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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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k a t h o I i z i S m u s im Lager der katholikentäglichen
Orthodoxie ausgebrochen ist. Die Katholikentage lvaren
immer ein beliebtes weltliches Schaustnck der klerikalen
Propaganda; dort Pflegte man mit der jeweiligen Mode
zu kokettieren, nm recht viele Gimpel zu fangen; nun
aber ist die Mode den Drahtziehern iiber die Köpfe ge-
wachsem man besorgt ein übles Anfeinanderplatzen der
gegensätzlichen Strömungen aiif dem Katholikentag und
darum käßt man lieber die Thore der Schanbnhne ver-
sperrt. lleber die vielgepriesene Wichtigkeit nnd Not-
wendigkeit der Katholikentage mag sich n»r Jeder seine
Gedanken machen. Die Vorbereitnngen dazn waren
schon in gutem Gang, die nbliche Szenerie anfgestellt.
Sektionen hatten sich konstitniert, Referate waren verteilt,
alles hätte, lvie sonst geklapph was zmn Handwerke
gehört, als aus deni Bischofspalais die niederschmetternde
Gegenordre eintraf. Kein. Katholikentag!

W i e n, 19. März. Der alldeutsche ?lbg. Stcin erschien
heute im Abgeordnetenhause mit einer HundsPeitsche.Sein
Gegner, der Tscheche Dyck, liesz daranfhin einen Revolver
holen, ebenso der Tscheche Rataj. Dyck erklärte, er werde
Stein niederschießen, wenn er ihn beriihre. Die Partei-
genossen snchten die Gegner auseinanderznhalten. Mit-
tags verließ Stein das Haus.

s?rankreich.

P a r i s, 19. März. Der gestrige Beschlnß der Kam-
mer, die Dauer des Depntiertenmandats auf sechs Jahre
zu erhöhen, wird von den Blättern ohne Rücksicht auf die
Parteistellung in verschiedenem Sinne besprochen. Das
nationalisüsche „Jonrnal" erklärt, der Beschluß sei sehr
bedauerlich. Es sei nunmehr Sache der Wähler, dicsen
Beschluß dadnrch zu Nichte zu machen, daß sie oem Kan-
Lidaten die bestimmte Verpflichtung anferlegen, in der
nächsten Kammersession für die vierjährige Mandatdaner
einzutreten. Die konservativen und nationalistischen Blät-
ter bezeichnen den Beschluß als einen Gewaltstreich, um
Lie Rechte der Wähler zu kürzen. Es sei noch ein Gliick,
daß die Kammer diesem Gesetze nicht gleich auch riickwir-
kende Kraft verliehen habe. Mehrere radikale Blätter
sind der Ansicht, daß die Verlängerung eine Besserung
der politischen Sitten, eine tiefere Erkenntnis von der
Gesinnung des parlamentarischen Regimes und 'eine
nützliche Thätigkeit der Kannner herbeiführen werde. Em
Teil der Deputierten ist der Ansicht, daß dieser Beschlutz
noch dem Senat vorqelegt werden müsse, doch halten
sie es für sicher, daß der Antrag anch dort angenommen
wird.

England.

London, 18. März. (Unterhaus.) Kriegs-
minister Brodrick erklärt, Lord Wolseley gehe auS volüg
privaten Gründen und ohne irgend eine Verbindung
mit dem Kriegsamt nach Südafrika. Claude Lowther
^ fragt bezüglich der vielfachen Angriffe der Buren ans die
englischen Truppen in Khakiuniform, welche Schritte die
Regiernng zu thun gedenke, um einer Wiederholung
solcher Dinge vorzubeuqen. Brodrick erwrdert, nach dem
Kriegsgebranche zivilisierter Nattonen könnten die Buren,
welche in englischen Uniformen gefangen wiirden, nach
ihrer Aburteilung durch das Kriegsgericht erschossen wer-
den Kitchener habe auch in gewissen Fallen diese Strafe
verhängt. (Da die Buren andere Kleidung incht anf-
zutreiben vermögen, so müssen sie wohl oder ubet die
den Engländern weqgenomnienen Khakiumformeii tra-
qen: oder verlangt Kitchener, daß sie nackt gehen?) Dil-
lon sragt an, ob Brodrick wisse, daß die regularen Vuren-
truppen bereits lange, ehe dieselbe von den Englandern
qngenommen wurde, Khakinniform getragen hatten.
Brodrick erwidert. daß dies die Buren nicht im gecmg-
sten entlaste, daß sie Uniformen trngen. d,e den eng-
lischen Truppen abgenommen und mit unterscheidenden
Abzeichen der englischen Armee versehen seien. Handels-
minister Gerald W. Balfonr teilt mit, daß d,e Osterferien
voni 26. März bis 7. April dauern.

WationaMöerake Bersammkung.

Heidelberg, 20. März.

Die gestrige uationaliberale Versammlung im Gartensaal
Ler „Harmonie" war erfreulicherweise recht zahlreich bc-
sucht, sodatz der Nebenraum gcöffnet werden mutzte; auch er
wurde bis auf den letzten Platz besetzt.

Der Vorsitzende des hiesigen nationalliberalen Verems,
Professor Dietrich SchLfer eröffnete die Bersammlung mit
Worten des Dankes für den zahlreichen Besuch, wies auf die
wenig erfreüliche kritische Zeit.hiu, die wir im Reich gegen-
wärtig durchmachen, bezeichnete es als notwendig, datz die
Partei im Hinblicke auf die unsichere Zeit schon jeht
ihre ganze Kraft anspanne, und forderte diejenigen Anwcsen-
den, die der Partei noch nicht angehören, zur Einzcichnung
in die herumgehende Liste auf.

Darauf ergriff der Reichstagsabgeordnete Oberamtmann
Beck das Wort. Er wies ciüleitend gleichfalls auf die un-
gemeine Wichtigkeit der politischen und wirtschaftlichen Fragen
hin, die zur Zeit die Oeffentlichkeit beschäftigen. Das Wider-
spiel der extrcmen Parteien sei nicht ohne Sorge zu betrach-
ten. Unsere Partei werde demgegenüber stets an ihrem poli-
tisch-liberalen Grundgcdanken und in wirtschaftlicher Bezieh-
ung an der Notwendigkeit eines Ausgleichs der Jnteressen
auf einer mittleren Liiiic festhklten. Dann skizzierte er kurz
die bisherigen Ergebnissc der Reichstagsession, die im No-
vember 1900 begann, sich nach einer Vertagung im Mai 1901
mne Weile fortsetzte und dann seit 1. Nob. 1901 wieder in Gang
ist. Er erwähnte als Nesultate der Session das Verlags- und
Urhebergesetz, das Gesetz über die private Versicherungs-
gesellschaften, die Strandungsordnung, die Unfallversicherung
für Beanite und Personen des Soldatenstandes, die Auf-
besserung der Kriegsinvalidenpension, um 2 Millionen, worum
sich unsere Partei, insbesondere der Abgeordnete Graf Oriola,
ein Verdienst erworben habe, das Weingesetz, dessen Wirkung
inbezug auf Kcllerkontrolle sich noch nicht überblicken lietze.
die Novelle zum Gewerbegerichtsgeseh, die dem sozialen Frie-
den dienen solle, und bei der Redner als Berichterstatier fun-
gierte. Die Seemannsordnung sei zur 2. Beratung im Plenum
gelangt. Die Entwürfe betr. die Besteuerung des Brannt-
weins und der Sützstoffe befänden sich noch in der Kommission.
Jm Uebrigen habe der Reichstag vor Allem den Etat zu be-
raten gehabt. Redner meint, man solle den Reichstag nicht
scheltcn, Ivenn er zum Beispiel beim Etat des Reichsamts des
Jnnern lange verweile. Denn da käme doch die ganze wich-
tige soziale Schutzgesetzgebung zur Sprache. Iluch sollte man
nicht darüber klagen, datz den Debatten der grotze Zug frühe-
rer Zeit fehle. Denn die grotzen Ausbauarbeiten seien eben
erledigt und nun handle es sich mehr um Kleinarbeit zum
Wohnlichmachen des Reichshauses. Unsere Partci werde im-
mer dafür eintreten, datz auch diese Arbeit in liberalem

Geiste ausgeführt werde. Aber man dürfc die Geduld nicht
verlieren bei dieser Kleinarbeit. Das Etatsbild sei unerfrcu-
lich. Die Regierung habe ein Dcfizit von 50 Millioneu vor-
gesehen. Da das Reich auf mittelbare Eiiiuahmen auge-
wicscu sei, so werde sein Budget von dem geschäftlichen Rück-
gang eben direkt bctroffcn. Alle Parteien mahuten zur Spar-
samkeit, was ja ganz erklärlich sci. Ob es aüer richtig sei,
dcu Kolomal-Etat zu beschräuken, das müsse er bezweifeln.
Wenn wir Kolonieen haben, müssen wir auch für ihr Gedeiheu
sorgen. Leider kommt den prinzipiellen Gegneru der Kolouien,
die an diesen beständig zu nörgeln wissen, eine Verstim-
muug dcs Zentrums zu Hilfe. Die prinzipielleu Gegncr
sollten doch lieber die Abschaffung der Kolonieen verlaiigen.
Dann habe der Reichstag einen sehr bedcnklichen Schritt'ge-
than: er habe die Eiimahmen aus deu Getrcidczöllen imi
12 Millioiicn erhöht, um das Defizit zu vermindern. Bisher
habe der reelle Grundsatz gcherrscht, datz man die Zölle nach
dcm Durchschnitt der Rechnungsergcbnisse der letzten drci
Jahre cingestellt habe. Diesen Grmidsatz habe man auf
Drängeu dcs Zentrums vcrlassen, unter dem Vorwande, dah
die Zölle in den drei ersten Monateu des letzten Jahres ge-
stiegen seien. Nun hängeii aber diese Zölle ganz von dem Er-
gebnis dcr Ernte ab. Bestätige sich die Ännahme, von dcr
man ausgehe, nicht, so mützten die Einzelstatten in die Bresche
einireteu und dcren ganzc Budgets würden umgeworfen.
Hier zeige sich bon Neuem, datz cinc Schciduiig dcr Finanzen
des Reichs vou denen dcr Cinzelstaaten absolnt uotwendig
sci. Rcdner kommt dami anf dic Anträge aus dem Hause:
dcn betr. kaufmmäunische Schiedsgcrickste, dem die Regierung
einen eigeneii Entwurf entgegenstellcn will, den bctr. die Ab-
äuderuiig des Wahlverfahrens (Kouberts Jsolierraum) der
bei der Regierung keine Aussicht hat und den sogcnaniiteii
Toleranzautrag des Ceutrums. Was diesen aubctrisft, so
bezeichnet Reduer dessen ersten Teil der verschiedenc Rück-
ständigkeiteu von Einzelstaaten (Sachsen, Brannschwcig, Meck-
leiibnrg, Rcuh jüngere Linie) beseitigen will, als sachlich ge-
rechtfertigt, warnt aber vor einem Eingreifen dcr Reichsge-
setzgebung in diese Materie, die den Einzelstaaten vorbehal-
ten sei, die im Versammlungs- und Vereiusrecht ein Gegen-
gcwicht besitzen, während das Reich über dieses nicht verfüge.
Den zweiten Teil des Toleranzantrags habe das Zcntrnm
sclbst znrückgezogen. Sonst immer ein Verfechter dcr Ein-
zelstaatsrechte, habc das Zeiitrum mit diescm Teil scines An-
trags den schärfstcn Angriff auf die Selbständigkcit dec Ein-
zelstaaten gemacht. Auf Einzelheitcn wolle er angesichts des
Rückzugs des Zentrnms nicht eingehen, er wolle nur auf dic
ganz imaiigemessene Bestimmuiig yinweisen, daß Kiuder mit
14 Jahren über ihre Konfcssion selbständig cntscheiden dürfcn.
Hiezu seicn Äinder in solchem Alter noch nicht reis. Die Ge-
fahr, dasz der Familienfriede gestört würde, liege schr nahe.
Redner wendet sich dann zur Zollgesetzvorlagc. Er meint,
das Vorgehcn dcr Kommission werde zn abfällig beurteilt. Man
dürfe nicht in dcr Kommissionsberatung ein Uebereinkommen
der Meimmgen erwarten. Es sprächen zunächst die Parteicn
ihrc Wnnsche aus; eine Klärung der Ansichten trcte manch-
mal erst in der drittcn Plenarberatung ein. Da die Re-
gicrung schon des öftercn, z. B. in Marine- nnd Militär-
sragcn, bei der Fleischbeschau, beim Budgct, nachgegeben habe,
so sei es begreiflich, datz die Parteien znnächst bei ihrer An-
schanung beharrten. Auch habe der Reichskanzler erklärt,
datz er sich von dcn Koiiservativen nicht trennen wolle nnd
zndem hätten alle Parteien ein Jnteressc daran, datz die Re-
gierung ihre Meinung kennen lerne. Ob und welche Einig-
ung zustande kommt, das lasse er dahingestellt. Zluch die
Landwirtschaft habe ein grotzes Jnteresse daran, datz ein Zoll-
gesetz zustande, kommt, das sie besser als bisher schützt. Ein
Scheitern der Zollvorlage, wobei esl bei den jctzigen Ver-
trägen bliebc, wäre für sie ein Schaden. Sollten die Verträge
uns gekündigt werdcn, so träte der Generaltarif in Kraft, der
auch ungenügcnd sei. Mit der Anordnuiig der Regierungs-
vorlage nnd mit ihrer Richtung köime man im Wesentlichen
cinverstanden sein. Dabei seien für uns Rücksichten auf das
Ausland nicht matzgebend. Die brauchten wir ebensowenig
zu nehmen, wie sie die Schweiz, Ruhland, Amerika nehmcn.
Otedner spricht schlietzlich die Hoffnung aus, datz es doch noch
zn einer Verständigung auf Grundlage dcs Regierungsent-
wnrfs kommen werde. Aus die Bewilligung von Anwesen-
hcitsgeldern an die Abgeordneten sei leidcr nicht zu rechnen,
obgleich das eiiie Vorbedingung für die Besscrung der parla-
mentarischen Verhältnisse sei. Redner berührte dann iwch
kurz die auswärtige Politik, wies auf die Reden bou Bülows
hin und bczeichnete die Rcsnltate der Reise des Prinzcn Hein-
rich, ohne sie überschätzen zu wollen, als erfreulich. Er schlotz
mit eincni Appell an die Bürgerschaft in Stadt imd Land,
si.ch rechtzeitig zu rüstcn, und durch planmätzige Arbeit die
Grnndsätze unserer Partei im Volke zn berbreitcn.

Lebhaftcr Beifaull lohnte den Redner für seine trefflicheii
Ausführungen, die der Vorsitzende mit Recht als inhalt
lich reich, sachlich und ruhig bezcichnetc.

Jn der mm folgenden Diskussion ergriff zunächst Han-
delskammerpräsident Schott das Wort; er führte aus:

Unser hochvcrehrter Herr Reichstagsabgeordneter hat iin
Beginn seiner interessanten Rede es in daiikenswerter Weise
ausgesprochen, dah er sich vcrpflichtet hatte, die Jmeresscn
aller Bevökkerungsklasseii möglichst gleichmähig zn vertreten.
Wie anherordentlich schwierig dies äber unter den heiitigcn
Berhältnissen ist, haben wir ans seinen weiteren Ans-
führungeii ersehen. Wohl selten sind in unsercm politischen
Leben Jnteressengegensätze so scharf in die Erscheinung gc-
treten, wie znr Zeit diejenigen zwischen den Vertretern der
Landwirtschaft und den übrigcn Bevölkernngsklassen bei der
Frage dcs Zolltarifes. Betrachten wir die Verhältnisse uii-
seres Wahlbezirkes, so kann es nicht zweifelhaft sein, dah
selbst ein Teil der Landwirtschaft treibenden Bcvölkernng,
mindestens doch derjenige, welcher weniger Getrcide baut,
als er selbst brancht, von einer übermähigen Erhöhung der
Getreidezölle keinen Vorteil haben kann, während die ganze
übrige Bevölkerung eiric schwere Schädigung darin erblicken
muh. Die Regierung, wclche auf der Grnndlage einer ge-
nauen Produktionsstatistik am besten in d>^ Lage ist, sich ein
sicheres Uricil zu bilden, und die Jnteresscn gegen einander
abznwägen, hat erfrenlicherweise klar und ganz bestimmt er-
klärt, dah die Beschlüsse der Tarifkommission dcs Reichs-
tages in Bezug auf die Getreidezölle, um nur bon diesen zu
rcden, nicht Gesetz werden sollen, daß die Sätze ihres Zoll-
tarifes die Grenze des Zngebbaren darstellen und ich hoffe
und glanbe im Gegensatz zu dcm hochgeehrten Herrn Vorred-
ner, datz sie hieooii niemals abgehen wird, weil sie es nach
den borliegenden Bercchmmgen nicht kann. Die Lage von
Handcl und Jndustrie ist, wie Sie alle wissen, zur Zeit eine
recht tranrige, und die Folgen davon werden sich wahr-
scheinlich in der nächsten Zeit noch mehr in allen Bcvöl-
kernngskreisen fühlbar machen. Man braucht auch kein
großer Prophet zu fein, um vorauszusagen, dah ' cine
dauernde Besserung der Verhältnisse erst eintreten wird,
werm wir zn günstigen und wenn möglich langsristigen Han-
dclsverträgen mit unsercn Nachbarländern gelangt sein wer-
den, dcren Crreichung aber durch die Bsschlüsse der Tarif-
kommission fast unmöglich gemacht wird. Wir können nur
wünschen und hoffen, datz die Agrarpartei schließlich doch
zn der Erkenntnis kommen wird, dah wie in- so vielen
Fällen, so auch hier, die Beschreitung des goldenen Mittel-
weges geboten ist, daß es klüger ist, einen gebotcnen sicheren
Vorteil zu nehmen, als es auf eine einfache Verlängerung
der bcstehenden Handclsverträge ankommen zu lassen nnd

dadurch bielleicht daim ganz leer auszugehen. Ilnser hoch^
verehrter Herr Reichstagsabgeordneler würde sich ein grohes
Verdienst erwerben, wenn er seine ganze Krafi einsetzen
würde, eine Vcrstäiidigung der Paüeien auf der mittleren
Linie des Regierungsentwnrfes herbeiführen zu helfen, er
würde dadurch mitwirken, zum Wohle des Vaterlandes nnd
znr Verhütung vielletcht cines nationalen Unglücks.

Der Borsitzende Prof. Schäfer erörterte dann die von
einigen Nationalökonomen vertretene Ansicht, dah Deutsch-
land den Weg Englands gehen werde, wv Handel nnd Jn-
dustrie über die Landwirtschaft gesiegt haben, und diese un-
rergehe. Er wies dabei auf den Widersinn hin, der darin
besteht, dah nnsere Frcihändler einerseits die Landwirtschafr
zurückdrängen, andererseits auch gegen die Stärkung unserer
See- u. Landmacht stimmen, die allein die Ernährüng Deutsch-
lands sicher stellen toimte, falls die Landwirtschaft, was
jetzt noch der Fall sci, die Bevölkerung nicht mehr ernähren
tönnte; auch das Soldatcnmaterial müsse sich verschlechrern,
falls wir zu cnglischcn Vcrhältnissen kämen. Weitcr fiihrie
Redner aus, dah mit den landivirtschaftlichen Zölleri auch die
Jlidustriezölle sallen würden. Wer also gegen jene sei, dcr
möge diese Folge, die nnserc Jndnstriearbeiterschafr schwcr
treffcn würde, reiflich überlegcn. Das Festhalren an eincr
Mittellinie sei also nach jeder Richtung hin eine Notwendig-
keit. Major Koenhorn bestätigt, daß die aus dcr Land-
wirtschaft kvmmcndcn Soldaten auch in späteren Jahrgängen
kräftig seieri. Die jüngeren Jahrgänge der Jndustrie glichen
dies Zurch größere Zähigkeit aus, die Aeltersn allerdings
seien weniger widerstandssähig.

Referendar B n ß bezweifelte, ob der Hinweis auf Eng-
land ganz zutMfe; wir seien auf dem Kontincnt gelegcn
nnd würden immer die eine oder die andere Linie zur Ver-
provianticrnng offen haben. Auch er ist für die mittlere Linie
in der Zollsache. Der Vorfitzende führtc daraufhi»
aus, daß doch zum Beispiel bei einem Kriege des Zweibnndes
gegen den Dreibund wir in Ernährungsnot geraten ivürdcn.

Direktor Weidig fpricht cbcnfalls für den miülcren
Wcg der Regierungsvorlage nnd weist darauf hin, dah anch
die badische Regiernng ihn als änherste Grenze nach oben
bczeichnet habe.

Jm Schluhwort konstatiert der Vorsitzende, daß die
Versammlmig in ihrer Auffassung der Zolltarifvorlage einig
sci nnd schlieht die anrcgend verlaufene Versammlung mit
einem Hoch auf den Reichstagsabgeordnetcn.

Ans Stadt und Land.

Heidelberg, 20. Marz.

X Häusliche Licbhaberkiinste. Jn der heute eröffneten
Ausstellimg dcr Gewerbe- nnd Kimstarbeitsschule von Frl.
Merkens hatten wir Gelegenheit die dort ausgcstellten Arbeiten
in Holzbrand, Relief und Kerbschnitt, Oel- nnd Aquarellmalerel:
Kreidezeichnmig: Zinn-Aetznng; Seidcn Malerei verbunden mit
üoint las-Arbeiten »nd Lederschnitt, die da an den mannigfachsten
Kunst- und Dekorationsgegenstttnden angewandt sind, zn bewimdern.
Die ausgestellten Kleider, Wäsche, Stickereien nnd Klöppelarbeiten
zeigen nns d!e Fortschritte der der Anstalt anvertrauten Schülerinnen-
Es diirfte deshalb nnseren werten Lesern der Besnch der Ans-
stellimg sehr empfohlen und wird auch der verwohnteste Geschmack
befriedigt werden-

a. Heilsarmee. Olestern Abend halb 9 Uhr tagte im großeN
Harinoniesciale die anf 8 Uhr festgesetzte große Extra-Ver-
sammlnng der Heilsarmee; sie war sehr gut besucht-
Herr Konimandenr nnd Fran Oliphant erzählten nach Vortrag
eines Liedes der Kominandenrin in populärer Vortragsweise,
ersterer dnrch einen Dolmetscher, m!t welchen Mühen und Ent-
sagnngen die Offiziere und Soldaten der Heilsarmee kämpfen
nilissen, abcr auch welche große Liebe sie anwenden, mn Seelen
fiir Gott zn retten. Seit dem mm 37jährigen Bestehen der Heils-
arrnee, habe sich diesclbe auf eine Weise vergrößert, die erkennen
lasse, daß Jefus Christus selbst ihr Gründer sei, eine BehauM
tung, welche vielen Anwesenden völlig nen war. General Booth
sei nur einer jener großen Männer, welche mcmchinal aus der
Ntenschheit cinftauchen. Die Konimandeurin erzählte nnter anderem,
wie sie mit einigen Mitkümpferinnen, von den Lenten Engel nfit
der weißen Schürze genannt, in den Großstädten für Gott Seelen
rettete. Nach vcrfchiedcnen Solis und Gebeten wurde noch eine
eindringtiche Sprache an die Sünder gehalten, daß ste hente noch
kommen möchten, da es morgen viclleicht schon zn spät sei. Aber
nnter der ganzen Versammlnng war anscheinend kein einziger
Sünder, deim kciner zeigte Miene, sich bekehren zn lassen und
Kommandeiir und Frau Öliphant werden Heidelberg wohl etwas
enttäuscht verlassen.

** Kaiser Panorama. Nur noch bis einschlietzlich Samstag
ist der driltc Teil tnleressanter Gefechtsscenen n. s. w. aus deM
Burenkrieg ausqestell', und kann ein Besuch diefer zeitgemäßeu
Serie, welche allgemeinen Betfall findet, nur bestens empfohleu
werden. Von Sonntag ab wird das Prachtschloß König Lnd-
wigs II. von Bayern Herrenchiems.e vorgeführt.

** Plötzlicher Tod. Der pensionierte Bahnbeamte KöhlY,
Neuschulhausstraße, wurde heute Vormittag in der Plöck vou
einem Herzschlaq betroffen und war sogletch tot.

ös. Weinheim, 19. März. (Urku n d cn s ä is ch u ng.) Gestern
wurde ein Küfermetster und Wetnhändler, hier wohnhaft, verhaftet.
Derselbe war mit Nachschlüssel in das Aichamt eingedrungen,
hatte dort dte Jnstrumente zum Aichen der Fässer an sich ge-
nommen und so, wie man vermutet, eine lanqe Zett seine Fässer
selbst geaicht und ganz gewiß nicht zu seinem Nachtetl; denn uM
die 30 Pfg. Aichgebühr zu sparen, hatle er sich gewiß nicht aul
die Fälschung verlegt. Sämtliche Fässer von 1900 sind konfis
ztert worden und werden noch weitere Beschlagnahmungen bevor-
stehen, da man annimmt, daß bei seiner Kuudschaft noch mehr
falsch qeaichte Fässer zu finden seien. Der Verhastete ist geständig-

Mannheim, 19. März. (Eine Beleidigungs^
klage), welche gestern vor dem Schöffengerichte gegcn de»
Redakreur der „Volksstimme" Herrn Wilhelm Picker ver-
hanbelt wurde, lietz dem „Mannh. Anz." zufolge den Privat-
kläger Bauführer Anton B e n d e r bei der Firma Grün unb
Bilfinger hier, der während der Verhandlung in brüskem ToiM
äuherte: „Jch lasse mir meine Ehre nicht nehmen, da kastN
es gehen !vie es willt" nach der Urteilsverküiidigung sehr klein
und niedergeschlagen erscheinen. Jn Nr. 348 vom 21. DeZ-
vorigen Jahres der „Volksstimme" erschien ein Artikel mit det
Ueberschrift „Nur ein Menschenleben: Der Tob des KnabeN
Heer, von dem gestern die Blätter berichtetcn, hätte wohl iiom
verhindert wcrden können — ohne das Eingreifen des Bast-
führers der Firma Grün nnd Bilfinger am Luisenpark. Dit
dort bcschäftigten Arbeiter hörten jämmerliches Hilferufen voN
Knaben von den Neckarsporen her. Verschiedene wollten Ff
Hilfe eilen, wurden aber von dcm Bauführer —Bender heim
derfelbe — znrückgehälten mit dem Kommando: Dableiben>
Den Hilfe suchenden Knabcn rief er zu: „Sagt's ihm nur-
Wäre er wcggeblieben, so wäre er ifit ersoffel" Eine solchr
Gefühlslosigekit dürfte wohl ihresgleichen vergeblich suchcn-
Bedaucrlich aber bleibt auch das Verhalten der Arbeiter, dic
durch das Verbot cines solchen Menschen sich von der ErfülluNll
ihrer Menschenpflicht abbringen ließen." — Herr Bender fühk^
sich durch diesen Artikel in sciner „Ehre" schwer gekränkt nim
beleidigt, weshalb er Beleidigungsklage anstrengte. Die AeU-
herungen bezüglich des Kommandos „Dableibenl" bestrrtt c-
vollständig, während er die Acußerung bezüglich des »Trosteo
wenn er weggeblieben, wäre er nicht ersoffen, im wesentlick»c"
zugab. Trotzdem der bei Bcnder stehende Werkmeister Fried^
rich Klein die Aeutzerung bezüglich des Kommandos „Dc^
bleiben" nicht gehört haben tvill, wurde bon mehreren ZeugcU
bcstätigi, dah ein solches, mindestens aber eine in diescw
 
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