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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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eidelberger

IC.

ollablatt.

. Mittwoch, den 12. April 1871.

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

3u ſpät.
(Fortſetzung.)

Der alte Graf ſtand in der Thür, und ſeine Au-
gen blitzten einmal wieder mit der alten Energie, die
Viktor früher an ihm gekannt hatte. In dieſem Au-
genblicke fürchtete ſich der Sohn vor dem Vater, und
bereute die Wuth, von der er ſich hatte fortreißen laſ-
halt Er fühlte, daß er damit das Spiel verloren
thatte. * ö
V „Was geht hier vor? Bildeſt Du Dir ein, Monſieur
Viktor, daß Du jetzt ſchon der Herr im Hauſe biſt?
Folge mir, ſchon lange habe ich ein ernſtes Wort mit
Dir reden wollen. Ihr aber führt den Pater auf ſein
Zimmer und ſorgt für ihn,“ herrſchte er die Diener
an, die gleichfalls im Korridor erſchienen waren.
Viktor hatte das Spiel verloren. Die Mine war
zu geſchickt angelegt geweſen, als daß ſie nicht hätte zu
rechter Zeit, am rechten Orte ſpringen ſollen. Zu ſpät
hatte Viktor die ganze Hinterliſt ſeines Gegners er-
kannt, zu ſpät eingeſehen, daß er ihm ſelbſt die Waf—⸗
fen gegen ſich in die Hand geliefert. Etwas weniger
Vertrauen in ſeine Sicherheit, etwas mehr Mißtrauen
dem Bruder und dem Pfaffen gegenüber, würde Man-—
ches nicht haben geſchehen laſſen. Er hatte das Spiel
verloren: denn es ſtand nicht allein der Sohn dem Va-

ter, ſondern auch der vornrtheilsfreie, ganz von ſeinem

Mannesſtolze und ſeiner Mannesehre erfüllte Sohn ei-
ner neuen Zeit dem alten, in Standesvorurtheilen
großgezogenen und dieſe wie ein Heiligthum bewahren-
den Edelmanne gegenüber. Als ein Verſtoßener und
Geächteter verließ er nach einer harten Scene das
Zimmer ſeines Vaters, aber feſten Schrittes und trotzi-
gen Muthes, bereit, den Kampf um's Daſein aufzuneh-
men mit der Welt. —
„Laß gut ſein, Pierre, alter Knabe,“ tröſtate er auf

dem Bahnhofe zu Sulz ſeinen treuen Diener, welcher.

mit dem Pferde, das ihn hierhergetragen, zurückkehren
ſollte in's Vaterhaus. „Laß gut ſein, Pierre, geſche-
hene Dinge ſind nicht ungeſchehen zu machen. Ich
pat- — Warnungen überhört. Jetzt iſt's — zu
ät!“ — ö
Der Erzähler ſtand auf und begann ſeinen Gang
durch's Zimmer von neuem. Erſt nach längerer Zeit

wagte ich ihn mit der Frage zu unterbrechen: „Und
Jeannette?“ ö
Er blieb am Fenſter ſtehen und ſah wieder in den
Mond empor. — „Jeannette! — Er hat ſie geſucht
wie ſeine Seligkeit und hat nie eine Spur von ihr ge-
funden.

imneuen Vaterlande erkämpft, für wen hat er ſie

errungen? Ihm ſelber iſt das Leben ja nur noch eine

Pflichterfüllung.“
„Sprich nicht ſo, Paul,
alt, daß nicht noch —“
Er wehrte mit der Hand. „Des Lebens Mai blüht
einmal und nicht wieder. Laß ihn gehen, den finſte-
ren Träumer, und kümmere Dich, trotzdem daß er Dir
ein Stück Vertrauen gezeigt, möglichſt wenig um ihn.“
Bewegt drückte ich ihm die Hand. Wie klein kam
ich mir vor mit meinen winzigen Ereigniſſen, dieſem
Manne gegenüber; wie ruhig in hundertjährigem Ge-
leiſe hatte ſich mein Leben abgeſponnen.
tern mag daher wohl die Frage nach den Anderen,
die in der⸗Geſchichte des Freundes eine Rolle geſpielt,
geklungen haben ö ö *
„Die Anderen? — Ja, da ſieht nid
mal, wie ein Fuchs immer ſeinen Meiſter findet. Der
alte Graf iſt todt ſeit einigen Jahren. Viktor hat na-
türlich nur einen Pflichttheil erhalten, Alfred die Erb-
ſchaft. Pater Benedikt aber, der nun den Unumſchränk-
ten ſpielen zu können vermeinte, hatte ſich in ſeinem
Zögling einen ſo guten Schüler gezogen, daß der neue

Du biſt ja noch nicht ſo

Herr ihn bei der erſten Gelegenheit kopfüber zum Haus

hinausgeworfen hat. Weiter weiß ich nichts und mag

ich nichts wiſſen. — Verſprich mir aber noch eins
Wenn ich falle, ſo nimm das kleine Taſchen

Freund!
büchlein, das Du hier in meiner Bruſttaſche findeſt,

nach Dir und vernichte es; aber auch Du ſollſt keinen

Blick hineinwerfen. Verſprich mir das.“ ö
Ich verſprach's gern. „Laß doch aber dieſe ewigen
Todesgedanken, Paul; warum ſoll's denn gefallen ſein?
Wir werden Beide noch unſern Siegeseinzug in Ber-
lin halten.“
„Ich kann's nicht glauben,“ entgegnete er düſter.
Gebe nur Gott, daß mich wenigſtens die Kugel vor
dem Feinde treffe und ich einen ehrlichen Soldatentod

finde, wie tauſende meiner Brüder, daß der Paul Karr-
ſtedt nicht hinterrücks aus der Liſte der Lebendigen ge⸗—

ſtrichen werde. Doch, wie Gott will.“
* 4 *
4 ö

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſctag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

Sein Leben iſt zerſtört, jammervoll zerſtört.
Was hat er von ſeiner behaglichen Exiſtenz, die er ſich

Faſt ſchüch-

wieder ein-
 
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