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Heidelberger Zeitung — 1887 (Januar bis Juni)

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Nr. 50-76 (1. - 31. März)
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„^'scheint
^zlich Sonntags
ausgenommen.
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°UZschl. Postauf-
^lag ». Träger-
Lohn.

Jagölati und Werkündiger für die Stadt Keidetöerg.

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tigePetitzcileober
deren Raum. Für
hies. Ge-cbäfts-
u.Prwatm Zeigen
bedeut, ermäßigt.
Gratis-Aufnahme
d. Inserate in den
Placat-Anzeiger.

Auf die „Heidelberger Zeitung" — Hau pt-
lokal-und Kreisverkündigungsblatt
für den Kreis Heidelberg — werden für den
,, Monat März
. ' allen Postanstalten, den Briefträgern, bei den Trägern
? der Stadt, sowie bei der Expedition, Untere Neckar-
Itraße Nr. 21, Bestellungen angenommen.


* Politische Umschau.

Heidelberg, 3. März.

. Heute findet die Eröffnung des neuen Reichstages
uatt, dessen Thängkeit die Nation mit freudiger Zuversicht
Elllgegerisehen darf. Wie in seiner äußeren Physiognomie
ir> vollständig abweichend von der seines Vorgängers, wird
auch in seinem Thun und Lassen ein ganz anderer sein,
wird es nicht als seine Hauptaufgabe betrachten, durch
leinliche Nörgeleien unter allen Umständen die Pläne der
Gierung zu durchkreuzen, sondern Hand in Hand mit der
^eichsregierung, in wohlwollender Berathung mit derselben
llw das Wohl des Vaterlandes zu arbeiten. Dem Inhalt
Thronrede, welche nach einer neuesten Mittheilung durch
ev Staatssekretär von Bötticher verlesen werden wird, sieht
llUe Welt mit begreiflicher Spannung entgegen. Besonders
glu dies in Bezug auf den Passus, welcher sich über die
Wfswärtige Lage aussprechen wird. Jedenfalls dürfte die
(Wonrede auch das ganz besondere Vertrauen betonen, welches
ble Regierung dem neugewählten Reichsparlament entgegen-
hingt. (Siehe Neueste Nachrichten.)

Der Gegensatz zwischen der Kurie und dem
^urschen Ul tramoutanismus tritt, so schreibt die
Nat.-Lib. Korresp., wieder in recht bezeichnender Weise bei
hr Aufnahme der neuen kirchenpolitischen Vorlage
sw preußischen Herrenhause zu Tage. Es kann keinem
"Weisel unterliegen, daß der Gesetzentwurf im Einvernehmen
"Ud unter Zustimmung der römischen Kurie auf Grund der
Wit derselben gepflogenen Verhandlungen ausgearbeitet wor-
h.n ist und als endgiltiger Ausgleich, wenn auch
kW über die Grundsätze (über diese wird sich überhaupt
wemals ein moderner Staat mit der röm.-katholischen Kirche
hrständigeu), so doch über die praktischen Fragen, welche
kW den Gegenstand des Streits bildeten, betrachtet wird,
sicherlich wird das Auftreten des Bischofs Kopp im
Herrenhause über diese Bedeutung der Vorlage keinen
Zweifet lassen. Das weiß man im ultramontauen Lager
lehr wohl, und trotzdem wird in der klerikalen Presse der
Neue Gesetzentwurf aufs Heftigste bekämpft und als ganz
kkd gar ungenügend bezeichnet. Es wird selbst in sogen,
hwäßigten Blättern des Zentrums geradezu ein drohender
A'kck auf den Papst ausgeübt, er möge sich gegen diese
Vorlage erklären und das Zentrum ermächtigen, das Gesetz
zum Scheitern zu bringen. Nicht nur daß die Zentrums-
kkrtei in politischen Fragen dem Papste jedes Recht
W Einmischung und jedes Verständniß abgesprochen und
seine Erlasse wie werthlose Wische Papier behandelt hat,
^tzt ist der deutsche Ultramontanismus schon so weit, daß
auch in kirchlichen Fragen die Autorität des heiligen
Stuhles nicht mehr anerkennt. Es ist nicht unsere Sache,
W für dieselbe zu ereifern. Es konnte nicht ausbleiben,
°kß schließlich die höchsten kirchlichen Autoritäten, Papst

ArimerstW, -eii 3. Mim 1887

und Bischöfe selber, einer zügellosen fanatischen klerikalen
Demagogie nicht mehr Herr werden.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 2. März. (Amtlich.) Se. Königl. Hoheit
der Großherzog haben den Gütcrinspector Adolf Stoll
bei der Generaldirection der Staatseisenbahnen wegen lei-
dender Gesundheit bis zur Wiederherstellung derselben in
den Ruhestand versetzt, dem Postenführer Peter Zier in
Obersäckingen die kleine goldene Verdienstmedaille und dem
Grenzaufscher Martin Koßmannin Hauenstein die silberne
Verdienstmedaille verliehen.
Karlsruhe, 2. März. Der Staatsanzeiger für das
Großherzogthum Baden Nr. 7 vom 1. März enthält:
Unmittelbare Allerhöchste Entschließungen Sr.
Koni gl. Hoh eit des Großherzogs, Dienstnachrichlen betr.,
ferner Verfügungen u. Bekan n t m a chuugen derStaats-
behörden, nämlich des Staatsministeriums über daS Consulat
der Republik Costa-Rica in Mannheim, des Ministeriums der
Justiz, des Kultus und Unterrichts über die Aendernng von
Familiennamen, des Ministeriums des Innern, die Staatsprü-
fung im Forstfache für 1887 und die Errichtung einer Anstalt
für Gewinnung animalischen Impfstoffes betr.
Berlin, 2. März. Das Armee-Verordnungsblatt ver-
öffentlicht einen Allerhöchsten Erlaß vom 24. Febr.,
welcher bestimmt, daß im Jahre 1887 das erste und zweite
Armeecorps, jedes für sich, große Herbstübungen
(Parade- u. Corpsmanöver gegen markirten Feind u. drei-
tägige Feldmanöoer der Divisionen gegen einander vor dem
Kaiser) abhalten, welchen zehntägige Hebungen sämmtlicher
Kavallerie-Regimenter dieser Armeecorps im Brigade-Divi-
sionsverbande vorhergehen sollen. — Von einigen Zeitun-
gen wird die neuerdings verbreitete Nachricht über die be-
absichtigte Einführung einer Bierschanksteuer
sicherem Vernehmen nach als unbegründet erklärt, da eine
derartige Steuer auch nicht einmal in Erwägung gezogen
worden sei.
Lübeck, 2. März. Gestern fanden hier sozialistische
Unruhen statt. Zwei Compagniecn Infanterie mußten mit
gefälltem Bajonett die Straßen säubern. 70 Personen
wurden verhaftet und ungefähr 15 verwundet.
München, 2. März. Die gestrige Generalversamm-
lung des Kunstgewerbevereins beschloß die Aus-
stellung von 1888 auszuführen und bevollmächtigte den
Vorstand zu deu Vorarbeiten. Die Platzfrage, ob in ge-
meinsamen oder in getrennten Räumen mit der Künstler-
genossenschaft, ist noch nicht erledigt. — Die ultramon-
tauen Blätter sagen kein Wort über des Freiherrn von
Franckenstein Audienz beim Prinzregenten. Dieses
Schweigen spricht deutlich genug.
Aus dem Allgäu. Im württembergischen Oberamts-
bezirke Tettnang sind, der A. Abdztg. zufolge, bei politi-
schen Versammlungen für die Reichstagswahl sehr schwere
Ausschreitungen vorgekommen. Stadtpfarrer Go es er
von Saalgau, katholischer Priester, der klerikale Bewerber,
enlwickelte in seiner Wahlrede zu Tettnang durchaus demo-
kratische Grundsätze und bezeichnete die dem Septennat zu-
gethanen Katholiken als „abgehauste, verlotterte Taufschein-
Katholiken", die württembergischen Staatsbeamten als „ab-
hängische Kreaturen des Fürsten Bismarck". Der als
Kommissär anwesende Oberamtmann Dr. Miller mahnte
wiederholt vergeblich zu einer gemäßigteren Sprechweise

und stellte Schließung der Versammlung in Aussicht. Da
rauf machte die Versammlung, in welcher der katholische-
Dekan, ebenso ein Diener des Staates wie der Kirche, den
Vorsitz führte, deutlich Miene, den wegen der fortgesetzten
groben Ausfälle des Redners gegen die Beamten ein-
schreitenden Oberamtmann hinauszuwerfen, und bedrohte
den Dr. Miller an seinem eigenen Amtssitze mit Stuhl-
füßen, so daß er flüchten mußte. Diese Behandlung von
den eigenen Amtsangehörigen nahm begreiflich der be-
schimpfte Oberamlmann sich so zu Herzen, daß er wenige
Tage nach jener Versammlung in eine hitzige Krankheit
verfiel und nach nur dreitägiger schwerer Erkrankung, erst
36 Jahre alt, verschied, betrauert von seinen Freunden
und von einer jungen Wittwe mit vier Knaben. Ober-
amtmann Dr. Hugo Miller, ein ebenso tüchtiger als liebens-
würdiger Beamter, war ein geborener Bayer aus der
Gegend von Kaufbeuren und einer von den jungen bayeri-
schen Juristen, welche vor etwa 15 Jahren unter sehr
günstigen Umständen in den württembergischen Dienst über-
getreten und dort sehr rasch befördert worden sind. Unter-
gräbt aber ein katholischer Priester durch ein solches Auf-
treten nicht das Ansehen des Staates wie seiner Kirche?
Oesterreichische Monarchie.
Wie«, 2. März. Dem Fremdenblatt wird durch ein
zuverlässiges Bester Telegramm bestätigt, daß in Si-
listria ein von einem Bataillons-Commandeur versuchter
Putsch durch die Regentschaft im Keime unterdrückt wor-
den ist, seither jedoch keine Ruhestörung weiter stattgefun-
den hat. — Nach dem Pester Lloyd wird in Steyr dem-
nächst mit der Massenerzeugung von Repetirgewehren
begonnen, nachdem die großen Maschinen vollendet sind,
sodaß im Sommer bereits einige Eorps mit Repetirgeweh-
ren ausgerüstet werden können. Als Präsident der Waffen-
fabrikgesellschaft ist anstatt Lichnowsky Graf Franz Co-
ronini in Aussicht genommen, der alsdann auch auf
die Führung des Oppositionsclubs verzichten müßte.
Au s l a n d.
Ber«, 2. März. Der Freiburger Große Rath be-
willigte für den Si mplo n - D ur ch stich zwei, der Walliser
eine, der Waadtländer vier Millionen.
Ans der Schweiz, 1. März. Der Magdeburgischen
Zeitung wird berichtet: Im Cantonsrath zu Zürich
kam es neulich bei Berathung des prioatrechtlichen Gesetz-
buches zu einem ergötzlichen Zwischenfall. Bei dem Kapitel
„Familienrecht" beantragte Pfarrer Wolff, den Satz
„Der Ehemann ist das Haupt der Ehe" zu strei-
chen; es sei doch nur ein schöner Satz, mit dem nichts
anzufangen sei; objektiv sei er auch nicht einmal wahr.
Man solle durch die Streichung dieses anstößigen Satzes
den Anschein des Entgegenkommens gegenüber den Frauen
erwecken. Oberlichter Sträuli kann nicht beipflichten. Pfr.
Wolff gehe in seiner Galanterie zu weit; der Satz sei prak-
tisch sehr wichtig, und wenn er fehlte, würde es zu vielen
Streitigkeiten z. B. wegen der Kindererziehung kommen.
Wie ein Mann standen die Rathsmitglieder auf und stimm-
ten unter großer Heiterkeit für die Beibehaltung des pa-
triarchalisch ehrwürdigen Gesetzessatzes; nur einzelne wenige
bekundeten, indem sie fitzen blieben, daß sie auf das eheliche
Oberregiment des Mannes verzichteten oder vielleicht mit

9) Die Dragonermütze.
Humoreske von A. Oskar Klaußmann.
(Fortsetzung.)
Ain Nachmittag erschien bei Fräulein von Werkenheim
kkeder das Lästererpaar. Als die beiden edlen Seelen
urch Korridor schritten, stieß diesmal der Legations-
ath pgn Drachenborn das Stiftsfräulein an und wies
"ch der Dragonermütze, die an dem Huthaken hing. Die
"we antwortete mit einem ironischen kurzen Auflachen.
? i^kkte Jaminchen schien etwas nervös zu sein; ihre
knstige Ruhe und Freundlichkeit war einer Zerstreutheit
kd Unruhe gewichen, welche das edle Paar veranlaßte,
wen berständnißinnigen Blick zu tauschen.
»Wie befindet sich unsere reizende Sylphide, Fräulein
kk Wylta?" fragte der Legationsrath.
»Sophie ist leider nicht wohl," entgegnete Jaminchen
kd sah dabei recht erregt aus. „Sie befindet sich auf
'wem Zimmer. Ich hoffe jedoch, es handelt sich nur um
Nerv ^.oEwgehende Verstimmung, vielleicht um etwas
Das edle Paar tauschte wiederum einen verständnißvollen
^uck, den indeß das harmlose Tantchen nicht bemerkte.
»Haben Sie Ihren Neffen, Herrn Lieutenant v. Brause,
wkge nicht gesehen?" fragte jetzt das Stiftsfräulein mit
einem Gesicht, dessen Ausdruck dem würdigen Partner be-
euten sollte, daß eine tiefe Diplomatie in der soeben ge-
keilten Frage liege.
»Mein Neffe ist leider in den letzten Tagen durch seinen
dienst so sehr in Anspruch genommen worden, daß er uns

gar nicht besuchen konnte. Er scheint außerordentlich be-
schäftigt zu sein. Ich begreife gar nicht, weshalb die armen
Offiziere so angestrengt werden. Wir haben doch keinen
Krieg in Aussicht, denke ich!"
Das edle Paar wechselte einen neuen Blick, den jeder
Andere mehr als die harmlose Dame, bei der es zu Gaste
war, bemerkt und verstanden hätte.
Der Legationsrath hüstelte vielsagend, und das Stifts-
fräulein lächelte so süß, wie ein Königstiger vor dem ver-
hängnißvollen Sprunge auf das erspähte Opfer.
„Allerdings!" sagte sie dann gedehnt. „Herr Lieute-
nant von Brause scheint sehr in Anspruch genommen zu
sein. Ich sah ihn gestern Abend im Theater in der Loge
des Regimentscommandeurs, wo er mit großem Eifer den
Damen den Hof machte. Auch heut Vormittag traf ich
ihn, als er zu Pferde die Nichte des Obersten begleitete!"
Tante Jaminchen war viel zu harmlos und weltuner-
fahren, um die Bestürzung verbergen zu können, die sie bei
dem Anhören dieser Nachricht befiel. Sie beschränkte sich
darauf, ein nichtssagendes „so! so!" zu erwidern und dann
gedankenvoll still zu schweigen. Das edle Paar tauschte
jedoch noch einen verständnißinnigen Blick und empfahl sich
unmittelbar darauf.
Vor der Hausthür angekommen, machte das Stiftsfräu-
lein seiner sittlichen Entrüstung durch die Worte Luft:
„Es ist ein Skandal! In der That, es ist ein Skan-
dal, daß sich die Alte" — Fräulein von Werkenheim war
zwei Jahre älter als das StiftSfräulcin — „zu solcher
Schändlichkeit hergibt. Wenn es sich um ein anständiges
Verhältniß handelte, wäre doch keine Heimlichkeit noth-

wendig. Aber fortwährend zu thun, als sb man von
nichts wüßte, während heimliche Rendezvous im Hause
stattfindcn, das finde ich stark, ja mehr als stark, das
finde ich unverzeihlich!"
„Hm, hm", entgegnete der Legationsrath, „was wollen
Sie, meine Liebe, Art läßt nicht von Art. Ich erinnere
mich eines Gerüchtes aus früheren Jahren, nach welchem
das werthe Fräulein Benjamine zu gewissen Zeiten heim-
lichen Rendezvous auch nicht abhold war. Allerdings hieß
es später, jenes Gerücht wäre unbegründet gewesen, aber
wer einige diplomatische Anlagen hat, läßt sich nicht täu-
schen. Jung gewohnt, alt gethan!"
„Sie mögen Recht haben, lieber Legationsrath! Aber
ich halte es für meine Pflicht, unsere Bekanntschaft auf
das aufmerksam zu machen, was hier draußen in der Villa
vorgeht. Wir gehören zu einem exclusiven Cirkel und haben
die Verpflichtung, denselben rein zu erhalten."
Es gibt in unserem gesellschaftlichen Leben nichts
Schlimmeres als gehässige Klatscherei, und leider ist dieses
Nebel unglaublich weit verbreitet. Ich fürchte, es gibt
unter den werthen Lesern und Leserinnen nur wenige, deren
Inneres nicht leider einmal bis in seine tiefsten Tiefen
durch Klatschunglück aufgeregt worden ist, und ebenso ge-
nau weiß ich, daß die von diesem Unglück Betroffenen mik
mir der Ansicht sind, daß eine bösartige Nachrede, die wie
ein fürchterliches Gift heimlich die Ehre einer unschuldigen
Person zerfrißt, zehnmal schlimmer ist, als ein räuberischer
Ueberfall, bei welchem der betreffende angreifende Lump
doch noch den Muth haben muß, seine Person und Sicher-
heit in die Schanze zu schlagen. (Forts, folgt.)
 
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