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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0538
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preußiſchen Regierungsbaumeiſters a. D. Keßler (Social-
demokrat) aus dem Gebiete des Königreichs Bayern.
Stuttgart, 11. Nopbr. Dem Staatsanzeiger zufolge
mußte der Sonderzug, welcher den Köuig und die Kö-
nigin führte, wegen der Ueberſchwemmungen in Oberita-
lien ſeine Fahrt in Bellinzona unterbrechen und wird ſtatt
des Weges Luino⸗Savona den Weg Mailand⸗Turin-Lyon-
Nizza nehmen. Die Staatsgeſchäfte, welche Gegenſtände
von größerer Wichtigkeit betreffen, werden dem Könige
zur Erledigung nachgeſandt, während die übrigen Ange-
legenheiten durch den Prinzen Wilhelm nach dem Vor-
trage der Miniſter im Namen des Königs erledigt werden.
Straßburg i. Elf., 11. Nov. In Benfeld ſtarb Dr.
med. Rack, Bürgermeiſter, Vicepräſident des Be-
zirkstages des Unterelſaß, Mitglied des Landesausſchuſſes
und ehemaliger Reichstagsabgeordneter.

Oeſterreichiſche Monarchie.
Wien, 11. Nov. Der öſterreichiſche Botſchafter Graf
Széchénhi kehrt heute von ſeinem Urlaub aus Ungarn
nach Berlin zurück. — Das Fremdenblatt ſchreibt, die Er-
klärung Salisbury's könne nur die Solidarität der
Friedensbeſtrebungen zwiſchen Oeſterreich und England be-
ſtärken. Die Wahl des Prinzen Waldemar ſchließe hoffent-
lich ein Stück der bulgariſchen Wirrniß ab und mehre die
Wahrſcheinlichkeit, daß einer der peinlichſten Zwiſchenfälle
der Zeitgeſchichte dem Abſchluſſe nahe ſei. Europa ſtehe
jetzt vor der Frage, ob Rußland auf ſeinem Veto gegen
Prinz Waldemar beharren werde, wenn die Sobranje auf-
gelöſt und eine vielgetreue, mit Zankow'ſchen Elementen
ſtark verſetzte neue Sobranje, unter der Leitung eines ruſ-
ſiſchgeſinnten Miniſters des Prinzen Waldemar zuſammen-
gebracht werde.
Peſt, 11. Nov. Der Heeresausſchuß verweigerte
in der heutigen Sitzung, in die Verhandlung über die
Koſten für die Repetirgewehre einzutreten, bis Graf Kal-
noky ſich über die auswärtige Lage ausgeſprochen haben
werde, was am Samstag geſchieht. Graf Andraſſy
hat nicht die Abſicht, den Grafen Kalnoky zu ſtürzen, was
bei der gegenwärtigen Zuſammenſetzung der ungariſchen
Delegation einfach unmöglich wäre; er will bloß die bis-
herige Haltung Kalnokys einer Kritik unterziehen, aber
keinerlei Anträge ſtellen. Man hofft beſtimmt, daß die
ungariſche Delegation dem Grafen Kalnoky, wenn auch
bedingt, immerhin Vertrauen bekunden wird. — Gutem
Vernehmen nach wird der Miniſter des Auswärtigen, Graf
Kalnoky, am Samstag in den Delegationen Erklärungen
über die auswärtige Politik abgeben.
Ausland.
Paris, 11. Nov. Der Prinz Waldemar von Däne-
mark dankte der bulgariſchen Regentſchaft in Be-
antwortung ihrer Depeſche für die Ehre, welche die Sobranje
ihm erwies und fügte hinzu, die Entſcheidung ſtehe bei
ſeinem Vater. Er perſönlich glaube, er würde durch an-
dere Pflichten zurückgehalten. Dieſe Antwort ſcheint eine
Ablehnung anzukündigen. Ruſſiſche offiziöſe Kreiſe erklären
wiederholt, Rußland werde keine Entſcheidung
der Sobranje anerkennen; es müſſe eine andere
Sobranje gewählt werden, aber erſt nach zwei Monaten,
wenn die Gemüther in Bulgarien ſich beruhigt hätten. —
In den Ausſchuß der Deputirtenkammer für die
Trennung des Staates von der Kirche wurden 14 Mit-
glieder gewählt, welche für die Trennung und 8, welche
gegen dieſelbe ſein werden. — Freyeinet zeigte in der
Kammer den Tod Paul Berts an, der geſtorben ſei,
„auf dem Felde der Ehre“. Der Conſeilpräſident fügte
hinzu: „Frankreich verliert in ihm einen ſeiner ergebenſten
Söhne, die Regierung einen ihrer ergebenſten Mitarbeiter“.
(Bewegung). Der Vorſitzende, Caſimir Perrier, ent-
gegnete: „Die Kammer empfindet lebhaft den Verluſt, den
Frankreich erlitten. Frankreich wird den Dienſt Paul Berts
nicht vergeſſen, der einen Poſten annahm, auf dem Ehre,
Ruhm um den Preis des Lebens erkauft wurden.“ (Beifall).
Die Kammer vertagte ſich hierauf bis Samstag.
Paris, 11. Nobbr. Louiſe Michel iſt dieſer Tage
wieder öffentlich aufgetreten; ſie will jetzt als Friedens-
engel allen Socialiſten Einigkeit predigen, mit der es, wie
die letzten beiden Pariſer Gemeinderathswahlen ausweiſen,
Alerdings ſchlecht beſtellt iſt. Aber Luiſens Stern iſt er-

blaßt. Als ſie geſtern im Saale Dumoulin de la Vierge,
Rue Vanves, erſchien, erhob ſich ein ſolch furchtbarer Lärm,

ein ſolches Pfeifen und Ziſchen, daß ſie nicht zu Wort

kommen konnte, und als man ſogar höchſt ungalanterweiſe
begann, ſie mit gebratenen Aepfeln zu bombardiren, blieb
ihr nichts übrig, als ihr Heil in der Flucht zu ſuchen.
Doch durch ſolche Kleinigkeiten laſſen ſich große Seelen
nicht irre machen: nächſtens wird Louiſe bereits eine neue
Verſammlung im Saal Rivoli abhalten.
Londou, 10. Novbr. Zu der Meldung, daß zwei
engliſche Batterieen mit Säbelklingen deut-
ſchen Urſprungs bewaffnet worden ſind, bemerkt die
St. James Gazette:
Sheffield beſitzt die berühmteſte Stablinduſtrie der Welt, den-
noch iſt die Garniſon der Stadt mit dentſchen Solinger Klingen
bewaffnet worden. Weder die Sheffielder Stahlfabrikanten, noch
die Schwertfeger in Birmingham ſind im Augenblick mit Auf-
trägen überhäuft und ebenſo wenig können ſich ihre Arbeiter über
allzu viele Arbeit beklagen Warum iſt dann von acht zuverläß-
lichen Birminghamer Firmen nur eine mit der Anfertigung der
neuen Klingen beſchäftigt? Warum haben Deutſche die Lieferun g
bekommen, welche den Arbeitern der andern ſieben Fabriken in
den harten Wintermonaten Beſchäftigung gegeben baben würde ?
Und warum ſtehen die mit den neueſten und beſten Einrichtungen
verſehenen Gießereien von Shefſield müſſig da, während Aus-
länder die Klingen herſtellen, welche Engländer gebrauchen und
bezahlen ?
Die Verwunderung des engliſchen Blattes wird wohl
etwas zuſammenſchmelzen, wenn es ſich erinnert, daß die
Klingen der engliſchen Soldaten ſich im egyptiſchen Kriege
krumm bogen. Man kann es alſo der engliſchen Re-
gierung nicht verdenken, wenn ſie von den „Klingen, welche
Engländer herſtellen“, genug hat.
Rom, 10. Nov. Die ſchutzzöllneriſche Strömung
iſt in ganz Europa fühlbar und die wirthſchaftliche Selbſt-
ſucht, welche durch unerſchwinglich hohe Zölle alle, ſelbſt
die unlebensfähigſten Branchen der nationalen Induſtrie
auf Koſten der Conſumenten gegen die Concurrenz billigerer
und beſſerer Erzeugniſſe des Auslandes aufzupäppeln meint,
ſcheint alle Schranken zu überſchreiten. Die Italiener,
die bekanntlich von jeher Freihändler waren, ſind kaum ge-
neigt, ſchreibt man der Nat.⸗Ztg., ſich mit Streitfragen den
Kopf zu zerbrechen, ſondern beurtheilen die Vor⸗ und Nach-
theile beider Syſteme nach den Ergebniſſen der täglichen
Erfahrung. Gewiß gibt es in Italien wie überall feurige
Schutzzöllner, welche, um einen einzelnen Induſtriezweig zu
fördern oder vom Verfall zu retten, bis zu den letzten
Folgerungen des Prohibitivſyſtem gehen möchten. Indeſſen
ſind ſie in der Minderheit und ihre Anſtrebungen können
bisher keinen durchſchlagenden Erfolg erringen. Wenn aber
die Handelsverträge mit Frankreich und Oeſterreich gekün-
digt ſind, iſt vorauszuſehen, daß die Schutzzöllner ihre
Anſtrengungen erneuern und den Zollkrieg gegen ganz
Europa predigen werden. Was dabei herauskommen wird,
läßt ſich noch nicht vorkusſehen, da Depretis jede grund-
ſätzliche Entſcheidung ſeiner parlamentariſchen Mehrheits-
macherei unterordnet und ſchließlich thun wird, was der
Inſtinkt der Selbſterhaltung ihm räthlich erſcheinen läßt.
Deutſchland iſt bei dieſen Handelsverträgen bekanntlich in-
ſoferne intereſſirt, als ſie ihm die Rechte der meiſtbegün-
ſtigten Nation einräumen. Wie man auch die Gegenſätze
der Zollpolitik vom theoretiſchen Standpunkte betrachten
mag, der außerordentliche Aufſchwung, welchen Induſtrie
und Handel in den letzten 3 Jahrzehnten in und außer
Europa unter einer gemäßigten Zollpolitik gewonnen haben,

ſpricht ſo deutlich gegen die Rückkehr zu einem übertriebenen

Schutzzollſyſtem, daß in Italien die Wünſche der Protec-
tioniſten nur zu einem geringen Theile ſich werden er-
füllen laſſen.
Madrid, 11. Nov. Der Reſumen will erfahren haben,
die Regierung beabſichtige, alle Parteien um den Thron
zu ſcharen, um nationale Unternehmungen, ſo z. B. die
thatkräftige Politik gegenüber Marrokko, einzuleiten und
30 000 Mann in die ſpaniſchen Feſtungen in Afrika zu
ſenden.
Petersburg, 11. Novbr. Die „Neue Zeit“ ſagt, es
ſei nicht zu erwarten, daß Rußland ſeine bisher ſtelig
aufrecht gehaltenen Anſchauungen über die ungeſetzliche
Thätigkeit der Tirnowaer Revolutionäre nur deshalb än-
dern werde, weil die Sobranje einen Bruder der Kaiſerin
von Rußland zum Fürſten gewählt habe; übrigens ſtehe

tigen, aber geringeren und der entfernteren aber größeren

die Ablehnung des Prinzen Waldemar außer allem Zwei-
fel. — Mit Bezug auf die Rede Lord Salisburys beim
Lordmayorsbaukett bemerkt die „Neue Zeit“, England habe
mit Bezug auf das Wort, daß Rußland Oeſterreich⸗Ungarn
herausfordere, zu ſagen, was es eigentlich von Rußland
hinſichtlich Bulgariens wünſche.

Tirnowa, 11. Nov. Das Cabinet hat heute nach der
Fürſtenwahl durchaus ein unverändertes Ausſehen, nir-
gends iſt das geringſte Anzeichen von fremden Kund-
gebungen zu erkennen. Merkwürdigerweiſe iſt hier das Ge-
rücht verbreitet, daß die Ruſſen die Wahl als eine Feind-
ſeligkeit auffaſſen, während ſie doch ein Beweis des äußerſten
Maßhaltens ſeitens Bulgariens iſt. Keine Rede wurde in
der der Wahl vorhergehenden Privatſitzung mit andäch-
tigerem Schweigen angehört, als die Riſſows, der aus-
einanderſetzte, daß die Wahl der beiden vorhandenen
Candidaten, Alexander und Waldemar, gleichzeitig Gefahren
biete. Zu wählen ſei der Prinz, deſſen Wahl mit der ge-
ringſten Gefahr verbunden ſcheine. Mit Alexander ſei die
Gefahr der ſofortigen Beſetzung vorhanden, dagegen die
Ausſicht auf eine Erhaltung der Unabhängigkeit vielleicht
durch einen europäiſchen Krieg. Mit Prinz Waldemar ſei ö
vielleicht Zeit zu gewinnen; wenn er ablehne, werde das
die Autorität der Regierung ungeheuer ſchwächen, und viel-
leicht den Uebergang zu einer anderen Regierung zur Folge
haben, in welchem Falle Unruhen im Lande wahrſcheinlich
ſeien. Wenn aber Prinz Waldemar annehme, ſo entſtehe
die große Gefahr einer ruſſiſchen Beſetzung, ausgeführt
durch die bulgariſchen Truppen, die noch ſchimpflicher ſei
als eine rein ruſſiſche. Prinz Waldemar werde voraus-
ſichtlich ruſſiſche Officiere mitbringen, die er ohne Verletzung
der Verfaſſung mittels der Militärconvention nehmen könne,
da das Budget auf ein Jahr voraus bewilligt und die
Einberufung der Kammer vor fünfzehn Monaten unnöthig
ſei. Mit den ruſſiſchen Officieren ſei aber die Unabhängig-
keit verloren. Der Redner ſchloß mit der Aufforderung,
nach dem beſten Wiſſen und Gewiſſen zwiſchen der ſofor-

und ſicheren Gefahr zu wählen. — Da die Rede den
größten Eindruck machte, hielt Stambulow eine Gegen⸗ ö
rede, in welcher er erklärte, daß bei der augenblicklichen
Lage Europas die Candidatur Alexanders unmöglich ſei.
Niemand erkenne die hohen Eigenſchaften des Fürſten
Alexander mehr an als er, der an der Spitze der Erhebung —
zu ſeinen Gunſten geſtanden habe; niemals werde Bulgarien
einen beſſeren, nationaler denkenden Fürſten finden; aber
wie die Sachen lägen, müſſe er erklären, daß Regentſchaft
und Miniſterium zurücktreten würden, wenn Prinz Walde-
mar nicht ohne Erörterung durch Zuruf gewählt werde.
Damit war die Entſcheidung gefallen. — Karawelows
Rücktritt wird von allen Deputirten hart beurtheilt.

Aus Stadt und Land.
heidelberg, 12. Nov. Wir entnehmen dem ſoeben erſchienenen
landwirthſchaftlichen Wochendlatt, daß Fiſchzüchter Herr W
Riedel dahier für ſeine Fiſchbrutanſtalt eine Staatsprämie
von 100 . erhalten hat.
—+ Zeidelberg, 12. Nov. (Schöffengerichtsſitzung vom 11.d.)
Anna Noe von Balsbach wird wegen Diebſtahls zu 14 Tagen
Gefängniß, Michael Scharf von hier wegen Unterſchlagung zu
1 Monat Gefängniß, Chriſtoph Erlewein von Handſchuchsheim
wegen Ruheſtörung zu 3 Tagen Haft, Karl Becker von der Rain-
bach wegen Fiſchereivergehens zu 14 Tagen Gefängniß, Friedrich
Hormuth von hier wegen Ruheſtörung zu 5 Tagen Haft, Philiph
Beiſel von Schönau wegen Ruheſtörung zu 10 . Geldſtrafe ver-
urtheilt. Katharina Schneider in Sattelbach wird von der An-
klage wegen Diebſtahls freigeſprochen. Siegmund Schildhorn
von Altwiesloch wird wegen Bedrohung und Körperverletzung zu
10 Tagen Gefängniß, Maria Höhnle von Eppelheim wegen Dieb-
ſtahls zu 3 Tagen Gefängniß, Philipp Lutz von Leimen wegen
desgl. zu 1 Monat Gefängniß, Karl Schnorr und Aron Dreyfuß
hier wegen Beleidigung Jeder zu 1 Tag Gefängniß verurtheilt.
— Heidelberg, 12. Nov. Geſtern Abend wurde ein Bretzelträger
dahier verhaftet, welcher ſeinem Principal, einem hieſigen
Bäcker, das für die Waare eingenommene Geld unterſchlagen
bezw. durch Spiel verloren, den leeren Korb vor die Hausthüre
geſtellt und ſich davon gemacht hatte.
§ HBeidelberg, 12. Nov. Im Kunſtverein ſind gegenwärtih
wiederum eine Anzahl recht bedeutender Gemälde ausgeſtellt. Pro-
feſſor Ed. Kanoldt⸗Karlsruhe bietet in ſeinem „Seeſturm“ ein
wirklich hervorragendes Werk. Mit packender Wahrheit iſt die
elementare Gewalt der brandenden Meereswogen dargeſtellt. Ein
Wrack, der Ueberreſt eines bereits zerſchellten Schiffes, hängt au
einer Klippe, auf die vom Sturme geſchleudert wurde. Es iſt
dem Untergang geweiht, die wüthend heranſtürmenden und ſich

Stadttheater.

T Feidelberg, 11. Novbr. „Maria Stuart“, Trauer-
ſpiel in 5 Akten von F. v. Schiller. Unſere Direction wollte den
10. November nicht vorübergehen laſſen, ohne ihr Scherflein zu
der Gedenkfeier dieſes Tages beigetragen zu haben. Sie hat ſich
für dieſen Akt der Pietät durch die lebhafte Theilnahme des
Publikums belohnt geſehen. Erſt kürzlich hatten wir, nicht ohne
Bitterkeit, dem letzteren ſeine Theilnahmloſigkeit den „guten
Stücken“ gegenüber vorgeworfen; als wir nun zu dem hochklaſſi-
ſchen Drama kamen und ſtatt der leeren Bänke ein wohl beſetztes
Haus fanden, da haben wir beſchämt und reuevoll an die Bruſt
geſchlagen. Hoffentlich ziehen wir uns dieſe verdiente Lektion noch
recht oft zu. — Wenn eine kleine Bühne ſich an ein Schiller'ſches
Werk heranwagen will, ſo iſt ihr nur eine ſehr engbeſchränkte
Wahl möglich. „Kabale und Liebe“ und „Die Räuber“, die
leichter zu geben ſind, als man glauben ſollte, liegen am nächſten.
„Maria Stuart“ ſteht ſchon an der Barriere der Möglichkeit.
In dem letztgenannten Stück treten der raſch wechſelude Dialog
und die lebendigen Scenen zurück, es herrſcht die lange Rede, die
ſo überaus gefahrvoll iſt für jugendliche Schauſpieler. Der
Redende wird ſie gewöhnlich zum Declamationsſtück machen, zu
deſſen Durchführung ihm überdies die Kraft fehlt, und der Schwei-
Zende, da er nicht ſtummes Spiel genug beſitzt, um durch Mimik
denen Antheil zu bethätigen, wird zum ſtummen Figuranten wer-
0l Das Gute, da man unſerer Aufführung nachrühmen kann,
wollen wir oleich dahin zuſammennehmen, da ſie — was bei
Date dure Bühne mehr heißt, als es vielleicht den Anſchein
hat ſte Roſves ernſt genommen werden konnte, daß bis in die
kleinſ 4* ühen herab die Hoheit des Schiller ſchen Werkes nicht
verletzt wurde. Namentlich war für eine des Werkes würdige
mise en er An ühondt. All' dem Eifer, Fleiß und guten Willen,
der bei der Auff hrung zu Tag trat, gegenüber thut einem leid,
andererſeits conſtatiren zu müſſen, daß eben doch der größere
Theil der jugendlichen Schultern unſerer Schauſpieler noch nicht
ſtark genug iſt, dieſe ſchwere claſſiſche Bürde zu tragen. Man
mußte ſich zu oft ſagen: „Das Unzulängliche hier wirds Ereig-
niß.“ Aber — ultra posse nemo tenetur — Das Können
muß reifen. Maria Stuart bietet mehr noch wie andere
Schiller'ſche Dramen ſtark idealiſirte Geſtalten. Die Kunſt der

Schauſpieler muß darin beſtehen, ſie auf die Naturſeite hin
zu graviren. Unſere meiſt jungen Darſteller haben ſie wo-
möglich noch überidealiſirt, ihre glühenden Farben noch recht
grell beleuchtet. Das gilt in erſter Linie von Fräulein
Banciu, der Vertreterin der Maria. Sie brachte für die
Rolle eine paſſende Erſcheinung und ein vaſſendes Organ mit.
Das geiſtige Erfaſſen der Rolle und das Eindringen in dieſelbe
wird wohl noch kommen. Ihr leidenſchaftliches, unruhiges
Temperament, welches ihr als Judith ſo ſehr zu ſtatten kam,
war ihr bei der Maria im Wege. So mag Maria zu Rizio's
Zeiten ſich gegeben haben, die Maria in der Gefangenſchaft iſt
ruhiger, milder, hoheitsvoller. Frl. Banciu warf ſich von
vornherein in einen ſo gewaltigen Pathos, daß dieſer ſich wie
eine Lawine durch die erſten vier Akte ſtürzte und die Darſtellerin
mitriz. Und dieſer Pathos war leider nicht einmal frei von
Hohlheit, die noch dadurch, daß jener oft, und manchmal gerade
an unrichtiger Stelle mit einer nachdrücklichen Armbewegung quasi
noch unterſtrichen wurde, doppelt hervortrat. Auch muß ſich Frl.
Banciun ja hüten, ihr nicht ſehr ergiebiges Organ in dieſer
Weiſe zu überanſtrengen; ſie muß am Umſchlagen der Stimme ja
ſelbſt gefühlt haben, daß ſich das rächt. Die Rolle gibt ſo viel
Gelegenheit zum Ausruhen auf einfacher ſtimmungsvoller Recita-
tion! Durch die leidenſchaftliche Unruhe verliert Maria den
Zauber edler Weiblichkeit und jenen milden Zug, der über die
Schottenkönigin gebreitet iſt. Erſt im fünften Akt fand Frln.
Banein die nöthigen edlen weichen Accente, und erſt mit Hilfe
dieſer konnte ſie die Rolle ſiegreich zu Ende führen. Nicht unbe-
rührt dürfen wir laſſen, daß Frl. Bauncin — wie Herr Veit —
doch ja auf die Conſonanten ihr Augenmerk richten muß. Es be-
rührt komiſch, wenn man immer von „Enkeln des Himmels“ hört.
Schwieriger noch als die Maria iſt die Eliſabeth zu ſpielen. Der
Grundzug ihres Weſeus iſt ſchroffe Herbigkeit. Es iſt nun für
eine Darſtellerin ſehr mißlich, wenn ihr jene ſo abſolut fehlt, wie
es bei Frl. Immiſch der Fall iſt. Ueber dieſen Mangel hilft
kein Theaterſurrogat, kein geknirſchtes „Ach“ hinweg! Eliſabeth
muß ferner immer kalt und majeſtätiſch bleiben in der Haltung
und da, wo bei ihr der Affekt zum Durchbruch kommt, muß das
Mienenſpiel das Hauptſächlichſte leiſten. Auch darin ließ die Re-

präſentantin ſo ziemlich Alles zu wünſchen übrig. — Unter den
Herrenrollen iſt die Mortimers die daukbarſte und ſympathiſchſte.

Herr Lettinger kam in derſelben an dieſem Abend der Löſung
ſeiner Aufgabe ſo ziemlich am nächſten. Wir hätten ihm nicht
ſo viel inneres Feuer zugetraut, als er entwickelte. Seinen erſten
Monolog ſprach er mit wirklich poetiſchem Schwung. Schade,
daß auch er ſein Organ übermäßig anſtrengt und daß dieſes mit
der Kraftanſtrengung nicht gleichen Schritt hält. Wenn er darau
bedacht ſein wollte, mehr zu ſchattiren, er könnte ſeinen Mortimer
zu einer ſehr ſchönen Leiſtung herausarbeiten. So läßt er ſich
im Affekte widerſtandslos hinreißen und ſeine Worte überſtürzten
ſich oft bis zur vollkommenen Undeutlichkeit. Viel weiter vom
rechten Weg eutfernt iſt Hr. Fichtler bezüglich ſeines Leiceſters.
Dieſer Lord hatte zu viel Bouvivautnaturell, zu wenig Eleganz
und ſtolze Haltung. Das gilt namentlich von der unſchönen
Gangweiſe. Auch hatte er in der Sprache eine Art nach einem
ſprunghaften Anlauf über die Sätze wie ein Ballettänzer hinweg
zu pirouettiren, die unaugenehm berührte. Burleigh iſt die
ſchwierigſte aller Rollen und kann man es Herrn Ro bert nicht
übelnehmen, daß er ſie nicht intereſſant zu geſtalten wußte. Finſter
und ernſt muß jener geſpielt werden, aber dazu iſt doch nicht der
Grabeston nöthig, mit dem etwa der alte Moor ſein „Hermann.
mein Rabe“ ruft, und auch nicht das furchtbar rollende

Recht edel in Haltung und Ton war der Paulet des Herrn
Veit und ſympathiſch berührte die Kennedy der Frau Schäfer.
Etwas gar zu harmlos einfach war dagegen der Talbot des Hrn.
Hoyoll. Die kleineren Rollen wurden durchweg gut abſolvirt
und gelang es ſogar Herrn Henske mit ſeinem Daviſon einen ieg
Hervorruf zu erzielen. Eines berührte bei Allen ſehr angenehm,
daß die engliſchen Namen, die ſonſt ein Stein des Anſtoßes ſind af
vorzüglich geſprochen wurden — warum wurde dagegen die alte 0
franzöſiſche Krönungsſtadt ſo conſtant als Rems bezeichnet
Die Regie hatte ihres ſchweren Amtes vorzüglich gewaltet,.
Das Publikum zeigte ſich in der erfreulichſten Weiſe angeregt und h
ſpendete reichlichen Beifall. Wenn wir ſagen, daß er ein wohl'
verdienter war, ſo klingt das vielleicht ſeltſam, nachdem wir ſo
viel auszuſetzen hatten. Thaten wir es, ſo geſchah es wirklich rl
nicht, um den Darſtellern etwas „am Zeug zu flicken“, ſondern
weil wir wünſchen wollen, daß bei ähnlichen Vorſtellungen, die
nach dem guten Erfolg hoffentlich bald folgen werden, der eine
oder andere Fingerzeig den Darſtellern wie dem Publikum zu gut
kommen möchte. ö Dr. 8.
 
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