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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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rger

Nr. 6.

Samſtag, den 21. Januar 1871.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Adoptivvater.
ö Novelle von Emerentius Seä vola.

(Fortſetzung.)

V„Ja,“ ächzte Gottholde, „ich hab's gewußt ſeit vor-
geſiern. Du ſollſt fort.“
„Ich?“ frug Blottmer mit etwas ſcharfem Tone.
„Ich ſoll fort? — Hm, es iſt das erſte Mal, daß Du
nur von mir und nicht von uns ſprichſt; ich ſoll

alſo fort, oder vielmehr wir Beide ſollen es, denn.

zu trennen ſind wir ja nicht mehr, nicht wahr, Gott-
holde? Du haſt Dir nie die Möglichkeit denken kön-
nen, mich weichen zu ſehen aus diefem Hauſe, ohne
mich zu begleiten?“ ö
„Gottholde rang das Schluchzen nieder, welches ſie
zu erſiicken drohte, heftete das bethränte Auge auf Blott-
mer und antwortete: „Anton, als mein Vater mich
aus ſeinem Hauſe — trieb, da bedeutete er mich, es
werde ſich nie meiner Bedürſtigkeit öffnen; willſt Du,
daß ich ihn auf die Probe ſtelle, ob er ſein Wort mir
halten werde? — oder hoffſt Du, daß Dein kümmer-
liches Brod ausreichen werde, wenn ich es Dir verküm-
mere? — ich gebrandmaͤrkt in den Augen der Welt als
ein ehrloſes, entlaufenes Weib? — Soll ich dafür gel-
ten, Anton? und Du, willſt Du für den Verführer der
Gattin Deines vermeintlichen „Wohlhäters gelten?
Willſt Du —“
Halt ein! fiel Blottmer ihr in'ss Wort. „Du haſt
Recht, wir dürfen dieſes Haus nicht Hand in Hand
verlaſſen; falglich bleiben wir hier. Aber ich will kei-
nen Tag mehr verleben, der meinen letzten ſieben Ta-
gen gleicht zuich habe wider mein Ohr und mein Auge
gekämpft, nur nicht zu hören und zu ſehen, was unſer
Feind brütet wider uns; den Zwang kann und will ich
nichr länger mir auferlegen. Ich habe, wie Du gefor-
dert, Dir Zeit gegeben, durch mehr als kindliche Er-
gebung in die Launen unſeres Feindes, durch Entwür-
digung Deiner ſelbſt, den Satan zu bannen, der die
Seele dieſes greiſen Lüſtlings mit verthierendem Wahn-
ſinn erfüllt; ich habe mich bezwungen, kindlich die Hand
zu küſſen, die mich mißhandelte im Grimme der Eifer-
ſucht,‚ und. habe das Auge abgewandt, wenn ich Dich
die Hand küſſen ſah, die Dich mißhandelte, indem ſie
Dir liebkoste. Dieſem Zwange' der Dich und mich ent-

ehrt, -will ich mich nicht mehr beugen; es müſſen an-

dere Mittel angewandt werden, dieſen Wahnwitzigen zu
heilen; er iſt unſer Vater, Du biſt meine Gattin: dies
Verhältniß ſoll in dieſem Angenblicke feſtgeſtellt wer-
den zwiſchen uns und ihm. Dieſer Brief iſt eine He-
rausforderung unſeres Feindes; wir wollen ihm ſte-
hen; komm, begleite mich zu ihm.“ ö
Gottholdens Züge hatten, während Blottmer ſprach,
ſehr unruhig, einigemale krampfartig ſich bewegt; jetzt
als er nach ihrer Hand faßte, zog ſie dieſe zurück und
ſagte: „Jener Greis, Anton, war — als er uns ver-
band — Dir und mir ein bitterer Feind, als er jetzt
iſt, da er zwiſchen uns tritt; und ich werde, wenn ich
getrennt von Dir weine, Deiner Achtung würdiger ſein,
als wenn ich mein naſſes Auge an Deiner Bruſt ver-
berge. Was ich Dir geworden bin, als der plötzlichen

Hinüberſchwung aus meiner dunkeln Verzweiflungstieſe

auf dem Lichtgipfel des Lebens mich betäubt in Deinen

Arm warf, das darf ich Dir nicht bleiben; daran mah-

nen mich die Schauer vor unſerer Zukunft; die Blicke
unſerer Dienerſchaft, die unſer Geheimniß durchdrungen
haben; die Erinnerungeu an meine Schweſtern, an mei-
nen Vater, die früher oder ſpäter das Räthſel unſeres

Verhältniſſes durchdringen werden, wenn wir es nicht

vernichten; und ſelbſt der Wahnſinn dieſes Greiſes
mahnt mich daran, der nie den Muth gehabt haben
würde, ſeine Leidenſchaft durch Hoffnungen zu nähren,
wenn ich ein Geſchenk aus ſeiner Hand zurückgewieſen
hätte, deſſen Annahme mich ſiknen gemacht hat in —
ſeiner Achtung.“
„Genug, genug und mehr als zu viel Worte,“ rief
Blottmer mit einem Blicke, der wie ein Dolch in Gott-
holdens Herz glitt. „Du hätteſt Dich kürzer faſſen
und ſagen können: Geh, ich bleibe! — Aber ehe ich
gehe, beantworte mir noch ein paar Fragen: Du haſt
unſern Feind durchſchaut; Du weißt, daß ſein Wahn-
ſinn nichts als die Ausgeburt der roheſten Sinnlichkeit
iſt, die, unterſtützt durch ſein erſchlichenes Recht an Dich,
fürchterlich losbrechen wird gegen Dich, nachdem ich
aus dem Wege geräumt worden bin; haſt Du den
Muth, Dich zu vertheidigen, wenn er ſein Recht an
Dich geltend macht?“
Ja, den Muth hab' ich,“ antwortete Gottholde be-
ſtimmt. „Und dieſen Muth würd' ich längſt ſchon ent-
faltet haben, wenn Deine Gegenwart mir nicht die
Kraft gelähmt hätte. So lange Du hier weilſt, muß
ich als Vermittlerin zwiſchen Dir und Deinem Vater
ſtehen und darum mich entwürdigeu, die Hand zu küſ-

ſen, die mich mißhandelt, indem ſie mir liebkost; dieſe
 
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