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Heidelberger Zeitung — 1886 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52469#0591
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das Leben nur kennen gelernt auf der stillen australischen
Farm und durch die Schilderungen eines einzelnen hochge-
bildeten Mannes: Ihres Vaters. Aber cs giebt auch dunkle,
fürchterliche Mächte, es giebt im Menschenherzen Gewalten,
die sich nicht verspotten lassen. Mein Mann liebt Sie um
Ihrer Kindlichkeit willen. Er hat seine Seele mir entzogen;
er hat mich vergessen, seit er Sie sah. — Das ist die
Stärke der Versuchung, die nothwendige Folge Ihrer Gegen-
wart, Ihrer Verehrung für ihn! —
„Es giebt in uns nichts Göttliches, das unberührt
bliebe vom Erdenstaube, es wächst auch aus dem Reinsten,
Edelsten doch die Schuld hervor, eben weil wir Menschen
sind und weil wir nur den ersten Schritt aber nicht die
folgenden zu überblicken vermögen. Wenn mein Mann zu
Ihnen mehr Vertrauen empfindet als zu mir, wenn er lieber
in Ihrer als in meiner Gesellschaft seine Mußestunden ver-
bringt — und das ist seit Langem der Fall! — können
Sie dann immer noch von bloßer dankbarer Verehrung
sprechen? Habe ich kein Recht, mich betrogen zu nennen?"
Anna lächelte mit zuckenden Lippen.
„Vater im Himmel", sagte sie leise, „Du siehst in mein
Herz, Du hörst meine Worte — ich habe nichts Unrechtes
gewollt, ich war weit entfernt, an einen Vcrrath auch nur
zu denken!"
Elisabeth trat ihr noch näher.
„Anna", sagte sie bittend mit halbsterstickter Stimme,
„ich stehe vor ihnen als eine Schuldige, eine ehrlose Be-
trügerin sogar, ich habe mit Absicht und vollem Bewußtsein
Ihr Eigenthum geraubt, aber doch flehe ich Sie an, ver-
gelten Sie nicht Gleiches mit Gleichem, lassen Sie mir, der

Diebin, was mein ist! — Mehr und tiefer, als zu solchem
Bekenntniß, kann sich kein Menschenherz in den Staub beugen,
inniger und herzlicher bitten kann Niemand — lassen Sie
mir, was mein ist!"
Das junge Mädchen reichte ihr die Hand. In den
sanften blauen Augen schimmerten Thränen.
„Sagen Sie mir, was ich thun soll, Frau Hartmann
— befehlen Sie — ich willige in Alles, ich bitte Gott,
daß er mir vergebe."
Elisabeth's Athem flog.
„Dann verlassen Sie diese Stadt, gehen Sie von hier
fort ohne ihm zu sagen, wohin!"
. Anna erschrak.
„Ohne ihm zu sagen, wohin ? Soll er mich für un-
dankbar halten? O, Frau Hartmann, soll er irre werden
an mir?"
„Ja — wenn möglich. Er soll zweifeln, es soll ihn
verletzen. Anna, ich verlange von Ihnen ein schweres Opfer,
vielleicht Etwas, was nur Wenige über sich gewinnen könnten,
aber das auch Heilung sichert und Gelingen. Gehen Sie
fort von hier, ohne ihm zu sagen, wohin!"
Das junge Mädchen lehnte den Kopf gegen die Scheiben;
ein verhaltenes Schluchzen hob ihre Brust.
„Er hat mich gerettet und beschützt, er hat mir seine
Zeit, seine Ruhe geopfert — und ich soll ihn kränken, ihn
verleugnen?"
„Zu seinem Besten, Anna!" flüsterte Elisabeth. „Möchten
Sie es sein, die ihm den Frieden des Gewissens geraubt,
ihn mit sich und dem Leben in Zwiespalt gebracht hätte?"
(Forts, folgt.)

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* König Ludwig II. von Bayern j«.
Ein erschütterndes Ereigniß hat sich, wie wir bereits gestern
durch Extrablatt gemeldet, am Abend des ersten Pfingst-
tages auf Schloß Berg an den Ufern des Starnberger
Sees, wohin sich der König am Samstag freiwillig be-
geben, zugetragen. König Ludwig II. von Bayern, der
erste Bayernkönig im Bunde des neuen Reiches, hat in
geistiger Umnachtung den Tod in den Wellen des Starn-
berger Sees gesucht und gefunden. Mit niederschmetternder
Wucht hat das Ereigniß das seinem Hingeschiedenen Monarchen
in treuer Anhänglichkeit ergebene Bayernvolk getroffen, den
schmerzlcchsten Wiederhall hat es auch im ganzen deutschen Reiche
gefunden. Die Pfingsttage wurden in jähem Wechsel ihres
Charakters als Tage der Freude beraubt und verwandelten
sich für jeden monarchisch Gesinnten und Freund des
Reichs in Tage bitterer Wehmuth. Voll Trauer wird esKliojauf
den Tafeln der Geschichte verzeichnen, daß einer der edelsten
Sprossen des Wittelsbacher Geschlechts am Pfingstfeste des
Jahres 1886 sein Dasein in den Fluthen des Starnberger
Sees endete. Ein furchtbares Geschick wollte es, daß das
Volk der Wittelsbachcr gerade eines so beliebten Königs in
der entsetzlichsten Weise beraubt werden sollte. Ohne
Schuld, ohne Roth, überfiel ihn eine Krankheit des Geistes,
Trübsinn und Menschenscheu, so daß die Staatswohlfahrt
dringend eine stellvertretende Verwaltung des Thrones er-
heischte. Kaum aber ist dies unter ohnehin schon sehr be-
klagenswerthen Umständen durchgesührt, kaum hat das Volk
begonnen, sich in dem Gedanken zu beruhigen, daß nun
wenigstens für die leibliche Pflege des unglücklichen Königs
alles, was in der Kunst der Menschen liegt, zur Linderung
seines Gemüthszustandes aufgewendet werden könne: da
- treibt die Katastrophe einem unheimlich gräßlichen Ende zu.
Der König unternimmt einen Spaziergang auf den stillen
' Wegen des nach allen Seiten streng abgeschlossenen, nur
Nach der Seeseite offenen Parkes, welcher das Schloß Berg
in seinen traulichen Schatten hüllt. Der begleitende Arzt
Mag sich gerade von diesem ersten Genüsse ungestörtester
Ruhe die beste Wirkung versprochen haben. Plötzlich wird
der Leidende des stillen Ufers und der leise wogenden Fläche
des vielgenannten Sees ansichtig; die finsteren Geister des
Irrsinnes überwältigen ihn; die körperlichen Kräfte wachsen
in der raschen Aufwallung in's Uebermenschlichc; der be-
jahrte Arzt an seiner Seite ist zu schwach, ihn zurückzu-
halten ; die Spuren eines verzweifelten Ringens zeugen von
der Pflichttreue des Arztes, die über das Leben hinaus-
reichte; vom Parkwege zum Ufer sind an mehreren Stellen
nur wenige Schritte und das Ufer fällt ziemlich abschüssig
in den See. Noch ein schrecklicher Augenblick und — die
Fluthen nehmen den Leib des Königs auf, bereiten ihm die
Erlösung, die sein edler Geist in der Umnachtung gesucht
har. Der treue Diener verläßt seinen Herrn nicht ; bis
Am letzten Athemzuge bemüht, ihn zu retten, — stirbt er
Mit ihm.
König Ludwig II., Otto Friedrich Wilhelm, Pfalz-
graf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in
.Schwaben, war geboren am 25. August 1845 zu Nymphen-
eric borg, als der erste Sohn aus der Ehe des Königs
Riaximlian II. Joseph mit des Prinzen Wilhelm von
Preußen Tochter Friederike Franziska Augusta Maria
Hedwig. König Maximilian starb plötzlich am IO. März

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Verlorene Ehre.
Roman von W. Höffer.
(Fortsetzung).
Elisabeth hatte sich langsam erhoben.
„Wahnsinnig? — noch nicht, Fräulein Herbst, aber ich
werde es, wenn Sie mich nicht retten. Sie lieben meinen
Ptann, Sie fürchten, ihm wehe zu thun — deshalb schweigen
Sie, — O ja, Sie lieben ihn, ich fühle es im innersten
Herzen! — Jetzt dürfen Sie frohlocken! Ihre Rache war
furchtbar!"
Anna hob plötzlich die Hand.
„Ich liebe ihn, sagen Sie ? — Bei dem heiligen Namen
ß Lottes, es giebt keine Stunde, die mich anklagt, Frau
«s Hartmann!"
I» „Das glaube ich Ihnen — ja ich glaube es, Sie sind
U?Ut und unschuldig — aber Ihr Herz, Ihre Seele gehören
'hm. Sie könnten für ihn in den Tod gehen, nicht wahr?
Sie würden ihm folgen bis in den fernsten Winkel der
Erde, seine Stimme ist Ihnen Musik, seine Gegenwart
As Leben?"
Anna hielt beide Hände auf ihrer Brust gefaltet.
„Und das Alles wäre Liebe — wenn doch nie zu irgend
^Ner Stunde ein frevelhafter Wunsch in mein Herz kam?
Frau Hartmann, dann ist wenigstens solches Gefühl
"hire Schuld, ist kein Vcrrath gegen Sie!"
Elisabeth legte fast scheu ihre Fingerspitzen auf den Arm
chf des jungen Mädchens.
„Sie sind ein Kind, Fräulein Herbst", sagte sie leise
"nd mit dem sanftesten Tonfall ihrer Stimme. „Sie haben

1864 und am gleichen Tage bestieg der vierte König in
Bayern Ludwig II. den Thron. In der Politik und dem
Geschäftsgänge trat damit keine Aenderung ein. Der Mi-
nister v. Schrenk blieb am Staaisruder, und als später
von der Pfordten ihn ablöste, war dies kein Wechsel des
Systems, sondern nur der Person. Ludwig hielt sich meist
in der Einsamkeit auf, in Hohenschwangau, auf Linderhof
und auf Schloß Berg am Starnbergersee, beschäftigt mit
Lektüre und mit der Musik Richard Wagners. Ludwigs
Verlobung mit der Prinzessin Sophie, Tochter des Herzogs
Max von Bayern (der jetzigen Herzogin von Alcn?on)
wurde von ihm 1867 rückgängig gemacht. Für die Politik,
welche Bayern 1866 im Konflikt zwischen Oesterreich und
Preußen befolgte und mit den Waffen vertrat, und die in
dem für das Land ungünstigen bayerisch-preußischen Frie-
densvertrage vom 22. August 1866 ihren Abschluß fand,
ist Ludwig persönlich kaum verantwortlich zu machen. Nie-
mals hat er sich von da an der Entwickelung des deutschen
Verfassungswesens feindlich in den Weg gestellt. Trotzdem
daß die Abgeordneienwahlen von 1869 und von 1875 den
Ultramontanen eine, wenn auch kleine Mehrheit sicherten,
ließ er sich doch nicht zu der Berufung eines feudal-ultra-
montanen Ministeriums bewegen. Er willigte zwar in die
Entlassung des Ministers Hohenlohe, nahm aber die Adresse
der Reichsrathskammer nicht an und ließ sich die der Abge-
ordnetenkammer nicht durch eine Deputation übergeben, sondern
zuscnden. Beim Ausbruch des deutsch-französischen Krieges
von 1870 und 1871 stellte er sich von Anfang an auf
die Seite Deutschlands und ergriff, ohne auf das Votum
der Kammer zu warten, die Initiative für Bayern. Die
Versailler Verträge, in Folge deren auch Bayern in das
neue Deutsche Reich eintrat, erhielten die königliche Ge-
nehmigung. Wenige Tage darauf, 30. November 1870,
richtete Ludwig an alle deutsche Fürsten und an die Senate
der Freien Städte ein Schreiben mit der Aufforderung,
dem König von Preußen als dem Bundespräsidenten den
Titel eines deutschen Kaisers anzntrogen. Nach Zustim-
mung sämmtlicher Regierungen ließ er im Namen derselben
durch den im Hauptquartier befindlichen bayerischen Prinzen
Luitpold dem König von Preußen die deutsche Kaiserkrone
anbieten. Nach dem Kriege traten die kirchlichen Fragen
wieder in den Vordergrund. Die Adresse der klerikalen
Kammermehrheit von 1875, welche von ihm die Einsetzung
eines Ministeriums aus ihrer Partei verlangte, nahm er
weder aus der Hand einer Deputation noch durch Zusen-
dung entgegen und genehmigte das Entlassungsgesuch des
Ministeriums nicht. Die späteren Versuche der klerikalen
Partei, das Ministerium zu stürzen, beantwortete Ludwig
am 23. Februar 1882 mit einem anerkennenden Schreiben
an den Ministerpräsidenten v. Lutz. Seine Neigung für
monumentale Bauten veranlaßten ihn 1874 zu einer Jn-
cognitoreise nach Paris und Versailles, worauf er auf der
von ihm angekauften Herreninsel im Chiemsee ein Klein-
Versailles bauen zn lassen anfing. Die aus dieser Baulust
entstandenen Schwierigkeiten der Cabinetskasse dürften mit
der Beweggrund für die Gemüthskrankheit des Königs ge-
wesen sein.
König Ltto I.
Mit dem Tode des Königs Ludwig II. geht die Krone
auf den jüngeren Bruder des Verstorbenen, den Prinzen

! Otto Wilhelm Luiipold Adalbert Waldemar, geb. zu
München am 27. April 1848, über. Derselbe ist bereits
seit dem Anfang des vorigen Jahrzehnts gemüthsleidend,
wenn gleich sich dessen Irrsinn dem Vernehmen nach bei
weitem nicht in dem schlimmen Grade zu äußern pflegt, wie
es zuletzt bei König Ludwig der Fall war. Doch ist die
Verhinderung Otto's, die Negierung zu führen, eine unbe-
strittene Thatsache, wie in der Denkschrift des Staatsrathes
an die heute zusammentretendcn Kammern diese Verhinde-
rung als notorische angenommen ist und bereits am 10. d.
M. zur Folge hatte, daß die Reichsvcrwesung sogleich auf
den Prinzen Luitpold überging. Indessen entspricht es der
Verfassung, daß das Heer und die Beamten, was bereits
geschehen, den Erbhuldigungseid dem neuen König leisten,
in dessen Namen nunmehr Prinz Luitpold die Regent-
schaft führt. Die Verhinderung des neuen Königs ist ebenfalls
als eine dauernde zu betrachten; die Acrzte haben seinen
Krankheitszustand als unheilbar erklärt.
Ueber die erwähnte Huldigung haben wir gestern noch
folgendes Telegramm erhalten:
München, 14. Juni. Heute Vormittag 10 Uhr fand
in der Türkenkaserne die Vereidigung der Generalität und
in allen andern Kasernen die Vereidigung der Truppen zum
Gehorsam gegen König Otto I. und den Reichsverweser
Luitpold statt.
Von den sonst noch zahlreich vorliegenden Meldungen
theilen wir folgende mit:
Ueber die Vorgänge vor der Uebersiedelung
des Königs nach Schloß Berg berichtet die Allge-
meine Zeitung: „Die Reise ist heute, Samstag Vormittag,
ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Obermedicinalrath Dr.
v. Gudden, welcher ursprünglich die Absicht hatte, den
König erst heute gegen Morgen von dem Zweck seiner An-
wesenheit zu verständigen, mußte alsbald nach seiner An-
kunft um 1 Uhr Nachts diese Absicht ändern, weil der König
den gestrigen Tag über und während der Nacht zu der
Besorgniß Anlaß gegeben hatte, daß sich derselbe ein
Leid anthun könnte; zumal derKönig verlangt
hatte, den Schloßthurm zu besteigen, von dem
aus natürlich ein Absturz leicht möglich gewesen
wäre. Dr. v. Gudden hielt deßhalb ein rasches Ein-
schreiten für geboten und stellte sich dem Könige sofort vor,
als demselben mitgetheilt worden war, daß der Weg zum
Thurme nunmehr offen stehe. Der König erklärte sich,
nachdem Dr. v. Gudden die Nothwendigkeit einer ärztlichen
Behandlung dargelegt hatte, sofort und ohne allen Wider-
spruch bereit, zu reiseu, sprach während der nächstfolgenden
drei Stunden viel mit Dr. v. Gudden und den Wärtern
und bestieg schließlich ohne Widerstand den Wagen. Eine
„rührende Ansprache", von der ein Münchener Blatt zu melden
weiß, hat nicht stattgefunden, wie denn auch thatsächlich
Niemand vorhanden war, an den eine solche hätte gerichtet
werden können. Wie schon bemerkt, verlief die Reise,
während welcher der König viel mit Dr. v. Gudden ver-
kehrte, ohne jeden Zwischenfall. An den Orten, an welchen
die Pferde gewechselt werden mußten, waren äußerst wenige
Personen zu sehen. Um 12'/; Uhr kam der König in
Berg an und verfügte sich alsbald in seine Gemächer, wo
demselben auch sofort der in Berg anwesende Professor
Dr. Grashey vorgestellt wurde. Beide Aerzte haben er-
klärt, daß sie auch nach dem persönlichen Verkehr mit dem
 
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