Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0174

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
17²2

Zum Teuſel auc, rief der Unbekannte aus und

zog ſich traurig und ärgerlich zurück. Seine Traurig-
keit that mir weh, ich ging auf die Wirthin zu „ zog
den Hut und ſagte mit vieler Artigkeit:
Madame, könnten Sie mir wohl ſagen, wer dieſer
Mann iſt, wo er wohnt und wie er ſich nennt?

Als die Wirthin mich ſo höflich ſprechen hörte,

ſetzte fie auf einen Augenblick ihren Teller nieder und
entgegnete, mich hold anlächelnd:

Schauens, Herr, dieſer Mann iſt 'ne Art von Mu-

ſikus, ein Freſſer und Trunkenbold, ein Freund Hoff-
manns, eines eben ſolchen Saufers, der jetzt aber todt
iſt. Ich kenne ſeine Haushälterin ſehr gut, die Mar-⸗
tha heißt, ſie wohnt dorten in dem kleinen Hauſe links,
neben dem Wollhändler; ich glaude, er heißt Bee-
thoven.
Bei dieſem großen Namen jühlte ich eine tiefge
hende, innere Bewegung, die mich mächtig ergriff. Das
war alſo Beethoven! Die Wirthin, die mich erblaſſen
ſah, glaubte, ich befinde mich unwohl.
Sie ſetzte Alles ſchnell nieder und kam beſorgter
und geſchäͤftiger auf mich zu, als wenn ich Beethoven
geweſen wäre.
Mein Gott, mein Herr, was haben's? ſagte ſie.
Wie kann ich Ew. Gnaden helfen?
Ich hatte mich indeſſen. ſchon wieder erholt und er ·
wiederte ihr: Madame, im Namen der Gaftfreundſchaft
erſuche ich Sie um einen großen Dienſt.
Sie, ſah mich mit großen Augen an.
Madame, fuhr ich fort, wenn Sie gut und mitlei-
dig ſind, ſo ſtecken Sie ſchnell einen Kalbsbraten an
den Spieß, ich verlaſſe Ihr Haus nicht ohne Kalbs-
braten.
ö Seins nur rruhig, lieber Herr, ſagte ſie, indem ſie
Nauf den dampfenden Backofen zeigte, Sie ſollen ihn im
Augenblicke haben. Zugleich rief ſie der Kellnerin,
welche eben die Hühner fütterte. Letztere kam, öffnete
den Ofen und der herrlichſte Geruch eines bald ferti-
gen Kalbsbratens erfüllte die ganze Küche. Wie hätte
dieſer Geruch den armen tauben Mann erfreut! In-
deſſen richtete die Wirthin den Kalbsbraten auf einer
großen Platte mit eigenen Händen für mich an.
ö Und warum, fuhr ich zu ihr fort, wollten Sie vor-
bin dem unglücklichen Beethoven nicht den verlangten
Braten geben?
Miein Herr, ſagte die Wirthin, der Mann iſt ein
Verſchwender, der Alles aufißt, was er verdient, ein
Wohlſchmecker, der alle Tage Fleiſch eſſen will; kaum
hat er Geld, ſo bringt er mir's; ich nehme ihm aus
Mitleid ſo wenig als möglich ab und dann hab' ich es
ſeiner Haushälterin Martha verſprochen.
Armer Beethoven! dachte ich. Armer großer Mann!
Unglücklicher, edler Künſtler.
Madame, fuhr ich zu ihr gewendet fort, welchen
Wein trinkt gewöhnlich Beethoven?
Wiahrhaftig, lieber Herr, ich weiß es nicht; dieſe
Leute trinken jeden Wein und wenn es nur Wein iſt,
ſo liegt ihnen nicht viel daran, was ſie trinken. Je-

ſelbſtgezogene Nelke,

doch glaube ich, daß er eine gute Flaſche von meinem
alten Rheinwein nicht abſchlagen würde.

Geben Sie mir zwei Flaſchen von Ihrem Rhein-
wein, aber vom beſten, fuhr ich fort; es iſt für dieſen
Zweck keiner zu gut und wäre es Wein vom Johan-

nisberg.

Die Wirthin ging und kam bald mit zwei beſtaub-
ten, ganz von Spinnweben umzogenen Flaſchen zurück.
feu dachte ich, das iſt etwas, um Beethoven zu er-
reuen.
Ich belud einen Kellner mit dem Allem, und ſchritt
ihm ſtolz durch die Straßen voran. Unterwegs dachte
ich: ich will Beethoven bedienen. und Keinem dieſe Ehre
überlaſſen, ich werde ſeinen Tiſch ſerviren und ihm,
mit einer Serviette unter dem Arme, ſagen: Euer Ma-
jeſtät, den König der Harmonieen, will ich bedienen.

So erreichten wir bald Beethovens Haus, eine nille,

kleine Wohnung.
Beethoven 2.— damals in der Beletage, und das
war der einzige Luxus, den er ſich erlaubte. Ich trat
in das Vorzimmer und ſand da einen mit grobem
Weißzeuge gedeckten Tiſch, einen Kanarienvogel, der
luſtig in ſeinem Bauer umherhüpfte und ſang, und
eine dicke Katze, die den noch leeren Tiſch beäugelte
und von Zeit zu Zeit ihre liebliche Stimme hören ließ.
Es waren der Tiſch. der Vogel und die Kahe Beetho ·
veins.
Ich ſetzte meine gedeckte Schüſſel und meine zwei
Flaſchen nieder, ſtreichelte die Katze, die einen Katzen-
buckel machte, und näherte mich dem Vogel, der aber
ruhig fortſang und nicht mehr Acht auf mich hatte, als
ſein Herr in dem Muſkladen. Kurz darauf trat Bee-
thovens Haushälterin ein. Sie war nicht erſtaunt, mich

zu ſehen, ſondern ſagte mir blos:

Sie können ihn heute nicht ſprechen; er iſt in ſei-
nem Zimmer, und ſo traurig, daß er heute nicht zu

Mittag ſpeiſen will.

Ohne meine Antwort abzuwarten, öffnete ſie Bee
thovens Zimmer, und ich trat ein.
Er ſaß am Fenſter und betrachtete aufmerkſam eine
der eine Unzahl von grünen In-
ſekten den Untergang drohte, und bemühte ſich,'dieſel-
ben mit der größten Vorſicht abzuleſen. Uebrigens war
dieſe Nelke nicht die einzige Blume an ſeinem Fenſter;
Kapuzinerſtöcke hatten ſich hinaufgewunden und bildeten
durch ihr Hellgrün die ſchönſte Gardine gegen die Son-

nenhite.

(Schluß folzt).
Ein Feueredikt.
Der aa, Weimar ruft jedem Gebildeten die klaſ-

ſiſche Zeit unſerer Literatur in's Gedächtniß, wie ſie zu

Ausgang des vorigen Jahrhunderts durch Goethe und
Schiller unter dem Schutz eines großherzigen, kunſtlie-

benden Fürſten ſo reich und muſtergültig emporblühte.

Aus dieſem nämlichen Weimar, das wir dankbar als
eine Pflanzſtätte der höchſten Kultur verehren, ging
 
Annotationen