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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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jeilelberger Vollsblatt.

Nr. 40.

Samſtag, den 20. Mai 1871.

4. Jahrg.

Sacheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 19 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und PVoſtanſtalten. ö



Des Lebens Wendungen.
ö Aus einem Tagebuche.
CJortſetzung.)

Die Tante ſchien froh über dieſe gute Wendung
meiner Lage, und ich bezog noch an demſelben Tage
meine neue Wohnung, mit dem Vorſatz, meiner müt-
terlichen Freundin bei allen ihren Geſchäften treu und
ausdauernd behülflich zu ſein, und ſo die durch mich
erhöhten Ausgaben ihrer Haushaltung zu erperben.
Herr Rich empfieng mich mit vieler Herzlichkeit und

Freude bei der Nachricht, welche ihm ſeine Gattin gab,
ſie habe mich beredet, bei ihm als ihr Kind zu leden.

Er und der alte Friedmann, ein eisgrauer, treubewähr-
ter Commis meines Vaters, welcher oft zu Rich kam,
liebten mich ſchon, als ich noch ein Kind war. Beide
nahmen den innigſten Antheil an dem Unglück meines
Vaters, dem ſie noch jetzt herzlich ergeben waren, und
Beiden ſchien es, als gehöre ich eigentlich Niemanden
an, als ihnen, unter deren Augen ich von meiner Wiege
an gelebt hatte, von denen ich nur während des kurzen
Zeitraumes von beinahe zwei Jahren getrennt war.

Wie glücklich fühlte ich mich jetzt, nach ſo herben

Prüfungen, im Kreiſe dieſer trefflichen Menſchen! Nur
ein gehrimer Schmerz, den ich nie überwinden konnte,
verließ mich nicht mehr. Aber er ſchien ſo innig mit
mir ſelbſt und meinein ganzen, ferneren Leben verbun-
den, daß ich ſelbſt die Möglichkeit, ihn nicht zu em-
pfinden, mir nicht denken konnte. Ojt ſtieg in mir ſo
glühend heiß der Wunſch nach großem Reichthum auf,
aber nicht um ihn für mich zu verwenden, nur die ge-
rechte Erſtattung Frankenſtein gewähren zu können,
war das Ziel meiner ſehnſüchtigſten Wünſche.
Unſerer Wohnung gegenüber befand ſich das pracht-
volle Haus des reichen Geheimen⸗Rath May! Demoi-
ſelle Sara May, eine, verarmte Verwandte des Hauſes,
lebte, abhängig von dem reichen Vetter, bei ihm, und
beſuchte Madame Rich, ſo orft ſie konnte. Obgleich die
ſchönen und reichen Töchter des Geheimen⸗Raths mit
Hochmuth auf die bejahrte, reizloſe Sara herabſahen,
ſprach dieſe doch mit Stolz von ihren Nichten und de-
ren glänzenden Ausſichten für die Zukunft. Eine ſchwere
Krankheit hatte vor einem Jahre die Geheime⸗Räthin
an den Rand des Grabes geführt. Frankenſtein, den
Geſchäfte hierher geführt hatten, ward auch zu Hülfe

fehle.
Hofraths-⸗-Titel nannte ſie als große Empfehlungen,

gerufen, denn er war ein höchſt geſchickter und glückli-
cher Arzt, und er rettete die Kranke vom Tode. Da

verbanden ſich mehrere angeſehene Familien mit der

May'ſchen, ihn zu bewegen, ſich hier niederzulaſſen, und
ſeit Kurzem befand er ſich wirklich hier. Sara meinte,
eine von den ſieben reichen Töchtern des Geheimen-
Raths könne ihm wohl zu Theil werden, und Franken-
ſtein werde gewiß ſo klug ſein, ſich um ein ſo hohes
Glück bald möglichſt mit Beſtimmtheit zu bewerben,
da ihm bei allen ſeinen geiſtigen und körperlichen Treff-⸗
lichkeiten und Vorzügen doch das liebe Geld immer noch
Seine Ausſichten für die Zukunft und ſeinen

die ihn der hohen Ehre, eines der Siebengeſtirne des

May'ſchen Hauſes davon zu tragen, würdiger machten,

als Zugaben zu den früher bezeichneten Trefflichkeiten
und Vorzügen. Sara's Aeußerungen erfreuten mich
nicht ſehr, und ich machte mir dann wieder Vorwürfe,
daß ſie mich nicht erfreuten, da ſie mir doch zeigten,
welche vortheilhafte Ausſichten ſich dem Hofrath dar-
boten. Aber bald fand Sara die günſtigſte Veranlaſ-
ſung, ihre Beſuche bei uns zu verdoppeln und ſich wich-
tig zu machen. Es beliebte dem reichen Neffen des
reichen Geheimen⸗Raths, ſich in mich zu verlieben, und
da er auf keine Weiſe Gelegenheit finden konnte, mich
öfter und für längere Zeit, als auf der Straße oder
in der Kirche zu ſehen, ſo erkohr er Sara zur Vertrau⸗—
ten. Dieſe erſpähete immer unſere ſonntäglichen Spa-
ziergänge und wußte ihm Nachricht von dem jedesma-
ligen Ziele derſelben zu geben. So trafen wir überall
mit dem reichen, jungen Kaufmann May zuſammen,
der ſich Herrn Rich anſchloß, und bald ernſtlich um
meine Hand warb. Der junge Mann war beſtürzt über
meine ungünſtige Antwort, die er gar nicht mit ſeinem

Reichthum, mit ſeiner hübſchen Perſon und meiner Ar-—

muth zuſammen zu reimen wußte. Doch ſeine Liebe
ertag nicht gleich der erſten Probe. Sara fand ſich zu
ſehr durch May's Vertrauen geſchmeichelt, um nicht ge-
ſchaͤftig für ihn mitzuwirken, und beſtürmte uns mit
unerſchöpflicher Beredſamkeit, dieſes mir dargebotene
Glück gehörig zu würdigen. Herr May verließ ſich
nicht ganz auf den Einfluß ſeiner redſeligen Bundes-
genoſſin, und wählte Frankenſtein, welchen eine Krank-
hein der Madame Rich in dieſer Zeit zu uns führte,
zum Geſchäftsführer ſeiner Herzens-Angelegenheit. Ge-
wiß betrachtete er ihn ſchon als den beſtimmten Ge-
mahl einer ſeiner ſieben reichen Couſinen, und wünſchte

der guten Madame Rich ein langes Krankenkager, um
 
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