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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
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Zweites Blatt

210.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen.
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42. deutscher Genossenschaftstag.
ui.
Baden, 6. Sept. Der heutigen, zweiten Verhandlung
wohnte im Auftrag des preußischen Handelsministeriums Ne-
Mernngsassessor v. Bartsch bei. Die Tagesordnung führt
Sur Beratung einer Anzahl Anträge der Anwaltschaft, die
angenommen wurden.
. In der Nachmittagssitznng wurde hauptsächlich über dicKou-
lumvereiue beraten. Acht Leitsätze waren von der Anwalt-
schaft vorgeschlagen. Der erste lautet:
1. Der Konsumverein als eine Genossenschaft von nicht
geschlossener Mitgliedcrzahl gehört zu den Personalgesell-
Ichaften. Seine Aufgabe liegt ans dem wirtschaftlichen Ge-
biet; er verschafft den minderbegüterte» Klassen die Vorteile
des Wareneinkaufs im Großen, und kann, wenn die Grund-
lagen dafür gegeben sind, mit Hilfe der eigenen Produktion
die Wirtschaftsbedürfnisse der Mitglieder befriedigen; das
Hineinziehen einer weiteren, mit diesen Aufgaben nicht un-
mittelbar zusammenhängenden wirtschaftlichen Thätigkeit in
den Geschäftsbetrieb der Konsumvereine ist zu widerraten.
Die Verfolgung politischer Zwecke — un-
mittelbar oder mittelbar — und die Unter-
stützung von Klassen- und Standesorgaui-
sationen steht im Widerspruch mit den Auf-
gaben des Konsumvereins.
Reichstagsabgcordneter v. Elm bekämpft in scharfer Weise
den Schlußsatz der These 1 und beantragt dessen Streichung-
Nach langer Debatte und nachdem der Anwalt die Worte
-.Politische Zwecke" in „parteipolitische Zwecke" abgeändert,
werden dieselben angenommen.
Verbandsdirektor Oppermann-Magdeburg erstattete sodann
den Bericht der Kommission betreffend die eigene Produktion
bei den K onsnmvereinc n. Die Kommission beantragt
folgende Thesen:
Der allgemeine Gcnossenschaftstag empfiehlt den Kon-
sumvereinen als vorbereitenden Schritt zum Uebergang von
Prodnktivgenossenschaften:
a. Die weitere kräftige Ausgestaltung der bereits be-
stehenden Einkaufsvereinignngen unter Leitung besonderer"
Vorstände.
l>. Die Errichtung weiterer Einkaufsvcrcnnguugen in
ollen Bezirken Deutschlands.
c. Zusammenschluß der Konsumvereine und regelmäßiger
Besuch der in bestimmten Zeiträumen abzuhaltendcn Einkanfs-
t»ge. ^
ck. Zusammenabschluß der Käufe aller bedeutende:: Ar-
tikel möglichst von einem Lieferanten.
e. Diejenigen, welche bereits Produktion in ihren Verei-
nen pflegen, sollen die Nachbarvereine nuffordern, ihre Be-
dürfnisse bei ihnen einzukaufcn. .
k. Es soll mit Produktion solcher Artikel begonnen werden,
in denen die Vereine selbst einen großen Absatz haben. Vor
allem aber sei darauf zu achten, daß das nötigste Betriebs-
kapital vorhanden sei.
Diese Thesen werden nach kurzer Debatte angenommen,
abgelehnt wird mit kleiner Majorität folgender Antrag v.
Elm-Hamburg:
„Zur Förderung des gemeinsamen Warenbezuges und zur
Tchaffnng einer sicheren Grundlage der eigenen Produktion
empfiehlt sich der Anschluß an die Groheinkaufgenossenschaft
deutscher Konsumvereine in Hamburg."
Es wird sodann die Sitzung nach 8 Uhr geschlossen.
, Baden, 0. Sept. In der heutigen Sitzung unter
dem Vorsitz des Direktors Klinkert - Breslau leitete Ver-
bandsdirektor Thorwart-Frankfurt die Besprechung über die
Höhe der bereiten Mittel der Kreditgenossenschaften, ver-
bliche» mit den Verbindlichkeiten derselben. Der Referent
wie die größere Zahl der Redner spricht sich dahin aus, daß
diejenigen Kreditgenossenschaften, welche den Passivkrcdit pfle-
lleu, eine möglichst große Summe vou Aktiva zu unterhalten
haben. Eine bestimmte Resolution, wie die Mittel am besten
liquid zu erhalten seien, sei bei der Verschiedenheit der Kredit-

Jhr Glück.
3) Skizze von V. Rittweycr.
(Fortsetzung.)
. Die Verwachsene hat einen Rechen, eine kleine Harke und
ftu Gicßkännchen neben sich. Der kleine Platz, an dem sie
steht, ist nicht erhöht, wie die anderen Gräber, sondern gleicht
hinein flachen Beet und ist mit einem wahren Flor blühender
--oinmerpflanzen bewachsen. Da die Hügel ringsum durch-
weg nur mit Rasen bedeckt sind, fällt der bunte Fleck doppelt
w'f. Eine rohgezimmerte Bank ladet zum Sitzen ein, und
fsten „immt die Einsame, nachdem sie die Erde von ihren
Händen an ihrer Schürze abgestrcift hat, mühsam Platz. Dann
Men sich ihre Hände und sie schaut so recht befriedigt auf
Me Blütenpracht. Sonderbari Ist es die Einsamkeit, die Frau
^"eie dazu treibt, oder Mitleid mit der jammervollen Gestalt
st" cs lockt sie, mit ihr zu sprechen. So tritt sie näher und
Betet der Verwachsenen einen Gutenabcud. Freundlich erwi-
rkt die den Gruß und will aufstehen. Doch die junge Frau
Bist es nicht zu, sondern bittet, neben ihr niedersitzen zu
wwfen. Es ist Raum für zwei auf dem Bänkchen.
Nu» fühlt Lucie die Verpflichtung, etwas zu sagen, und
'w beginnt: „Haben Sie hier einen lieben Menschen be-
gaben, dessen Ruhestätte Sie so freundlich schmücken? Aber
^ steht eigentlich nicht aus wie ein Grab —"
Leichte' Verlegenheit malt sich in den Zügen der Ver-
^chseueu und sie beginnt in leisem Ton, erst nach und nach
'cherer werdend, zu sprechen: „Nein, gnädige Frau —" sie
L'ß also, wen sie vor sich hat, denkt Frau Lucie — kein
Zunder in solchem kleinen Nest, — „nein, gnädige Frau, es
c, "och niemand hier begraben, es ist nur — mein eigenes
^ab. Das scheint Ihnen Wohl seltsam, aber es ist so. Und
^ hab's gar lieb, mein Grab. Es ist mein einziges Glück.
>m,en Ne, ich bin niemals gewesen wie andere, niemals
U^rade, gesund, kräftig. Immer arm, verlassen, ein elend Ge-

genossenschaften nicht zu fasse». Verbandsrevisor Seibert-
Wiesbaden begründet folgenden Antrag der Anwaltschaft:
„Der Genossenschaftstag erklärt die Führung einer Be-
lastungsliste für Kreditgewährung aller Art für notwendig
und eine sorgfältige Prüfung derselben durch den Aufsichts-
rat für eine Pflicht desselben."
Der Antrag wird nach kurzer Debatte, in welcher die Nütz-
lichkeit solcher Listen anerkannt wird, angenommen.
Es folgt die Beratung des nachstehenden Antrages der Ge-
nossenschaftsbank „Moabit" in Berlin:
„Der Allgemeine Geuosseuschaftstag empfiehlt den bank-
mäßig entwickelten Kreditgenossenschaften: als neuen Ge-
schäftszweig die Hergabe ihres Accepts zum Zwecke der Be-
stellung von Liefcruugskautillueii für ihre Mitglieder auszu-
nehiuen. Es ist hierbei jedoch ein angemessener Höchstbetraq
einzuhnlteu und ferner zu fordern:
1. daß für die Verbindlichkeit der Genossenschaft eine
gleiche Sicherheit seitens des Genossen gestellt wird, wie sie
bei jeder anderen Art vou Kreditgewährung notwendig und
üblich ist,
2. daß die Acceptverbindlichkeit nur solchen Personen ge-
genüber eiugegangen wird, die nach ihrer geschäftlicheil Grund-
lage, wie nach ihrer gelverblichen Leistungsfähigkeit ver-
trauenswürdig erscheinen,
3. daß Vorkehrungen zur Verhütung einer mißbräuch-
lichen Verwendung des Acceptcs getroffen werden,
4. daß eine besondere und regelmäßig zu kontrollierende
Liste der zu Kautiouszweckeu gegebenen Äccepte geführt wird."

Aus Stadt und Land.
** Die Vorzüge der Eisenbahngüterbcstättereien. Die
„Karlsr. Ztg." schreibt: Die Schwierigkeiten in der Abwicke-
lung des außerordentlich' starkeil Stückgutverkehrs
auf den Staatseisenbahneu während des vergangenen Herb-
stes sind teilweise darauf zurückzuführen, daß die auf den
wichtigeren Güterstatiouen bestehende Einrichtung der amtli-
chen E i s e n b a h n g ü t e r b e st ä t t e r e i e n von dem
Publikum vielfach nicht in ausreichendem Maße
gekannt und benützt wird. Gegenüber der Benützung
privater Fuhrwerke zur Zu- und Abfuhr der Stückgüter nach
und von den Güterhalleu gewähren die amtlichen Güterbestät-
tereien folgende Vorteile:
1. Die abzusendenden Stückgüter können mündlich oder
schriftlich oder mittelst gedruckter Aumeldekarteu, die an den
Schaltern oder besonderen Anmeldestellen unentgeltlich be-
zogen und in jeden Postbriefkästen unfrankiert eingelegt wer-
den können, der Bestätterei augemcldet werden. Die Güter
werden daraufhin in der Wohnung oder den Geschäftsräumen
der Absender durch die Bestätterei abgeholt und an den Bahn-
hof verbracht.
2. Die angekommenen Stückgüter werden den Empfän-
gern, ohne daß es einer vorherigen Benachrichtignng und Em-
pfangsbescheinigung bedarf, durch die Bestätterei in die Woh-
nung oder die Geschäftsräume zugeführt. Hierbei werden
Güter, deren Annahme seitens des Empfängers verweigert
wird, voll der Eisenbahnverwaltung zurückgenommen und dem
Absender zur Verfügung gestellt. Eine solche Zurücknahme ist
bei den au den Privatbestätter ansgclieferten Gütern unzu-
lässig.
3. Die Abholung und Zustellung der Stückgüter geschieht
innerhalb bestimmter, kurz bemessener Fristen. Hierdurch
ist es möglich, die Abholung und Auflieferung der abgehendcn
Güter dem Verladcgeschäft in den Güterhallcn und dem Fahr-
plan der Güterzügc anzupassen, andererseits die Abgabe und
Abfuhr der angekommenen Güter behufs rascher Räumung
der Güterhalle zu beschleunigen.
4. Die Bezahlung der Frachten geschieht in der Wohnung
oder in den Geschäftsräumen des Absenders oder des Em-
pfängers. Für die Abholung und Zuführung der Stückgüter
dürfen nur die von der Eisenbahnverivaltung festgesetzten
Gebühren erhoben werden. Die für Versandtgüter zu er-
hebenden Bestättereigebührcn werden, falls sie der Absender

nicht bezahlen will, seitens der Eiseubahnverwaltung als
provisiousfreie Nachnahme berechnet, während für die voll
Privatuliternehiiierii uachgenommenen Fuhrlöhuc und dcrgl.
Provision bezahlt werden muß.
Die Unternehmer und das Hilfspersonal der amtlichen
Guterbe,tattereien gelten gegenüber dem Publikum als Leute
cer Eisenbahn. Demaemäß UcN die Eisenbahnverivaltung

?eMmmung,en der Eisenbahnverkehrsordmmg' die
Haftpflicht ber Beschädigungen, Verlusten und Lieferfristüber-
schreitungen, die sich infolge der Beförderung der Güter durch
die amtlichen Gütcrbestättcreien ergeben.
Die amtlicheil Eiseubahugüterbestüttereien erleichtern hier-
nach der Eisenbahnverivaltung die Abwickelung des Stück-
gutverkehrs und bieten andererseits dem Publikum erhebliche
Vorteile.
D Striifkammersttzung vom 6. Sept. Vorsitzender: Land-
gerichtsprasident S eh e m b e r. Vertreter der Großh. Staats-
anwaltschaft: Refercudär Jung.
1. Jiifolge unvorsichtigen Fahrens überfuhr der hier be-
dien,tete Lohnkutscher Ludwig Klopfer vou Escheurud
(Württemberg) im Juli d. I. an der Ecke der Sophien- und
Plöckstraße einen italienischen Arbeiter, wobei derselbe einige
geringe Verletzungen erlitt. Die Rücksichtslosigkeit mancher
Kiltscher in einem solchen Fall einfach davonzufahren, ohne sich
darum zu kümmern, was sie augestellt haben, beging auch der
Angeklagte. In Berücksichtigung dieses Umstandes erhält er
für seine Achtlosigkeit eine Gefängnisstrafe von 2 Wochen.
2- Am Abend des 16. Juni führten sich zwei von einem
Ausflüge zurückkehreude Mannheimer Friseurgehilfen auf dem
Perron des Schlierbacher Bahnhofs ungebührlich auf. Stativ,is-
arbeiter Philipp Kirschenlohr geriet mit denselben, als
er sie zur Ruhe verwies, in Streit und überschritt hierbei
seine Befugnisse dadurch, daß er einem der Friseure mehr-
mals mit einem Stock Schlüge versetzte. Wegen im Amte
begangener Körperverletzung wird er zu 20 Mk. Geldstrafe
verurteilt.
3. Landwirt Joh. Phil. Herbold in Dilsberg erhielt
wegen seines Hundes (schottischer Schäferhund), der ohne
Maulkorb betroffen worden war und Jemand gebissen hatte,
einen Strafbefehl von 2 Mk., der vom Schöffengericht be-
stätigt wurde. Auf seine Berufung wird das Urteil aufge-
hoben und die Sache an das Schöffengericht zurückverwiese»,
das vor allem festzustellen habe» wird, ob der fragliche Hund
zu einer von den Rassen gehört, die dem Maülkorbzwang un-
terliege».
4. Bierbrauer Gustav M ü ller von Bochum stahl gemein-
chaftlich mit einem anderen Burschen, der inzwischen flüchtig
wurde, aus der Wohnung des Dienstherr» des letzteren, in
die sie mittelst Einsteigens gelangt waren, 70—80 Mark bares
Geld, eine silberne Zylindernhr und einen Anzug. Das Ur-
teil gegen Müller lautet auf 6 Monate Gefängnis.
5. Zementarbeiter Hugo Bartsch aus Berlin wird wegen
eines in Nußloch begangenen Diebstahls eines Geldbeutels
mit geringem Inhalt und eines Hemdes und wegen unbe-
rechtigten Nächtigens in einem Schuppen, in den er sich ein-
geschlichen hatte, mit 7 Monaten und 3 Tagen Gefängnis be-
straft.
Mannheim, 6. Sept. (Vom Hoftheater.) Einen
außerordentlichen Zuschuß von 157 000 Mark, gegen
164 000 Mark im Vorjahr, erfordert das vom Intendanten
aufgestellte Hoftheaterbudgct 1001—1902. Hierin ist jedoch
der etwaige Einnahme-Ausfall, welcher durch den späteren
Anfang der Vorstellungen entsteht, nicht mit inbegriffen. We-
gen Deckung dieses Einnahme-Ausfalles soll seinerzeit eine be-
sondere Vorlage an den Bürgerausschuß gemacht werden. Das
abgelaufene Theaterjahr hat den bewilligten außerordentlichen
Zuschuß vou 154 000 Mark vollständig aufgezehrt, während
in den vorhergegangencn Jahren ein auf mehrere Tausend
Mark sich belaufender Uebcrschuß vorhanden war. Die gänz-
liche Aufzehrung des Zuschusses soll eine Folge der Kohlen-
verteuerung und der Mehrausgaben für elektrisches Licht sein.
Die Vorstellungen beginnen am Samstag den 28. September.

schöpf, wie Sie mich da sehe». Und ich Hab' niemals etwas
mein eigen genannt, ich habe niemals etwas gehabt, worauf
ich hätte Anspruch machen dürfen, kein Eigentum, nichts. Vou
meiner Geburt an mußt' ich vou der Stadt erhalten werden.
Denn meiner Mutter kostete ich das Leben, mein Vater war
schon ein paar Monate vorher gestorben. Ich kam in
Pflege, von einem Haus ins andere. Niemand wollte das
kränkliche Würmchen lange behalten. Manchmal meinteu's
die Pfleger gul mit mir, mauchmal schlecht, je nachdem. Ich
tonnte, auch als ich herauwuchs, nicht viel leisten, allenfalls
ein kleines Kind beaufsichtigen, bei einem armen Kranken
sitzen, wenn er sich nicht vor meiner traurigen Gestalt scheute,
etwas Flicken und Stricken; keinerlei harte Arbeit könnt' ich
vollbringen. Da bin ich immer auf der Wanderschaft vou
einem Haus ins andere. Allein kann ich ja nicht bleiben.
Ich Hab' ja nichts, nicht Tisch, noch Stuhl, noch Bett. Was
ich verdiene, reicht ja nicht einmal aus zum Essen und Trinken
und zur Kleidung. Die Stadt mutz noch zugebeu. Das hat
mir immer so Weh gethan, lange Jahre, und ich war so un-
glücklich. Da — aber, gnädige Frau werden nicht Zeit haben,
mein einfältiges Geschwätz anzuhören, entschuldigen gnädige
Frau —"
„Ich bitte Sie herzlich, erzählen Sie mir weiter, ich höre
gern znl" erwiderte Lucie eifrig, und die Bucklige fuhr fort:
„Es ist nun drei Jahre her, da war ich mal im Wald, Lese-
holz sammeln, und da traf ich ein kleines Mädchen, reicher
Leute Kind. Es hatte sich beim Blumensuchen verlaufen
und ich nahm's mit heim. Die Mutter, die sich schon schwer
geänqstigt hatte, gab mir aus Dankbarkeit drei Thaler. Und
ich, ich kaufte mir'dafür den Platz hier auf dem Friedhof. Die
Leute lackten mich alle aus, nur der Herr Pastor nicht, —
der ist gar gut. lind es war ja mein Geld, mein selbst ver-
dientes. Und es langte gerade zu dem Platz. Ich hatte
mir's immer schon so gewünscht, aber niemals hatte ich die
Möglichkeit gesehen, cs zu erreichen. Seitdem bin ich ganz
glücklich. Ich habe doch nun etwas, ivas mein Eigentum ist,
was mir niemand nehmen kann. Den» cs liegt verbrieft und

versiegelt auf dem Rathaus, daß dieses das gekaufte Grab der
Jungfrau Barbara Lompclius ist. Sie glauben nicht, wie
glücklich ich darüber bin, gnädige Frau! Das ganze Jahr
über Hab' ich etwas, worauf ich mich freuen kann. Sehen Sie
nur, die bunten Blumen. Und sie kosten garnichts. Nur
ein bischen Mühe. Der Totengräber schenkt mir im Frühling
eine Handvoll Pflanzen.und ich pfleg' sie so gern. Ich kaun's
ganz gut, wenn mir auch die Brust und der Rücken allemal
nachher etwas Weh thun. Der gute Mann hat mir ja die
Bank gezimmert, damit ich mich schön ausruhen kann. Es
gibt eben überall auch gute Menschen. Eh' ich am Sonntag
in die Kirche geh', hol' ich mir allemal erst ein paar Blumen
von meinem Grab. Und im Herbst, wenn sie verblüht sind,
dann gibt mir der Totengräber ein paar Tannenäste und dann
deck' i'ch's schön zu und cs ist auch wieder hübsch. Und im
März, da blühen außen herum in jedem Jahr die Schnee-
glöckchen. Die komme» immer wieder und verlangen keine
Pflege. Das ist eine Freude. Ja, ich hab's sehr tteb, men.
Grab. Doch nicht deshalb am meisten, nicht wegen der Blu-
men. Sehen Sie, gnädige Frau, wen» mau sein ganzes Le-
ben laug kein Plätzchen hat, auf das man ein Anrecht hat,
keine Heimat, wie andere Menschen, dann thut's einem gar
wohl, zu wissen, man hat doch im Tod eines. Freilich, sie
sagen, die Leute, ein Grab hätt' sie doch kriegen müssen, die
Barbara, aber dies hier ist ein gekauftes Grab. Das bleibt
für allezeit mein Grab und darf nicht wieder benutzt werden,
das ist verbrieft und versiegelt auf dem Rathaus. Und mir
ist's niemals so Wohl, als wenn ich hier bin und an die Zeit
denk', wo ich erst hier ausruhen darf, wo mein armer Lew
begraben sein wird. Vielleicht bin ich einmal im Zeusens
nicht »och so — so — vielleicht bin ich daun auch wie — die
ander» — die Seele» sind gewiß einander gleich. — Und
über all' das kann ich hier so gut Nachdenken, hier, an meinem
Grab. Es ist mein ganzes Glück."
(Schluß folgt.)
 
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