
Im letzten Abendſcheine,
Wir ſaßen beim oinſamen Fiſcherhaus,
Wir ſaßen ſtumm und alleine.
Bei dem erſten Ton dieſer herrlichen Stimme war
der Baron zuſammengefahren, mit großen Augen ſtarrte
er auf die Sängerin und eine Todtenbläſſe begann ſein
Antlitz zu bedecken. Seine Schweſter ſah ihn beſorgt
an, leiſe drückte ſie ſeine Hand, er ſchaute ſich nicht
um zu ihr, athemlos lauſchte er den Tönen, die zum
dritten Male überwältigend ſein Ohr trafen. Das war
die Stimme, die ſo tief, ſo unauslöſchlich tief in ſein
Herz gedrungen war:
Mich hat das unglückſelige Weib
Vergiftet mit ihren Thränen.
Die Sängerin ſchwieg. Ein nicht endenwollender
Applaus unterbrach die tiefe Stille. Die Künſtlerin
verneigte ſich dankend und der Dirigent intonirte ein
anderes Lied.



Die Töne umrauſchten den Barou, ohne daß ſie
ihm klar wurden. Es war ihm, als wäre er in einem
Zauberlande, das ihn mit wonnig berauſchenden Me-
lodien in ſüße Träume verſenkte. Erſt als die Sän-
gerin den Saal verlaſſen hatte, erwachte er zum vol-

len Bewußtſein der Wirklichkeit.

„Sie iſt es,“ flüſterte ſeine Schweſter leiſe, ihm
zärtlich in's Auge blickend.
Er nickte nur, und ſtand auf, um die Loge zu ver-
laſſen. ö
„Willſt Du zu ihr gehen?“ fragte die Baronin
„dann ſuche den Intendanten auf, er kann Dich ihr
am leichteſten zuführen.“
„Heute nicht, liebe Kamilla,“ erwiederte er, ihr
die Hand reichend, „heute kann ich ſie nicht ſehen. Dies
Zuſammentreffen war zu überraſchend, ich muß mich
erſt faſſen und finden, ehe ich vor ſie treten kann.“
Er verließ die Loge und ging hinaus auf die Straße,
wo die kalte Nachtluft erfriſchend auf ſeine Nerven
wirkte. Raſchen Schrittes eilte er durch die Straßen

dem Hotel des Miniſters zu und ſuchte die Einſamkeit

ſeines Zimmers auf. In trübes Sinnen verloren warf
er ſich auf das Sopha. Tauſend ſtürmiſche Gefühle
kämpften in ſeinem Herzen. Wie ganz anders hatte
er ſie wiedergefunden, als er es gedacht hatte! Es war

ihm immer ſo ſüß geweſen, ſich das Wiederſehen aus-

zumalen, er hatte es ſich immer ſo ſchön geträumt, die
Geliebte aus dürftigen Verhältniſſen herauszureizen,
ſie mit Glanz und Reichthum und Allem zu umgeben,
was das Leben angenehm machen kann. Und nun war
das Alles anders. Sie war eine glänzende, gefeierte
Sängerin, die nur wollen durfte, um, wie der Inten-
dant ſagte, die glänzendſten Triumphe über die Herzen
der Kavaliere des Hofes zu erringen. Sie hatte wohl
Alles und mehr, als er ihr bieten konnte in der ſtillen
Einſamkeit ſeines Gutes. Was würde ſie jetzt nach
dem einfachen Landedelmann fragen, von dem ſie im

Zorn geſchieden war, und von dem ſie ſich beleidigt

glaubte? Je länger er darüber nachdachte, deſto mehr
ſank die Hoffnung in ſeinem Herzen und immer trüber
und düſterer ſchien ihm die Zukunft.
Da legte ſich plötzlich eine kleine weiche Hand auf
ſeine Schulter und ein Paar freundliche Augen blickten
ihn zärtlich an.
„Kamilla!“ rief der Baron, „Du gute, liebe Ka-
milla, kommſt Du wie ein tröſtender Engel, Balſam in
mein wundes Herz zu flößen?“
Sie ſetzte ſich zu ihm und nahm ſeine Hand in die
ihrige. „Du leideſt, Kurt,“ ſagte ſie. „Du quälſt
 
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