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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 90 - 102 (2. November - 30. November)
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Heidelberger ö

volboblat.

vr. ..

Donnerſtag, den 9. Novembẽt 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-

leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
Cortſezung.)

Er ſelbſt dachte gewiß auch nicht mehr daran, das
Mädchen zu heirathen, wenn er auch ſich noch imwer
für ſie intereſſtrte und für ſie wie ein Bruder ſorgte,
grade wie Frau Braun ihre Freundin gleich einer
Schweſter liebte, beſonders ſeitdem ſie erſt ſicher war,
daß dieſe niemals den Wilhelm nehmen würde, ſelbſt
wenn er ſie haben wollte. ö
ö Je länger aber die treue Louiſe den ehrlichen Krauſe
kannte, und je öfter ſie mit ihm in der letzten Zeit zu-
ſam menkam, deſto beſſer gefiel ihr der junge Ackerbür-
ger; was ihr gewiß nicht zu verdenken wir, da er in
ihrer Geſellſchaft gar nicht mehe ſo bidde ſchien und ihr
zahlreiche Beweiſe ſeines guten Herzens gab. Sie ſelbſt
war noch eine ju ge Wittwe und wenn ſie auch ihren
verſtorbenen Mann aufrichtig betrauerte und ihre beiden
Kinder ſehr lieb hatte, ſo war ſie doch nicht argeneigt,
einen braven Mann zu beglücken, wenn er ſich um ihre
Hand ernſtich bewerben ſollte. ö
Während Frau Braun ſich dieſen angenehmen Ge-
danken üderließ und dabei die vorübergehenden Kunden
zum Kaufen einlud, ſtellte ihr Ideal im Geben ganz ähn-
liche Betrachtungen an. Wilhelm fand die Louiſe zußerſt
nett und liebenswürdig, wenn ſie ſich auch nicht mit Fräu-
lein Roſa vergleichen liiß. Beſonders aber freute ihn
ihre Gutmüthigkrit und die Herzlichkeit, mit der fie ſich
ihrer verlaſſenen Frrundin angenommen hatte. Zwar
glaubte er, daß er nie wieder ein Mädchen oder eiae
Frau lieben könne, aber das hielt ihn nicht ab, die treff-
lichen Eigenſchaften der ſchmucken Wittwe anzuerkennen.
Ehe er ſichs verſah ſtand er vor dem großen Hauſe
des reichen Maurermeiſters, von dem er für die gelei-
ſteren Fuhren eine nicht unbedeutende Summe zu fordern
hatte. Gerade als er dem Portier läuten wollte, oͤff zete
ſich die Thür, aus welcher ihm der von Schönfeld her
noch bekannte Ober⸗Ingenieur entgegentrat. Dieſer wollte
raſch an ihm vorübergehen, aber da ihn Wilhelm freu d⸗
lich begrüß te und als einen alten Bekannten anredete, ſah

ſich Rodert gezwungen ſteben zu bleiben und ihm zu ant-
worten, ſo unangeuehm ihm auch di ſe Begegnung ſchien.

Verlegen erkundigte er ſich nach Vater Wegener und ſon-

*

ſtigen Bekannten ia Schöufeld, ohue Roſa mit einem
Worte zu erwähnen, ſichtlich bemüht, die ihm peinliche
Unterhaltung abzukürzen; was jedoch der ehrliche Acker-
bürger nicht ahnen konnte.
„Ich muß Ihnen,“ ſagte die ſer immer herzlicher, „ja-
noch nachträglich gratuliren. Sie haben ſich unterdeſſen
verheirathet und, wie ich höre, eine ſcköne und reiche Frau
bekommen.“ ö
„Und Sie“, entgegnete Robert mit erzwungenem Lä-
cheln, „ſind mir noch zuvorgekommen und jetzt ebenfalls
ein glücklicher Ehemann.“ ö
„Ich!“ verſetzte der überraſchte Wilhelm erroͤt hend.
„Sie ſpaßen wohl nur, Herr Ober⸗Jagenieur! Wer hat
Ihnen die verdammte Lüze aufgebunden?“
„Mein Gott! Die Leute erzählen mir doch, daß Sie
ein Verhältuiß mit Fränlein Roſa —“ ö
„Was mit Fräulein Roſa!“ unterbrach er in heftig,
„wiſſen Sie denn nicht, was ihr paſſiet iſt?“
„Nicht ein Sterbenswort!“
„Daß ein niederträchtiger Schuft das Mädchen ver-
führt und unglücklich gemacht hat.“
Wie von einem jähen Blitz getroffen, fuhr Roert
erſchrocken zuſammen, gleich eine n überführten Verbrech er
vergebens nach Faſſung ringend, während Krauſe mit
peinlicher Ausführlichkeit ihm Roſa's Sobhickſad, ihre Lei-
den, ihre Noth, ihre ſchimpfliche Verſtofung und ihre
Hilflofizkeit berichtete und dabei ihm keine noch ſo trau-
rige Einzelheit erſparte. Es war tin Glück, daß der
Erzähler ſelͤſt zu ergriffen war, um die Wirkung ſeiner
Mittheilungen auf den erſchütterten Hörer zu bemerken,
der unter der Wucht der auf ihn einftürmenden Emdfin-
dungen ſich kaum zu beherrſchen verwochte. Jedes Wort
des ehrlichen Ackerbürgers gab ihm einen Stich in's Herz
und klagte ihn wegen ſtiager Lieblofizkeit, Untreue und
wegen ſeines Verraths an. Er konate ſeine ſchwere Schuld
nicht leu zuen, daß er feig, gemein and ſchlecht an ihr ge-
handelt, daß er all die Vorwürfe, welche Wilhelm dem
unbekannten Verführer machte, im reichſten Maße ver-
diente. Ebenſo ſah er ſich gezwungen, Roſa's Edelmuth,
ihre Liebe, Treue und Selbſtloſikeit anzuerkeunen.
Schmerz und Reue, Furcht und Sorge erfüllten ſeine
Bruſt und die Bitterkeit ſeiner Leiden wurde noch durch
die Gegenwart ſeines argloſen Anklägers verſchärft, der
ſcho ungslos ſeine elende Handlun sweiſe brandmarkte,
ohne zu wiſſen, daß Robert ſelbſt der all ia Schuldige
war. Dieſer wagte nicht, dem wackeren Mann in's Ge-
 
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