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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 79 - Nr. 86 (4. Oktober - 28. Oktober)
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336

Erde gewähren kann! Selbſt die Gebirge mit ihren ſchnee-
bedeckten Gipfeln reichen nicht an ſeine einfache Großar-
tigkeit; ewig gleich und doch ewig wechſelnd, immer das-
ſelbe und doch täglich ein Anderes hat es ſtets neue Reize
für mich. Und welch ein Bild des Lebens giebt es uns.
Der Wechſel, den Sonnenſchein und Sturm in ihn erzeugt,
gleicht er nicht ganz den wechſellvollen Schickſaleo des- Men-
ſchen, bald ſonnig und heiter von Licht und Glanz um-
ſtrahlt, bald ſchwarz und finſter in furchtbarem Aufruhr,
Vernichtung und Tod um ſich verbreitend!“
ö „Welch düſtere Gedanken, gnädiges Fräulein!“ ſagte
der Baron und blickte ernſt in das große, glänzende Auge
Eliſens. „Ich dächte, Sie müßten ſo trüben Gedanken
kaum Raum in Ihrem Innern geſtatten. Ihnen müßte
das Leben wie ein heller, ſonniger Frühlingstag erſchei-
nen. Hat Sie Gott doch mit allen Gaben begnadigt, die
zum Glücke des Lebens gehören.“
Eliſe ſeufzte leicht auf. „Glauben Sie das, Herr Ba-
ron?“ ſagte ſie. „Was iſt Glück? — Wenn man An-
dere zu beglücken vermag.“
„Das können Sie, das werden Sie!“ rief der Baron,
er ergriff von innerer Bewegung ergriffen die kleine Hand,
die auf ſeinem Arme lag und drückte ſie an die Lippen.
Eliſe blieb einen Augenblick ſtehen, ihr Auge leuchtete im
feuchten Glanz und ein ſüßes, verlangendes Lächeln um-
ſpielte ihre Lippen. Der erſehnte Moment ſchien ihr ge-
kommen, erwartungsvoll hing ihr Auge an den Lippen ih-
res Begleiters. — Aber ſtatt der erwarteten Erklärung
wandte ſich der Baron plötzlich ab und ſchritt in tiefes
Sinnen verſinkend ſchweigend weiter. Eliſe war blaß ge-
worden, forſchend blickte ſie ſich um, um eine Erklärung
dieſes ſeltſamen Betragens zu finden. Da ſah ſie den Die-
ner in kurzer Entfernung mit Tüchern und Regenſchirmen
bepackt haſtig ihnen nachſchreitend, augenſcheinlich darauf
bedacht, ſie möglichſt raſch einzuholen, er hatte das Ste-
henbleiben des Fräuleins für einen Wink betrachtet, ſeine
Schritte zu beeilen, und glaubte, ſie wünſche etwas von
ihm. Eliſe, die nicht anders glaubte, als ſein Herankom-
men habe den Baron zu der ſo nnerklärlichen Zurückhal-
tung beſtimmt, warf ihm einen böſen unwilligen Blick zu,
als er nach den Wünſchen des gnädigen Fräuleins fragte
und ſchritt verſtimmt und mißmuthig weiter.
Sie hatte ſich indeſien geirrt. Nicht der Diener war
zwiſchen ſie und den Baron getreten, ſondern das Bild ei-
ner andern Frau, deren blaue Augen voll unergründlicher
Tiefe ihm plötzlich aus dem Schatten des Waldes entge-
gengeleuchtet, Augen, die an Schöne und Tiefe des Aus-
drucks ſelbſt die glänzenden Augen Eliſens überſtrahlten.
Schweigend ſchritten Beide weiter, es wollte keine Unter-
haltung mehr aufkommen.
Plötzlich ſtanden ſie mit einem Ausruf der Ueberra-
ſchung und Bewunderung ſtill. Der Wald hatte aufge-
hört, das Meer lag vor ihnen, ſchwarz und dunkel, toſend
und brauſend. Schwere Wolkenmaſſen lagen über ihm,
aus denen in demſelben Augenblick, als der Baron und
Eliſe aus dem Wald traten, ein greller Blitz zuckte, der
die Schaumkrönchen der dunkeln, ſich bäumenden Wellen

mit grellem, gelben Licht übergoß, um ſie dann wieder in

deſto tiefere Dunkelheit ſinken zu laſſen. Ein furchtbarer

Donner folgte dem Blitz und miſchte ſich mit dem Toſen
der See, die an der hohen Düne hoch aufſpritzte und grol-

lend über die ihr entgegentretenden Schranken in wilder

Wuth ſich an derſelben brach. Der Erdboden zitterte un-
ter den Füßen des Barons und der jungen Dame, deren
Antlitz bleich und entſetzt ausſah; unwillkührlich ſchmiegte
ſie ſich feſter an ihren Begleiter, der ſie beſorgt anblickte.
„Kehren wir um,“ ſagte er leiſe, „Sie zittern, gnä-
diges Fräulein. Sehen Sie dort, wie der Sturm über's
Meer daher kommt, kehren wir um, ehe er gegen uns an-

prallt.“

In der That ging ein dumpfes Brauſen vom Meere
aus, das immer mehr anwachſend mit raſender Schnellig-
keit näher kam; plötzlich hörte man einen pfeifenden Ton,
ein Wirbelwind erhob ſich und wühlte das Waſſer auf ;
Himmel und Meer wurden eine dunkle Maſſe, die nur für
Augenblicke durch raſch hintereinander folgende Blitze aus-
einander geriſſen wurde. Das Donnern hörte kaum mehr
auf, und ſchon begannen einzelne ſchwere Regentropfen
herabzufallen. Der Sturm erfaßtez das leichte Kleid des
ſchönen Mädchens und kaum vermochte ſie den kleinen run-
den Strohut auf ihrem Haupte feſt zu halten.
Der Baron ergriff ihren Arm und zog ſie raſch zurück
unter das ſchützende Dach der belaubten Bäume, die für's
erſte wenigſtens den Regen abzuwehren verſprachen. Der
Bediente ſpaͤnnte die Schirme auf und umhüllte mit einem
dichten wollenen Shawl die ſchöne Geſtalt Eliſens. Das
Unwetter begann ſich nun mit einer immer furchtbar er

werdenden Gewalt zu entladen, die Bäume krachten und

bogen ſich unter dem Sturme, der Regen goß in Strö-
men hernieder, ſo daß weder die Bäume noch die Schirme
mehr einen Schutz gewähren konnten, und ſelbſt der Fuß-
boden ſich zu erweichen begann. Mit großer Freude wurde
daher das Herankommen eines verdeckten Wagens begrüßt,
den die vorſorgliche Frau von Uechtritz ihren Gäſten ent-
gegenſchickte. Bald ſaß der Baron mit Fräulein von Ra-
ven wohlverwahrt in der bequemen Chaiſe, die von zwei
kräftigen Pferden gezogen, raſch durch Sturm und Regen,
durch Blitz und Donner dem ſchützenden Dache zurollte.
Lange Zeit herrſchte ein tiefes Schweigen im Wagen,
da erleuchtete plötzlich ein heller Blitz das Innere deſſel-
ben und zeigte dem Baron das blaſſe Geſicht ſeiner Be-
gleiterin, die ſtill und ſchweigend aus dem Fenſter hinaus
in den ſtrömenden Regen ſtarrte.
„Sie zürnen, mein gnädiges Fräulein,“ ſagte er, ſich
zu Eliſen wendend, „daß ich Sie zu dieſem Spaziergange
verleitet habe, der allerdings für eine zarte Dame zu ge-
wagt war. Ich hätte vorſichtiger ſein und Sie ſolchem
Wetter nicht ausſetzen ſollen.“
Fräulein von Raven wandte ſich raſch und wie aus
tiefen Gedanken erwachend um; ſie ſchien ſich jetzt erſt ih-
rer Situation dem Baron gegenüber bewußt zu werden
und ſich faſſend erwiederte ſie mit ihrem gewöhnlichen
freundlichen Lächeln: „Ich zürnen, Herr Baron? Im Ge-
gentheil; ich finde das kleine Abenteuer entzückend und bin
glücklich, ein ſo ſeltenes Naturſchauſpiel einmal in der
Nähe geſehen zu haben. Wenn ich ſtill war, ſo war es
nur der Nachhall des ſo eben Erlebten. Welcher Menſch
empfände bei ſolchem Anblick nicht in ſich etwas von dem
 
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