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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0091
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5r. 169.

Zweites Klatt. Samstag, dea 23. Juli

1898.

Unlauterer Wettbewerb.
In unzähligen großen und kleinen Restaurants finden
ßch Aufschriften und Plakate, durch die der Verschank von
"Münchener", „Kulmbacher", „Pilsener" u. s. w. Bier
angekündigt wird. Doch welchen Enttäuschungen sind häufig
diejenigen ausgesetzt, die im Vertrauen auf diese Inschriften
nie Lokale betreten! Statt des einen oder des anderen der
genannten echten Biere wird ihnen ein in der Farbe wohl
ähnliches, in der Qualität jedoch dem angekündigten Ori-
ginal meist sehr unähnliches Erzeugniß vorgesetzt, eine
Imitation, die in irgend einem von München, Kulmbach
oder Pilsen weit entfernten Orte hergestellt ist und unter
°ein Deckmantel des üblichen Preises für das Originalbier
Erkauft wird, um den Schein der Echtheit zu wahren. Es
kann nach den Berl. Pol. Nachr. kein Zweifel darüber
^stehen, daß hier eine an Betrug streifende Täuschung
hes konsumirenden Publikums und eine Schädigung der
berechtigten Brauereien vorliegt. Trotzdem bleibt beides
nraflos, da das gegenwärtige Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb, obwohl es zum Schutz der Industrie und des
Publikums erlassen ist, keine Handhabe zur Bestrafung
aietet. Z 1 Absatz 3, der übrigens erst in der zweiten
Lesung durch den Reichstag eingefügt wurde, besagt nämlich
ausdrücklich, daß die Verwendung von Namen, welche nach
hsw Handelsgebrauch zur Benennung gewisser Maaren
menen, ohne deren Herkunft bezeichnen zu wollen, unter die
^treffende Gesetzesbestimmung nicht fällt. In dem Regie-
rungsentwurf befand sich diese Klausel, wie gesagt, nicht.
3n der Reichstagssitzung vom 6. April 1896 aber, wo die
Sache ausführlich erörtert wurde, bezeichnete der Minister
d- Bötticher die Bestimmung als die nothwendige Konsequenz
eines früher vom Reichstage gefaßten Beschlusses. Wie
zweifelhaft es aber mit der Wirkung derselben bestellt ist,
^igt gerade das Beispiel des Bieres zur Evidenz. Sowohl
»Münchener", „Kulmbacher" als auch „Pilsener" Bier sind
vollauf begründete Herkunftsbezeichnungeu. Verschiedene
Brauereien können bei gleichem Rohmaterial und bei gleicher
Manipulation kein in der Qualität gleiches Bier Herstellen,
weil die örtlichen Verhältnisse, wie Wasser, geologische Be-
Ichaffenheit des Bodens, in welchem die Gährungsräume
und Keller untergebracht sind, eine sehr wesentliche Rolle
Nelen. Solche Faktoren aber sind unübertragbar und
deshalb ist ihre Wirkung anderwärts nicht zu erzielen.
Wenn Brauereien in demselben Orte trotz Befolgung
gleicher Manipulationen ein gleichartiges Bier nicht
zu Stande bringen können, umsoweniger wird das bei
Brauereien der Fall sein, die weit entfernt, in ganz
verschiedenen geologischen Gebieten gelegen sind. Die
Ansicht, daß die Bezeichnungen „Münchener Biere",
»Kulmbacher Biere", „Pilsener Biere", nur als solche des
Typus anzusehen, mithin keine Herkunftsbezeich-
Uungen sind und daher auch für ähnliche anderwärts
Erzeugte Produkte angewandt werden dürfen, ist in diesem
Falle sachlich sicher unhaltbar, und es liegt un-
lauterer Wettbewerb vor. Da der Mißbrauch in dieser
Beziehung täglich wächst und die Sache bei dem Umfang
"Es deutschen Bierkonsums von großer Bedeutung ist,
wird man bei einer späteren Durchsicht des Gesetzes gegen
vEn unlauteren Wettbewerb wohl nicht umhin können,
Mch diese Frage in entsprechende Erwägung zu ziehen.

Deutsches Reich.
Berlin, 22. Juli.
— Andas deutsche Volk ist ein Aufruf ergangen,
Wirch Beitrüge von geeigneten Büchern und Gewährung
von Mitteln zum Ankauf größerer oder kleinerer Bücher-

fammlungen behufs Begründung einer Land esbibliothek
großen Stils in Posen mitzuhelfen, die den Namen
Kaiser Wilhelm-Bibliothek führen und ein
Angelpunkt des geistigen Lebens in den Ostmarken werden
soll. Einem Mitglied des Komitees, Herrn Geheimrath
Professor Dr. Kahl in Berlin, ist nun in dieser Frage
folgender Brief des Altreichskanzlers zugegangen:
FriedrichSruh, den 10. Juli 1898.
Geehrter Herr Geheimer Rath!
Zu meiner Freude höre ich durch Professor Schweninger, daß
Seine Majestät der Kaiser und König die Benennung der in
Posen zu errichtenden Landesbibliothek nach Kaiser Wilhelm I.
huldvoll genehmigt hat.
Ich hoffe, daß der ruhmreiche Name meines alten Herrn dem
patriotischen Unternehmen, dem ich meine wärmsten Sympathien
entgegenbringe, Erfolg und Gedeihen verleihen möge.
Mit ausgezeichneter Hochachtung bin ich
geehrter Herr Geheimer Rath,
Ihr ergebenster
v. Bismarck.
— Die Soldaten-Erkrankungen in Altona
sind, wie die Allg. Fleifcherztg. auf Grund genauer In-
formationen mittheilen kann, durch die Verwendung von
amerikanischem Schweinefleisch hervorgerufen.
Dieses Fleisch ist am vorigen Donnerstag Mittags in der
Kantine der Kaserne des 31. Jufanterie-Regiments (Graf
Bose) zu Fricandellen verarbeitet worden und nach dem
Genuß dieser Fricandellen sind mehr als handel Mann
dieses Regiments, sowie 22 Mann einer wegen Raum-
mangels in derselben Kaserne untergebrachten Kompagnie des
Hanseatischen Infanterie-Regiments Nr. 76 erkrankt — ;
es traten heftiges Erbrechen ein und hochgradige Fieber-
erscheinungen. Die Schuld an dem Vorfall trifft in erster
Linie den Lieferanten Weiß in Altona-Ottensen, der vor
dem Erlaß des Zufuhrverbots ein großes Quantum
amerikanisches Schweinefleisch aufgekauft und im Hamburger
Kühlhause so lange hatte lagern lassen. Dieses Fleisch
war verdorben, aber auch im guten Zustande wäre die
Lieferung dieses Fleisches unstatthaft gewesen, da die
Lieferung amerikanischen Fleisches in dem zwischen der
Garnison-Verwaltung und dem Lieferanten abgeschlossenen
Kontrakte verboten worden ist. Wie es heißt, soll nach
Feststellung dieser Thatsachen der Vertrag mit dem Lie-
feranten sofort aufgehoben worden sein. Nach den kontrakt-
lichen Bestimmungen hatte Weiß Fleisch von Schweinen
zu liefern, die in Hamburg oder Altona geschlachtet worden
sind, und zwar zum Preise von 55 Mark pro Centner.
Dieser Preis ist ziemlich niedrig, in Berlin zahlen die
Garnisonen erheblich mehr — es sollte dieser Vorfall auf's
Neue dazu mahnen, bei Vergebung von Fleischlieferungen
nicht allein das Mindestgebot zu berücksichtigen, sondern
vor Allem darauf zu achten, daß auch Garantien für
Lieferung guten Fleisches gegeben werden. Natürlich
bietet der geringe Preis keine Entschuldigung dafür, daß
der Lieferant kontraktwidrig gehandelt hat. — Glücklicher
Weise haben die Erkrankungen in dem vorliegenden Falle
keine schlimmen Folgen hinterlassen.
— Zum Kapitel „Die Genossen unter sich",
wird in Dortmund jetzt Folgendes bekannt: Kurz vok der
jüngsten Reichstagwahl erhielt der nationalliberale Kan-
didat Direktor Hilbck einen anonymen Brief, worin sein
sozialdemokratischer Gegner Dr. Lütgenau allerlei nichts-
würdiger Dinge bezichtigt wurde. Herr Hilbck übersaudte
den Brief mit Kouvert an Herrn Dr. Lütgenau. Dieser
zeigte das Kouvert seinen Freunden und fragte dieselben
— die im übrigen von diesem Briefe nichts wußten —
wessen Handschrift das sei. Alle nannten übereinstimmend
denselben Namen, nämlich den eines andern hiesigen sozial-
demokratischen Führers, der in einem benachbarten

Wahlkreise als Kandidat aufgestellt war. Darauf fand
eine Sitzung der Vertrauensmänner statt, in welcher jenem
Herrn die Urheberschaft des Briefes aus den Kopf zugesagt
wurde. Der weitere Verlaus der Sache ist nicht bekannt.

Mrrs Stadt und Land.
Karlsruhe, 21. Juli. Unter dem Titel: „Trachom in
Sicht?" bringen die Aerztlichen Mittheilungen aus und für
Baden einen Aufsatz aus der Feder des Karlsruher Augenarztes
Herrn Dr. Geipke, der auch für das nichlfachmännische Publi-
kum von Interesse ist. Unter Trachom versteht man eine an-
stecke nd e A ug en kr an kh ei t, bei der sich graue, halbkugel-
förmige Knoten auf der etwas geschwollenen und gerötheten Binde-
haut ausbilden und natürlich auch viel Schleim abgesondert
wird. Aus diesem Aufsatz erfahren wir, so schreibt die Landes-
zeitung, zum erstenmale, daß in diesem Frühling russisch,
polnische Arbeiterin unserer nächsten Nähe Angeführt worden
sind, denen wir diese hübsche Bescherung verdanken. Im April
wurden durch die Z ucker f a br ik Wa g hä us el auf mehreren
ihrer Hofgüter solche Arbeiter „eingeschmuggelt"; so darf man
wohl sagen, da sie keine Pässe hatten. Im Mai bemerkte der
Fabrikarzt, Herr Dr. Blume in Philippsburg, zuerst die ver-
dächtigen Anzeichen an den Polacken und machte seinen Kollegen
Herrn Dr. Gelpke aufmerksam. Dieser untersuchte am
21. Mai die poln. Arbeiter auf der sog. Rheinschanzinsel.
Unter 30 hatten 9 ganz normale Augen, 21 zeigten Veränderung
der Bindehaut, und von diesen 5 wirkliches Trachom, die
übrigen andere Reizzustände, Schwellungs-Katarrh, Follikular-
Katarrh und gewöhnliche Bindehautentzündung. Auf dem I n-
sultheimer Hof war schon am 14. Mat ein Pole wegen
Trachoms nach Heidelberg verbracht worden. Bei der Unter-
suchung von 46 polnischen Arbeitern durch Herrn Dr. Gelpke
am 26. Mat fand sich ein akutes foudroyantes Trachom vor bei
einer Arbeiterin, ein geringerer Grad von Trachom bei 16 Ar-
beitern, weitere 6 hatten Katarrhe. Die Krankheit wich der sach-
gemäßen Behandlung. Bei den nachtheiligen Folgen, die das
Trachom zu haben pflegt, ist es sehr anzuerkennen, daß der Facharzt
der Angelegenheit die größte Sorgfalt angedethen ließ. Die Ursache
der Krankheit wurde darin gefunden, daß unter den eingeführten
100 Arbeitern einer mit Tracho in behaftet war, von dem es
sich binnen 14 Tagen auf weitere Mitglieder der Gesellschaft
ausdehnte. Dazu gehörte eine Ra s s e nd is p o si t i o u, die bei
den Polen nachweislich für Trachom vorhanden ist. Es ist sehr
auffallend, daß deutsche Arbeiter nicht befallen wurden. Herr
Dr. Gelpke w arnt aber vor der Annahme, daß dies
nicht geschehen könne. Die Disposition kann erworben wer-
den, und zwar läßt sich an den Polen zeigen, daß immer die
befallen wurden, die zuerst einen Schwellungs-Katarrh hatten.
Der Schwellungs-Katarrh, der die Disposition für Trachom ab-
gibt, ist aber in der Rheinniederung zur Sommerszeit auch
bei deutschen Arbeitern häufig; er ist eine endemische Krank-
heit der Gegend. Es wäre daher nicht unmöglich, daß das Tra-
chom unter Umständen, wenn nämlich ein Schwellungs-Katarrh
vorausgeht, sich auch auf die d e utsche Arbeiterb evöl-
kerung verbreiten könnte. Herr Dr. Gelpke schlägt vor,
daß j die polnischen Einwanderer an der Grenze augenärztlich
untersucht und daß alle instcirten zurückgeschickt werden. Eine
generelle Zurückweisung der polnischen Arbeiter wird aus dem
Grunde nicht vorgeschlagen, weil diese Maßregel im Interesse
der Landwirthschaft nicht durchführbar wäre. Wir sind, so bemerkt
die Landesztg., in diesem Punkts anderer Ansicht. Uns steht die
Landwirthschaft außerordentlich hoch, aber nur so lange sie eine
deutsche Landwirthschaft ist. Die Einwanderung von Polen ist
nicht nur eine nationale und soziale Gefahr, droht nicht nur mit
der Einschleppung von Krankheiten, sondern verdirbt uns die
Rasse, setzt eine miuderwerthige Rasse an die Stelle unserer mit
edlen Eigenschaften ausgestatteten deutschen Bevölkerung. Das
wollen wir nicht, und wir dürfen es auch nicht dulden. Es ist
eine schwere Verantwortung, die sich die Direktion der Zucker-
fabrik Waghäusel aufgeladen hat, und wir sind begierig, ihre
Vertheidigung zu vernehmen. Wir hoffen, sie wird wenigstens
mildernde Umstände geltend machen können und das Versprechen
abgeben, keine polnischen Arbeiter mehr einzuführen.
Für die Redaction verantwortlich: F. Montua in Heidelberg""
Hierzu Heidelberger Familien blätter Nr. 58.
Inhalt: Der Pflanzer von Pernambuco. Eine Seegeschichte
von Friedrich Meister. (Fortsetzung.) — Das Siegel am Spiegel.
Eine Humoreske von Paul Miß. — Merkwürdige Mittel gegen
Seekrankheit. — Vermischtes. — Die Zeitrechnung in der Schlaf-
siube. (Gedicht.)

11)

Sklaverei der Schönheit.
Novelle von M. Zmmisch.
(Fortsetzung.)
Ihre, ihm ganz neue Demuth und Bescheidenheit rührte
Md entzückte ihn, und trotzdem er schon öfters an der Liebe
jZvner Frauen genascht, machte er doch zum ersten Male die
Wahrnehmung, daß die demüthige Unterordnung, die mit
"Er wahren Liebe unzertrennlich ist, eine Frau tausend Mal
uebreizender macht, als es die raffinirteste Koketterie
vermöchte.
, Gr sprach ihr zärtlich und liebevoll zu, er küßte die
"üben Ahnungen von ihren schwellenden, lockenden Lippen,
fV bewies ihr überzeugungsvoll, daß das Glück dicht bei
'Nen saß, daß es ihre Pflicht war, es festzuhalten und es
VEHt durch thörichte Grillen zu verscheuchen; und sie war
em Weib, ein ganzes, echtes Weib, und ließ sich nur zu gern
-Men und überzeugen, und als sie nach einer schnell ver-
noffenen Stunde der Villa zuschritten, da strahlten ihre
^ZEn^ wieder in dem vollen Glanze eines tief empfundenen
« Diese Nachricht rief auf zwei Meilen im Umkreise eine
mrmfluth mehr oder weniger freundlich-kritischer Be-
merkungen hervor.
. Natürlich hatte es sich ja Voraussehen lassen. Er hatte
(u Ie>n Pferd beinahe lahm geritten, um nach den Dienst-
hunden so schnell als möglich die Villa zu erreichen. Ein
-Teufelskerl, den das Glück geradezu verfolgte!
.. Die Herren beneideten ihn unisono, die Damen
Miene " Näschen und machten eine verächtlich spöttische
m Frau von Senten sich etwa einbildete, daß sie um
'vser selbst willen so begehrt wurde? Lächerlich! Aber ein-
genug wäre sie dazu. Natürlich, wer in einem gol-
oenen Rahmen sitzt, der kann immer darauf rechnen, bevor-
zugt zu werden.

So und ähnlich lauteten die liebevollen Worte, die über
das Eceigniß ausgelauscht wurden. Alle aber beeilten sich,
dem glücklichen Paare die herzlichsten Glückwünsche abzu-
statten. Die Besuche der entzückten und begeisterten Freunde
nahmen kein Ende und namentlich die Herren und Damen
des Regiments überboten sich an Aufmerksamkeiten für ihre
zukünftige Kommandeuse.
In Erwiderung der zahllosen Liebenswürdigkeiten gab
Frau von Senten ein großes Fest, zu dem Alles geladen war,
was Anspruch auf Stellung und Rücksicht hatte. Es war ein
sehr kühler Julianfang, und so konnte zum Schluß des Festes
ein Ball auf das Programm kommen, eine Aussicht, die
Käthe in Entzücken versetzte.
Sie hatte zwar das ballfähige Alter noch nicht erreicht,
aber in Anbetracht der besonderen Umstände wurde ihr die
Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches, zum ersten Mal als
„erwachsene Dame" Gesellschaft und Ball mitzumachen,
zugesagt.
Käthe schwamm in einem Meer seliger Erwartung.
Schon zwei Tage zuvor war ihre Tanzkarte, ein allerlieb-
stes Täfelchen mit geschnitzten Elfenbeinzierathen, ein Ge-
schenk des Obersten, vollständig besetzt, und triumphircnd
zeigte sie es Fritz Delling, der mißmuthig den Kopf über
ihren kindischen Jubel schüttelte.
Die siegesfrohe, kampfeslustige Stimmung, die ihn an dem
Morgen, wo er sie zuerst gesehen, überkommen, war längst
wieder verflogen und Zweifel, Muthlosigkeit und herbe
Seelenkämpfe erfaßten ihn sehr oft.
Nachdenklich, mit einem nur halb unterdrückten Seufzer,
betrachtete er sie. Ja, sie war ein süßes, wonniges Geschöpf,
aber zum ersten Male empfand er, daß man sich selbst an die
höchste Vollendung der Schönheit gewöhnen kann und daß,
wenn dieser Zeitpunkt eingetreten, man nach tieferen, seelischen
Reizen zu forschen beginnt.
Er wußte noch nicht, daß einem reifen Manne auch das
schönste Antlitz gleichgültig zu werden vermag, wenn es nicht
belebt wird von jenen undefinirbaren Eigenschaften, die selbst

ein häßliches Gesicht anzieheno zu machen vermögen. Von
einem fünfzehnjährigen Kinde sind ja solche Eigenschaften
nicht zu verlangen, wenn sie aber naturgemäß erst später, mit
der reicheren Lebenserfahrung, kommen, wo bleibt dann
wieder der Duft der unberührten Jugend? Die Fanatiker
behaupten: „das Weib hat nur die eine Aufgabe, schön zu.
sein und durch ihre Schönheit den Mann zu erquicken und
zu erfrischen. Dies ist, neben der Mutterschaft, der alleinige
Zweck ihres Daseins. Geist und Intelligenz sind über-
flüssiger Ballast, je inhalts- und wesenloser ihre ganzen
Interessen, um so besser und entzückender ist es für den
Mann."
Sehr hübsch in der Theorie, aber in der Praxis hat es
seine Schattenseiten. Auch Fritz Delling empfand dies, ob-
- schon er sich nicht klar darüber war.
Verdrießlich und mißmuthig schlenderte er auf sein
Atelier zu und vertiefte sich in den Anblick des angefangenen
Bildes. Frau von Sentens Figur war nur in ihren Um-
rissen erkenntlich, während Käthes süßes Antlitz ihm neckisch
entgegenlachte. Es gefiel ihm heute nicht so, wie sonst, ja
er fand es geradezu unähnlich. An was lag es? War es
sein altes Mißgeschick, das im Geiste erscheinende Ideal nie
zu erreichen, oder war es etwas Anderes? Es kam ihm vor,
als redeten die Augen auf der Leinwand eine Sprache, von
der das Original keine Ahnung hatte, als habe er Empfin-
dungen in dieses Antlitz gezaubert, die der Wirklichkeit in
keiner Weise entsprachen.
Finster und unschlüssig, überdrüssig der Arbeit und des
ganzen Lebens, warf er sich in einen Sessel und brütete
finster vor sich hin. Vielleicht war es das in der Luft
schwebende Gewitter, was seine Nerven überreizte. Der Him-
mel Halle sich umzogen und grau und trübe hingen die Wolken
über der Parklichtung. Ein unheimliches Pfeifen zog manch-
mal durch die hohen, alten Bäume und dann und wann tönte
ein fernes Donnergrollen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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