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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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118

Haus aber ließ man mich nicht wieder, ich mußte wei-
ter, der Dienſt rief.
Wie Gott will!
Es giebt viele Dinge zwiſchen Himmel und Erde,

die unſere Schulweisheit ſich nicht träumen läßt. Paub
Karrſtedt's Ahnungen gingen in Erfüllung, wenn auch

in etwas anderer Weiſe, als es ſeine verdüſterte Seele
vorhergeſchaut. Es war ihm allerdings nicht vergönnt,
daß eine Kugel ihn im ehrlichen Kampfe vor dem Feind
niederſtreckte. Hinterrücks traf ihn das Meſſer des
Meuchelmörders zwiſchen beiden Schultern, und er lag
hart darnieder, — in Privatpflege, wie es hieß, in
demiſelben kleinen Häuschen an der Ecke der Rue de
Saverne.

War es ſo ſchlimm. daß man ihn nicht mehr hatte

transportiren können? Ich machte mir allerhand Ge-

danken. In jenem verhängnißvollen Momeute war ſo

Manches zuſammen gekommen, was von dem Eingrei-

fen unſichtbarer Mächte — nennen wir's Zufall, Schick-
ſal, Vorſehung — in ein Menſchendaſein Kunde geben
zu wollen ſchien. Jener verzweiflungsvolle Ruf: „Vik-
tor! Viktor!“ — und es brannte mir faſt die Seele
ab, daß der von mir regelrecht getroffene Meuchelmör-
der in einer Kutte geſteckt und eine rothe Narbe, wie
von einem Peiſchenhiebe herrührend, quer über dem
Geſichte getragen hatte.
Noch aber ließ man mich nicht zu dem Kranken,

und der Arzt lächelte auf meine ungeſtümen Fragen

ſo geheimnißvoll.

Endlich durfte ich mich ſelbſt von ſeinem Zuſtande

überzeugen. ö ö
Leiſe trat ich in das Zimmer, und der freudig lä⸗—
chelnde Blick des Kranken rief mir die Gewißheit zu,
daß er gerettet ſei. Matt ſtreckte er mir die Rechte

entgegen; die Linke ruhte in der Hand eines Mädchens,

deſſen Angeſicht, trotz der Spuren langer und tiefer

Leiden, von einem roſigen Schimmer der himmlichſten

Freude verklärt war. Für mich bedurfte es keines
Wortes, wer die treue Pflegerin des Freundes ſei, daß
er hier durch eine ſo wunderbare Fügung ſeine Jean-
nette wiedergefunden hatte. Und ſie muß auch ſicher-
lich ein ſchönes Mädchen ſein, wenn die glückliche Ver-
einigung mit dem geliebten Manne erſt die Spuren
der Leiden verwiſcht haben wird. Hatte doch das Auge
der Liebe bei dem kurzen Halte an der Ecke in dem

preußiſchen Musketier ſofort den ſo lange Erſehnten er-

— — und die unſelige — ſelige Katoſtrophe herbeige-
ührt. ö
Nun war ja Alles gut und ich brauchte nicht das
kleine Taſchenbuch von dem Herzeu des Freundes zu
nehmen, um mit demſelben ſein Geheimniß auf ewig zu
begraben. 2
„Mag der Graf Viktor für immer begraben ſein,“

ſaͤghte er mir beim Abſchiede. Denn ich mußte weiter,

und der Teufel in der geiſtlichen Kutte hatte ſo gut
getroffen, daß Paul immer erſt ein wenig in dem hel-
len Sonnenſcheine am Fenſter ſitzen konnte, während

die rührende Liebe der von Tag zu Tage mehr zu vol

le Snheit wieder erblüzende Jeannktts ihn nugab.
„Mag der Graf Viktor für immet degraben ſein,“
reund; jetzt iſt dem Paul Karrſtedt des Lebens Mai

aufgeblüht und er denkt, daß ihm kein Sturm kominen

und die duftigen Blüthen zerſtören wird.“

Kein Deutſcher, doch ein echter deutſcher
ichter. ö

„S chluß.)

Wie die innige Empfindung des Weibes, ſein tie-
fes, unausſprechliches Leben, ſo zeichnet der Dichter in
dem Gedicht: Die Sonne bringt es an den Tag,“ die
Unglücksmacht einer Weiberzunge. Viele, viele Jahre
blieb es verborgen, daß er von Hunger und Noth ge-
trieben, in einem einſamen Walde einen Mord an ei-
nem alten, wehrloſen Manne begangen, kaum aber
hatte ſie im das Geſtändniß dieſes Verbrechens ent-
lockt, ſo wußten es auch die Gevatterinnen, was die
Sonne nicht an den Tag gebracht hatte; denn die Sonne
hatte jetzt eine Weiberzunge bekommen, und er, der
Mörder, der Mann dieſes Weibes, das ihn immer und
immer gefragt, wenn er in düſtere Erinnerungen ver“
ſenkt, ſich zu überreden ſuchte: „daß die Sonne es nicht
an den Tag bringen würde:“ „was ſoll die Sonne
nicht an den Tag dringen?“ es hatie ihn in die Hände
des Henkers geſchwätzz. ö ö
Die Gabe der landſchaftlichen Schilderung, verbun-
den mit der des furchtbarſten Seelenleidens. entfaltet
Chamiſſo in ſeinem Salas y Gomez. Ein auf kahlen

Felſen mitten im Meere Verſchlagener, beſtändig von

glühendem Sonnenbrand gepeinigt, nur von Vogel-
eiern ſich nährend, hat hier, mit ſcharfer Steinſpitze,
ſeine grauſenhafte Lebensgeſchichte in die Felſenplatte
gegraben. Fünfzig Jahre hat der Unglückliche hier zu-
gebracht, ohne je ein Menſchengeſicht wieder geſehen,
eines Menſchen Stimme wieder gehört zu haber, nur
an die Hoffnung geklammert, daß ein Schiff nahen

könne, ihn zu den Menſchen zurückzubringen. Salas

y Gomez iſt das ergreifendſte Gedicht, das in dem
deutſchen Dichterwalde die Phantaſie erregt. Der
nackte, einſame Menſch, und der kahle, vom Meer um-
rauſchte Felſen, und dieſe Beide im Zuſammenſein

durch volle fünfzig Jahre. Die erſte Nacht, welche Go-

mez auf dieſem Felſen zubringt, will ihm nicht enden,
und dann Jahre auf Jaͤhre ohne zu erblinden, ohne
den Verſtand zu verlieren, immer nur ſtarrend, ob nicht
ein Schiff nahen werde. Ja, es naht auch eins, aber

(Gomez' Stimme reicht nicht aus für den Ruf hinüber,

er hat kein Tuch zum Wehen, nur die Arme kann er
ausbreiten; durſtig trinken ſeine Ohren den langen

Pfiff, der von dem Schiff zu ihm herüberdringt, aber

vas iſt auch Alles;. — die Weiten zwiſchen ihm und
dem Schiffe wachſen und es entſchwindet ſeinen Blicken.
— Nachdem er hier ein Greis geworden, will Gomez
 
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