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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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Aweites Blatt.

Mvtwoüi^ 12. März M2.

44. Jahrgang. — lir. 60.

'rscheint täglich, Sonntags ansgenommm.

Prcis mit FamUienblüttern monatlich 50 Pfg. in'S HauS gcbracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post de-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

^nzeigenprei s- 20 Psg. für die Ispaltige Pelitzeile oder deren Raum. Rcklamezcilc 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen cruiäßigt. — Für die Aufnahme von Auzeigen an d.stimAt
borgeschriebenen Tagen wird keine Verautwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung nnd den Plakatsäulen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Ans dem bad. Landlag.

L. Q Karlsruhe, 10. März. Die Hochschuldebatte

der zweiten jtammer bot einige inkeressante Momente,
°>e einen kurzen Rückblick rechtfertigen. Von den speziellen,
jeder Budgetberatung wiederkehrenden Hochschulwünfchen ab-
Asehen, konzentrierte sich die Debatte in der Hauptsache auf
°>e Ausländerfrage. die juristische Vorbildung und die Voraus-
ietzungslosigkeit der Wissenschaft bezw. die Lehrfreiheit.

Jn der Ausländerfrage traten zwei Anschauungen hervor:
«inige verlangten unbedingte Gastfreundsck)aft, Andere wollien
°ie deutschen Hochschulen in crster Reihe den deutschen Studen-
len reserviert wissen. Die Regierung sah die Frage durchaus
bicht als dringlich an, einmal weil die Zahl der eigentlichen
Ausländer nicht besonders groh ist und sodann weil die akade-
Niischen Behörden von sich aus durch strenge'Handhabung der
-lufnahmebedingungen eventuell durch Einräumung eines
irüheren Termins zur Belegung Remedur schaffen können.

Etwas oberflächlich schien uns die Behandlung der Frage
°er juristischen Vorbildung. Es untcrliegt gar keinem Zweifel,
^>tz der preuhische Entwurf, wenn er Gesetzeskraft erlangt, die
«requenz unserer Universiiäten sehr ungünstig beeinflussen
dstrd, ganz abgesehen davon, dah er ein neues Hindernis für
°'e erwünschte einheitlichc Regelung dcr juristischen Vorbil-
°Ung für das ganze deutsche Reich bildet. Dah die Ein-
whrung cines Zwischenzeugnisses zu einer Beschränkung der
«reizügigkeit prcuhischer Studcnten führen muh, wird Nie-
Aand bestreiten, der sich in die Lage eines Rcchtsbeflissenen
Meinzudenken vermag. Der Herr Minister hat zwar betont,
°ah nach den Erklärungen der preuhischen Regierung keineswegs
°>e Tendenz bestehe. die stiidentischc Freizügigkeit zu unterbin-
°en und dah alle Hochschulcn die gleiche Wertung erfahren, wie
°>e preutzischen. Es muh aber nicht so sehr mit den Jnten-
>>onen der preuhischen Regierung, als mit der mutmahlichen
jlufnahme gerechnet werden, Ivelche das neue Gesetz bei den
Studenten findet. Man braucht kein grohcr Prophet zu sein,
^>n voraussagen zu können, dah sich unter den Rechtsbefliffcnen
Sanz instinktiv die Ansicht verbrciten wird, es sei weit besser,
l°enn man auf den preutzischen Hochschulen die erfordcrlichen
braktischen Arbeiten anfertigt, als auherhalb der schwarz-
a>eihen Grenzpfähle. Ein weitercs Bedenken richtet sich da-
Segen, dah das Zwischenzeugnis nicht von den Lehrern, sondern
°°n einer andern Behörde gegeben wird. Dadurch würde, wie

Rechtslehrer in den „M. N. N." hervorhebt, dem Berliner
^ezernenten eine autzerordentliche diskretionäre Gewalt ein-
Seräumt. Er könnte, wenn es ihm paht, ganze Fakultäten
°ad Universitäten boykottieren. Wird ferner der Gedanke
°Nrchgeführt, die Zuhörerzahl in den Vorlesungen und
aebungen nach oben zu begrenzen, so wäre damit die Notwen-
Agkeit gegeben, dah auch dic süddeutschen Rechtslehrer von den
?>erliner Dezernenten kontrolliert würden, da naturgemätz
M Zwischenzeugnis nur auf Grund der Teilnahme an solchen
"»rlesungen und Uebungcn gegeben werden darf, deren Teil-
ssehmerzahl den Berliner Vorschriften cntspricht! Die mög-
achen Folgen des preuhisckien Entwurfs wurden in der Kam-
j»er nur teilweise und höchst oberflächlich gestreift, ja ein Zen-
j°umsabgeordneter erachtete sogar nach den „durchaus genügen-
7°n und erfreulichen" Erklärungen der preuhischen Regierung
i°de Gefahr für die Freizügigkeit als ausgeschlossen. So opti-
°>>stisch beurteilen wir den preuhischen Entwurf nicht, wir
Muben vielmehr, dah dcr Strom der ewig wanderlustigen
^vrddeutschen bedeutend abnehmen wird, wenn es der Regie-
gelingt, die Wirkungcn jener Vorlage in irgend einer
'dreise zu paralhsieren. .

. Von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft und der
^ehrfreiheit war zwar nur nebenbei die Rede, immerhin aber
!>nd die wenigen Bemerkungen, die darüber fielen, für die po-
Msche Lage in Baden sehr bezeichnend. Der ultramontane
Zbgeordnete Fehrenbach fühlte sich berufen, über den Professor

1°r Geschichte und Litteratur an der Technischen Hochschule,

- ^ ' - ' ' ^ -


?r. BLHtlingk, der den Ultramontanen im Kolleg etwas derb

Wahrheit gesagt und dcn „hochangesehenen" Gelehrten Alois

Schulte wissenschaftlich gekennzeichnet hqtte, zu Gericht zu
sitzen. Jst es schon ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn ein-
zelne Redewendungen aus einer Vorlesung, von böswilligen
Hörcrn aus dem Zusammenhang gerissen und vor die Oeffent-
Iichkeit gezerrt, in der ultramontanen Presse ungestraft zu
ciner sck)amlosen Hetze gegen einen Gelehrten benützt wcrden
dürfen, so muh die Thatsache, dah ein ultramontaner Abgeord-
netcr lediglich auf Grund von Zeitungsberichten in der zweiten
Badischen Kammer mit der Ehre und dem Ansehen eines Hoch-
schullehrers nach Belieben umspringen darf, ohne vom Prchi-
dium oder vom Regierungstisch Widerspruch zu erfahren, äuch
auherhalb der Hochschulkreisc Erstaunen hervorrufen. Was
gestern Hcrrn Böhtlingk widerfahrcn ist, kmin morgen jedem
anderen Hochschullehrer passieren, sodah schlietzlich keiner mehr
ein freies Wort sprechen darf, ohne befürchten zu müssen, am
nächsten Tag in einem ultramontanen Blatt verlästert und
gleich darauf im Landtag an den Pranger gcstellt zu werden.
Wo bleibt da die akademische Lehrfrciheit? Wohin soll es
führcn, wenn jede Kritik eines Hirtcnbriefes a priori abge-
lehnt, dem Erzbischof also uneingcschränkte Schimpffrciheit ein-
geräumt, den Hochschullehrern aber Tadel in Nussicht gestellt
wird, sobald sie die Gefühle andcrs Denkender verletzcn? Es
ist sehr zu bedaueru, dah die Angriffe Fehrcnbachs, die sich in
erster Linie gegcn den Historiker Böhtlingk und die von ihm
vertretene Anschauung richtetcn, von liberaler Seite nicht ener-
gischer zurückgewiesen wurden. Man hätte sich an die Worte
Döllingcrs erinncrn sollen, dah der echte Ultramontane tief im
Hcrzen ein Feind der Geschichte, ein Gegner historischer For-
schung ist; denn er ahnt, dah ruhige und tiefgreifende For-
schungen Ergebnisse bieten, die seinem Systcm tötlich werden
würden. Er wird wohl gelegentlich einzelne aus der Geschichte
herausgcgriffene Personen oder Ereignisse oder Zeitabschnitte
nach dem ultramontanen System darstellen, aber die Geschichte
im grohen pragmatischen Zusammenhang so darzustellen, dah
sie sciner AnsckMiung zu statten komme, das ist unmöglich.
Das weih der Ultramontane, wenn er ein Mann von einiger
Mldung ist, und darnm wird er, wo er kmin, das ernstere
historische Studium zu dämpfen und zuirickzudrängen snchen.

Ausland.

Türkei.

K o n st a n t i n o p e l, 10. März. Dem „Berl.
Lokal-Anz." wird berichtet: Hier angekommene Tonristen
der „Anguste Victoria" werden in einer Weise von
Spionen belästigt, die allgemeines Aufsehen er-
regt; den Wagen der Touristen solgen Spione zu Pferde;
ohne besondere schristliche Erlaubnis der Polizei darf
Niemand zur „Anguste Victoria" hinicherfabren; der
Qnai in Galata wimmelt von Spionen nnd Polizisten.
Große Sendnngen von Druckerei-Iltensilien, wie Typen,
Walzen, Tinten rc., welche von den dentschen, österreichi-
schen und englischen Drnckereien Konstantinopels bestellt
waren, wurden von der Donane konfisziert, weil die Po-
lizei die Einfnhr aller fiir Drnckereien notwendigen
Utensilien verboten hat, aus Furcht, daß jnngtürkische
Schriften gedruckt werden könnten. Die betreffenden
Konsulate intervenieren nnr, wenn die konsiszierten
Waren ans dem eigenen Heimatlande bezogen werden,
wodnrch manche Druckereien in eine hilflose Lage geraten
sind. Das österreichische Konsulat verweigerte seine Jn-
tervention, weil die Waren aus Deutschland bezogen
waren. Das dentsche Konsnlat vermochte nicht einzu-
schreiten, weil der Reklamant Oesterreicher ist. So wurde
die Duane in ihrem vertragswidrigen Vorgehen be-
stärckt.

Afrika.

— Aus Zansibac wird geschrieben: Wohl für keinen
der europäisckieii Herrscher hegr der Sulta n gröheres Jnter-
esse, als gerade für den d e u t s ch e n Kaiser. Das sollte
sich wieder am Geburtsrage desselben zeigen. Auf ausdrück-
lichcn Befehl des Sultaus fandcii sich am Morgen des 27. Ja-
imar der Seyyid Ali ben Hamoud, begleitet vom ^ Brigade-
General RaikeS und mideren hohen Beamten dcs Sultanats
bei dem Grafen von Hardenberg ein, um die offiziellen Glück-
wünsche ihres Monarchen darzubringen. General Raikes war
dcr Wortführer und er bedauerte im Namen Seiner Hoheit,
Lah dessen Antvefenheit in Chukwani es ihm unmöglich mache,
persönlich zu erscheinen. Graf oon Hardenberg bewirtete seine
Gäste auf das zuvorkommendste und es fchlte auch nicht an
deutschem Sckjaumwein, dcr den Herren bortrefflich zu munden
schien. . . . An deniselben Morgen sprachen auch andere dislln-
guierte Persönlichkeitcn sowie die Kvnsuln der fremden Re-
gierungen in Zanzibar auf der dentschen Gesandtschaft vor,
um ihre Aufwartung zu machen und ihre Glücktvünsche für
das Wohlergehen Kaiser Wilhelms abzustatten.

Aus Stadt und Land.

lü SchöffengerichtSsttzung vom 10. März. Vorsitzender: Hr.
AmISgerichtsdirektor Rtbiteln 1) Jakob Hersche hier erhielt
wcgcn Vergehens gegen das Nakrungkmittelgesetz 30 Mk. Geld-
strafe oder 5 Tage Gefängnis; 2) Karl Schwarz bier wurde von
der Anklage wegen Diebstahls freiaesprochen; 3) Jakob Gaßmann
von Mannheim crhielt wegen Unteischlagung 6 Tage GefängniS;
4) wcgcn KLrpeiverletzung crhielt Karl Wörbach von Dossenheim
10 Mk. Geldstrafe oder 2 Tage Haft und Hcrmann Zeug von
Leimen 25 Mk. Geld Gcldstrasc oder 5 Tage Hast; 5) Richard
Neudeck von Lobcnfeld erhielt wegen Bedrohung 5 Tage Gefäng-
nis; 6) Karl Schroth hier wege» Körpcrverlltzung 30 Mk. Geld-
strafc odcr 6 Tage Gefängnis; 7)Heinrich Berger von Eppelhcim
wegen Unteischlagung 6 Wochen Gefängn's; 8) Karl Wtlz hier
wegcn Widerstanvs und Köiperverlltzuna 2 Wochen Gefänanis;
9) wegcn Diebstahl«, Dicbstahlversuch« und Hehlerei erhielt Zosef
Schweigcrt von Flehingen 15 Tage, Jokobine Steiu Ehefrau
von Neckargemünd 5 Tage und Karl Heinrich Stein von da
3 Tage Gefängnis; 10) Jakob Hetzel von Bommenthal erhielt
wegen Körperverletzung 10 Mk. Geldstrafc oder 2 Tage Gefäng-
nis; 11) Kilian Keller iu Haft hier wegen Hehlerei 4 Wochcn
GefängniS; 2) Gustav Bannert in Haft hier wegen Diebstahls
14 Tage Gefänanis.

Karlsruhe, 9. März. (Z u d e n st ü d t i f ch e n W a h l e n
schreibt man dem „Schwäb. Merk.": Die Volkspartei hatte die
Absichk, wie bei den Laudtagslvahlen, so auch bei deu Gemeinde-
wahlen mit den Sozialdemokraten zusammeiizugehen. So
war es ja auch vor 3 Jahren bei den Gemeiudewahlen ge-
schehen. Aber es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht. Dah
die Fntimirät nicht mehr die alte war, konnte man aus man-
chen Anzeichen schliehen. Das Dazwischentreten Bebels im
Offenburger Parteitag hat immerhin soviel bewirkt, dah die
Sozialdcmokraten keine besondcre Lnst mehr hatten, sich mit
irgend einer bürgerlichen Partei (nnd eine solche ift in ihren
Angen die Volkspartei) in ein fönnliches Bündnis einznlassen.
So muhtc sich die stolze Volkspartei eine änherst hochfahrende
Behandlung gefallen lassen von dencn, für die sie mehr als
einmal den Ansschlag gegeben hat. Die Sozialdemokraten be-
schloffen, aus freien Stücken 3 Volksparteiler auf ihre Lifte
zu nehmen, ohne eine Gegenleisllmg zu verlangen, der Volts-
partei überlassend, vb sie ftir die Liste sllmmen wolle oder nicht.
Da fiel es der Volkspartei in wunderlicher Verkennung der
Sachlage ein, den Svzialdemokraten ein Bündnis anzutragen
unter der Bedingung, daß ein Volksparteiler mehr auf die
Liste komme. Aber 4 Volksparteiler waren dcn Sozialdemo-
krateu zu viel. Es folgte eine rimde Absage, die heute im
„Vvlksfreimd" öffcntlich preisgegeben wird. Er schreibt in
seinem wegwerfenden Tone, wenn die Volkspartei sich nun-
mchr der Stimme enthalten wolle, so möge sie es thun. Die
3 Volksparll'iler blciben auf der sozialdemvkratischen Liste, da-

45)

Sneewittchen.

Roman von A. I. Mordtmann.
(Fortsetzung.)

. Ohne auf seinen Weg zu achtcn, schritt er durch Sturm
°»d Regen dahin, und plötzlich ftand er drautzen an der Alster
°r dem Hause, in dem er so glücklich gewesen war. Er blickte
°»ch den Fenstern hinauf, hinter denen er früher so manches-
Aal die Geliebtc gesehcn hatte, und es durchzuckte ihn wie cin
Aarfer physischer Schmerz. als er den gleichen rötlichen
(stcknpenschimmer hinter den Vorhängen bemerkte, der ihm vor-
^NlZ inimer schon aus weitcr Ferne grühend entgegen geleuchtet

^ Cr wandte sich haftig um, und vornüber gebeugt, nm den
L>n pon vorn kommenden Windstöhcn und Rcgenschauern die
?llrn zu bieten, legte er denselben Weg in umgekehrter Rich-
j°Ng zurück. Am Ende dcr Esplanade wandte er sich rechts
das Dammthor nach Fontenay. Er wuhte, dah Gcrard
immer seine frühere Wohnung inne hatte.

: Stärker als in der Skadt rauschten hier Sturm und Regen
> den altcn Linden, und die größcre Cinsamkeit verstärkte die
^°ostlosigkeit der Umgebung, die so vollkommen zn Zarnows
?°niütszustand pahte. Dcm bekannten Hause gegenüber
u^chte er Halt. Jm Salon unten brannte der Kronleuchter,
Ulliow lehnte sich an den feuchtcn Stamm eines Baumes am
h-n>aßenrade und starre nach den beleuchteten Fenstern
jfnnber. Zum ersteumale während des heutigen Abends fiel
Zch Juanita ein, und heftiger als je stieg in ihm unzähmbarer
„>>°er Groll gegen die Frau anf, die sich nm Geld verkauft
.f'o. nicht zufrieden, ein Dasein zerstört zu haben, noch ein
">°>tes Leben elend gemacht hatte.

Von ferneher ertönte Rüderrollen. Das Geräusch kam rasch
s^Ser, Zarnow erkannte bald die Wagenlampen einer herr-
-chtlichen Equipage.

>, "»willkürlich wandte cr seine Blicke noch einmal der Woh-
»8 zn — sie hatte jetzt eine Wageneinfahrt und ein niedriges

Seitengebäude, was frllher nicht dagewesen war. Frau Cäcilie
Gcrard hatte dafür gesorgt, dah ihr Gatte sich nicht mehr
über die Saumseligkeit und Frechheit der Droschkenkutfcher
zu ärgern brauchte.

Die Eqnipage kam näher, bog scharf um mid fnhr so
dicht an dem einsamen Beobachter vorbei, dah der von dcn
Hnfen der Pfcrde nnd den Rädern fortgeschleudcrte Schmutz
seinen Rock bespritzte und er deutlich die Jnsassen erkannte.
Er slleh eincn heiseren Ruf der Wut aus und ballte die
Fäuste in der Tasche. Dann aber verlieh er seinen Beobach-
tungsposten, er fürchtete, hinter den Vorhängen dcs hell er-
leuchteten Salons öie Silhouetten des glücklichen Chcpaares
zu erblickeu.

Triefend bon Nüffe und an den Kleidcrn die schmutzigen
Spuren seiner Wanderiing tragend, kehrte Zarnow in den
Gasthof zurück, wo er abgesllegen war: ein ruhiges Haus
zweitcn Ranges auf den Grohen Bleichen, das er dcn glünzcn-
dcn Hotels am Alsterbassin vorgezogen hatte.

Jn seinem Zimmer entledigte er sich zunächst der naffen
Kleider. Jnfolge der Reaktion der Erschlaffung gcgen die
fiebernde Glut, die ihn bis jetzt umgetrieben hatte, fing er
an zu frösteln. Er überlegte, ob er uoch in das Gastzimmer
hinunter gehen iind sich ellvas zu effen geben laffen sollte, aber
er spürte keinen Hunger, und er wollte sich nicht lächerlich
machen, indem er wie ein krankes Mägdclcin gut znbereitete
Speisen stehen ließ.

Es war nnerträglich, dah er noch immer dieselben Ge-
danken nicht aus deni Kopfe los werden konnte. Wenn es
so weiter ginge ....

Zarnow nahm den geladenen Rcvolver, den er anf Reiscn
stets bei sich trng, aus der Tasche und legte ihn vor sich hin.
Er sah in die Kammern, spielte mit dem Drücker und hielt
an Stirn und Schläfen, um zn versuchen, tvelche Empfindung
der kalte, eiserne Reifen errcgte und ließ dann den Arm
mit dcr kleinen tötlichen Waffe langsam wieder sinken. Seine
Hand zitterte nicht — er wußte, daß fie auch nicht zittern
würde, wenn sie ihm den letzten Dienst erweisen sollte.

Er lchnte sich in den Stiihl zurück und wie eben mil dem
Werkzengc, so spiclte er jetzt mit dem Gedanken des Selbst-
mords. Mit Cäcilie war eigentlich der Zweck seines Lebens
abhanden gekommen. Wozn es also niiiiütz weiterführen? Je
länger er diesem Gedanken nachging, desto ruhiger wurde er.
Cin Gefängnis, deffen Thür offen stand, war kein Gefängnis
mehr, wenn man darin noch freilvillig verweilte; man braucht
uicht zur Thüre hiiiauszugehen, es genügt, wemi man nach
Bclieben hinausgehen kann. Nicht darin besteht der größte
Gcniih der Freiheit, datz man wirklich alles thut, Ivas man
will, sondern dah man es thun kann, sobald man will. So
hatte Zarnolvs hoffniingslose Berziveiflnng ihren gröhten
Schrecken verloren, seitdcm er sich der Möglichkeit iind des
Willens bewuht gcworden war, scine Bürde von sich abzuwerfen,
sobäld es ihm gut dünktc.

Zarnow legte den Revolver bei Seite und nahm Papier
und Tinte vor. Noch blieb ihm, bevor er mit seinem zweck-
und untzlos gewordenen Leben abschlöfse, die Erledigung der
auf dem Lenchllurme der Abrolhos überiiommenen Pflichten
übrig. Er griff zur Feder und adreffierte nach einigem Besin-
ncn dcn Brief, der eine Schildernng der Sachlage und den
Bericht über die Jnanita zugekonuneneii Reichtümer enthalten
sollte, an den Hanptpastor Ritzmi. Der würde nach seiner
llcberzeugung der richtige Mann sein, um Juanitas Rechte nach
allen Seiten hin wahrziuiehmeii.

Uiiermüdlich imd ohne zu zögern, flog die Feder über das
Papier., Nach eiucr kurzen Einleilliug, die ihn selbst betraf,
schilderte Zarnow sein Erlcbnis auf dcm Leuchtturm, die
Bekenutiiiffe des alten Leuchtturmwärters imd die Maßregetn,
die beide getroffen hatten, um die Schätze der „Doima Loisa"
zu sichern. Die Diamänten lagerten schon in den Gewölben
der englischen Bank, für den Bctrag der Goldmünzen hatte
die Filiale der Anglo-Bragilian Bank in Bahia Wecbscl auf
Franffurt, Hambnrg und Berlin ausgestellt, die jeden Augen-
blick realisierbar wareu.

(Forffehung folgt.)
 
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