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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Marceau, ſo haben wir weder den Apoſtel Torquatus,

noch den Jakobinerklubb, mit dem er correſpondirt, zu
fürchten. Mein Sohn hat Freunde im Wohlfahrtsaus-
ſchuß; Robespiere ſogar drückt ihm die Hand und um-
armt ihn. In zehn Tagen werden Sie hoffentlich un-
ter der Sauvegarde des Sieges ſein, bis dahin iſt Vor-
ſicht nöthig. 11
Blanka ſah im Adjutantenfrack, mit ihrem ſchlanken
Wuchs und dem Arm in der Binde allerliebſt. Aber
eine ausnehmende Zartheit der Züge, ſchwache Finger,
ein Fuß, welchen der um das Dritttheil verlängerte Stie-
fel noch nicht männlich genug machte, kurz, alle an-
muthige und zarte Farmen, welche die weibliche Schön-
heit auszeichnen, waren bei Fräulein Beaulieu zu we-
nig verborgen. Höchſtens konnte man ſie für einen Jüng-
ling von fünfzehn bis ſechzehn Jahren halten; allein
wie paßte ein ſo zartes Alter zu den Epauletten des
Lieutnants und dem im Handgemenge erhaltenen mäch-
tigen Säbelhiebe? — Unſer junger Offizier, welcher
den republikaniſchen Namen Caſſius angenommen hatte,
ſchwor wie ein Sapeur, rauchte wie ein Deutſcher und
machte mit allen Sans⸗-culotten des Clubb's Brüder-
ſchaft. Trotz dem vermuthete Torquatus die Verklei-
dung, was ſofort ſein Mißtrauen rege machte. Dieſer
ehemalige, wie er ſagte, von den Jeſuiten erzogene
Schulmeiſter, war eigentlich der Sohn eines Aufwär-
ters in ihrem Profeßhauſe zu Paris. Indeß hatte er
nicht ermangelt, ſich ihre ſchlaue Feinheit anzugewöh-
nen. — Einmal auf den Gedanken gerathen, daß ſich
an die Stellung des Caſſius ein Geheimniß knüpfe,
ſann er auf ein Gewebe von Ränken, welches alle Hand-
lungen des jungen Offiziers umſchloß; kein Schritt,
keine Bewegung, keine Geberde, kein Wort Blankas ent-

ging der Aufmerkſamkeit dieſes boshaften Spions, der

vor Begierde brannte, dem Jakobinerclubb eine dienſt-
fertige Mittheilung machen zu können.
Der Parteimann und Intriguenſchmied Torquatus,
deſſen ganzer Patriotismus ſich mit den Worten aus-
drücken ließ: Geh' weg, damit ich Deinen Platz bekomme
— liebte Marceau nicht, weil ihn dieſea verachtete.
Mehrmals hatte er den jungen Krieger bei den leiden-
ſchaftlichſten Mitgliedern des Bergs verläumden wol-
len; allein die Beſchuldigungen eines ſo unwichtigen
Feindes konnten dem Rufe des Helden nie Eintrag thun.
Die Anweſenheit des zweideutigen Offiziers bei Frau
Marceau konnte ſehr viel dazu beitragen, ihren Sohn
bloszuſtellen. Der Jeſuitenzögling verfolgte alſo die
arme Blanka, wie ihr Schatten. Sie nahm ſich jedoch
in Acht und es hielt ſchwer, von dem Scheine, der je-
nem aufſiel, zur Gewißheit zu kommen. *
Fräulein Beaulieu war bereits acht Tage in der
Gegend von Chartres, als der General, deſſen Briefe
eine leidenſchaftliche Liebe zu der jungen Vendeerin ver-
riethen, ſeine nahe Ankunft meldete. Der Feind war
kürzlich von ihm in mehreren Treffen geſchlagen wor-
den; die Nationalverſammlung hatte beſchloſſen, daß er

ſich auch ferner um das Vaterland verdient machen ſolle

und der Beſieger der Rebellen, Meiſter der beiden Ufer
der Loire, von Tours bis Nantes, kündigte ſeiner Mut-

des kleinen von Frau

0

ter an, er werde ſich in wenig Tagen nach Paris be-
geben, um weitere Verhaltungsbefehle einzuholen.

Blanka, die den Haß des Torquatus gegen ihren
Geliebten kannte, wollte ſich das Vergnügen machen,
im vollen Clubb über den boshaften Schulmeiſter zu
triumphiren. Gewöhnlich ſaß ſie dieſem Coriphäen der
Redner des Landes gegenüber. Im Beſitz des Zeitungs-
blattes, was die dem General Marceau von der Na⸗-
tionalverſammlung zuerkannte ehrenvolle Erwähnung
berichtete, warf ſie es quer über den Saal nach Tor-
quatus, mit den Worten: Hier, Bürger, lies die Zei⸗—
tung; Du, als ein warmer und offner Patriot, wirſt
Dich über das Lob eines der Bewohner dieſer Gegend
freuen. S ö
Wer iſt es denn, Bürger Caſſius — fragte der
Clubbiſt eilfertig, der einen Augenblick daran dachte,
daß von ihm die Rede ſein könne.
Wer es iſt? Das iſt doch keine Frage, antwortete
zu unklug Blanka, welche ihre Liebe ſtolz machte. Von
dem braven und wackern Marceau, meinem berühmten
General, iſt die Rede. Die ganze fünfte Spatte dieſer
Zeitung iſt ihm gewidmet; lies, Bürger Torquatus.
Darüber wundre ich mich nicht, Bürger⸗Offizier —
entgegnete bitter der Schulmeiſter. — Der Redakteur
dieſes Blattes iſt ein Girondiſt, ein Föderaliſt — gleich
dem, welchen er lobt, wie ich hinlänglich weis.
Hieranf warf er das Journal ſo ſchnell zurück, daß
es an ſeinem Ziele ankam, ehe es Blanka erwartet
hatte. S att nun die Kniee zuſammenzuſchließen, wie
jeder Mann an ihrer Stelle gethan hätte, um das Blatt
aufzufangen, machte das arme Mädchen, welches ſich
mit einem Rocke verſehen glaubte, die Beine auseinan-
der und verrieth ſo die Gewohnheit, weibliche Kleider
zu tragen. 1
Es iſt ein Frauenzimmer — ſprach Torquatus halb-
laut — Ha, ha! ein als Ofſizier verkleidetes Weib bei.
der Bürgerin Marceau, der Mutter des ſo gerühmten

Generals! — Das kann intereſſant werden. — Endlich

alſo ein Verdacht — ich hoffe, hier eine Gelegenheit
zu finden, dieſen herrlichen Sieger bloszuſtellen, der
mich mit einem verächtlichern Stolze behandelt, als ein
ehemaliger Adliger. Indeß ſei klug, Freund Torqua-
tus; vergiß nicht die Lehren der Schlauheit, welche Du
in der Küche der Geſellſchaft Jeſu erhieltſt. Sektenliſt,
Hofliſt, Parteiliſt iſt Eins. Immer braucht man ge-
heime Mittel, ſchleicht im Finſtern, Lis man des Erfolgs

gewiß iſt; einmal Herr der Menſchen und Ereigniſſe,

tritt man mit Kühnheit auf, vertilgt ſie und rottet ſie
aus. Zum Teufel! nur nichts dem Zufall vertraut;
Marceau iſt kein gewöhnlicher Feind. — An ſeinem
Glück zu ſcheitern, würde ausnehmend gefährlich ſein.
Zuerſt muß ich wegen der Verkleidung Gewißheit ha-
den; das iſt die Hauptſache; denn zur Zeit einer Re-
volution iſt ſo etwas faſt ſchon Verbrechen; hat man
aber einmal den Vorwand zu einer Beſchuldigung ge-
funden, ſo iſt es ganz leicht, ein ſehr verwickeltes und
ſchwarzes Complot damit in Verbindung zu bringen.
Blankas Zimmer befand ſich in dem erſten Geſchoß
Marceau bewohnten Laudhauſes
 
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