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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0729
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Grakis⸗Aufnahme
d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.

ung.

Nr. 307. Erſtes Platt.

Irtitag, den 31. Vezember

1886.

Des Neujahrsfeſtes wegen erſcheint die
nächſte Nummer am Montag.

»Zum Jahreswechſel.
Wer von Zeit zu Zeit einen Rückblick auf die Ver-
gangenheit wirft und die Bilance ſeines Lebens zieht, wird
wohl immer neben freundlichen und frohen Erlebniſſen
einige bittere Erfahrungen und Enttäuſchungen zu verzeichnen
haben. Auch wenn wir am Schluſſe des gegenwärtigen
Jahres rückwärts ſchauen, wird ſich uns die alte Wahrheit
aufdrängen, daß des Lebens ungetrübte Freude in der Welt
keine Stätte hat, gleichwohl aber werden wir geneigt ſein,
das ſcheidende Jahr mit einer noch halbwegs zufrieden
lautenden Note zu verabſchieden. Es hat ja vielleicht manche
Hoffnung unerfüllt gelaſſen, aber es kann nicht zu den
ſchlechteſten gezählt werden, es war im Ganzen wohl recht
erträglich. Dieſes Urtheil will ſich insbeſondere geltend
machen, wenn man den beſorgten Blick in die Zukunft richtet,
auf das Jahr 1887, in deſſen Schooße ſchwere Weltkriſen,
die ſchwarzen Looſe der Kriegsfurie vermuthet werden.
Wollte der Himmel, daß es anders und beſſer käme.
Für unſere badiſche Heimath war das verfloſſene
Jahr recht reich an bedeutſamen Ereigniſſen, die tief in das
Leben des Volkes eingriffen. An dem ſchweren Geſchick, welches
zu Anfang des Jahres unſere Großherzogliche Familie
durch die gefährliche Erkrankung des Erbgroßherzog's
traf, nahm das ganze Land den innigſten Antheil. Bange
Wochen und Monate verſtrichen, ehe die Jugendkraft des
hohen Patienten im Verein mit ärztlicher Kunſt und treuer
Pflege den Sieg über die tückiſche Krankheit davontrug,
die ihn an das Schmerzenslager gefeſſelt hielt. Der end-
liche Eintritt der Geneſung nahm einen Alp von Fürſten-
haus und Volk. Möge das ſüdliche Klima, welches der
junge Fürſt für den Winter aufgeſucht hat, die erwünſchte
Wirkung haben, ſo daß derſelbe in voller Friſche und Ge-
ſundheit wieder in die Mitte ſeiner Familie und des Vol-
kes zurückkehrt. — Ein Ereigniß, das die Augen der ganzen
gebildeten Welt auf ſich lenkte, vollzog ſich in unſern
Mauern: die einzigartige, glanzvolle Jubelfeier unſerer
Ruperto⸗Carola.
1886 wird Heizelbergs Einwohnerſchaft unvergeßlich bleiben,
das denkwürdige Feſt wird für alle Zeiten im Buche der Kul-
turgeſchichte in leuchtenden Lettern erglänzen und ſpäteſten
Geſchlechtern Anerkennung und Bewunderung abnöthigen.
In hellen Schaaren waren ſie herbeigeeilt, die einſtmals
an den Brüſten der ehrwürdigen alma mater ihren Wiſſens-
drang geſtillt, um Zeuge zu ſein der großen Tage und
aufzufriſchen liebe Erinnerungen an die goldene Zeit der
Burſchenherrlichkeit, die ihnen in unſerer Muſenſtadt ſo be-
rauſchend und ſüß geblüht. Ernſte Männer der Wiſſen-
ſchaft, Vertreter aller civiliſirten Nationen fanden ſich ein,
um der Jubilarin den Ruhmeskranz fünfhundertjähriger
treuer Wirkſamkeit im Dienſte der Wiſſenſchaft und For-
ſchung auf's Haupt zu drücken. Den vollen Glanz erhielt
das großartige Feſt aber erſt durch die Anweſenheit des
Großherzogs und des Kronprinzen des deutſchen
Reichs. Die Worte, welche bei den verſchiedenen Anläſſen
von den hohen Gäſten geſprochen wurden, fanden einen
begeiſterten Wiederhall nicht nur bei den Feſttheilnehmern,
ſondern im ganzen deutſchen Volke, das mit geſpannter
Aufmerkſamkeit den Feſtvorgängen folgte. Es iſt dahinge-
gangen, das herrliche Feſt. Aber wie es leuchtend aufſtieg am
deutſchen Geiſteshim mel, ſo ging es leuchtend nieder und wird

Die erſte Auguſtwoche des Jahres

lange noch zurückleuchten. Nur ein wehmüthiges Gefühl regte ſich
in der Bruſt der Feſttheilnehmer, daß es dem Sänger Alt-

heidelbergs, dem am 9. April 1886 verſtorbenen Dichter

Viktor v. Scheffel, nicht vergönnt geweſen, das Feſt mit-
zufeiern. Insbeſondere die Einwohner Heidelbergs empfanden
es ſchmerzlich, daß der hochverehrte Dichter, dem die Ro-
mantik unſeres Neckarathen ſo herrliche Lieder entlockt, in
ihrer Mitte fehlte. — Am 15. April wurde die Seſſion der Bad.
Ständeverſamm elung von dem Großherzog geſchloſſen.
Se. Königl. Hoheit ſprach hierbei ſeinen Dank für das er-
ſprießliche Zuſammenwirken der Ständeverſammlung mit
der Regierung aus, dem eine Anzahl wichtiger geſetzgeberiſcher
Beſchlüſſe entſprang. Dem nach kaum vierjähriger Wirkſam-
keit in ſeinem hohen Amte verſtorbenen Erzbiſchof Dr.
Orbin widmete der Landesfürſt Worte ehrender Aner-
kennung. Orbins Nachfolger wurde Biſchof Dr. Roos von
Limburg, welcher, im Juni einſtimmig vom Domkapitel
gewählt, am 20. September in Freiburg ſeinen Einzug
hielt und am nächſten Tage feierlich inthroniſirt wurde.
Dem neuen Erzbiſchof wurde das Vertrauen entgegengebracht,
daß er die rechte Perſönlichkeit ſei, das Werk friedlichen
Ausgleichs zum Segen des Landes weiter zu fördern. Nicht
ohne Bedeutung für die kirchenpolitiſchen Verhältniſſe un-
ſeres Landes war die vom Abgeordneten Dekan Lender in
der 2. Kammer abgegebene Erklärung, daß er und ſeine
Geſinnungsgenoſſen das Entgegenkommen, welches die Re-
gierung allen billigen Forderungen entgegengebracht habe,
anerkennen und der Regierung in Bezug auf ihre kirchliche
Haltung volles Vertrauen entgegenbringen. Die Extremen
der katholiſchen Volkspartei erhoben darüber ein großes
Geſchrei. Der innerhalb der Partei bisher mehr latent
geweſene Zwieſpalt brach aber in einen offenen Streit aus,
als Abg. Lender in jener denkwürdigen Sitzung die Kam-
pfesweiſe der ultramontanen Hetzpreſſe in Worten brand-
markte, wie ſie ſchärfer nicht geſprochen werden konnten.
Nun erlebte man ein Schauſpiel, wie es wohl noch ſelten
eine Partei geboten hat. Lender, der erprobte Parteifüh-
rer, und ſeine Freunde waren das Objekt beiſpielloſer An-
griffe Seitens der Intranſigenten. Dieſe brachten es da-
hin, daß die katholiſche Volkspartei beinahe in die Brüche ging.
Erſt mit dem Amtsantritt des neuen Oberhirten ver-
ſtummten die Kriegsdrommeten im ultramontanen Lager.
Deſſen Einfluß hat ſich hier ſehr bald in wohlthätiger Weiſe
geltend gemacht. — Für die Entwickelung unſerer Partei-
verhältniſſe in den letzten Jahren konnte die Mannheimer
Reichstagserſatzwahl als Gradmeſſer dienen. Das
hervorſtechendſte Merkmal war die völlige Desorganiſation
der demokratiſchen Partei. Sie, die ſonſt Mannheim als
ihre Hochburg betrachtete, konnte es jetzt nicht einmal bis
zur Aufſtellung eines Kandidaten bringen. Nach hartem
Kampfe ging der nationalliberale Kandidat als Sieger aus
der Wahlurne hervor.
Wenn wir uns nun unſerem weitern Vaterlande, dem
deutſchen Reiche, zuwenden, ſo tritt zunächſt die greiſe
Heldengeſtalt vor unſer Auge, welche an der Spitze des
mächtigen Staatsweſens ſteht: Kaiſer Wilhelm. Für
Deutſchlands greiſen Monarchen iſt das zur Neige gehende
Jahr reich an bedeutenden Erinnerungen und Eindrücken
geweſen. Am 3. Januar 1886 feierte Kaiſer Wilhelm den

Tag, an welchem er vor 25 Jahren den preußiſchen Kö-

nigsthron beſtiegen. Alle deutichen Stämme nahmen innig-
ſten Antheil an dieſem Ehrentage des glorreichen Herrſchers.

Wie alljährlich, ſuchte der Kaiſer auch in dieſem Sommer

einige Wochen Erholung auf badiſchem Boden, auf Schloß
Mainau und in Baden⸗Baden. Dem Aufenthalt auf der
Inſel Mainau, wo die badiſchen Kriegervereine ihrem höch-
ſten Kriegsherrn eine großartige Ovation bereiteten, folgte auf
der Reiſe nach Gaſtein ein Beſuch bei dem Prinzregenten von
Bayern, Prinzen Luitpold, den im Laufe des Sommers eine er-
ſchütternde Kataſtrophe an die Spitze des bayeriſchen Volkes
berufen hatte. In Gaſtein hatte der Kaiſer eine Begegnung
mit Kaiſer Franz Joſeph von Oeſterreich, bei welcher den
innigen Beziehungen., die zwiſchen den beiden Herrſchern
obwalten, erneut Ausdruck gegeben wurde. Eine Reihe
ſeltener Tage voll überwältigender Eindrücke verlebte der
Kaiſer im Monat September bei den Kaiſermanövern im
Elſaß. Dieſe Tage bilden eins der glänzendſten Blätter
in der Chronik des ſcheidenden Jahres. Es war erhebend
zu ſehen, wie die Elſaß⸗Lothringer ſich mit der deutſchen Herr-
ſchaft immer mehr befreunden und im Begriff ſtehen, ſich
unter den Fittigen des deutſchen Adlers bald völlig wohl
und behaglich zu fühlen. Anfangs dieſes Monats nahm
die kaiſerliche Familie den Beſuch des Prinzregenten von
Bayern entgegen, der mit beſonderer Herzlichkeit und Aus-
zeichnung empfangen wurde. Das Freundſchaftsband, wel-
ches die Häuſer Hohenzollern und Wittelsbach mit einander
verbindet, iſt dadurch noch inniger und feſter geknüpft worden.
Das Schwergewicht der Verhandlungen des Reichs-
tages in der ordentlichen Seſſion, welche Ende Juni
ihren Schluß fand, lag auf finanzpolitiſchem Gebiete. Die
Branntweinmonopol⸗Vorlage war es, welche dieſer Periode
den Stempel aufdrückte. Im Bundesrathe fand der Mo-
nopol⸗Geſetzentwurf eine Mehrheit, im Reichstage kam es
anders. Trotzdem Fürſt Bismarck ſelbſt in bedeutungs-
voller Rede für die projektirte Branntweinſteuerreform ein-
trat, gelang es nicht, die Einwilligung des Reichstags zu
gewinnen. Auch ein zweites, auf eine Verbrauchsabgabe
gegründetes Projekt der Branntweinbeſteuerung wurde vom
Reichstag verworfen und ſo bleibt die Durchführung der

bezüglichen Steuerreform auf dem einen oder andern Wege

der Zukunft vorbehalten. Als poſitive Ergebniſſe dieſer
Seſſion ſind zu erwähnen: Das Penſionsgeſetz für die
Offiziere, das Geſetz, betr. die Kommunalbeſteuerung der
Offiziere, und das Beamtenpenſionsgeſetz. In einer außer-
ordentlichen Seſſion im Monat September wurde der ſpa-
niſche Handelsvertrag genehmigt. Für den am 25. Nov.
zur Winterſeſſion zuſammengetretenen Reichstag war die
Militärvorlage der hauptſächlichſte Berathungsgegenſtand.
Die Art und Weiſe, wie die Majorität des Reichstages
mit der Vorlage umſprang, hat eine tiefe Erregung in die
nationalgeſinnten Bevölkerungskreiſe getragen. Auf die
oppoſitionellen Reichsboten wird der ſpontan hervorgetretene
Wille des Volkes hoffentlich nicht ohne Eindruck bleiben,
und ſo iſt noch zu erwarten, daß das neue Jahr ohne Con-
flikt und Reichstagsauflöſung die Annahme der Vorlage bringt.
Eine ſehr ſchwere Prüfung hatte das bayeriſche
Land zu beſtehen. Wegen Erkrankung König Ludwigs II.
ſah ſich Prinz Luitpold genöthigt, die Regentſchaft zu über-
nehmen. Der kranke König wurde unter die Aufſicht des
Irrenarztes Dr. Gudden geſtellt und mit ſeiner Bewilligung
nach Starnberg überführt. Dort trug ſich dann am Pfingſt-
ſonntag die erſchütternde Tragödie zu, welche noch in Aller
Erinnerung lebendig iſt. In dieſem furchtbaren Unglück
war es für das bahyeriſche Volk ein Troſt, daß die Re-
gierung einer Perſönlichkeit anheimfiel, die, mit weitem
politiſchem Blick und hohen Regententugenden ausgerüſtet,

Neujahr.

NVun laßt nach Brauch am Weinachtsbaum
Noch einmal hell die Herzen flammen,
Dann in dem feſtlich hellen Raum
Rückt traulich um den Tiſch zuſammen!
Schon zeigt die Uhr auf Mitternacht,
Bald hat das Jahr den Lauf vollbracht;
Sottlob! erhört ward unſ're Bitte;
Es Sen kein Haupt aus unſ'rer Mitte,
'rum ſei geſegnet, ſcheidend Jahr!
Doch ward nicht allen vom Geſchick
Das gleiche Glück wie uns beſchieden:
Zum Himmel klagt manch naſſer Blick,
Denn Mancher ſchläft in Grabesfrieden,
Der heut' vor'm Jahr in rüſt'ger Uraft
Noch froh geſcherzt, mit Luſt geſchafft. —
Derr leite väterlich die Deinen,
ie heut' auf Erden einſam weinen,
Mit deinem Troſt in's WNeue Jahr!
Die Uhr hebt aus. Zetzt Hand in Hand
Dem Neuen Jahr getroſt entgegen!
Dies volle Glas dem Vaterland,
Und jedem Hauſe Heil und Segen!
Seht wie's im Baum dort kniſternd ſprüht,
Wie's in den Sweigen loht und glüht!
Bei Glockenklang in Glanz und Helle,
So tritt das Jahr jetzt auf die Schwelle,
Sott grüße dich, du junges Jahr!
E. Greiner.

Wie leicht das Lebensglück in Brüche geht,
erfuhr kurzuch ein junger Manu in Berlin. Als Gott Amor
zuerſt das Herz des jungen Architekten Alfred B. getroffen und
ihn mit ſeinem Pfeil in Fräulein Ida S. ganz „verſchoſſen“ ge-
macht hatte, konute er nicht wiſſen, daß ſein Glück ſich als Luft-
ſchloß erweiſen und ſo proſaiſch in den Räumen des Amtsgerichts
endigen würde. Als guter Deutſcher gehört der Herr Architekt
auch einem Vereine an, und dieſer Verein glaubt, wie alle, kein
beſſeres Zeichen für die Berechtigung ſeines Daſeins geben zu kön-
nen, als durch die Verauſtaltung eines Kränzchens. Diesmal
hatte das Vergnügungscomite beſondere Anſtrengungen gemacht.
Denn B. hatte in ihm mit dringeſeſſen und von dem Bilde ſeiner
holden Braut umſchwebt, hatte er das Comite zu einem ganz
exceprionellen Programm mit fortgeriſſen. Wie er aber vor Ida
mit ſeinem Verein glänzen wollte, ſo ſollte Ida hinwiederum
ſeinem Verein imponiren und nach dem Wort, daß das Kleid den
Menſchen mache, ließ er ihr ein ſolches anfertigen. Ein weißes
Cachemirkleid war es, zart und luftig wie ein Hauch. Aber das
genügte B. noch nicht. Ida ſollie auch durch geiſtige Gabe
glänzen. Sie hatte eine ganz liebliche Stimme und da ſollte ſie
das nicht mehr unbekannte Lied auß dem Trompeter: „Behüt'
Dich Gatt, es wär' ſo ſchön geweſen“, ſteigen laſſen. Der Abend
kam. Ida ſah entzückend aus, und der Bräutigam ſtrahlte vor
Gluck, als er kam, ſie abzuholen und ſie ihn mit graziöſem
Lächeln fragte: „Nun? wie gefalle ich Dir ?“ Hätte er nicht die
guten ſchwarzen Hoſen angehabt, er wäre auf's Knie vor ihr
geſunken. „Götilich!“ erwiderte er. „Und wenn Du nun erſt
gar ſingen wirl.“ — „Ich werde nicht ſingen, Alfred“, ent-
gegnete ſie, „ich fühle mich heute gar nicht bei Stimme.“
— „Du wirſt nicht ſingen?“ ſprach Alfred, wie aus allen Him-
meln geſtürzt. — „Nein,“ wiederholte ſie. — „Dann brauchſt Du
auch das Feſt nicht mitzumachen, dann bleib nur zu Hauſe,“ rief
der Architekt in gereiztem Tone. „Wenn Du mich nicht mitnehmen
magſt, dann gehe ich allein!“ entgegnete Ida darauf. „Allein?“
wiederholte Alfred. „Ja!“ und dabei warf ſie trotzig das Köpf-
chen zuruck. Alfred bebte vor Zorn. Da ſtand ſie vor ihm, das
ſchöne, herrlich geſchmückte Mädchen, und ſie wollte allein gehen?
Nimmermehr! Hell ſchimmerte ihm das weiße, duftige Kleid ent-
gegen. Er ergriff ein Tintenfaß, und mit den Worten: „Nun

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kannſt Du allein gehen!“ goß er deſſen Inhalt über das leuchtende

herrliche Gewand. Ein einziger Schrei des Schmerzes entfuhr
Idas Lippen, aber ein Schrei, der das ganze Haus erbeben machte,
dann öffnete ſie die Thür ihres Zimmers und ſprach das große
Wort: „Divorgons!“ Er verſtand und ging, ging für immer.
Aber in lodernden Haß war ihre Liebe umgewandelt, und dieſer
Haß ſuchte nach einem Ausdruck und er fand ihn in dem Prozeß
wegen Vermögensbeſchädigung. Ob ſie zu einem ſolchen berech-
tigt war, da B. ihr das Kleid geſchenkt — Stoff wie Arbeits-
lohn — darüber, ſo erzählt der „Weſtf. M.“, wird das Gericht
demnächſt zu entſcheiden haben.

Wirn. Es war in einer heitern Geſellſchaft. Die Thür ging
auf und ein bekannter Wiener Maler trat ein. Er ſchien etwas
niedergeſchlagen, eine gewiſſe Mattigkeit machte ſich in ſeinem ganzen
Weſen bemerklich. Man fragte ihn von allen Seiten, was ihm
fehle. „Was ſoll mir denn fehlen? Schläfrig bin ich!“ entgegnete
er. Das nahm allgemein Wunder, denn er pflegte ſouſt in der
Regel nicht ſchläfrig zu ſein, und man ahnte ſogleich, daß dahinter
etwas ſtecken müſſe. Alles beſtürmte ihn, zu erzähleu, was ihm
begegnet ſei, man flößte ihm Wein und Punſch ein — und end-
lich löste ſich ſeine Zunge. In kurzen, mürriſchen Worten warf
er das folgende hin: „Stellen Sie ſich vor, was mir geſtern
Nacht paſſirt! ... Wie alt bin ich? — „Dreinundvierzig, rief
eine kleine Soubrette, — „Vierundvierzig“, ſagte eine Opern-
Sängerin, — „Fünfundvierzig“, ſteigerte ein Bankdirector. —
„Genug“, fiel der Maler ein, um nicht noch mehr zu altern, „ſo
viel ſteht feſt, ſiebzig Jahre bin ich doch gewiz nicht alt? —
„Welche Idee! . .. Keine Spur! .. . Unſinn!“ u. ſ. w. — „Nun
denn, hören Sie. Geſtern Nacht liege ich mitten in meinem Bette
und ſchlafe. Auf einmal, lange nach Mitternacht, kling, kling an
der Glocke. Ich drehe mich um, brumme etwas Beleidigendes
und ſchlafe weiter. Darauf bum bum an der Thür. Ich fluche
eins und rufe meinen Diener. Er öffnet. Wer iſts? Ein Tele-
gramm. Ich fluche noch eins, unterſchreibe und leſe: „Die Mün-
chener Künſtlergeſellſchaft bringt hiermit dem hochverehrten Kunſt-
genoſſen zu ſeinem ſiebzigſten Geburtstag ein donnerndes
Hoch.“ Na, jetzt hätten Sie mich ſehen ſollen! Himmel Herrgott

In nächſter Nummer beginnt im Feuilleton die ſpannende Erzählung: „Die Stiefmutter“ von Franz Eugen.

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