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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 27-50 (2. Februar 1902 - 28. Februar 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0359
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Amerika.

ashington, 22. Febr. Frau Roosevclt ge-
ihren kranken Sohn hierher.

Washington, 22. Februar. Das Bureau Reuter
meldet: Die hiesige Regieruug ist von der Korrektheit der
Abstchten Rußlands in Bezug auf die Mantschurei
überzeugt. Die srüheren Versicherungen, die bekräftigt und
erneuert worden seien, mußten angenommen werden, falls
die Vereinigten Staaten nicht die Auftichtigkeit Rußlands
in Frage stellen wollten, wozu sie keinen Anlaß haben
Washington, 22. Februar. Der Hay-Pauncefote-
Vertrag über den Jsth mus - Kanal ist gestern von bei-
den Seiten endgiltig ratifiziert worden.

Mersammkung öetr. die WeöenöaHn.

Heidelberg. 24. Febr.

Die Nachricht, daß die Konzession der hiesigen Nebenbahn
nach Weinheim crwettert und verlängert werden solle, wodurch
die Gefahr enlstiinde, daß die schauderhaften Zustände in der
Sopbienstraße und der Bergheimerstraße verewigt, die Stadt in
dem Ausbau ihrer Straßcubahn bebindert uud der Bau einer
Staatsbahn Heidelberg—Weinheim sür alle Zeit vereitell würde,
hat die hiesige Bürgerschast allarmiert. W»e bekannt, hat die
hiesige HandelSkammer gegen den Plan Einspruch erhoben; vor-
her schon ist der hiesige Stadtrat in Karlsruhe vorstelliq ge-
worden und am Samstag hat sich auch eine Bürgerversamm-
lung in der Wesiendhalle wtt der S'che belchästigt. Geladen
und gekommen waren vornehmltch Anwohner der Bergheimer
und der bcnachbartcn Straßen, welche unter dem gegenwärtigen
Zustand direkt und am stärksten leiden. Die Versammlung war
sehr zahlreich besucht.

Herr Ditteuey eröffaete die Vcrsammlung mit einem
kurzen Hinweis auf den Gegenstand und den Zweck der Be-
sprechung, worauf Herr Gustao Wols zum Vorsitzcnden gewählt
wurde, Ler es seinerseils für notwendig eiklörte, daß der Fort-
dauer des Uebelstandis gesteuert wcrden müsse.

Den die Besprechung einleitenden Vortrag hielt dann Herr
Krall. Er führte aus, daß die Nebenbahn geschäftlich ihre
Angelegenheiten sehr gut wahrnehme, daß aber ihre Interessen und
diejenigen der Stadt auseinandergehen. Es könne so nicht
dauernd fortgehen Das sehe auch die Nebenbahn ein, deshalb
sei sie um die Konzession eingekommen. sür den Güterverkehr
eine vollspurige Nebenbahn von Schrieiheim nach Heidelberg zu
bauen und sie über eine neue Brücke in den hiesigen Bahnhof
zu führen; aber auch dos jetzt bestehende Geleise solle
weiter benutzt werden; teils für elektrische Züge, teils auch für
Dampfzüge für Personen- nnd Güterbeförderung. Besonders
morgens und abends sollen Züge letzterer Art verkehren und
durch die Heidelberger Straßen fahren. Jetzt gehen 60 Züge.
Die Mißstände würden also im Wesentlichen bleiben, außerdem
habe die Stadt das größte Jntereffe, daß sie den elektrischen
Bahnbetrieb bis Handschuhsheim in ihre Hand bekomme. Wenn
der Passagier nach Handschuhsheim zwei Bahnen benützen und
zweimal zahlen müsse, so werde der Verkehr dadurch gehemmt.
Die Stadt wolle Herrln sein in ihren Straßen. Würde die
Konzession der Nebenbahn verlängert, so würde man nie die
direkte Bahn nach Weinheim bekommen. Früher, ehe eine Bahn
ging, sei die Route von Frankfurt siidlich längs der Bergstraße
nach Heidelber^ gegangen. Jetzt lenken die Linien über Lampert-
heim—Mannheim und über Schwetzingen den Verkehr ab und
Heidelberg bleibe seitwärts liegen. Vom Rhein habe man kaum
noch einen direkten Wagen nach Heidelberg. Es sei von Lebens-
interesse für die Stadt, daß die Konzession der Nebcnbahn nicht
verlängert werde und daß eine Staatsbahn nach Weinheim gebaut
werde.

Herr Ebert bezeichnet diese Argumente als vollständig
richtig und wünscht nähere Aufklärung über Art nnd Umfang
der ili Frage stehenden weiteren Konzession der Nebenbahn.

Herr Krall erklärt, daß seincs Wissens die Konzession noch
12—13 Jahre laufe.

Herr Sauer erkundigt sich, ob durch die Konzession eine
staatliche Konkurrenzbahn ausgeschlossen sei.

Herr Krall erwidert, daß der Staat in dieser Hinsicht nicht
gebunden sei.

Herr Ditteney setzt die unerträglichen Mißstände ans-
einander, die der Betrieb der Nebenbahn verursacht. Er sei nicht
empfindlich, und in der ersten Zeit sei es auch erträglich gewesen.
Jn letzter Zeit aber sei der Schotterverkehr außerordentlich ge-
stiegen. Viele Extrazüge mit Schotter passieren täglich die Stadt,
dazu werden Schotterwagen in die Personenzüge eingestellt und
der Reisende müsse jeweiis in Schriesheim warten, bis dies ge-
schehen sei. Der Anblick der Schotterwagen sei gräulich, da seien
die städtischen Absuhrwagen sauberer. Jn manchc der Züge
müsse man Bedenken tragen, eiuzusteigen, zumal das Personal
nicht gehörig darauf achte, daß z. B. Nichtraucherabteile respektiert
werden. Reservierte Wagen seien nötig. Durch den Rauch, den
Ruß und den Spektakel dcr Schotterzüge werde geradezn Unfug
in Heidelberger Straßen verursacht. Das rumpele so, daß die
Häuser zittern. Früher hieß es, in der Stadt dürfe nur Coaks
verwendet werden nnd die Wagen dürften nicht guiecken. Das
werde nicht eingehalten. Man könne kein Fenster anfmachen
wegen dem Rauch nnd Ruß nnd es sei fast ein Wunder, daß
Mieter noch in den betroffenen Straßen wohnen bleiben. Auch
die Landgemeinden an der Bergstraße beklagen sich und protc-
stieren gegen eine Verlängerung der Konzession. Gerade heute
seien die Bllrgermeister der Landorte hier dieserwegen beisammen
gewesen. Es sei nötig, fest znsammenznsteheii, nm das drohende
Unheil abzuwenden.

Herr Louis Reiß fragt an. ob es richtig sei, daß die Re-
gierung keine Staatsbahn nach Weinheim wünsche. Wenn dem
so sei, müßte man bcim Vorgehen vorsichtig sein.

Herr Krall führt aus, daß man gerade dann nm so lauter
seine Stimme erheben müsse.

Herr Rohrhurst sagt, wenn behauptet werde, die Regierung
sei der Vollbahn nach Weinheim direkt feindlich, so sei das seines
Wissens unrichtig; in Karlsrnhe verhalte man sich nicht absolut
ablehnend.

Herr Ph. Ueberle regt das Zusammmgehen der Vereine
West-Heidelberg und Neuenheim in dieser Sache an. Es wird ihm
indessen erwidert, daß ganz Heidelberg interessiert sei nnd eine
allgemeine Versammlung in der Angelegenheit bevorstche. Heute
wollten zunächst einmal die am meisten Geschädigten ihre Stimme
erheben.

Herr Ebert macht aus dem von ihm inzwischen studierten
„Staatsanzeiger" Mitteilungen über die Konzession der Neben-
bahn. Danach ist die Konzession von 1890 anf 50 Jahre erteilt,
doch kann der Staat von 1915 ab die Bahn übernehmen- Die
Bahn scheine selbst das Gefühl zu haben, daß es so nicht weiter
gehen konne Bedenklich erscheint ihm die starke Jnanspruchnahme
der neuen Brücke, die nach dem Wortlaut der Konzession nicht
gehindert werden könne.

Herr D itteney erklärt, daß die Nebenbahn die Spur von
Schriesheim durch das zukünftige beste Bauviertel von Haud-
schuhsheim führen wollte. Die Stadt habe lange mit der Neben-
hahn verhandelt; jetzt seien die Verhandlungen abgebrochen.

Herr Ncttel, Oberiugenieur der Nebenbahngesellschaft, spricht
hierauf sehr gewandt für die Bahn. Er gibt unumwunden die
gegenwärtigen Mißstände zu. Gerade dieserwegen plane die Bahn
Veränderungen. Sie habe doch ihre Aufgabe, den Lokalverkehr
der Bergstraßc nach Heidelberg zu ziehen, erfüllt. Der Personen-
verkehr nehmc von Jahr zu Jahr zu und der Güterverkehr steige
stark, denn die Bahn habe die Jnoustrie an der Bergstraße sehr
delebt. Die Bahn müsse doch die Güter wegführen; das sei ihre

Aufgabe. Wären iui Jahre 1890 dle elektrischen Bahnen schon
mehr als ein Spielzeug gewesen, so hätte man sich damals anders
eingerichtet. Die Bahnverwaltung erkenne au, daß es so nicht
weiter gehe und habc sich gefragt, was zu machcn sei, um die
Vcrhältuisse zu bcffern- Sie wolle eine Normalspurbahn von
Schriesheim in den hiestgen Bahnhof führen und dazu eine neue
Brücke bauen. Das koste eine Million. Wegen der Führung der
Spur sei sie allen Wünschen entgegengekommen, er mache abcr
darauf ausmerksam, daß bei der ursprünglich geplauten Trace,
die ein Redner aetadelt habe, Neuenheim einen Bahnhof be-
kommen hätte. Wegen der jetzigen iieuen Brücke nnd der städti-
schen clektrischen Bahn nach Handschuhsheim würde man sich ver-
ständigen könneu. Die Verwaltung beabsichtige, für den Personen-
verkehr von Schriesheim elektrischen Betrieb einzuführen. Nur
die stark benutzten Arbeiterzüge sollten auf der jetzigen Spur mit
Dampf betrleben wcrden, denn die Arbeiterscharen müßten zur
bestimmten Zeit hier eintreffen. Anßerdem sollen diese Züge
Milch, Geflügel nnd dergl. Waren nach der Stadt mitnchmen,
was im Jnteresse der Produzenten und Konsumenten liege. Jn
der Bergheimerstraße köunten Stadt und Nebenbahn die beiden
Geleise gemeinsam benutzen. Eine Ueberschreitung ihres Geleises
durch die städt. elektrische Bahn köiinc die Bahnverwaltung garnicht
verhindern, nur beantrage sie gewisse Vorsichtsmaßregeln. Die
Jnteressen von Stadt und Bahn gingen garnicht auseinander,
sondern seien parallele; eiue Verständigung sei durchaus möglich.

herr Wolff stcht der Wahruug der städtischen Jntercssen
durch die Neveubahn sehr zweiselnd gegenüber. Er erinnert
daran, daß die Nebenbahn heute noch nichl den direkten Anschluß
dcs Schlachthoses an die Staatsbahn erlaubt habe. Solche Er-
sahrungcn wirkten abschreckend. Die Nebenbahn werde immer
nur ihr Jntcresse veisolgen.

Herr Bütschli erkundigt sich über den Umfang der von der
Bahn beantragten erweiterten Kouzeisioii.

Herr Nettcl erwidert, die Konzesiion für die Volllpurbabn
von Schriesheim solle 50 Jahre laufen. Er läßt dann eine
kleine Lrokung einfließen, indcm er aussühct, Mannheim wolle
durch die Nebenbahn-Gesellschaft eine Bahn Mannheim Schrics-
heim ausführcn lassen. Komme die Vollspurbahn Schrieshcim-
Heidelberg nickt zuftande. so entstehe die Gefahr, daß sich dcr Ver-
kehr von der Bergstraße nach Maniiheim ziehe Für dcn elektri-
schen Pcrsoncnverkedr nach Handschuhsh-im habe die Bahn bis
zur Kußmaulstraße 7'/s"inutige>i, bis Handschuheetm 'ftstündigen
Belrieb angeboten. Sie wüide diesen Verkchr evenluell anch
ganz der Stadt übeilassen. Das Omnibusunternchmen habe ge-
zeigt, wie wenig dabei zu holen set.

Herr Krall erwideit daß der Omnibusverkehr keinen exakten
Anschluß an die Pferdebahn pehabt habc: deshalb habe er sich
ntcht bewäbit. Er verliest dann eine Petitton an das Mini-
sterium. Der Leser findet dieselbe weiter unten abgedruckt.

Herr Dr. Reis stimmt der Petition zu und bctont, daß mau
d!e Vollbahn nach Weinhetm im Auge behalten müsse.

Hcrr Nollert weint, daß, wenn die Main-Ncckar Bahn in
preußischen Betrieb lornnie, daß danu d-r dirckte Verkehr doch
ntcht über die gcplante Bahn geleitet wcrden würde.

Herr Nohrhurst tcilt mit, daß dic Kommission der Zwei-
ten Kawmer dcn Vertrag wcgen der Main-Neckar-Babu genehmigt
habe. Jm Betiieb werde durch denselben nichts geändcrt, nur
werde die Verwaltung billiger und Baden erziele einc Mehrein-
nahme. Ob auch die anderen beteiligten Staaten dcn Vertrag ge-
nehmigen werdcn, lasse er dahtngestellt. Falle er, so werde ihm
Baden keine Thräne nachweinen. Redner wendet sich danu in
scharfen Worten gegen die Art, wie die Nebenbahn ihren Betiisb
sührt. Er sei entrüstet über das, was die Bahn aus den Straßen
des schönen Heidelberg gemacht habe. Dte Negieruug sollte sich
den § 4 der Konzcssionsurkulide avsehen, wonach die Bahn
die Straßen Heidelbergs nur insoweit in Anspruch^ nehmcn
daif, als das ohne Belästigi ng dcr Bewohncr der Stadt ge-
schehen kann (Bravo auf allen Seitcu) und sich übcrlegen, ob einer
Bahn, dic diesen Paragravheu so auslegt, eine weitere Konzession
zu erteilen sei; dcr Verkehr werde iri Hcidelberg von dicser Bahn
nicht xefördert, sondern gehemmt. „Wir wollen unscr eigener
Herr im Stadtgebiet sein." Er, und wie er überzeugt sei, auch
Hcrr Oberbürgeimeister Dr. WilckcnS, würdcn die Pctition in der
Kammer aufs nachdiücklichste unterstützeu.

Damtt war der Höhepunkt und im wesentltchen auch dcr Ab-
schluß der De atte eneicht. Die Petitiou wurde sosort mit zahl-
retchen Unterschiiften bedeckt. Sie soll noch zwei Tage bei Hrn.
Voigt aufliegen und wird danu nack Karlsruhe abgeh-n,

Ietttion.

„Heldelberg, 22. Februar 1902.
Großherzogliches Ministcrinm des Grotzherzoglichen Hauses und
der auswärtigen Angelegenheiten I

Hohcm Ministerium beehren tvir uns folgende Bitte ganz
ergebenst vorzutragen:

Die Stratze, in welcher die Unterzeichneten wohnen, bezieh
ungsweise begütert sind, die Bergheimerstratze in der Stadt
Heidelberg, ist eine der wichtigsten nnd gröhten Straßen dieser
Stadt. Der Verkehr in derselben .besonders der Fuhrverkehr,
ist viel stärker als in allen andercn städtischen Stratzen. Gehen
durch dieselbe nicht nur alle Fuhrwerke der inneren Stadt nach
dem Güterbahnhof, sondern auch alle diejenigen Fnhrwerke,
welche von den Ortschaftcn dcs rechten Neckarufers nach cben
diesem Ziele gelangen wollen. Dazu kommt noch der starke
Verkehr, welcher durch die Bergheimerstratze von den m der
Ebene belegenen Ortschaften her nach Heidelberg stattfindet.

Von diesem gesamten Verkchre haben die Bewohner der
Bergheimerstraße nur wenig Vorteil, wohl aber erfahren sie
dadurch eine schwere Belästigung.

Jn richtiger Würdigung dieser Verhältniffe hat man denn
auch seiner Zcit, als gegen Ende der 1880er Jahre wegen der
Erbauung einer NebenLahn Heidelberg-Weinhcim Verhandlun
gen gepflogen wurden, seitens der Stadt sich entschicden dagegen
verwahrt, datz die Bergheimerstratze iwch weiter mit Anlagen
des durchgehenden Verkehres bclastet werde. Die Nebenbahnge
sellschaft hat das auch selber zugeben müssen und batte bei Aus
arbeitung ihres Projektes, welches im Januar 1889 zur Offen-
legung kam, eine Führung der Linie von der neuen Brücke
durch die Uferstratze vorgesehen. Leider wurde diese Linie
im Juni des gleichcn Jahres vom grotzherzoglichcn Ministerium
der Finanzen verworfen nnd vorgeschrieben, datz die Bahn
dcnnoch durch die Bergheimerstratze geführt werden sollte, ob
wohl in diescr Straße vier Jahrc vorher eine Pferdebahnlinie
eingelegt wordcn war. Das grotzherzogliche Ministerium der
Finanzen hat diese Anordnung getroffen, ohne ein Ausschreiben
dieser Linie gcmätz 8 26 des Straßengesetzes vorausgehen zu
lafsen, wodurch dcn Anwohnern der Strahe das doch gesetzlich
garantierte Rccht, ihre Einwcndungen während des Entcig
mingsverfahrens geltend machen zu können, verkürzt wurde.

Wir branchen uns zum Beweis unserer Behauptung nur
anf die den Stadtverordneten im Juli 1890 mitgeteilte Druck-
vorlage des Stadtrates zu bernfen.

Wie begründet diese Bedenken hinsichtlich der Bergheimer
stratze gewesen sind, hat die Folgezeit zur Genüge bewiesen.
Nicht nur des Tagcs übcr wurde es als schwere Belästigung
empfunden, datz förmliche Eisenbahnzüge, die durch Dampf ge-
trieben wurden, mit Geräusch und Rauch durch eine schöne
städtische Straße hindurchfuhren, sondern auch des Nachts, d. h.
in den frühen Morgenstunden nnd zur späten Abendzeit, selbst
mitunter in der Nacht, in der Zeit der Kirchweihen, fuhren die
Eisenbahnzüge mit rauchender Maschine, polternden Wagen,
bcgleitet von einem unaushörlichen Glockengcläute, einher. Gar
viele Hauseigcntümer haben Mühe, ihre Mieter zu beruhigen,
vor allem aber ivegen der Erschütterung, welche durch die schwe
ren Transporte auf die Häuser übertragen wurden.

Wenn man sich znnächst in dieser Sache wenig rührte, so 8^
chah dies, weil man auf eine Verbesserung der Berhältnisse rn
derZukunft hoftte. DieseErlvartung wurde aber schwer getäufcht-
Mit der Zunahme des allgemeinen Verkehrs wurden die gerüg-
ten Mißstände immer noch stärker.

Der einzige Trost, Ivelcher den Bewohnern der Bergheirnec-
tratze geblieben, war der, datz sie hofften, bei der Verlegung des
Vahnhofes und dem llmbau der grotzen Zufahrtslinien werde
ich die Ausführnng einer staatlichen Vollbahn „Heidelberg-
Weinheim" erreichen lassen, womit die Aussicht verbnnden ge'
wesen wäre, daß die Nebenbahn ihren Verkehr auf derselöeu
Strecke einstellcn bezw. ihre Konzession dem Staate gegen Ent^
ichädignng zurückgeben werdc.

Zu unserem grötzten Schrccken müssen wir nun erfahren.

datz man anstatt aus ein sokches Projekt einzugehen, vielrnehr
der Nebenbahngesellschaft staatlicherseits noch

staatlicherseits noch weitere Kon-
zessionen zuwcnden will. Wie schwer durch ein solches Vorgehen
nnsere Jnteressen, über die man vor 13 Jahren so lcicht hinweg-°
gegangen ist, gcschädigt werden, brauchen wir nach dem vorher
Gesagten nichr mehr ausznführen.

Wir gestatten uns deshalb die ganz ergebenste Bitte vorzu-
zutragen, hohes Ministerium möge sich dieses Mal unscrer
Jnteressen warm annehmen, wir hosfen um so mehr auf gütige
Berücksichtigung unseres Gesuches, als die hohe Staatsregicrung'
besonders ünser erlauchtes Fürstenhaus, stets bereit sind zM
Förderung der sanitären Lebcnsbedingungen, znm Wohle der
Menschheit, allcs Mögliche zu thun. Hier haben wir es jcht so,
datz tausende in dieser grohen Sträße lebende Bcwohner, hun-
derte in den anliegenden Krankenhäusern liegende Patienten
Tag und Nacht über von mehr als 50 täglich fahrenden Zügea
belästigt und in ihrer Gesundheit gestört werdcn.

Ganz ähnlich wie in der Bergheimer- und Sophienstratze
liegt es auch bei den städtischen Stratzen auf dem rechten Neckar-
ufer. Ja selbst das Gesamtinreresse der Stadt kommt bei der
hier besprochenen Angelegenheit in Frage. Es ist hohem Mft
nisterium bekannt, welche Nachteile die Stadt Hcidelberg durch
die unglücklichc Führnng der Main-Neckarbahnlinien bisher
ichon erfahren hat. Eine Gelegenheit, dieselbe wieder auszu-
gleichen, wäre bei dem bevorstchenden Bahnhofumbau gegeben-
Diese Gelegenheit sollte ergriffcn, nicht aber sollte durch weitere
Begünstigung dxr Nebenbahn die Erledigung einer für unsere
Stadt so brenneflden Frage in weite Zukunft verschoben werden
unter gleichzeitig erneuerter Schädigung wichtiger Stadtteile.

Aus Stadt und Land.

Heidelberg, 24. F.brrar

sj Turchgcreist. Der Grotzherzog von Sachsem

Weimar traf gestern Mittag 12.27 Uhr auf seiner Rückreise
von Karlsruhe hier ein und setztc nm 12.32 Ilhr seine Weiter-
reise in der Richtimg nach Frankfurt fort.

S Geh. Rat Kuhmaul yat seinen 89. Geburtstog in euteM
Wohlbefinden und bester Stimmung vcrbracht. Eh enqeschenke
trafen ven nch und fe n ein. Hoch und nieder wetteiferten darin-
dem Jubilar zu dem seltenen Tage eine Aufmerksamkeit zu er-
weisen. Ein großes Bild des Landcsfürsten zeugt von dir Hukd
des Großherzogs. Etne drückende FüLe von Blumen nnd
Blumen-Arrangemems aller Art, daruntcr die scltursten Orchideen-
wmds ins Haus aebracht. Die Graiulatiansbriefe trafen >N
Päcken zu einigen Hvndertcn cin. Seldst die Teicgramme wnr°
den zu Dntzenden ins Haus gcliefeit, und das ging so den
ganzin Tag fort. Unter anderen lras ein Telegrernm vom Erb-
großberzog und eines vom Füisten von Montenegro ein. Msi
tags fand cin Festmahl im H-iuse des JubUais im engsten Fw-
milien- und Freundeskreise statt. Während desselben wu'de voü
Musikern ein Ständchen im Gartcn gedracht. Das Festmahl
wurde belebt durch den rctzenden, licbcnswüidiseii Humor des
Geourlstogskindes. Bei der großen Verehrung, die Geh. Rak
Kußmaui bei seinen Mitbürgenr genießt, sind wir gewiß, daß
diese kleine Skizze der Geburtrfrstfcier von unseren Lescrn mn
großer Befriedigung euigegengenomm n werdcn wiro. ZuM
Schluß s-i bemerkt, daß Geh. Rot Kußmaul anläßlich seines 80.
GeburtslageS in hochherzrger Weise manchs Anstalten reich be'
dacht hat. Berichtigt sei noch. daß cs seldstverstäiidlich die medt-
zlnische Fokultät (nickt die naturwissenschaftltch-malhematische)
war, die eiue Adresse ükerreicht hat.

n. Vom Deutsche» Abend. Der Vorsitzende des „Deutschen
Abends" v. 21. hat auf das Telegramm an den Rcichs'
kanzler am 23. nachfoftend: Antwort erhalten:

Herzlichen Dank sür isic freudige Zuslimmung zu dec Oft'
markenpoliUk der preußischeu Staatsreüteruug aus der schöneN
und immer palriottsäeii Ncckaistadt.

Neichskanrler Graf Bülow.
r. Der Familienabend des Evangelischcn Bundes, welchev
gestern Abend im „Schiff" in Neuenheim abgehalten wurde,
war gut besucht. Nachdem er durch einen sehr schönen Gesrrng
einer freien Vereinigung von Sängern unter Leitung des Haupt^
lehrers Herrigel eröffnct worden war, begrützte Stadi'
pfarrer Schneider die Anwesenden in einer emleitenden
Ansprache, in welcher er dem Wunsch Ausdruck verlieh, datz
recht viele Glieder der evangelischen Gemeinde Neuenhesin
dcm Evangelischen Bund beitreten möchten, nnd vor Gleich^
gültigkeit u. Unwissenheit in religiösen Fragcn als vor gesähr^
lichen Feinden der cvang. Kirche warnte. Darauf hielt Prw
fessor R o h r h uw st einen Vortrag über den Toleranz°°
a n t r a g d c s Z e n t r u m s, welcher in der Gegenwart neben
dem Zolltarif vor allcm das politische Jnteresse des deuftchett
Volkes beanspruchen dürfe. Der erste Eindrnck, den der Antrag
des Zentrums hervorgerufen habe, sei Erstaunen gewesen, fühft
der Rcdner ans, denn die Glaubens- und Gewiffensfreihcit-
welche dieser Antrag fordere, stimme nicht zum Charakter der
allein selig machenden Kirche, wie er in vielen anch offiziellen
Aeutzerungen derselben hervorgetreten sei. Dennoch glaubte
der Vortragende, datz die Absichten, welche das Zentrum zu
seinem Tolcranzantrag bewogen hätten, ehrliche seien. Das
Gesctz zerfalle in zwei Teile. Der erste, Paragraph 1-^°'
handle über die Religionsfreiheit dcr Einzelnen, sei durch Mim-
stände vcranlaßt, durch welche in verschiedenen Ländern des
deutschen Rciches die katholische Kirche sich bedrückt fühle, unb
verdiene nnsere Zustimmung. Die Forderung nach weitem
gehender Religionsfreiheit, welche im Geiste Jesu liege, müssr
aus staatlichen nnd religiösen Gründen gebilligt werden. Der
zweite Teil des Antrages dagegen, Paragraph 5—10, tvelch<w
übcr die Religionsfreiheit der Gemeinschaften handle, fordert
im Jnteressc der Tolcranz und der Oberhoheit des Staates deU
schärfsten Widerspruch heraus. Gegen ihn verhalte sich dit
Reichsregierung ablehnend. Er sei daher vom Zentrum für dicft
Session zurückgezogen worden. Aber es sei damit natür^
lich nicht gcsagt, datz dreser Teil des Antrages nicht zu einer
anderen Zeit wiederkehren nnd dann vielleicht auch bei der Rr-
csierung mehr Entgegenkommcn finden werdc. Wenn die Katho^
liken der Mahnimg des Weihbischofs Schmitz zum konfessionellru
Frieden folgend, mit der Toleranz Ernst machten, so würd^
der Evangelische Bund seine wichtigste Aufgabe gelöst habeu-
Nachdem Stadtpfarrer S ch n e i d e r dem Vortragenden


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seinen gedicgenen Vortrag, der lebhafte Zustimmung fand,

Herr Herrigel em Tonstück am

dankt hatte, brachte der junge „

öer Violine vollendet zum Vortrage, wobei ihn Herr Studiosus
Muckle auf dem Klavicr begleitete. Hauptlchrer Stein aU-
Handschuhsheim verknüpfte mit nochmaligem herzlichen Dau^
an den Hauptredner die frenndliche Emladung desselben M
einem Vortrage in Hcmdschuhsheim. Geh. Hofrat Merx stell^
in Aussicht, datz der Bitte des Vorredners entsprochen werdeu
solle, und wies daranf hin, datz es notwcndig sei, in den Reichs^
tag Männer zu wählen, welche auch in kirchenpolitischen Fragrsi
ein klares Urteil hätten; denn der Mensch lebe nicht vom

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