eidelberger Voſh
Nr. I.
Mittwoch, den 5. Januar 1876.
arſchent Mit twoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man W
und bei den Trägern.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Rosko
1.
An einem Vinterabende ſchritten zwei R ädchen
über den Untermarkt zu Görlitz, auf dem ſich unge-
wöhnlich viel Leute befanden. Beide trugen Armkörbe.
„Hörſt Du die Zinken und Pauken, Beniga? Auf
der Engernſteiniſchen Hochzeit geht es luſtig her!“
ſprach die Kleinere. „Ach, wer dabei ſein könnte!“
Auch Beniga ſchaute empor zum Kaufhauſe, auf
die Geſtolten, die ſchattengleich an den erhellten Schei-
ben vorüberſchwebten. Ihr Blick haftete auf einer
jungen Dame, die mit einem jungen Mann in einer
Fenſterbrüſtung ſtand. ö
„Jungfrau Engelbrechta Vohtalin!“ rief die Andere.
„Oder vielmehr das Fräulein Vohtal! Wer iſt der
feine Geſelle?“ „Komm Käthe.“ Beniga zog die Wider-
ſtrebende mit ſanfter Gewalt aus der Nähe der Schau-
luſtigen, welche die Thüren und Fenſter des Kaufhauſes
umringten. ö
„Ich ſehe ſo etwas für mein Leben gern. Noch
lieber wäre ich freilich drinnen — dabei! Da, man
hört die Zitherſchläger noch bis hierher, daß Einem die
Füße auf eigene Hand ſpringen möchten. Nun, am
Faſchingsdienſtag gehe ich auch zum Tanz“, plauderte
Katharina, ihre Sehnſucht beſchwichtigend. „Und luſtig
geht es dabeſ ſicherlich zu. Der Platzmeiſter muß wie-
der ein Einſehen haben, oder vielmehr ein Auge zu-
drücken. Die jungen Geſellen, zumal die Tuchmacher,
verſtehen ſich vortreſflich darauf, ſolche Augenbinden an-
zulegen und — — Nun wirſt Du mir gleich eine Pre-
digt halten. Du gehſt ja nicht auf dte Tanzlauben —
biſt zu ſtolz dazu.“
„Ich ſtolz? — Davor bewahre mich unſer Herrgott.
Aber mir gefällt es nicht beim Tanze? es geht zu wild
und wüſt zu. Als ich einmal von Ferne zuſchaute,
wurde mir angſt und bange, wußte ich mich kaum zu
bergen vor zudringlichen Leuten.“ ö
„Warum biſt Du auch ſo hübſch?“ lachte Katharina.
„Die jungen Geſellen geriethen ja ſchier außer ſich,
als ſie Dich, die ſonſt nur fein ſittſam, mit niederge-
geſchlagenen Augen, in die Kirche geht, da erblickten,
wo man die Spielleute hört, wo luſtige Weltkinder zu-
laufen.“
rts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
mit Herzen — Alles verbotey
Nigna, kehren Sie
„Du ſollteſt auch nicht dahin gehen, Käthe; es thut
mmer gut. So wilde Tänze ſind —“
„Verboteu von einem ehrbareen Rath. Zum Exem-
ael: der Tauben- und der Haſchertanz, weil die Zu-
ſhauer leicht Aergerniß faſſen könnten
Drehen, Schwen-
kan, Aufwerfen und andere leich ?
We, zumal
NSchock Gro-
Mber liebſte
Eten knd Bier-
— Weherpracht und
—
bürger an die Verordnungen-
Ueppigkeit —“ —
— ——*
Die Andere unterbrach een ö
Ernſt, wie man denſelben ihrer ſaüften Slimme nicht
zugetraut hätte. „Nicht allein der Räth verbietet dieſe
leichtfertige Luſt, auch —“ ö
„Eile nicht ſo“, fiel Katharina ablenkend ein. „Wir
haben ſchwer genug zu tragen.“ ö
„Du plagſt Dich an meinem Theil mit, Du Liebe,
Gute!“ Beniga's Ton war gänzlich verändert, voll —
freundlicher Dankbarkeit. „Ich hätte es nicht zugeben
ſollen.“
„Muß ich Dir nicht wenigſtens das Garn tragen
helfen, da Du oft das Beſte an meinem Rocken thuſt?
Ich begreife nicht, wie Du ſoviel zu Wege dringſt und
ſo fein und glatt.“
„Das ſchöne Rädchen von der guten Frau Egern-
ſteinin ſpinnt faſt von ſelber — ich wäre ſchlecht, hätte
ich nicht Luſt, fleißig zu ſein.“
„Das Spinnen iſt manchmal recht langweilig!“
ſeufzte Käthe. „Aber daß Da heute nicht bei der Hoch-
zeit biſt — bedienen hilſſt!“ ö ö
„Die Mutter wollte es nicht.“
„Ach! — Iſt Deine Mutter wunderlich!“ ö
Doch da befanben ſie ſich vor dem Hauſe des Tuch-
machers, für den ſie ſpannen. Er war daheim, nahm
ihnen das Geſpinnſt ab und prüfte es ſorgfältig, Be-
niga's Arbeit, wie immer, lobend. Dann wog er Bei-
den wieder Wolle ab und berechnete den Lohn. ö
Beniga nahm aus ihrem Korbe ein mit Kerben ver-
ſehenes Stäbchen — er aus einer Truhe ein gleiches.
Von jedem derſelben brach er ein Stückchen ab, worauf
ſie das ihrige zurück erhielt. ö
Es war die Quittung über eine geleiſtete Abſchlags-
zahlung. Die „Kerbhölzer“ dienten damals als Ab-
rechnungsbücher. ö ö
Vor der Thür ſchlang Beniga mit den leiſen Wor
ten: „Es iſt kalt!“ ein weißes Tuch um den Kopf,
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Nr. I.
Mittwoch, den 5. Januar 1876.
arſchent Mit twoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man W
und bei den Trägern.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Rosko
1.
An einem Vinterabende ſchritten zwei R ädchen
über den Untermarkt zu Görlitz, auf dem ſich unge-
wöhnlich viel Leute befanden. Beide trugen Armkörbe.
„Hörſt Du die Zinken und Pauken, Beniga? Auf
der Engernſteiniſchen Hochzeit geht es luſtig her!“
ſprach die Kleinere. „Ach, wer dabei ſein könnte!“
Auch Beniga ſchaute empor zum Kaufhauſe, auf
die Geſtolten, die ſchattengleich an den erhellten Schei-
ben vorüberſchwebten. Ihr Blick haftete auf einer
jungen Dame, die mit einem jungen Mann in einer
Fenſterbrüſtung ſtand. ö
„Jungfrau Engelbrechta Vohtalin!“ rief die Andere.
„Oder vielmehr das Fräulein Vohtal! Wer iſt der
feine Geſelle?“ „Komm Käthe.“ Beniga zog die Wider-
ſtrebende mit ſanfter Gewalt aus der Nähe der Schau-
luſtigen, welche die Thüren und Fenſter des Kaufhauſes
umringten. ö
„Ich ſehe ſo etwas für mein Leben gern. Noch
lieber wäre ich freilich drinnen — dabei! Da, man
hört die Zitherſchläger noch bis hierher, daß Einem die
Füße auf eigene Hand ſpringen möchten. Nun, am
Faſchingsdienſtag gehe ich auch zum Tanz“, plauderte
Katharina, ihre Sehnſucht beſchwichtigend. „Und luſtig
geht es dabeſ ſicherlich zu. Der Platzmeiſter muß wie-
der ein Einſehen haben, oder vielmehr ein Auge zu-
drücken. Die jungen Geſellen, zumal die Tuchmacher,
verſtehen ſich vortreſflich darauf, ſolche Augenbinden an-
zulegen und — — Nun wirſt Du mir gleich eine Pre-
digt halten. Du gehſt ja nicht auf dte Tanzlauben —
biſt zu ſtolz dazu.“
„Ich ſtolz? — Davor bewahre mich unſer Herrgott.
Aber mir gefällt es nicht beim Tanze? es geht zu wild
und wüſt zu. Als ich einmal von Ferne zuſchaute,
wurde mir angſt und bange, wußte ich mich kaum zu
bergen vor zudringlichen Leuten.“ ö
„Warum biſt Du auch ſo hübſch?“ lachte Katharina.
„Die jungen Geſellen geriethen ja ſchier außer ſich,
als ſie Dich, die ſonſt nur fein ſittſam, mit niederge-
geſchlagenen Augen, in die Kirche geht, da erblickten,
wo man die Spielleute hört, wo luſtige Weltkinder zu-
laufen.“
rts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
mit Herzen — Alles verbotey
Nigna, kehren Sie
„Du ſollteſt auch nicht dahin gehen, Käthe; es thut
mmer gut. So wilde Tänze ſind —“
„Verboteu von einem ehrbareen Rath. Zum Exem-
ael: der Tauben- und der Haſchertanz, weil die Zu-
ſhauer leicht Aergerniß faſſen könnten
Drehen, Schwen-
kan, Aufwerfen und andere leich ?
We, zumal
NSchock Gro-
Mber liebſte
Eten knd Bier-
— Weherpracht und
—
bürger an die Verordnungen-
Ueppigkeit —“ —
— ——*
Die Andere unterbrach een ö
Ernſt, wie man denſelben ihrer ſaüften Slimme nicht
zugetraut hätte. „Nicht allein der Räth verbietet dieſe
leichtfertige Luſt, auch —“ ö
„Eile nicht ſo“, fiel Katharina ablenkend ein. „Wir
haben ſchwer genug zu tragen.“ ö
„Du plagſt Dich an meinem Theil mit, Du Liebe,
Gute!“ Beniga's Ton war gänzlich verändert, voll —
freundlicher Dankbarkeit. „Ich hätte es nicht zugeben
ſollen.“
„Muß ich Dir nicht wenigſtens das Garn tragen
helfen, da Du oft das Beſte an meinem Rocken thuſt?
Ich begreife nicht, wie Du ſoviel zu Wege dringſt und
ſo fein und glatt.“
„Das ſchöne Rädchen von der guten Frau Egern-
ſteinin ſpinnt faſt von ſelber — ich wäre ſchlecht, hätte
ich nicht Luſt, fleißig zu ſein.“
„Das Spinnen iſt manchmal recht langweilig!“
ſeufzte Käthe. „Aber daß Da heute nicht bei der Hoch-
zeit biſt — bedienen hilſſt!“ ö ö
„Die Mutter wollte es nicht.“
„Ach! — Iſt Deine Mutter wunderlich!“ ö
Doch da befanben ſie ſich vor dem Hauſe des Tuch-
machers, für den ſie ſpannen. Er war daheim, nahm
ihnen das Geſpinnſt ab und prüfte es ſorgfältig, Be-
niga's Arbeit, wie immer, lobend. Dann wog er Bei-
den wieder Wolle ab und berechnete den Lohn. ö
Beniga nahm aus ihrem Korbe ein mit Kerben ver-
ſehenes Stäbchen — er aus einer Truhe ein gleiches.
Von jedem derſelben brach er ein Stückchen ab, worauf
ſie das ihrige zurück erhielt. ö
Es war die Quittung über eine geleiſtete Abſchlags-
zahlung. Die „Kerbhölzer“ dienten damals als Ab-
rechnungsbücher. ö ö
Vor der Thür ſchlang Beniga mit den leiſen Wor
ten: „Es iſt kalt!“ ein weißes Tuch um den Kopf,
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