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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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ausſchl. Poſtauf-
ſchlag u. Träger-

„Crrin
täglich Sonntags 9 7 25 0fürdiaal-
ausgenommen. tige Petitzeile oder
deren Raum. Für
YIr: * ö hieſ. Geſchäfluͤ⸗
mit Familien⸗ ö ö u. Privatanzeigen
Mättern viertel⸗ bedeut. ermäßigt.
lährlich 24 60 4 4* Gralis-Aufnahne

—— Dagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg.

zuſerkiursgebahr

d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.

Ireitag, den 12. Rovember

1886

N. V0.

* Bulgariſches.

ö Allem Anſcheine nach wird Prinz Waldemar von
Dänemark die ihm angetragene Fürſtenkrone von Bul-
garien ablehnen. Er hat vorläufig der bulgariſchen
Regentſchaft zur Antwort gegeben, daß er das Telegramm,
welches ihm die Wahl anzeigte, ſeinem Vater, dem Könige
von Däuemark, überſandt habe. Von deſſen Entſcheidung
werde ſein definitiver Entſchluß abhängen. Die Ablehnnng
itt jedenfalls ſo gut wie ſicher, da der Czar nach wie vor
die Sobranje und ihr Wahlrecht nicht anerkennt, der
Dänenprinz aber genugſam weiß, daß Sein oder Nichtſein
eines Bulgarenfürſten von dem allmächtigen Willen des
„Selbſtherrſchers aller Ruſſen abhängig iſt. Er wird ſich
hüten eine Wahl anzunehmen, die ſein kaiſerlicher Schwager
und Baron Kaulbars für null und nichtig anſehen. Der
eigentliche Kandidat Rußlands ſoll der Fürſt Nikolaus
von Mingrelien ſein, von dem die Köln. Ztg. folgende
Biographie gibt: „Fürſt Nikolai Dawydowitſch Dadian
bvon Mingrelien iſt jetzt ein Mann von etwa 36 Jahren
und hat ſich den Ruf eines unbedeutenden, leichtfertigen,
aber gutmüthigen Lebemenſchen erworben. Er iſt der direkte
Nachkomme des letzten von Rußland mediatiſirten Fürſten
von Mingrelien und würde unter andern Umſtänden augen-
blicklich ſelbſt regierender Fürſt ſein. Sein uraltes Geſchlecht
hat ſchon, wie viele kaukaſiſche Geſchlechter in Mingrelien,
Georgien, Imeretien u. ſ. w., ſeit Jahrhunderten den grie-
chiſch⸗orthodoren Glauben angenommen. Schon ſeine Vor-
ahren ſtanden im ruſſiſchen Dienſt. Er trat in das Pagen-
corps, ſpäter in die Garde⸗Cavallerie⸗Junkerſchule ein und
wurde 1869 oder 1870 Offizier im Chevalier⸗Garde⸗Regi-
ment (Garde du Corps). Dort that er einige Jahre aktiven
Dienſt und heirathete dann, etwa 1875, die ſchon etwas ält-
liche Tochter des damals allmächtigen Hausminiſters Kaiſer
Alexanders II., des Grafen Alexander Wladimirowitſch

Adlerberg. Den Adlerbergs, die ja von ſehr jungem Adel

Nikolaus I. ſtammt, war ein ſo vornehmer junger Mann
als Schwiegerſohn ganz recht. Der junge Mann merkte auch
unächſt von ſeiner Heirath nur Annehmlichkeiten. Graf
Adlerberg wußte es durchzuſetzen, daß ein reicher, ehemals
fürſtlich mingreliſcher Beſitz, der jedoch bei der Einverleibung
n Rußland gefallen und auf den die Fürſten von Mingre-
ien längſt keinerlei Anſprüche mehr erhoben, dem jungen
Fürſten zugeſprochen wurde. Außerdem wurde dieſer ſehr bald
Flügeladjutant und, acht oder neun Jahre Offizier, Oberſt.
Den Krieg machte er im kaiſerlichen Hauptquartier mit und
erwarb dort ohne beſondere Muͤhe alle möglichen Kriegsorden.
Aber das Glück ſollte nicht anhalten. Die Ehe geſtaltete ſich,
orzugsweiſe durch die Schuld der Frau, ſehr unglücklich,
ſo daß ſchon ſeit Jahren eine, wenn auch nicht ausgeſprochene,
doch thatſächliche Trennung erfolgt iſt. Der Fürſt wird no-
minell dem Miniſterium des Innern zugezählt, thut aber
weder Dienſt noch beſchäftigt er ſich ſonſt eingehend mit einer
andern Thätigkeit. Seine Geldverhältniſſe ſind infolge des
luxuriöſen Lebens im Anfang der Ehe ſehr ſchlecht. Er iſt
noch immer Oberſt und hat keinerlei Ausſicht auf irgend eine
weitere militäriſche Laufbahn. Inſofern würden die Bulgaren
allerdings mit ſeiner Wahl einen Fortſchritt machen, als ſie
nicht einen Lieutenant, ſondern einen Oberſten auf ihren
Thron erheben würden.“

und deren Emporblühen durch Hofgunſt erſt ſeit der Zeit

Deutſches Reich.

Karlsruhe, 11. Nov. Die Abreiſe des Erbgroß-
herzogs und der Erbgroßherzogin nach Cannes
erfolgte heute früh 8 Uhr. Auf dem Bahnhof in Baden-
Baden hatten ſich zur Verabſchiedung eingefunden der Fürſt
zu Fürſtenberg, lt. K. Z. der Kgl.Preuß. Geſandte v. Eiſendecher,
der Stadtdirector Richard, der Oberbürgermeiſter Gönner.
Der Großherzog und die Großherzogin gaben ihren
Kindern das Geleite bis Oos, wo dieſelben den Orient-
expreßzug beſtiegen. In der Begleitung des Erbgroßherzogs
befinden ſich außer den bereits geſtern genannten Perſonen
Geheimerath Tenner, welcher nur für kurze Zeit in Cannes
bleiben wird, und Dr. Doll, welcher für die Dauer des
Aufenthaltes daſelbſt verweilen ſoll. Ihre Königl. Hoheiten
reiſen heute bis Paris und von da vorausſichtlich morgen
ohne Aufenthalt nach Cannes. Dort iſt für einige Monate
die Villa des Herzogs von Valombroſa gemiethet, welche
die Erbgroßh. Herrſchaften beziehen werden, wenn unter
ihrer Leitung alle Einrichtungen daſelbſt getroffen ſind. —
Prinz Ludwig Wilhelm iſt heute ganz früh nach Heidel-
berg zurückgekehrt.
Berlin, 11. Nov. Der Kaiſer empfing heute Vor-
mittags um 10 ½ Uhr den Beſuch des bayeriſchen Prin-
zen Ludwig, machte Nachmittags demſelben einen Beſuch
und conferirte Nachmittags 3½ Uhr mit dem Reichs-
kanzler. Um 4½ Uhr dinirte der Kaiſer mit dem
bayeriſchen Prinzen, dem Kronprinzen und Prinzen Wil-
helm. Die Abreiſe des Kaiſers nach Letzlingen erfolgt
morgen Nachmittag. — Der Kronprinz, Prinz Wil-
helm und Prinz Ludwig von Bayern ſind heute
Abend 6 Uhr zur Jagd nach Letzlin gen gereiſt. — In

dem Militäretat, der heute dem Bundesrathe zuge-

gangen, iſt wieder eine Forderung von 289 000 l. für
die Unteroffizierſchule in Neubreiſach aufgeführt.
— In dem Prozeſſe wegen der Spremberger Aus-
ſchreitungen hat die Strafkammer zu Kottbus
die Angeklagten Arndt, gen. Jäckel, Büttner, Sydow,
Weinhold, Teuß und Platzee wegen Auflaufs zu ie drei
Monaten, Teuſcher wegen desſelben Vergehens zu zwei
Monaten, die übrigen Angeklagten wegen Aufruhrs und
Auflaufs, und zwar Kucher, Arndt, Bär und Froſt zu je
einem Jahr, Rubendunſt zu neun Monaten, Keil und Kitt-
litz zu je einem Jahr und zwei Monaten, Bergmann zu
einem Jahr Gefängniß verurtheilt; Gloger wurde freige-
ſprochen. Außerdem beſchloß der Gerichtshof, Arndt, Bär,
Froſt, Kittlitz und Bergmann ſogleich zu verhaften. Der
Präſident, Landgerichtsdirektor Ritgen, bemerkte bei der
Urtheilsbegründung: Der Gerichtshof iſt nicht der Mei-
nung, daß die ſozial⸗demokratiſche Partei den Krawall
ins Werk geſetzt hat; der Gerichtshof iſt jedoch der Ueber-
zeugung, daß durch die ſozialdemokratiſchen Agitationen der
Boden zu dieſem Krawall vorbereitet worden iſt.

Berlin, 11. Novbr. Bei der heutigen Landtags-
erſatzwahl wurde Hermes (deutſch⸗freiſinnig) mit 545
von 826 Stimmen gewählt. Bei den allgemeinen Wahlen
im Herbſte 1885 erhielt der verſtorbene deutſch-freiſinnige
Abg. Löwe 599. — Der Afrikareiſende Dr. G. A. Fiſcher
iſt heute in Berlin am Gallenfieber geſtorben.
(Dr. Fiſcher war jahrelang in Sanſibar als Arzt anſäſſig und
hatte u. A. im Jahre 1883 als erſter Weißer an der Spitze einer
ſtarken Expedition das Gebiet nördlich von Kilimandſcharo bis
zum Naiwaſcha⸗See betreten. Im vorigen Jahre unternahm er
im Auftrag des Petersburger Bankiers Juncker einen Zug nach

Uganda, um die dort verſchollenen Afrikareiſenden Dr. Juncker
und Caſſati zu finden, bezw. zu befreien. Er kam um den Vie-
toria⸗See bis an den nördlichen Anstritt des Nil aus dem See,
konnte aber nicht nach Uganda vordringen, ſondern kehrte ſtart
erſchöpft durch Kawirondo und Maſſai⸗Land nach Sanſibar zurück.)
Köln, 10. Nov. Am Niederrhein kommen die kleri-
kalen Gegner des Herrn Biſchofs von Fulda aus
dem Hinterhalt hervor und fangen allen Ernſtes eine Hetze
an, die lebhaft genug au den Paderborner Streit vom
Sommer 1885 erinnert. In der Niederrhein. Volksztg.
wird ein angeblich in Berlin geſchriebener Brief veröffent-
licht, der den Biſchof beſchuldigt, „mehr die Staatsgewalt,
als die kirchliche Freiheit zu fördern.“ Er habe ſchon bei
Berathung des jüngſten Friedensgeſetzes den „Entſchiedenen“
auf ultramontaner Seite gleichſam die Piſtole auf die
Bruſt geſetzt und das Zugeſtändniß der Anzeigepflicht bei
Anſtellung der Pfarrer nur durch die telegraphiſche Er-
klärung an den Papſt erzwungen, daß „ſonſt das Geſetz
fiele“ und „wenn dieſe Conceſſion nicht gemacht wird, reiſe
ich morgen nach Fulda zurück“. Ebenſo gebe er jetzt, bei
den Verhandlungen über die Rückkehr der Orden dem
Staate zu viel vor, indem er die zur Rückkehr der Franzis-
kaner und Urſulinerinnen ausbedungene Einſchränkung be-
fürwortete, daß für jede Niederlaſſung die ſpecielle Geneh-
migung der Regierung nachzuſuchen ſei, womit das Ordens-
leben „in die Feſſeln der Regierungspolizei gelegt“ wurde.
Weiter wird nunmehr denuncirt, daß Biſchof Kopp ſich
„bei vielen Gelegenheiten über Windthorſt und das
Centrum in ſehr abfälliger Weiſe ausgelaſſen habe.“
Hier erzählt man ſich, das Prinz Wilhelm eines Tages
nach einem Diner beim Kronprinzen geäußert: „Er habe ſich den
Biſchof von Fulda kommen laſſen; das ſei ein ſehr intereſſanter
Mann; ober wie das Centrum den Mann behandle, das ſei ab-
ſcheulich. Man will daraus ſchließen, daß der Herr Biſchof von
Fulda ſelbſt in den höchſten Staatskreiſen über das Centrum
hart geurtheilt habe.
Dieſe Veröffentlichungen ſind auch inſofern von In-
tereſſe, als ſie ein neues Licht auf die in Rom ſchweben-
den Unterhandlungen werfen.
Frankfurt, 11. Novbr. Eine geſtern Abend in der
Albusgaſſe ausgeführte Verhaftung von Social-
demokraten bildet heute das Tagesgeſpräch in der Stadt.
Wie berichtet wird, ſollte in der Wirthſchaft des Herrn
Prinz, eines Führers der hieſigen Socialdemokraten, eine
polizeilich nicht angemeldete Verſammlung abgehalten wer-
den. Die Polizei erhielt Kenntniß davon, hob die Ver-
ſammlung auf, nahm verſchiedene Verhaftungen vor, dar-
unter die des Herrn Prinz und des Kaufmanns Füllgrabe,
und legte Beſchlag auf zahlreiche Schriftſtücke, worunter
ſich namentlich Nummern der Moſt'ſchen „Freiheit“ befin-
den ſollen. Ob die Aufhebung der Verſammlung noch
weitere Folgen für die Theilnehmer nach ſich ziehen wird,
kann ſich erſt nach dem Schluſſe der gegenwärtig noch im
Gange befindlichen amtlichen Erhebungen ergeben. Von
anderer Seite wird noch gemeldet: Verhaftet wurden im
Ganzen 25 Perſonen. Der Zweck der Zuſammenkunft ſoll
die Berathung der Stadtverordnetenwahlen geweſen ſein.
Herr Reichstagsabgeordneter Sabor hat die ganze Sache
erſt heute früh erfahren und einen Rechtsanwalt darüber
conſultirt, was zu Gunſten der Verhafteten geſchehen könne.
Nach ſeiner. Meinung könne es ſich nicht um Wichtiges
handeln, da ihm nichts mitgetheilt worden. Mehrere der
Verhafteten ſind bereits wieder freigelaſſen.
München, 11. Nov. Die Kreisregierung von Ober-
bayern verfügte in zweiter Inſtanz die Ausweiſung des


Frauenloos.
Von S. v. d. Horſt.
(Fortſetzung.)
Eine niederdrückende Entdeckung! — Goverts biß ſich die
Lippen blutig, er hätte in dieſem Augenblick ſeinen Gegner
kaltblütig erdroſſeln können. ö
Und dann drang die Kunde des Geſchehenen auch bis
zu ihm; er combinirte keck, aber mit der ganzen Geſchick-
lichkeit der Eiferſucht, und als dann ein Reſt des natür-
lichen Schamgefühles überwunden war, denuncirte er den
— Freiherrn.
Dieſes Schreiben traf mit demjenigen Hedwigs zuſam-
men und veranlaßte die ſofortige Verhaftung des Freiherrn
zugleich mit der einſtweiligen Entlaſſung Paulinens, —
dann trafen die unerbittlichen Conſequenzen des Geſchehenen
auch das Haupt der armen Cäcilie. Sie taumelte faſt, —
eine gerichtliche Vorladung in Sachen des Freiherrn von
Hartenſtein. Sie ſollte alſo Zeugniß ablegen gegen den,
welchen ſie liebte.
„Die Oberſtin hatte in ihrer Abweſenheit das Schrift-
ſtück entgegengenommen und ließ ſogleich die Bonne zu ſich
ö in ihr Zimmer beſcheiden. Was bedeutete das? In wel-
cher Verbindung ſtand eine Dienerin ihres Hauſes mit dem
begangenen entſetzlichen Verbrechen? übet
Cäcilie war den flammenden Blicken der Dame gegenübe
einer Ohnmacht nahe. Sie ſah ganz weiß aus, ihre Augen
zeigten dunkle Ränder, ihre Fingerſpitzen wurden von ner-
hem Zittern beherrſcht; kein Ton kam über ihre bleichen
ippen.

Die Oberſtin warf das behördliche Schriftſtück mit Ab-
ſcheu von ſich. „Sie verlaſſen heute noch mein Haus,“
herrſchte ſie. „Es iſt mir in den letzten Wochen ſo manch
halbes Wort, ſo manche Andeutung zu Ohren gekommen,
jetzt habe ich volle Gewißheit erhalten und in Ihrem
Schweigen auch das Eingeſtändniß der Schuld. Gehen
Sie gleich fort, ich will mein Haus rein wiſſen von ſolchen
Geſchöpfen, die zu den empörendſten Verbrechen in Be-
ziehung ſtehen.“
Ihre Hand deutete auf die Thür, — Cäcilie brauchte
alle ihr gebliebene Kraft, um die Schwelle zu überſchreiten.
Draußen trugen die mitleidigen Diener eine Ohnmächtige
hinauf in das Zimmer, welches die Verſtoßene räumen
ſollte, obwohl ſie für den Augenblick wie todt dalag. Stun-
den vergingen, ehe das Bewußtſein und mit ibm die Er-
kenntniß ihrer ſchrecklichen Lage zurückkehrte. Wohin nun 2
Wahrlich, wer ſich dieſe Frage niemals vorlegte und
doch keine, — keine Antwort wußte, der kennt euch nicht,
ihr himmliſchen Mächte!
Zur fernen Mutter! Ach wie innig ſehnte ſich das
arme, gequälte Herz nach dieſer Stätte des Troſtes, wie
verlangend ſtreckte in der Einſamkeit ihres Zimmers die
Unglückliche beide Arme aus, als könne ſie die einzige, ihr
gebliebene Freundin erfaſſen und zu ſich ziehen! Vergebens,
ach vergebens, für die weite Reiſe fehlte es an Geld, ſie
konnte nicht über viele Meilen dahinfliegen, ohne das
klingende Metall in der Hand, konnte nicht unter das Dach
der Wittwe treten, ohne wenigſtens das zu bezahlen, was
ſie eſſen würde.
Arme Mutter! Das geliebte, kummervolle Antlitz ſchien

ſie anzuſehen, ihre Thränen fielen heiß herab auf das Kopf-
kiſſen. Nein, ſie konnte nicht hingelangen zu ihr, — auch

die gerichtliche Vorladung verbot es. Schon nach zwei

Tagen ſollte ja das Verhör ſtattfinden.
Wenn ſie abreiſte, ohne irgend einem Menſchen zu ſagen.
wohin? Wenn es gelang, nach England zu entkommen?
Aber nur ſekundenlang dauerte die Täuſchung. Man
würde nach ihr ſuchen, man würde von der beabſichtigten
Flucht auf directe Mitſchuld an dem begangenen Verbrechen
ſchließen, ſie vielleicht im Hauſe ihrer unglücklichen Mutter
verhaften.
Schwankend, müde zum Sterben, erhob ſie ſich. Von
allen Seiten drohte Aergeres als der Tod, — und nirgends
gab es ein Entrinnen.
Ein unruhiger Blick ſtreifte Kaſten und Schränke. Was
ſich darin befand, das mußte man ja ihrer armen Mutter
laſſen, — ſie konnte es nicht mit ſich nehmen.
Die Jungfer und die beiden Dienſtmädchen reichten ihr
unten im Flur weinend zum Abſchied die Hand, der Diener
grüßte reſpectvoll. Aus einer Thürſpalte ſah Pauls Locken-
kopf hervor: „Adieu, Cilly,“ ſchluchzte das Kind, „ſei mir
nicht böſe, daß ich Dich damals in's Waſſer geriſſen habe!“
Sie küßte den Kleinen und ſchlug den Schleier herab.
„In das Waſſer!“ — wie ſeltſam ſich die Worte des un-
ſchuldigen Kindes eingeätzt hatten in ihr Bewußtſein. In
das Waſſer! — Da unten auf dem Grunde war es ſtill
wie im Grabe, Niemand konnte von ihr ein Zeugniß ver-
langen, Worte, die den Geliebten beſchuldigen mußten, einen
Eid, nur die Wahrheit zu ſprechen und alles preiszugeben,
was drinnen im Herzen wie Feuer brannte. (Fortſ. folgt.)
 
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