Nr. 5.
Mittwoch, den 18. Januar 1871.
4. Jahrg.
Crſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Der Adoptivvater.
Novelle von Emerentius Seävola.
Cortſ etung.)
Unnd ſo var von all' den Eindrücken, welche dieſe
drei Menſchen ſeit dem letzten Sonnen-Untergange von
einander empfangen hatten, keiner wirkſam geblieben,‚
als der, den Blottmer, beſiegt zwar, aber dennoch wie
Sieger triumphirend, zu Gottholden getragen, und ein
zweiter, den Gottholde von ſeinen Lippen genommen,
und ſinnend überbrütet hatte während dieſer Nacht:
Segenlos hatte Blottmer ihr beiderſeitiges Verhältniß
zu einander genannt, und zum erſten Mal empfand ſie,
welcher Segen ihrem Bunde gebreche und welcher Fluch
auf ihm ruhe. Sie empfand, was ſie im Taumel, der
ſie ergriffen an dem Abend ihres Erwachens aus ihrer
Ohnmacht, nicht empfunden hatte, ſie empfand, was ſie
Blottmer und was ſie den Augen der ganzen Welt wer-
den mußte, wenn einſt ein Licht in die Nacht drang, die
mit erkünſteltem Dunkel das bedeckte, was ſie war.
Durchbebt von den Schauern dieſer Erkenntniß ihrer
ſelbſt hatte Blottmer ſie gefunden; er, glühend im Ge-
fühle ſeiner Seligkeit, ſeines wiedergefundenen Frie-
dens mit ſich, mit ſeinem Vater; ſie, verkältet durch
den deutlichen Anblick ihres Abwärtsſchrittes durch das
Gefühl ihres unerſetzlichen verlorenen Friedens; unwie-
derbringlich verloren ſelbſt dann, wenn die unbefugte
Hand, die dieſen Bund geſegnet hatte, erſtarren ſollte
im Tode. — So ſchreckverkühlt empfieng Gottholde den
freudeglühenden Liebling, als er ſelig von dem Herzen
des Vaters ſich losriß, um das ſeinige ſelig an dem ih-
rigen ſchlagen zu laſſen; — der Einklang Beider fehlte,
aber noch rauſchten dem Glücklichen die angeſchlagenen
Seelenſatten zu laut im Nachhall ſeines gefeierten Trium-
phes, um ſeinem Ohre den Mißton zugänglich zu ma-
chen, der ſchneidend in die Pſalmodie ſeines Herzens
ſchwirrte. *
Der helle Tag lugte durch die Ritzen der Fenſterla-
den in das nachtdunkle Schlafgemach des Paares, als
Gottholde ſich von der Seite des ſpät entſchlummerten
Freundes ſtahl und, leicht ſich bekleidend, in das Zim ·
mer des Vaters ſchlüpfte.
ren Fuß an die Schwelle. — Die Perücke war angekom-
men; der Greis hatte ſie aufgeſetzt, ſich raſirt und ſaß,
die edeln ſanften Züge zum lächerlichen Fratzenbilde
Cin Schreckbild feſſelte ih-
berzerrt unter dem blondeu Gelock, aufrecht im Bette
vor einem Handſpiegel und liebäugelte mit ſich ſelber.
Die mahneuden Todten waren verſtummt und der le-
bendige Dämon, den der Schauer ihrer Nähe nicht mehr
in Schranken hielt, den der Blick in den Spiegel, ſtatt
ihn den Baſiliskentod ſterben zu laſſen im Grauen vor
ſeiner eigenen Geſtalt, wie mit Zaubertränken nährte,
ſpannte nun ungehindert alle Sinne des Greiſes zur
höchſten Tonhöhe an und ließ ſie erklingen zu ſeinem
ſyreniſchen Liede. 7—
Eine unwillkührliche Bewegung Gottholdens gab dem
Feſte, welches dieſer Geſang feierte, ſeine Gottheit. Die
Augen des Alten glühten empor.) „Holdchen, komm'!
guten Morgen, mein Lämmchen, mein Liebchen!“ rief
er, ihr winkend, während er den Spiegel ſeiner Hand
entgleiten ließ, und ſetzte, mit dem Blick eines irrfin-
nigen Gecken ſie angrinſend, hinzu: „Kennſt Du mich
noch, Engelchen? Kennſt Du mich wohl wieder? — Wie
gefall' ich Dir jetzt?“
Gottholde antwortete nicht gleich; die Lüge glitt
ihr ſchwer von den Lippen, und doch forderte der Ge-
müthszuſtand des kranken Wohlthäters dieſes Opfer;
ſie zwaͤug fich, freundlich zu lächeln, und erwiederte:
„Wirklich, das Haar kleidet Sie ſehr gut, wenn nur die
Farbe —7 ö
Er ließ ihr nicht Zeit, den Nachſatz anzuhängen,
der beſtimmt' war, ihm den entſtellenden-Kopfſchmuck ein
wenig zu entleiden. „Wirklich?“ rief er entzückt, griff
nach ihrer Hand, zog ſie nieder zu ſich, umſchlang ſie
und flüſterte, ſeine Wange an die ihrige ſchmiegend:
„Nun wirſt Du mich auch ein klein wenig lieb haben,
nicht wahr, mein Lämmchen?“ ö
„O mein guter Vater, hab' ich Sie den nicht immer
ſchon lieb gehabt?“ entgegnete Gottholde; und nun flo-
gen aus den Augen des unglücklich en Greiſes die Funken
luſtiger umher, die ſein vernarrender Teufel in ſeinem
Innern ſchüttelte. „Haſt Du, Engelchen? haſt Du mich
lieb gehabt? — immer, immer? — o Du Allerliebſte!
Aber wenn ich es Dir glauben foll, ſo — darfſt Du
mich nimmer Vater nennen. Bin ja nicht Dein Vater;
bin ja — ſagt Dein Herzchen Dir's nicht, was ich Dir
bin? Haben wir nicht zuſammen am Altar geſtanden?
Haben wir nicht die Ringe gewechſelt?'- — Sind wir
nicht Mann und Frau?“ ö
Alle Lebenswärme wich von Gottholden. Sie ſtarrte
den liebefiechen Greis an, wie der phiceiſche Bergwan-
derer die fürchterliche Sphinye it hatte das Räthfel
errathen, deſſen Ahnung, wie ſie ſeht begriff, ihrem An-
V.
Mittwoch, den 18. Januar 1871.
4. Jahrg.
Crſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Der Adoptivvater.
Novelle von Emerentius Seävola.
Cortſ etung.)
Unnd ſo var von all' den Eindrücken, welche dieſe
drei Menſchen ſeit dem letzten Sonnen-Untergange von
einander empfangen hatten, keiner wirkſam geblieben,‚
als der, den Blottmer, beſiegt zwar, aber dennoch wie
Sieger triumphirend, zu Gottholden getragen, und ein
zweiter, den Gottholde von ſeinen Lippen genommen,
und ſinnend überbrütet hatte während dieſer Nacht:
Segenlos hatte Blottmer ihr beiderſeitiges Verhältniß
zu einander genannt, und zum erſten Mal empfand ſie,
welcher Segen ihrem Bunde gebreche und welcher Fluch
auf ihm ruhe. Sie empfand, was ſie im Taumel, der
ſie ergriffen an dem Abend ihres Erwachens aus ihrer
Ohnmacht, nicht empfunden hatte, ſie empfand, was ſie
Blottmer und was ſie den Augen der ganzen Welt wer-
den mußte, wenn einſt ein Licht in die Nacht drang, die
mit erkünſteltem Dunkel das bedeckte, was ſie war.
Durchbebt von den Schauern dieſer Erkenntniß ihrer
ſelbſt hatte Blottmer ſie gefunden; er, glühend im Ge-
fühle ſeiner Seligkeit, ſeines wiedergefundenen Frie-
dens mit ſich, mit ſeinem Vater; ſie, verkältet durch
den deutlichen Anblick ihres Abwärtsſchrittes durch das
Gefühl ihres unerſetzlichen verlorenen Friedens; unwie-
derbringlich verloren ſelbſt dann, wenn die unbefugte
Hand, die dieſen Bund geſegnet hatte, erſtarren ſollte
im Tode. — So ſchreckverkühlt empfieng Gottholde den
freudeglühenden Liebling, als er ſelig von dem Herzen
des Vaters ſich losriß, um das ſeinige ſelig an dem ih-
rigen ſchlagen zu laſſen; — der Einklang Beider fehlte,
aber noch rauſchten dem Glücklichen die angeſchlagenen
Seelenſatten zu laut im Nachhall ſeines gefeierten Trium-
phes, um ſeinem Ohre den Mißton zugänglich zu ma-
chen, der ſchneidend in die Pſalmodie ſeines Herzens
ſchwirrte. *
Der helle Tag lugte durch die Ritzen der Fenſterla-
den in das nachtdunkle Schlafgemach des Paares, als
Gottholde ſich von der Seite des ſpät entſchlummerten
Freundes ſtahl und, leicht ſich bekleidend, in das Zim ·
mer des Vaters ſchlüpfte.
ren Fuß an die Schwelle. — Die Perücke war angekom-
men; der Greis hatte ſie aufgeſetzt, ſich raſirt und ſaß,
die edeln ſanften Züge zum lächerlichen Fratzenbilde
Cin Schreckbild feſſelte ih-
berzerrt unter dem blondeu Gelock, aufrecht im Bette
vor einem Handſpiegel und liebäugelte mit ſich ſelber.
Die mahneuden Todten waren verſtummt und der le-
bendige Dämon, den der Schauer ihrer Nähe nicht mehr
in Schranken hielt, den der Blick in den Spiegel, ſtatt
ihn den Baſiliskentod ſterben zu laſſen im Grauen vor
ſeiner eigenen Geſtalt, wie mit Zaubertränken nährte,
ſpannte nun ungehindert alle Sinne des Greiſes zur
höchſten Tonhöhe an und ließ ſie erklingen zu ſeinem
ſyreniſchen Liede. 7—
Eine unwillkührliche Bewegung Gottholdens gab dem
Feſte, welches dieſer Geſang feierte, ſeine Gottheit. Die
Augen des Alten glühten empor.) „Holdchen, komm'!
guten Morgen, mein Lämmchen, mein Liebchen!“ rief
er, ihr winkend, während er den Spiegel ſeiner Hand
entgleiten ließ, und ſetzte, mit dem Blick eines irrfin-
nigen Gecken ſie angrinſend, hinzu: „Kennſt Du mich
noch, Engelchen? Kennſt Du mich wohl wieder? — Wie
gefall' ich Dir jetzt?“
Gottholde antwortete nicht gleich; die Lüge glitt
ihr ſchwer von den Lippen, und doch forderte der Ge-
müthszuſtand des kranken Wohlthäters dieſes Opfer;
ſie zwaͤug fich, freundlich zu lächeln, und erwiederte:
„Wirklich, das Haar kleidet Sie ſehr gut, wenn nur die
Farbe —7 ö
Er ließ ihr nicht Zeit, den Nachſatz anzuhängen,
der beſtimmt' war, ihm den entſtellenden-Kopfſchmuck ein
wenig zu entleiden. „Wirklich?“ rief er entzückt, griff
nach ihrer Hand, zog ſie nieder zu ſich, umſchlang ſie
und flüſterte, ſeine Wange an die ihrige ſchmiegend:
„Nun wirſt Du mich auch ein klein wenig lieb haben,
nicht wahr, mein Lämmchen?“ ö
„O mein guter Vater, hab' ich Sie den nicht immer
ſchon lieb gehabt?“ entgegnete Gottholde; und nun flo-
gen aus den Augen des unglücklich en Greiſes die Funken
luſtiger umher, die ſein vernarrender Teufel in ſeinem
Innern ſchüttelte. „Haſt Du, Engelchen? haſt Du mich
lieb gehabt? — immer, immer? — o Du Allerliebſte!
Aber wenn ich es Dir glauben foll, ſo — darfſt Du
mich nimmer Vater nennen. Bin ja nicht Dein Vater;
bin ja — ſagt Dein Herzchen Dir's nicht, was ich Dir
bin? Haben wir nicht zuſammen am Altar geſtanden?
Haben wir nicht die Ringe gewechſelt?'- — Sind wir
nicht Mann und Frau?“ ö
Alle Lebenswärme wich von Gottholden. Sie ſtarrte
den liebefiechen Greis an, wie der phiceiſche Bergwan-
derer die fürchterliche Sphinye it hatte das Räthfel
errathen, deſſen Ahnung, wie ſie ſeht begriff, ihrem An-
V.