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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1902 - 31. Januar 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0156
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. Freitag, 24. Jaiurar 1902.

Zweites Blsrtt

44. Jahrgang — i». 20.


B

Ilkcis^


n

cheint täglich, Somitags ausgeiwmmen.

Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus aebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Znstellgebühr.

^eigeupreis: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- nud Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
^Keschriebenen Tagen wird keine Perantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Kie amerikanische Macht des Kaisers.

Dch „eue A a ch t K a N er Wilyel m s, die auf
Werft der Downey Lhipbuildiug Company zu
^ilsend gebaut wird, und dort unter deiu stiameu
II Z>'- 24" bekannt ist, wird daS großte Fahrzeug ihres
ic m-i!? werüen. Sie wird eines der lururiösesten Schiffe
oge»

a^aiten, die nach den Augabeu seiner Majestät selbst
' eWb'llt sind. Kurz nach dem Stapellauf wird die
uftUi.il den deutschen Marineoffizieren übergeben werden,
- . iie n,iw Dantirliinnd bringen sotlen. Die Polsterung

chiffes soll in Europa geschehen,

die jemals gebaut wurden unü vicle Einrichtungen

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^e>citz es als Ijacht rein amerit'anisch, als schwimmen-
^ Palast dagegen deutschen llrsprunges !st. Die Ge-
^ stkosten deS SchifseS werden sich aus 175 000 Dollar
1eN. Die Länge der Aacht beträgt im ganzen 160
ij st^au der Wasserliuie 120 Fuß, die Breite 27 Fuß,
> <iefe 18 Fuß 8 Zoll, und der Tiefgang l5 Fuß.
ij7 Maste, die aus Oregou-Kieser hergestellt siud, habeu
Höhe von 105 Fuß, uud die längste «egelstauge
hbt 85 Fuß. DaS Verdeck mird aus Teakholz, die
^z'gspills und Wiiiden aus Bronze, uud das Jnuere
^ verschiedenen sorteu Harthplz hergestellt werden.
sw Äacht wurde von den Herren Cary Sniith und
entworfen, und der 5laiser ließ den genanuten
ImZen ymi Dr. Holleben zahlreiche Vorschläge übermib
di.,' Ter Konstruktor Ferris hat dem Bau der Bachi

jj Zeit gewidmet, und der deutsche M'arineattache hat
A'erft häusig besucht.

das Jnuere des Schisses anbetrifft, so ist in er-
jZ Liuie der 20 zu 27 Fuß messende Salou zu erwähnen,
"i der Mitte deS F-ahrzeugs liegt. Nn den Wändeu
sj^ Salons lausen breite Polstersitze, nnd iu der Mitte
^ ein Eßtisch für 24 Persoueu. Ferner enthält der
einen Kumin, ein Klavier, Notenregale und
jHw'ejbtische. Hinter dem Salon befindet sich die Ka-
E' des Knüsers, in der sich eine Messingbettstelle, ein
s^wei-schrank und eiu «chreibtisch befiuden. Hinter die-
tz ^iaiüte ist eiu Badczimmer eingerichtet, in dem die
j^N'wanne unter den Bodeu versenkt werden kanu. So-
tz?' folgt die Kajüte des Kanimerdicners Seiner NNaje-
nt,Istt Kleiderschränkeu für deS Kaisers Garderobe.
n, Niose Kajüten liegen auf der Steuerbordseite der
Ztreß'"; lw'it und nehnien zwei Trittel des Raumes ein. Der
^"ere Teil aii der Backbordseite ist in drei Kajüten
ijjl Gäste eingerichtet. Hinter allen diesen Räumen
^^t Vorhalle zu einer Treppe nach einer Stahl-
IjAkabine, die mit Teakholz bekleidet ist. Darunter
die Kasten sür Karten, Navigationsinstrumente nnd
POeng angebracht. Vor dem Solon besindet sich die
kj^ie für den Kaiser, und vor diesec die Mannschasts-
stNdiise. Neben den Kombüsen liegen die Knjüten
die iL-chiffsosfizierc, und das Mannschaftslogis, sowie
Ijl Porratsräume. Alle größeren Kabinen haben Ober-
und Pilzvcntilatoren sind häufig angebracht.

^ Das Holzwerk in der Kaüine des Kaisers wird aus
>hAagoni bestehen nnd in Elfenbein und Gold gemalt
^Z'ku, wobei ein schmaler streifen der Natursarbe
^.Holzes sichtbar bleibeu wird. An Deck werden sich
Barkassen und vier Rettungsboote befinden. Die
^>t wird im nächsten Sommer fertig gestellt sein.


Staalsamvatt und Zweikampfi

Iingesichts der Erregung, welche der jüngste Zwei-
kamps in «pringe abermals in die Reihen der Duellgeg-
ncr getragen hat. ist eine Rede geeignet, Oel ins Feuer
zu gießen, welche angeblich StaatSanwaltschaftsrat Cuny
anläßlich ds Kommerses der alten Burschenschaster am
Samstag im ^trollschen Saale gehalten hat. Einem Be-
richt der „N'ationalzeituug" zusolgte sagte Staatsanwalt-
schaftsrat Cuny unter auderem:

Und die alien geinde der Burschenschast sind auch die Fcinde
des ritterlichen Zweikampfes; wir halten fest an der alten deutschen
Sittc unsercr Altvordcru. die idre Lust hatlen am Waffcnspiel,
wir wollen den Schläger nicht tragen nur zum Commers oder
gar zu Prozessionen, wir wollen ihn schwmgen in srohlichem
Kanipfe. Und wenn wir avch dafür sorqen wollen, daß kein
Mißbrauch gsschieh: und daß in immer zeh'rcicheren Fällen nicht
zur Pistole, sondern zum llanken L-äbel gegrlffen wird, so wollen
wir uns doch auch hrute dazu bekennen, daß es viele Ehrenhäntel
gibk, die gar keine andere Lösnng zulassen. ais deu Gang mil den
Wasfeii. Und darum lassen Sie die il'lMste wckt g^ch Sturm
laufen gegen die Mensnr. wir hrlteu f-t an ih', als cinem
Erziihungsmiitel sondergleichen. Mit einem Hoch auf den Kaiser,
der üoer die Mensur ebenso denke, wie die Burschenschafter, und
auf das kaiseriiche Haus, schloß der Redner unter jnbelndem
Beifall

Diese Rede atmet in jedem Worte studentischen Geist,
nnd man wird es,einem alten Herrn nicht verdenken
können, Ivenn er im Kreise seiner Verbindnng dem Geiste
Worte verlZht, der die Seele der Bnrschenschaft ist. An-
dererseiis aber war es, wie die „Straßburger Post" her-
vorhebt, weder ein Akt der Notwendigkeit nnd auch nicht
einmal der Klngheit, daß gerade ein Staatsanwalt sich
mit seiner Eigenschast als Hüter der (Zesetze in Kynflikt
bringt, indem er den Zweikampf verherrlicht in einer
öfsentlichen Versammlung. Hätke man den Wnnsch nicht
nnterdrücken können, knrz nach den jüngsten bedauerns-
werten Vorfällen. den Zweikamps zu Preiscn, so hätte
sich dafür wohl ein geeigneterer Redner finden lassen kön-
nen. „Es darf erivartet werden", sagt die „Icational-
zeitnng", „daß eine Feststellnng nnd wenn der Bcricht
'.utrefsend ist, oie entsprechende amtliche Maßnahme er-
folgt."

Ausland.

Amerika.

Neivyork, 22. Ian. Das Reutersche Bureau meldet aus
Panama: Die gestrige Niederlage der Regie-
r u n g ist dcm Austausch von Gefangeneu zuzuschreiben, da
eiuige freigelassene Gefangene deu Ailfständischcn Mltteilungcn
über die Absichten der Regicrung machten. Das Schiff der Auf-
stüudischcn, „Padilla", wclchcs weiß angeskricheii war, um
die Osfiziere der Regierungstruppen zu tänschen, gelangte uii-
erkamit bis ungefähr 300 Meter au das Schiff der Regierungs-
partei, Lautaro" und begann zu schietzen. „Lautaro" konnte
der Stellung wegen sich der zwei vorn befiudlicheu Kanonen
nicht bediencn und feuerte mit einer kleinen Achterkanone.
Ein Kanonier wnrde getötet. Die aufständische Mannschaft
verweigerte deu Gehorsam. Der frühere Gouverneur Alban
erschotz den auf Deck dcs „Lautaro" stehendeu Gencral Garcia,
der an Stelle Albans ziim Militärgouverneur ernaiint wordcn
ist. Die Eiimahme von Panama wird wegen der hier an-
wesenden Truppenzahl für unmöglich gehalten.

Aus Stadt und Land.

O Dossenhcim, 22. Jan. (Der Radfahrerverein)
hielt am veiflossenen Sonntag im Gasthans znr „Krone" seine

Christbaumseier, verbunden mlt ciuer Vcrlosung allerlei nützlicher
Gegenständc ob. Außer den Mitgliedcm genannten VereiriS
hotnn sich zahlreiche Freunde desseiben einscfundm, sodaß der
sehr geräumige Soal bis zum letzten Platz angefüllt war. Zur
vnterhaituug hatte der Versin einc Komikeigesellschaft aus Mann-
hetm, bestehend aus 5Personen, 3Herren und 2 Damen, bestellt,
welchc durch abwechselnde Vorträge schöner LieLer und komischer
Vorträge den Abend erheiterien. B:S spat in die Nacht hiiiein
blteb die fröhliche Gesellschaft znsammen; erst in früher Morgen-
stunde trennte man sich mit Lem Bewußlsein, einen recht ver-
gnügtcn Abend mitgemacht zu haben.

— Sinsheim. 22. Jan. (Vortrag im evongelischen
Bund) Letzien Sonntag hielt der evang. Bund einen Familien-
abend ab. Der givße „Löwen-Saai" konnte kaum die Teil-
nehmer fassen. verr Stadrvtkar Spitzer hielt über seine
„Reiseertnnerungen aus dem heiligen Lande"
einen längcren Vortrag, dem die Zuhörer wit großem Jnteresse
folgten. Äerschönt wurde der Abend durch Liedcr des evang.
Kirchcnchors, sowic Lurch musikalische Vortrags auswärtiger
Kräfte.

LO. Karlsruhe, 22. Jan. (Eine betrügerische
Schau.) Jn der zweiten Hälfte dcs Monats Oktober v. I.
war auf dem Festplatz dahier eine Schaubude aufgeschlagen,
dic, wie die Anzeigen in dcn hiesigen Tagesblättern ver-
kündeteii, „das grötzte Tier üer Welt", eiiien Riescnwalfisch,
in ihrem Jnnern barg. Jn den reklamehaft zugeschnitteiien
Jnseraten hietz es denn noch dcs wcitcrcn: „Kein Skelelt; gänz-
Uch gerrichfrei; 150 000 Pfund wog das Original beim Fang
nnd am Riesenkrahii zu Hamburg, dem gröhten Krahn der
Welt; der Aufzug kostete 500 Mark imd 3000 Mark der Schlep-
perlohn voni Christianiafjord". An dicsen zum Anlocken des
Publikums bestimmten Schildcrungen war alles unwahr bis
auf die beiden Behaiipnmgen: „Kein Skeleti" nnd „gänzlich
geruchlos", dciin das Fischungetüm, das zur Schau gestellt
wurde, hatte niemals Seewasser gesehen. Es war die aus
Pappe imd Holz hergestellte Nachbildung eines grotzen Wal-
fisches. Der Besitzcr der Walfischbudc, der Schaustellcr Lndwig
Stnhr aus Nenstadt in Holftcin hntte die naturgeschichtlichen
niid natilrwissenschaftlichen Kcnntnisse des hiesigen Publikiims
schr nieder tariert, wcnn cr glaubte, dah man seinen, auf
Ausbentnng berechneten iLchwindcl nicht anfdecken würde: Ei-
nige Besucher crkannten die „Unechtheit des Walfisches" und
erstarteten der Polizei Anzeige, woraus das Bczirksamt die
Schaubnde schliehcn Ueh. Autzerdem wurde gcgcn Stuhr An-
klage wegen Betrugs erhoben, die bor dem Schöffengcricht zur
Berhandümg stand. Dasselbe crkannie gegcn den Angeschuldig-
ten nnf 300 Mark Gcldstrafe.

Aus Baden. Nach jahrelangen Versuchen ist eS einem
in Mannheim wobnenden srüheren Eisenbohn-Jngenieur an-
geblich gelungen, eine Erfindung zu machen, welche jede Mög-
lichkeit eines Eisenbahnzusammenstoßes ausschließt. Bei Fach-
leutcn, welche die Erfindnng erprobt, hat diesclbe das größte
Anfsehen erregt. Wie die „N. B. Ldsztg." hört, ist der Erfinder
gegcnwärtig damit bcschäftigt, ein Konsortium zur Ausbeutnng
dtcser Eifirdung zu gründen. Abwaiten!

X Patentbericht für Baden vom 20. Januar 1902, mit-
geteilt vorn Jnternationalcn Patentbureau E. Kleyer in
Karlsrrche iBaden), KriegSstraßc 77. (Auskünste ohne Recherchen
werden den Abonnenün dieser Zettung kostensrei erteilt.
Die Ziffern vor den betreffenden Nummern bezetchnen die Klasse.
Patsn t an m eld unge n: 8b. W. 18228. Putzwalze für
Garnputzmaschinen. Karl Wittig, Zell i. W. 22. Juli 1901.
P a t entert e t luu g e n: 34b. Nr. 12883. Vorrichlung zum
Schneidcn von Zwiebeln u. dgi. P. W. Bucher, Mannheim,
Mittelstroße 140. 11. Augvst 1901. Gebrauchsmuster-
Ei !i tr ag n n g en: 3 a 166 686. Zur Befestigung von Zöpfen
mittels Annähens dicnende Ossc aus eincm Ning und daran
hängender durchlöcherter Kopsel. Carl Dimpfel, Weinheim.
30. Oktober 1901. 30 a. 163 777. Mundsptegel mit aus zwei
Teilen bestehender, durch dcn Griff oder dgl. zu verbrndender
Etnfassung. Ferdinand Bischoff. Mannheim, L4, 16. 13. Tezbr.
1901. 47 a 166 736. Verdeckt liegender Stirnräderantrieb mi


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Sneewittchen.

Roman von A. I. Mordtmann.

(Fortsetznng.)

^"Aie konnte ich nur so ein kolossales Mammut sein!"
''w.'Lerard. „Damals schrieb mir der Lump einen Dankes-
llijZ für die 6000 Mark und ich hatte doch blotz 2000 Mark
ckt. Der Hartmann, der miserable Heuchler, redete nnr
' wäre wohl ein Schreibfehlcr."

V'NOOO Markl Das sind ja schgne Geschichten, Hartmaiml"
>-Ze sjch jetzt Mauvillon an dicseu. „Philipp 2000 Mark
2500 geschickt — woher kommen die übrigen 500

^,.^er wackere Mann satz da wie ein armer Snnder und selbst
ffjZkd sand in diescm Angenblick keine Worte für die Em-
hqFbng, jv ihm aufwalltc. Er sprang auf, rmmte einige-
slZ ^ schnaubeud und prustend um den Tisch herum, und erst
sich nach dieser heilsamen Bewegung wieder gesetzt hatte,
Jhr's wohl selbst ein, datz mit zwei sol-
^.-Waschlappen, wie Jhr seid, vernünftige Beschlüsse garnicht
A Iverdcn küniien. Wir wollen lieber gleich lignidieren!"
N^^rtmami hatte seine Verlegenhcit überwunden' imd be-
gelassen: „Es ist wohl am besten, wir setzen gleich fest,
wir dem Herrn Paul schicken wollcn. Es ist doch immer
7?hn imscres nnbergetzlicheii Herrn Alcxanderl"
thj^assen Sie doch das Geheul, Hartmaini!" schalt Gerard.
'stjZ jst doch nicht der Nil, wo jedes Krokodil greinen darf,
.. beliebt."

siimRaul schreibt," so lcnkte Mauvillon wieder in eine ver-
R^'Oge Besprcchnng ein, „datz er nach allem, was er schon
Mhjjsis bekommen hätte, auf wciiere Zuwendimgen keine
A Ache mehr erheben töime. Und danii heiht es weiter:
^ Z.chnvillon nahm den Bricf nnd las vor: „Dennoch werde
^jZ'ch noch einmal an eure Güte wendcn, um mir den
i. ^ Versuch zur Erlangung einer geordneien Existenz

zu erleichtern. Diesen Versuch werde ich imternehmcn, auch
wenn Jhr mir, wozu Jhr in jeder Weise befugt seid, Enren
Beistand versagcn wollt. Eigentlich ist cs diesma! nicht eine
.Bitte, die ich nn Euch richte, sondern nur eine Darstcllung des
Sachverhaltes, wobei ich es ganz einfach Ench nibcrlasse,
ob Jhr mir zu meincm Vorhabcn eine matcriellc Unterstütz-
img zu Tcil werden lassen wollt oder nicht. Wollt Jhr nicht,
so nchme ich es Euch gar nicht übel, imd viellcicht wnrdet
Jhr mir damit sogar einen Dienst erwcisen. Gelingt es mir,
ein anständiger Mensch zu wcrdcn imd einst vor ench hinzu-
treten mit den Worten: Endlich habe ich es doch mit eigcncr
Kraft zu ctwas gebracht — so würde ich daim auf heutc
znfriedencr znrückblicken, als weim ihr noch einmal Nachsicht
gellbt hättet."

„Wo kriegt der Bengel nur die fcincn Redensarten hcr?"
unterbrach Gerard dcn Vorleser. „Das ist ja als wenn
Schiller oder Kotzebne znsammen gearbeitct hätten: Wenn's
uur anfs Schwadronieren anküme, der könnte Minister odcr gar
Präsident werdenl"

dNaubillvii las weiter: „Bei eincr Ranserei zwischen allcr-
hand Nachtvögeln und Bürgern hatte ich ncnlich das unvcr-
diente Glück, eincn Herrn, dcr von einer Uebcrzähl solchen Ge-
sindels hart bedrängt war, durch einige tüchtige dcutsche Faust-
hiebe herauszuhanen. Der Mann hat mich in seiner Dankbar-
keit mit nach Hanse genommcn, sich meine Geschichre erzühlen
lassen imd den löblichcn Vorsatz gefatzt, mir eine Zuknnft
zn schaffcn."

Das ist nicht so arg schwer, wie cs aussieht imd alle ein-
lcitendeii Schritte haben bereits den gcwünschteii Er-
folg gehabt. Der Sohn dieses wackeren Mamies
bekleidete einen zicmlich einfluhreichcn Posten im Ministerinm
der Kolonien, er ist die rechte Haud des Unterstaatssekretärs
und eine Empfehlimg bon ihm ist niemals frnchtlos. Man bietet
mir also cin „Bahntje" in der senegalensischen Kolonie an
— mein französisch klingendcr Name hat da tüchtig mitgc-
holfen — und da es sich um einen Posten ziemlich weit im
Fnnern handelt, wohin sich die Franzosen imgern schicken

kassen, so ist die Konkurrenz nicht groß. Nnn aber soll mir
— nnter der Hand natürlichi — die Erlaubnis nicht versagt
sein, einen kleinen Handel mit den Eingeborenen zu trcibcn, der
reckit eiiitrüglich scin kann, da cs nur dcr Auslagen für geringe
eiiropüischen Waren bedarf, nnd dic Schwarzcn mit Goldstanb
bezahlcu. Ein Kapital llon 1500 bis 2000 Mark würde voll-
anf genügen.

„Wollt Jhr das Geld noch eiumal an mich Ivendcn —
schön und gnt, imd ich bin Euch dankbar. Wemi aber nicht,
so macht es auch nichts. Das Gchalt ist gnt, weil die Rcgie-
rimg mit dcm niederrrächtigen Klima rcchneu mntz, nnd dencn
dic sich ihm auSsetzcn, eine Entschädigung schuldig ist. Man
sagt mir, datz in zwcr Jahren imrettbar 75 Prozenr aller
Nenangekommeiiden dem Fieber Zum Opfer fallen. Mich ge-
niert das nicht. Jm Gegcntcrl.

„Noch einmal, ich nehme cs Euch nicht übcl, wemi Eure
Antivort ein rnndes „Ncin" ist. Nnr laßt mich nichr lange
anf dicse Antwort ivartcn."

Mänvillon lietz dic Hand, die den Brief gehaltcn hatte,
sinkcn und sah die nnderen mit eincm ungewisseii Zuge um die
Lippcn an. Da wedcr Hartmann noch Gcrard etwas sagten,
bcmcrkte cr nach cinem Weilchen mit zitterndcr Stimmc: 75
Prozenti Das hat mich dcn ganzen Vormittag verstört! Von
vicr Mcnschen stcrben drei!"

Er richtete scine Augen anf ein Bild, das ihm gegenüber
an dcr Wand hing nnd einen jnngen Mann in der vor drcitzig
Iahrcn üblichen Tracht datstellte. Dann fiihr er mehr wie im
Selbstgespräch lcisc fort: „Alexanderl Wie Panl ihm ähnlich
siehtl Seit er die Schnle besuchte, hat er niich oft nnd oft an
Alexaudcr crimiert, wie wir beiden Jnngens von St. Georg
hereinkamen mit imseren Ränzeln, er mit dem frischen lustigen
Gesicht . . ." .

Niauvilloii wischte sich über die Augen. Hartmami nahm e'me
Prisc bon lebensgefährlichcm Umfang nnd Gerard brummtc:
„Wemi der infame Bcngel nnr niclst ein solcher Limip geworden
wärel Die Pferde und die Wcibcr! Jn fünf Jahrcn das
ganze Erbe durch den Schornstein gejagti Jch wollte, die
 
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