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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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Nr. 82.

Samſtag, den 14. Oktober 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus der Geſellſchaft.
Von Elariſſa Loh de.

(Fortſehung.)

Gebrauchen auch wir das Vorrecht des Mondes und
ſchauen mit ihm in das Schreiben hinein. Es lautete:
Theuerſte Eleonore!
Endlich bin ich fret, um eine Stunde mit Dir mich
unterhalten zu können. Alles ſchläft jetzt im Hauſe, nur
ich bin noch ſo munter, als wäre ich eben erſt aufgeſtan-
den und ein langer, langer Tag läge vor mir. So geht
es mir beinahe jetzt immer und ich wundere mich oft, daß
meine Waͤngen nicht mehr eingefallen ſind und noch im-
mer ein Hauch von Röthe auf ihnen ruht. Um die noch
friſche Blüthe meines Lebens zzu zerſtören, gehört wohl
auch eine längere Zeit des Leidens, als ich ſie durchge-
macht! — Wie lange wird es aber dauern? und dieſe
Blüthe iſt dahin! Das habe ich mir täglich geſagt, wenn
ich mich des Morgens in einem Spiegel beſchaute — und
er gab mir ſtets den weiſen Rath, die flüchtig dahinrol-
lende Zeit zu benutzen, d. h. mich ſobald wie möglich in
den Hafen der Ehe zu retten. Ich ſehe Dich ſtaunend
und fragend lächeln. Wie, iſt ſie des Hoffens und Har-
rens ſchon müde geworden? fragſt Du; das nicht, liebes
Herz, aber man iſt meiner müde geworden. Vielleicht
weißt Du es auch bereits oder doch nicht, Nein, Eleo-
nore, Du hätteſt nicht das Herz gehabt, mir dieſen Brief
zu ſchicken, der mich ſo elend machte, wenn Du gewußt
hätteſt, was er enthielt. So höre denn: Der Prinz hat
mir in kühlen Worten mitgetheilt, daß er ſich auf Befehl
Seiner Majeſtät in kürzeſter Zeit mit der Prinzeſſin Ama-
lie verloben müſſe. Einige Floskeln über Pflichten hoch-
geborner Fürſten, Vertröſtungen auf die Zeit, die Alles
vergeſſen machen wird, begleiten dieſe Mittheilung. Als
ob man ſo leicht vergeſſen könnte, was der jahrelange
Traum eines jungen Lebens geweſen. Das iſt alſo das
Ende dieſer großen Leidenſchaft, die bis über die Grenzen
der Erde hinauszugehen ſich vermaß; das konnte mir der
Mann ſchreiben, der mir einſt auf den Knieen zugeſchworen
hat, nie ſolle eine Andere ſeine Gemahlin werden als ich!
Eleonore, begreifſt Du, was ich gelitten habe, was ich
noch leide? Alles iſt mir verſunken, woran mein Herz
hing, meine Liebe verrathen, meine Hoffnungen zertrüm-
mert. Alle Träume von Macht und Größe ſind wie die
verführeriſchen Gebilde der Fata morgana verſchwunden

und nichts iſt mir geblieben, als Oede und Dunkelheit.
Mir grant vor der Zukunft, was ſoll aus mir werden?
Die Verzweiflung raunt mir zu, mich von der Welt zu-
rückzuziehen und irgend in einem einſamen Winkel der
Welt mein Ende zu erwarten. Warum gibt es für uns
Proteſtanten keine Klöſter? Wenn es ſolche gäbe, mir
wäre geholfen, aber ſo, hierbleiben, belächelt, bemitleidet
zu werden, Eleonore, das ertrage ich nicht! So giebt es
denn für mich nur einen Weg, um wenigſtens dieſer Qual
zu entgehen und der iſt, mich zu verheirathen. Ich habe
lange gekämpft, ehe ich zu dieſem Entſchluß gekommen bin,
aber jetzt ſteht er unwiderruflich feſt in mir, die Verhält-
niſſe geſtatten mir keine andere Wahl, nur eine raſche
Heirath, womöglich noch vor der öffentlichen Verlobung des

Prinzen, kann mich vor der Lächerlichkeit und vor der bö-
ſen Nachrede der Welt ſchützen. Es muß ein ernſter, wür-

diger Mann und ein Mann von Anſehn und von Stande
ſein, den ich mir erwähle, ſchön fein Name allein muß je-
des Gerede zu unterdrücken vermögen. Aber wo wirſt Du
einen ſolchen finden? höre ich Dich fragen. In Deiner
Nachbarſchaft ſchwerlich, da Du alle Bewerber dort durch
ein kaltes Abweiſen, durch Austheilen zu vieler Körbe ab-
geſchreckt haſt. Nun höre das Unglaubliche, Eleonore;

trotz alledem hat ſich noch ein Bewerber um meine Hand

gefunden, der ganz meinen Anforderungen entſpricht, der
Baron Kurt von Bandelow auf Wilmershagen. Dieſer
ernſte, bedachte Mann, unmöglich! höre ich Dich rufen.
Und doch iſt es ſo. Doch laß mich Dir erzählen. Vor
mehr als vierzehn Tagen gaben wir eine Geſellſchaft, zu
der unſere ganze Nachbarſchaft eingeladen war. Der Ba-
ron Bandelow fehlte natürlich nicht. Da er unter allen
anweſenden jungen Herren unbeſtritten der bedeutenſte war,
mit dem man ſich doch einigermaßen, ohne zum Sterben
gelangweilt zu werden, unterhalten konnte, ſo beſchäftigte
ich mich mehr mit ihm als mit den Andern. Natürlich
wurde dies ſofort bemerkt und beſprochen, da es für un-
ſere guten Freunde, denen leider ſo wenig Intereſſantes be-
gegnet, ein angenehmes Thema der Unterhaltung abgab,
die ſich ſonſt ſelten über die Wirthſchafts-Angelegenheiten
erhebt, und dieſelben nur dann verläßt, wenn es über
den lieben Nächſten hergeht. Louiſe v. Barnow, jetzt die
Gattin Jecko von Uechtritz, des langweiligſten Menſchen,
den ich je kennen gelernt habe, und der mich auch einmal
mit ſeiner Hand beglücken wollte, war beſonders aufgeregt
und als ſie mich einen Augenblick allein ſprechen konnte,
fragte ſie mich allen Ernſtes, ob ich die Abſicht hätte,
Bandelow zu heirathen. „Ich intereſſire mich für Ban—⸗
delow,“ ſagte ſie eifrig, „er iſt der Freund meines Jecko,
 
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