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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 27-50 (2. Februar 1902 - 28. Februar 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0375
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die Aufwendungen, welche der Staat seit den 30er Jahren für
die Religonsgemeinschaften gcmacht hat. Ju der Budgerperiode
1860—61 betrug der Aufwand für den kathol. Kultus 45 663
Gulden, für den evangelischen 44 451 und für den israclitischen
1950. 1870—71: 62 463 bczw. 52 226 bezw. 1950. 1880-

81:121 534 M. im ordentl. nnd 4000 M. im a.-o. Etat füc
den kaihol., 97 711 und 200 000 M. für den evangel. und
4 600 und 14 000 M. für dcn israel. 1890—91: K. 199 894
im ordentl. und 200 000 M. im a.-o. Etat, E. 102 104 M.
und 200 000 M., I. 4600 und 12 000 M. 1900—01: K.
575 416 M., E. 436 895 M. Der Aufwand hat demnach in
4 Dezennien eine beträchtliche Steigerung erfahren. Dazn
kommt noch, datz den Kirchen ein Steucrrecht eingeränmt wurdc,
dessen Erträgnrsse sich zur Zeit für sie kathol. Kirche auf
434 000 M., fsir die ebangelische auf 493 960 M. und sür die
israelitische auf45 756 M. belanfen.^Jn dieser Hinsicht ist zu
keiner Zeit ein Gegensatz zwischen Staat und Kirche herbor-
getreterr. Auch auf anderen Gcbieten sind nenerdings die
Rcibungsflächen auf cin kleincs Mas; reduziert. Man ist all-
mählich zu einem befriedigendcn mosiris vivenäi gelangt, der
übcrall da möglich ist, wc> die Kirche ihre Thätigkeit auf das
rein religiöse Gebiet beschränkt.

Abg. Wacker (Zentr.) bestreitct, datz alle Teile sich mit
dem moäus vivenäi zufricden gebcn können, der nach 1860
gefunden wurde. Leider rnhen die Gegensätze nicht, wenn anch
die Art der Kämpfe gegen früher sich etwas gemildert hat.
Gewisse Gesetze müssen vom Zcntrnm stets bekämpft werden.
Die Kulturkampfgesetze sind staunenswert rasch und leicht ins
Leben getreten, um so rascher sollte man auch mit ihnen auf-
räumen. Die Hauptverantwortung ruhe jetzt auf den Schul-
tern der Regierung. Ein Gcgensatz zwischen den Aufgaben
des Staates nnd der Kirchc besteht nicht. Kampf zwischen beidcn
ist nicht notwcndig; im Gegcnteil: je frcnndlichcr der Staat
der Kirche begegnet, um so cher lvird er seine Ziele erreichen.
Staatliche Hoheitsrechte solltcn nicmals als Waffen gegcn die
Kirche benützt werdcn. Dies gilt ganz besonders hinsichtlich
der Einwirkung auf die Bcsetzung kirchlicher Stcllen oder des
Rcchts der sog. Mitzfälligkeitserklärung. Ein möglichst intakter
Klerus liege nicht bloh im Jnteresse der Kirchc, sondern anch.
des Staatcs. Wenn es sich nm Ausübung des Rechts der
Mißfälligkeitserklärung handelt, sollte besonders auch auf das
Standesbewutztsein des Klcrus Rücksicht genommen wcrden.
Wer von seincn staatsbürgerlichen Rechten einwandsfrcicn Ge-
brauch macht und dabei in seinen pcrsönlichen Anschauungcn
mit der Ansicht der Regiernng nicht harmoniert, sollte des-
wegen nicht mit einem schwarzen Strich bestraft iverden. Auch
sollte es nicht borkommen, datz cin Priester, dcr bon einem
Gericht wegen eines Vergchens bereits bestraft ist, bei Be-
setzung einer Stelle Lbergangen, d. h. noch einmal bestraft wird.
Bei Besetzung der Patronatstellcn sollten die gleichen Grund-
sätze zur Anwendung kommcn, die bei Besetzung der Bcamten-
stellen matzgebend sind. Fnteresscn nnd Rechte der katholischen
Kirche müssen mit katholischcm Matzstab gemessen werdcn, nicht
dmmch, ob die Wünsche akatholischer .Kreise damit im Einklang
stehcn odcr nicht. Aus der Bctonung gewisser Rechte dürfc man
keinen Vorwurf gegen die Katholiken ableiten. Von „Ertrotzen"
sei keine Rede; das sei allcrdings in Baden schon öfters vorge-
kommen, noch niemals aber in der Zentrumspartei, die stcts
ein lenchtendes Beispiel von Lohalität gegeben habc. (cl. die
Karlsrnher Wahlen vom Jahre 18971) Mit g r o tz e r
Frende und Genugthuung begrütze er den
Wechsel der Regierung; er wäre fast versucht, den
neuen Herrcn am Regiernngstisch zu gratulieren, datz sic cine
vom Kultnrkampf völlig freic Hand habcn, wie cr es sehr er-
freulich finde, datz bei den Nationalliberalen nicmand mehr
fitzt, der den eigentlichcn Kultnrkämpf mitgcmacht hat, wenn-
gleich anch jetzt noch bedancrlicherweise Kulturkamvfrcden gc-
haltcn werden. iDr. Binz: Es freut nns, datz Sie das be-
daucrnl) Kacker (fortfahrend): Wenn Fhnen das Frcudc
-nachr, oann ist es mir sehr leicht, Jhnen cine Freude zu machcn.
Ich kann Jhnen- aber nur sagcn, datz Jhre Haltnng wcit übcr
die Kreise dcs Zentrnms hinaus Mitzbilligung gefunden hat
und datz leicht später einmal ein zwcitcr Binz cine neuc Auflage
über die Blindheit dcr nationallibcralcn Partei schreiben
sonnte. (Heiterkeit.) Mit Frende nnd Genugthnnng bcgrütze
ör, datz verschiedene Anzeichen eincs gerechteren Wohlwollcns
der nencn Regierung vorhandcn sind. Daher sehe er auch mit
arotzem Vertrauen den Thaten des Kultnsministerinms cnt-
gegen. Selbstverständlich müsse die Regierung das Bertrauen
rechtfertigen nnd sich nicht damit zufrieden gebcn, datz man
ihr das Vertrauen aüsgesprochen hat. Möge auch dem KuItnS-
ministerinm wie dcm Gcsamtininisterium dercinst nachgesagt
werden können: Es war ein Ministerium der Geradheit nnd
dcs gerechten Wohlwollensl Jn dieser Meinnng sche er den
kommcnden Thaten des Kultusmiiiistcriums entgegen. Mogen
endlich die Tage des Wartens nnd Harrens eine Kürzung er-
fahren, wenn auch nicht von heute auf morgenl (Beifall im

^^Ministerialpräsident Freih. v. Dus ch giebt zunächst seiner
Vefricdigung Ausdruck, datz von der Kommission allc Anforde-
rungen genehmigt wurden. Er lasse es dahingestellt, ob die
noch bestehenden Gesetze dcn Namcn Kampfgesetze verdiencn,
odcr ob sie nicht vielmehr dasjenige Mah von Rechtcn dar-
stellen, die der Staat beanspruchen mutz. Ein unmittclbarcr
Anlatz zu einer gesetzgebcrischen Aktion sei jedenfalls nicht gc-
geben, um so weniger, als bckanntlich die bezüglichen Zentrums-
anträge jeweils nur mit gcringer Majorität angenommcn und
von der 1. Kammer sogar verworfen wurden. Von Kampfgc-
setzen könne man insbesondere anch in Hinsicht auf die milde
Anivendung nicht sprechen. Auch der frühere .Kultusminister
war während seiner 20jährigcn Thätigkeit stcts bemüht, die
Gesetze zu mildern und anf das richtige Matz zurückznfuhren.
Die Andeutungen Wackcrs bezüglich dcr Mihfälligkeitscrklarnng
seien ilnn unverständlich, denn die Besetzung der Kirchenämter
geht stets ruhig vor sich, so datz im Laufe von 9 Jahren nur
8 Mißfälligkeitserklärungen vorkamcn. (Hörtl Hörtl) Datz
eine Reibungsfläche besteht, sei begreiflich, doch liege kein Grund
zu allgemeinen Bcschwerdcn vor. Auch hinsichtlich des Patro-
natsrechts wurde stets auf das Dienstalter volle Rücksicht ge-
nommcn. Seine Haltung in kirchcnpolitischen Fragen mache
er nicht von Preßerörterungcn abhängig. Er für scine Person
sei bcstrcbt, die Eigenschaftcn eines Ministeriums der Gerad-
heit und Gercchtigkeit zu bethätigen; ob aber alle Wünsche des
Zentrums befriedigt werden können, sei fragkich. Auf drese
wolle er heute nicht näher eingehen, da bekanntlich ein Spezial-
antrag vorliegt. ^ ^ ,

Abg. Hug (Zentr.) tritt energisch für die Ruckgabe der
im Besitz der Altkatholiken befindlichen Spitalkirche nnd
Pfründe in Konstanz an die dortigen Katholiken ein und fordert
die Anfhebung oder Abändernng des Altkatholikengesetzes.

Ministerialdirektor Hübsch bezweifelt, ob sich die Ab-
schaffnng des Altkatholikcngcsctzes so leicht durchführen läßt,
wie Hug meint. Die Aufhebung sei eine sehr zweischneidige
Waffe, denn die Frage der Entschädigung liege nicht von vorn-
herein klar. Es wäre nur dcnkbar, datz den Altkatholikcn aus
Staatsmitteln eine cntsprechende Entschädigung gewührt wird.
So lange das Altkatholikcngesetz tin seiner jetzigen Form besteht,
mutz die Regierung dasselbe. nach den Grundsätzen des Rcchts
und der Billigkeit cmwendeii. Die Eingabe der katholischen
Stiftungsräte in Konstanz sei in rechtlicher Hinsicht sehr zu be-
anstanden, ihrJnhalt decke sich vollständig mit den Ausführungen
Hug's, so datz er die stille Vcrmutung hege, datz Hug an der
Abfassung nicht unbeteiligt sei (Heiterkeit). Er müsse be-
streiten, datz in Konstanz bei den Katholiken ein ungeheurer
Notstand bestehe.

Abg. Herth (Zentr.) bittet die Regierung, den Katholiken
in GLtenbach die dortige altkatholische Mrche zuzuweisen.

Abg. Dr. Binz (natlib.) glaubt, datz kein Grund vor-
liegt, die Alttatholiken in ihren Rechtcn zu schmälern. Jm
Gegensatz zu Wacker sei cr der Ansicht, datz sich sehr wohl ein
inostus vivencki findcn lasse. Die nationalliberale Partei
hat stets nnr die Rechte des Staates gegen die politischen
Machtbestrebungen der Kirche gewahrt. Jene sog. Kulturkampf-
gesetzgebung imirde durch Angriffe von Seiten des Zentrums
provoziert. Das Zcntriim war es, das gegen die Lameyffche
Gesetzgebung cinen förmlichen Widerstand organisierte. Den
Versuch, eincn Zwicfpalt in den Reihcn der nationalliberalen
Partei zu konstruieren, müsse er entschieden zurückweisen. Wenn
Wacker immcr wicdcr auf seine Stellungnahme zur Gcmeinde-
wahlfrage hinwcisc, so möchte er doch betonen, datz so etwas
in dcr Zentrumspartei allerdings nicht möglich wäre. Wenn
ein Anfänger des Zentrums so offen seine Meinung bekenncn
würde, dann würde cr sofort von der Zcntrumspresse tot ge-
macht. Es ist unmüglich, batz jcmand in den Kreisen des
Zentrums die Freiheit genießt, deren sich ein Mitglied der
natwnalliberalen Partei crfrent. Wenn cr gleichwohl in der
nationallibcralen Partei gcblieben sei, so habc er damit nur
dokumentiert, datz er dic Prinzipicn dcr natioiialliberalen Par-
tei fur die emzig richtigcn halte und daß es ihm nicht im
Traume einfallcn würde, etwa dem Zentrum beizutreten.
(Heiterkeit.) Wcnn wirklich die jetzige Haltung der national-
liberalcn Partci ein Fehler ist, dann könne cr nur wünschen,
datz seiner Zeit cin Binz 2 erstehcn und seiner lleberzeugung
Ausdruck vcrlcihcn und gleichzeitig Mitglied der national-
liberalcn Partei blciben möge. Dcn kathol. Geistlichen wolle
niemand ihre politischen Rechte vcrkümmern. Wacker habe
kein Recht, der liberalen Presse Vorwürfe zu machen, denn von
der Zentrnmspresse werde gerade genug gesündigt. 'Wenn die
Regierung dem Raie Wacker's folgen urrd die Stimmung in
den liberalen Kreiscn ignorieren würde, so würde er dies'leb-
haft bedauern, denn wir wissen sehr wohl,. daß, wenn die
jetzigen „Kampfgesctze" beseitigt sind, wieder andere Gesetze
an die Reihe kommcn, die das Zentrum glanbt bekämpfen zu
mussen. Er konstatiere, datz Wackcr den Zankapfel in das
Haus geworfcn und von „Kampf" gesprochen habe, dcr geführt
werden müssc. Von einer Kampfesstimmung auf unserer
Seite ist keinc Rcde, aber wir lassen uns auch nicht einschüch-
tern uud tauschcn, sondcrn wir behaupten unsere Position in
dem Bewutztscin, dah es nicht gut wäre, wenn das Zentrum
die Oberhand gewinncn würde, und weil wir überzeugt sind,
daß die Position bchauptet werden mutz, wenn nicht dcr Staat
den klcrikalen Machtbcstrebungeii erlicgen soll.

Abg. Kramcr (Soz.) erklärt, datz die Sozialdemokraten
wie früher gcgen dieses Budget stimmcn werden, weil sie
prinzipiell für Trcnnung von Staat nnö' Kirche seien.

Abg. Dr. Wilckcns (natlib.) will sich nicht auf das
Kulturkampfgebiet begeben, da es ihm widerstehe. Er möchte nur
die frühere Erklärung wiederholen, datz dic nationallibcrale
Partei keinerlei Anlatz habe, den neuen Männern der Regie-
rung mit Mißtraucn zu begegnen, aber sie wollc zunächst
Thatcn abwartcn, die sich hofsentlich nicht in dcr von Wackcr
erwartetcn Richtung bewegci^ Jn dieser Hoffmmg sei er durch
oie Erklärung dcs Nkinisters bestärkt worden, dcm er darin
beipflichte, daß wir keine Kampsgcsetzc mchr haben, weshalb
auch kein Anlatz geboten sei, dic Gesetzesmaschine in Bewegung
zu setzen. Jnsbesondere scheine ihm kein Anlatz gegeben zur
Aufhebung dcs Altkatholikengesetzes, gcgcn das Hng nichts
neues vorzubringen wntztc. Das Gesetz bestche jctzt 30 Jahre
und werde so gchandhabt, datz man auch auf katholischer Scite
zufrieden sein kann. Schr gefreut habe es ihn, datz der Kul-
tusminister seincn Vorgänger in Schutz gcnommcn habe, nnter
dessen Amtsführung eine Reihe von Kainpfgesetzcn geschwunden
ist. Den Rcst diescr Gcsctze wolle auch die nationalliberale
Partei in maßvoller Weise durchgcführt wissen.

Um 1 llhr wird dic Bcratnng abgcbrochen und auf Donners-
tag ZH10 Uhr vcrtagt.

Aus der Karlsruher Zeituug.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzoa haben dem
Oberkriegsgerichtsrat Karl Otto Laub in Neisst das Ritterkreuz
erster Klasse mit Elchenlaub des Ordens vom Zähringer Löwen
verliehen, den Knnstgewerbeschuldirektoren Alfred W aäg in Pforz-
heim und Karl Hoffacker in Karlsruhe die Erlaubnis znr
Annahme nnd zum Tragen des ikmen von dem Präsidenten der
franzosischen Repnblik verliehenen Offizierkreuzes der Ehrenlegion
erteilt und den prakt. Arzt Dr. Albert Ma nz in Zell a H zum
Bezirksarzt in Pfullendorf ernannt. ' o u u. 41. zum

— Es wurden Amtsaktuar August Wittemann beim
Bezirksamt Engen und Amtsaktuar Christof Häuser beim Be-
zirksamt Heidelberg zn Registratoren daselbst ernannt.

Karlsruhe, 25. Febr. Der Grotzherzog nahm
hcute Vormittag von 11 Uhr an dcn Vortrag des Staats-
ministers von Brauer entgcgen. Zur Frühstückstafel er-
schien die Fürstin Sophie zur Lchpe. Nachmittags und
abends hörte der Grotzherzog die Vorträge des Geheimen
Legationsrats Dr. Freiherrn von Babo und des Legations-
rats Dr. Seyb._

Ausland.

Holland.

— Jn Betreff der Einsetzung einer Regentschaft wird
noch berichtet: Die Königi n habe sich von ihrer Krank-
heitim Itoveinber nievöllig erholt und sie sei
noch imnier nicht imstande, den Staatsgeschäften volle
Aufmerksamkeit zu widmen. Die Aerzte der Königin
sagen jetzt, sie bedürfe dringend eines langen Auf -
e n t h a l t e s i m S ü d e n zur vollen Wiederherstellung
ihrer Gesundheit. Da die Königin vielleicht ein ganzes
Jahr den Staatsgeschäften fernbleiben müsse, ,sei die
Einsetznng cines Regenten nötig und darüber hätten
die Generalstaaten zu entscheiden.

Scrbien.

B e l g r a d, 24. Febr. Trotz aller Ableugnungen
kann die Verlobnng des PrinzenMirko von
M 0 ntenegr 0 mit der Kousine des Königs Alexander,
Fräulein Nathalie C 0 n st a n t i n 0 w i t s ch als
vollzogen betrachtet werden. Das Handschreiben des
Fürsten Nikolaus an den König Alexander, welches der
heute abgereiste montenegrinische Minister des Aus-
wärtigen überbrachte, bezog sich hanptsächlich auf diese
Angelegenheit. König Alexander erklärte, er habe gegen
diese Verbindnng persönlich nichts einzuwenden. Die
Verlobung dürfte daher demnächst auch osfiziell bekannt
gegeben werden.

Arrs Stadt und Land.

Heidelb erg, 28. Februar

O Wohnunasfrage und Vodenreform. Jm kleinen Saal
des „Prinz Max", der knapp ausreichte, die Zahl der Erschienenen
zu fasstn, hielt gestern der Vorsitzende des Bundes der
deutschen Bodenreformer, Herr A. Damaschke aus
Berlin, einen Vortrag über „Wohnuiigsfrage und
Bodenrefor m". Damit schnitt er ein Stück aus der volks-
wirtschaftlichen Gesamtauffassung der Bodenreformer aus, das
allerdings geeignet ist, jeden sozial dcnkenden Menschen mit diesem
Teil des bodenreformerischcn Programms übereinstimmen zu lassen.

Jst die Wohnnngsfrage Lohnfrage? Diest Frage, welche die
Sozialdemokratie einst — jetzt allerdings auch nicht mehr —
lebhaft bejahte, verneinte Herr Damaschke an der Spitze seiner
Ausführnngen nm schließlich stinerseits den Satz zn formnltereN-
Wohnunasfrage ist Vodenfrage. Die Wohnungsnot ist nichr
Schuld Einzelner, der Hansbesitzer. sie ist im ganzen System der
Bodenbesitzverteilung begriindet. Ein wirtschaftlicher Aufschwung
dauert gerade solange, bis dst nachkriechende Grundrente, die stch
dem Ntchtgrnndbesitzer als Miete bemerkbar macht, die Kaufkraft
des Volkes für sich in Ansprnch genommen hat; dann entsteheN
Produktionskrisen, Absatzkrisen, Geldkrisen, immer eine ans der
andern. Der ringcnde Menschengeist findet neue Mittel und Wege
zn nenem Anfschwnng — es beginnt das alte Spiel! Kluge Leute
wissen immer Terrain an sich zu bringen, das bei steigender Kon-
junktur in Anspruch genommen werden muß nnd, dann verkaust,
ihnen nnverdienten Gewinn einträgt, der eigentlich der
Gesamtheit, wclchs den Anfschwnng hervorgebracht hat, zn Guft
kommen miitzte. Für den ftädtischcn Boden ist es alfo lediglich
das dnrch einä falsche Bodenpolitik der Gemeinden großgezogene
Speknlantentlini. das in Grund nnd Boden „arbeitet" wie der
tsrminus tseüniens lantet, nnd mit dieser „Arbeit" die Wohnungs-
not hervorbringt. Nicht der einzelne Spekulant ist schnld; denn
thnt es dieser nicht, so gewiß ein anderer; auch nicht der Haus-
besitzer an sich; denn ist Gelegenheit da, das Angebot mit der
Nachfrage, ohne enorme Bodenprcise whlen zu mnsstn, in Einklang
zn bringen, dann wird der Hausbesitzer nicht steigern könnew
Zur Bessernng dieser Lage unseres Volkes, von der seine Sittlich'
kett und seine Gesnndheit, alle die Vorbedingimgen einer gedeih-
lichen Weiterentwicklung nicht nnr, sondern seiner Extstenz iiN
Konknrrenzkampf der Völker abhängt, strcbt der Bund der Boden-
reformer, der in sich Vertreter aller politischen Parteien, nw
Ansnahme der Sozialdemokratie, die stch ja als privilegierte
Volkserretterin geriert, sowie aller Reltgionsbekenntnisse umfaßt,
als das zur Zeit mögliche nnter Andern folgenses an: Ein-
führung einer Besteuernng nach dem gemeinen Wert, so-
wie einer besonderen Bauplatzsteuer; Aenderung der
Gemeindebodenpolitik dahin, daß kein Gemeindeboden
je dem Speknlantentum ausgeliefert werden darf; daß vielmehr
das Gemeindeeigentum an Grund und Boden thnn-
lichst vermehrt werde. Scharf abzulehnen ist jeder Kommu-
nismus, denn das Zndividunm soll seine Freiheit in ver-
nünftigen Schranken behalten. Die Nntzung des Gemeindebodens
muß durcb Ervbau 1 echt irfolaen, em Znstttut, das tm bür-
gerlichen Gesetzbuch den bodenreformerischen Anforderungen Ge^
nüge lelstet. So stellt die bodcnreformerische Jdee eine letzte
Mögltchkeit dar, tiefgreifende Reformen einzuführen, ohre vov
der Sozialdemokrotie dazu gezwungen zu sein, eine Reform, die
sich organisch vollziehen wird. an der die Besten auS allen Par-
teien mitwirken können, da nichts verlangt wird als ein warrnes
Hcrz für das Elend und ein gesunder patriottscher Sinn. — Der-
art waren Herrn Damaschke's Ausführungen, die lebhaften Bet'
fall fanden. DIs ansckließende, sehr lebhafte Diskusston, an der
sick die Herren Kürz, Ziller und Dietrich beteiligten, sörderte iwck
vicle neue Momente, namentlich lokaler Natur, zu Tage. ZuM
Sckluß sprach Herr Damasckks nach über die bishertgen Er-
folgederBewsgung, die in England und Amerika stw
qroße seien, tn Deutsckland immer weiter um sich griffen; er
schilderteauch auf's anschaultchste den praktischen Versuch, den mav
mit der Kolonie Kiautschu im bodenreformerischen Sinne gewachr
hatte. Wir werden auf diesen Punkt noch riaher zurückkomweN-
Als beachtenswerten Erfolg des Abends kann man es bezeichnev,
daß unmtttelbar nach dem Vortrag 20 Herren zur Bildung einer
Heidelberger Ortsgruppe des Bundes der
deutschen Bodenrekormer zusammentraten. Es soll ver-
sucht werden, die bodenreformerischen Jdeen so in wcilere Kreift
zu tragen- Gerade die Heidelberger Bürgerschaft hätte alleN
Anloß, sich näher mit der Sache zu beschästigen. Jn dell
provisorischen Vorstand der Ortsgruppe wurden dte dret HerreN
gewählt, dic fich on der Diskusfion beteiligt katten.

O Das Wettspiel des Akademischen Sport-Clubs gegeN
Neuenhclm-College, welches heute stattfinden sollte, ist wegen der
am gleichen Tage erfolgenden Bestattung des Prosessors Dr.EiftN-
lohr aus Dounerstig verschoben worden.

0 Vesihwechsel. Herr Carl Wilhelm Beck, Kaufmann hftr;
verkauste sein Haus, Schloßberg Nr. 6, an den seitherigen Ge°
sckästsinhaber Herrn Friedrich Maurer um den Preis voN
23000 Mk. Die Uebergabe erfolgt am 1. April d. I. ,

4t- Quartett Udel. Mit dem werdenden Frühling haben st»
bei nns auch wieder wohlbekanute gern gesehene Gäste, dft
Wiener Quartett-Länger V. Keldorfer, Prof. K- Udel, F. Hoer^
beder und E. Weiß, eingestellt und mit ihren prächtigen humoristft
schen Liedern aufs neue einen hübschen Erfolq errungen. Da»
vorgestern von dem Udcl-Quarteit im städt. Saolbau gegebene Ko^
zert zeichnete sich dnrch ein hübsches, obwechslungsretcheS Prv"
gramm aus, das in seiner ganzen Wiedergabe tnfolge des »r-
wnchsigen Humors der Wiener bei den Zuhörern nicht geringeo
Anklang iand. Die Sänger waren ausgezeichuet dtspontert, ft
datz die Vorträge alle gut gelangen. Es erübrigt wohl, hier dew
einen oder anderen der Mitwirkenden besonderes Lob zu spendew
sie zeigten sich sämtlich in ihrem besten Könncn. Der laute, «n
haltende Applaus bewies ihnen aber auch, wte sehr ste gestE
und wie prächtig sie d!e Anwesenden durch ihre köstlichen Stü^
unterhielten. Greifen wir etniges aus dem umfangreichen Pr°-
gramm heraus, so dürfte wohl bei allen der Solovortrag
den Erlebntffen eines Quartett-VtertelS" von Prof. Udel wegev
seines großen Humors gefallen haben. Ausgezeichnet an drast'
scher Wirkung war anch das Quartett Dienstboten-Zeugnis d-
EulaUa von Löweuzahn, der musikatische Scherz, Männerquartev'
die komischen Telephonstörungen, die Mär vom Gardeteutnan
Strachwitz und nicht znletzt auch das köstlich-satyrische Sol^
Quartett von der deutschen Jungfrau. Kein Wunber, daß d'
guten Darbietungen und der lebhafte Beifall verschiedene
gaben zeitigten und daß dte zahlreichen Konzerttetlnehmer st"
fast garnicht entschlteßen konntcn, die schöne AbendunterhaltuNS'
der sie gern noch ein wciteres Stündchen beigewohnt hätte». i
verlassen.

* Der stndentische Fackelzug ist wegen der Beerdignng d^
Prof. Aug. Eisentohr verschoben worden. Er soll, wte
hören, am Freitag stattfinden.

ffst Salvatorfest. Ein lustigeS Völklein findet sich scit Sauw
tag jeden Abend tn den festlich dekorterten Räumen deS „Rodew
stetner" ein, welches bei vorzüglichem Stoffe, „echtem Salvator -
Musik und gemeinsam gesungenen Liedern sich in harmloser We>l
zu amüsieren weiß. Auch heute ist wteder großeS Konzert, M
es sollte Niemand, der sich für einige Stunden an den Straw
der Jsar, nach München, zum Salvatorfest versctzt sehen
versäumen, am heuligen Abend dorlhtn zn gehen.

** Mehrere Verichte, so derjenige über die Hauptversaw^
lung deS FrauenoereinS mußten des großen SloffandranS
wegen anf morgcn zurllckgelegt werden.

--- Polizeibericht. Fünf Arbeiter wurden wegen Bettew '
eine Kellnertn wegen Umherziehens und ein HauSbuische weg „
Beleidigung, Ruhestörung und Widerstands verhaftet. WeS
Unfugs kamen 7 Personen zur Anzeige.

1- Neckarbischofsheim, 24. Februar. (T 0 desfall.) Be'»
gestrigen Brande in Bargen wurde der greise Schwiegeroater
Brandbeschädigten, BürgermeisterS Brenncr von Bargen, §
folge des Schreckens von einem Schlaganfall betroffen, deM
alsbald erlegen ist.j . v

Karlsnihe, 25. Febr. (D i e B ah n h 0 f v e r l e g u "A
Wie nach dem „Mannheimer Anzeiger" aus zuverläsftv^
Ouelle verlautet, soll die Forderung für Verlegung des
ruher Hauptbahnhofes in Anbetracht der mitzlichcn
lage des badischen Staates bis auf Weiteres (man fthii:
von fünf Jahren) zurückgesteN werden. Zuerft joll ^
Bahnhofverlegung in Durlach vollständig durchgeführt w ^
den. Wie weiter verlautet, ist man auf den technischen Bure»
 
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