Nr. 74.
Samſtag, den 16. September 1871.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bei den Trägern
Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
Der Sohn des Millionärs.
(Schluß.)
O, meine Mutter, meine liebe Mutter, ſei doch gü-
tig gegen mich, ſagte Juliette in einem bittenden Tone;
wenn Du wüßteſt, wie ſehr ich ihn liebe.
Das vergeht ſchon.
Mutter, entgegnete das junge Mädchen mit feſtem
Tone, wenn es Dein Wille iſt,
Raymond nicht heirathen; aber dann bleibt es auch
feſt beſchloſſen, daß ich nie die Frau eines Andern
werde.
Unverſchämte! ſagte Madame Firmin, ſtürzte auf
ihre Tochter los und gab ihr eine Ohrfeige. Der ſch lecht
dirigirte Schlag traf in die Mitte des Gefichts, und
augenblicklich tröpfelte der armen Juliette das Blut
auf Halstuch und Kleid herab. Bei dieſem Anblicke
erſchrack Madame Firmin und wurde blaß; aber das
junge Mädchen lächelte durch ihre Thränen hindurch,
nahm ihre Mutter bei der Hand und ſagte ſanft zu
ihr:
Sei ruhig, Mutter, Du haſt mir nicht wehe gethan.
Der mütterliche Unwille ſchwand ſogleich und machte
den zärtlichſten Liebkoſungen Platz. Die gute Madame
Deschamps war bis zu Thränen gerührt, ſie vergaß
ihr eigenes erlittenes Unrecht und dachte nur auf Mit-
tel, das Naſenbluten Juliettens zu ſtillen, was mit
Hülfe von friſchem Waſſer auch bald gelang. Dann
begann das Geſpräch von Neuem.
Laſſen Sie uns die Sache vernünftig überlegen, ſagte
die Hausbeſitzerin. Ich gebe zu, daß ein Millionärs-
ſohn eine reizendere Parthie iſt, als ein Autor; aber
hier kommt es nicht darauf an, beide Parthieen gegen-
einander abzuwägen, ſondern darauf, welche ſich gerade
darbietet. Wenn das Glück wollte, daß heute ein Rei-
cher käme, ſo würde ich ſagen: Nehmen Sie den Rei-
chen und laſſen Sie den Schriftſteller. Aber das wich-
tigſte iſt, ihre Tochter zu verheirathen.
Legenheit verſäumt, der kann hernach warten. Daher,
liebe Nachbarin, iſt mein Rath, gehen Sie Juliette
und ſagen Sie Amen dazu,
dieſem jungen Manne,
denn ſo wie Sie die Sache angelegt hatten, hätte leicht,
wenn unſer Schriftſteller nicht ein redlicher Mäann war,
die Frau eines.
Ich habe einen Oammemerte-
beſitzer für Dich, von dem man mir geſtern geſagt hat. wenigſtens Herr von — wäre.
ſo werde ich Herrn
Wer die Ge-
etwas anderes als ein Heirathsantrag herauskommen
können. —
In ihrem ganzen Leben hatte Madame Deschamps
nicht eine ſo lange Rede gehalten, triumphirend und
faſt athemlos hielt ſie ein.
Ach! antwortete Madame Firmin in einem klägli-
chen Tone, dieſe Gründe wären vielleicht recht gut für
eine Andere; aber für mich, die das hübſche Geficht
meines Kindes zu der Hoffnung berechtigte, ſie werde
ö Ach! Madame Deschamps. Ja,
wenn er noch einen Titel hätte; wenn er Baron oder
Aber was ſoll ich ant-
worten, wenn man zu mir ſagt: Madame Firmin, Sie
haben alſo Ihre Tochter verheirathet? und wen hat
ſie denn geheirathet? Nie würde ich die Worte: „ei-
nen Schriftſteller“ über die Zunge bringen können.
Aber, liebe Nachbarin, erwiederte Madame Des-⸗
champs, ihre Worte betonend, wie Jemand, der eine
wichtige Anſicht zu eröffnen meint, kann denn dieſer
junge Mann, bei ein wenig Protektion, nicht in irgend
einem Miniſterium ankommen? er ſchreibt eine gute
Hand, ich wollte wetten, er würde ſich nicht ungeſchickt
anſtellen, einen Brief zu diktiren, denn er bekommt de-
ren viele. Er könnte ja Büreau⸗Chef, Diviſions⸗Chef
werden; nun! was ſagen Sie dazu? klingen dieſe Ti-
tel etwa ſchlecht? ö
Chimären, Madame Deschamps! Ich ſehe zu hell
in den Dingen dieſer Welt, als daß ich das Glück mei-
ner Tochter auf ſolche Hoffnungen wagen ſollte.
Wie Sie wollen, meinte Madame Deschamps, ein
wenig gereizt, wie Sie wollen; aber für jetzt wenden
Sie Ihren Blick einmal auf die Kleine da: wird ſie
wohl ſchöner, wenn Sie ſo fortfährt, zu weinen, wie
ſeit Sie da ſind? Sind ihre Augen genug geſchwol-
len, iſt Ihr Geſicht genug verzerrt? Noch einen Mo-
nat lang Thränen, liebe Freundin, dann adieu Schön-
heit! und das will bei einem Mädchen ohne Vermö⸗—
gen ſo viel ſagen, als adieu Eheſtand. Drum geben
Sie ſie ihrem Emil. Das Schlimmſte von Allem iſt,
daß ich dabei um den Kuppelpelz komme.
O, Mutter, ſage ja! rief Juliette, die Hand ihrer
Mutter mit Küſſen bedeckend, ſage ja, es wird mein
Glück ſein. Iſt dieſe Heirath nicht glänzend, nun, ſo
werden Dich wohl meine Schweſtern entſchädigen.
Sie hat Recht, meinte Madame Deschamps; mit
Naide haben Sie ja Alles ſchon in's beſte Geleis ge ·
bracht. ö
Ach, ſprechen Sie mir davon nicht, liebe Nachbarin,
Samſtag, den 16. September 1871.
4. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bei den Trägern
Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4
Der Sohn des Millionärs.
(Schluß.)
O, meine Mutter, meine liebe Mutter, ſei doch gü-
tig gegen mich, ſagte Juliette in einem bittenden Tone;
wenn Du wüßteſt, wie ſehr ich ihn liebe.
Das vergeht ſchon.
Mutter, entgegnete das junge Mädchen mit feſtem
Tone, wenn es Dein Wille iſt,
Raymond nicht heirathen; aber dann bleibt es auch
feſt beſchloſſen, daß ich nie die Frau eines Andern
werde.
Unverſchämte! ſagte Madame Firmin, ſtürzte auf
ihre Tochter los und gab ihr eine Ohrfeige. Der ſch lecht
dirigirte Schlag traf in die Mitte des Gefichts, und
augenblicklich tröpfelte der armen Juliette das Blut
auf Halstuch und Kleid herab. Bei dieſem Anblicke
erſchrack Madame Firmin und wurde blaß; aber das
junge Mädchen lächelte durch ihre Thränen hindurch,
nahm ihre Mutter bei der Hand und ſagte ſanft zu
ihr:
Sei ruhig, Mutter, Du haſt mir nicht wehe gethan.
Der mütterliche Unwille ſchwand ſogleich und machte
den zärtlichſten Liebkoſungen Platz. Die gute Madame
Deschamps war bis zu Thränen gerührt, ſie vergaß
ihr eigenes erlittenes Unrecht und dachte nur auf Mit-
tel, das Naſenbluten Juliettens zu ſtillen, was mit
Hülfe von friſchem Waſſer auch bald gelang. Dann
begann das Geſpräch von Neuem.
Laſſen Sie uns die Sache vernünftig überlegen, ſagte
die Hausbeſitzerin. Ich gebe zu, daß ein Millionärs-
ſohn eine reizendere Parthie iſt, als ein Autor; aber
hier kommt es nicht darauf an, beide Parthieen gegen-
einander abzuwägen, ſondern darauf, welche ſich gerade
darbietet. Wenn das Glück wollte, daß heute ein Rei-
cher käme, ſo würde ich ſagen: Nehmen Sie den Rei-
chen und laſſen Sie den Schriftſteller. Aber das wich-
tigſte iſt, ihre Tochter zu verheirathen.
Legenheit verſäumt, der kann hernach warten. Daher,
liebe Nachbarin, iſt mein Rath, gehen Sie Juliette
und ſagen Sie Amen dazu,
dieſem jungen Manne,
denn ſo wie Sie die Sache angelegt hatten, hätte leicht,
wenn unſer Schriftſteller nicht ein redlicher Mäann war,
die Frau eines.
Ich habe einen Oammemerte-
beſitzer für Dich, von dem man mir geſtern geſagt hat. wenigſtens Herr von — wäre.
ſo werde ich Herrn
Wer die Ge-
etwas anderes als ein Heirathsantrag herauskommen
können. —
In ihrem ganzen Leben hatte Madame Deschamps
nicht eine ſo lange Rede gehalten, triumphirend und
faſt athemlos hielt ſie ein.
Ach! antwortete Madame Firmin in einem klägli-
chen Tone, dieſe Gründe wären vielleicht recht gut für
eine Andere; aber für mich, die das hübſche Geficht
meines Kindes zu der Hoffnung berechtigte, ſie werde
ö Ach! Madame Deschamps. Ja,
wenn er noch einen Titel hätte; wenn er Baron oder
Aber was ſoll ich ant-
worten, wenn man zu mir ſagt: Madame Firmin, Sie
haben alſo Ihre Tochter verheirathet? und wen hat
ſie denn geheirathet? Nie würde ich die Worte: „ei-
nen Schriftſteller“ über die Zunge bringen können.
Aber, liebe Nachbarin, erwiederte Madame Des-⸗
champs, ihre Worte betonend, wie Jemand, der eine
wichtige Anſicht zu eröffnen meint, kann denn dieſer
junge Mann, bei ein wenig Protektion, nicht in irgend
einem Miniſterium ankommen? er ſchreibt eine gute
Hand, ich wollte wetten, er würde ſich nicht ungeſchickt
anſtellen, einen Brief zu diktiren, denn er bekommt de-
ren viele. Er könnte ja Büreau⸗Chef, Diviſions⸗Chef
werden; nun! was ſagen Sie dazu? klingen dieſe Ti-
tel etwa ſchlecht? ö
Chimären, Madame Deschamps! Ich ſehe zu hell
in den Dingen dieſer Welt, als daß ich das Glück mei-
ner Tochter auf ſolche Hoffnungen wagen ſollte.
Wie Sie wollen, meinte Madame Deschamps, ein
wenig gereizt, wie Sie wollen; aber für jetzt wenden
Sie Ihren Blick einmal auf die Kleine da: wird ſie
wohl ſchöner, wenn Sie ſo fortfährt, zu weinen, wie
ſeit Sie da ſind? Sind ihre Augen genug geſchwol-
len, iſt Ihr Geſicht genug verzerrt? Noch einen Mo-
nat lang Thränen, liebe Freundin, dann adieu Schön-
heit! und das will bei einem Mädchen ohne Vermö⸗—
gen ſo viel ſagen, als adieu Eheſtand. Drum geben
Sie ſie ihrem Emil. Das Schlimmſte von Allem iſt,
daß ich dabei um den Kuppelpelz komme.
O, Mutter, ſage ja! rief Juliette, die Hand ihrer
Mutter mit Küſſen bedeckend, ſage ja, es wird mein
Glück ſein. Iſt dieſe Heirath nicht glänzend, nun, ſo
werden Dich wohl meine Schweſtern entſchädigen.
Sie hat Recht, meinte Madame Deschamps; mit
Naide haben Sie ja Alles ſchon in's beſte Geleis ge ·
bracht. ö
Ach, ſprechen Sie mir davon nicht, liebe Nachbarin,