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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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Milmoch, 26. Mrz 1902.

44. IavsiMsi. — ^ir. 72.

Erschcint täglich, Somitags auSgrnommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebrachl, bet der iHHedition und den Zweigstellcn abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlia, Zustcllgebühr.

«rizeigenpreis: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebeneii Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Hcidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschlutz Nr. 82.

Zie H'erfonalVelsiältnifse der Höhcren Uost-
öeamten.

Neit LM CrlaZ ZeZ NtaaLssekretärS. -es R-'l.chs-Post-

amts vom 1. Jaunar 1900, durch welchen die Personal-
verhältnisse der mittleren Beamten eine Regelung er-
sahren haben, und durch welchen für die später bei wieder
eintretendem Bedarfe anzunehmenden höheren Beamten
ein mehrjähriges akademisches Studium vorgesehen ist,
waren die jetzt im Dienste stehenden Beamten der höheren
^aufbahn voller Erwartung, welche Aenderungen bezüg-
trch Rang und Titel nunmehr für sie in Ausstcht genom-
Uren werden würden. Die Würfel sind jetzt gefallen, das
neueste Amtsbtatt des Reichs-Postamtes macht der Un-
gewißheit ein Ende. Der die Neuregelung betrefsende Er-
mß lautet:

Mit Allerhöchster Genehmigung Seiner Majestät des Kai-
lers treten vom 1. April 1902 ab in den Beamtenverhältnisscn
Nnd Titelbezeichnungen bei der Reichs-Post- und Telcgraphen-
berwaltung folgende Aenderungen ein: Die P o st p r a l t i -
m n t e n haben nach ihrer etatsmätzigen Anstcllung die Amts-
bezeichnung „Postpraktikant" weiterzuführen. Nach dem Be-
Üehen der höheren Verwaltungsprüfung für P'ost und Tele-
Lraphie erhalten die Postpraktikanten die Amtsbezeichnung
'-^ber-Postpraktikant." Bei den Ober-Postdirektionen werden
Hilfsrefcrcnten und bei grötzeren Verkehrsämtern erstcr Klasse
^rtsaufsichtsbeamte (Jnspektoren) migestellt. Die Hilfsrefe-
rentcn werden zu Postinspektoren, die in Stellen für Orts-
^üfichtsbeamte bei Verkehrsämtern etatmäßig angrstellten Be-
amten entweder zu Postinspektoren oder zu Telegrapheninspek-
toren ernannt, je nachdcm die Anstellung bei einem Postamte
"ber bci eincm Tclegraphen- oder Fernsprechamte erfolgt. Die
Hilfsrefereiitcn nnd alsOberaufsichtsbcamte etatmätzig ange-
uellten Postinspektoren und Telegrapheninspektoren gehören zur
kunften Rnngklasse dcr hühcrcn Provinzialbeamten und habcn
emgcmätz dcn Wohmingsgcldzuschutz III 2 des Tarifs zu be-
osehen. Die als Bezirksaufsichtsbeamte bei dem Ober-Post-
tP-Üionen etatmätzig angestellten Postinspektoren erhalten
te Amtsbezeichnung „Ober-Postinspektor".

. Die Amtsbezeichnungen für die höheren Beainten sind
demnach: Posteleve, Postpraktikant, Ober-Postprak-
stkant, Postinspektor, beziehungweise Telegrapheninspek-
Ober-Postinspektor, Postrak, Ober-Postrat, Ober-
bostdirektor. Die Titel der Beamten des Reichs-Postamts
verdcn dnrch den Erlaß nicht berührt; eine Aenderung
Titel sür einige Beamtenklassen der Zentralvcerwal-
ung dürfte jedoch kauin zu umgehen sein. Der mittle-
^u Laufbahn stehen nunmehr ausschließlich folgende Titel
jch-: Post- beziehungsweise Telegraphengehilfe, Post-, be-
llskhungsmeise Telegraphenassistent, Ober-Postassistent,
Tvst- beziehungsweise Telegraphensekretär, Ober-Post-,
^Nehungsweise Ober-Telegraphensekretär, Postkassier,
UWehungsweise Telegraphenamtskassierer und Post-
'vknster.

Aie Muren und die Kngkänder.

o» v ü s s e l, 24. März. Dem Berliner „Lükalanzei-
llnrd von hier telegraphiert: Die'Reise Schalk Bur-
: Hs nnd seiner Begleiter über Pretoria in den Oranje-
^^sltaat wird in lltrechter Burenkreisen als ein den
h:"^nsaussichtsn günstiges Ereignins betrachtet, da
Reise jedensalls aus Veranlassnng Englands ersolgte.
h'n^urcnsührer, crklärt man, haben keinenAnlaß, augcn-
i^:ch England entgegenzukommen, da alle Privatbe-
^^jüber die Kämpfe der letzten sechs Wochen für die

Bnren günstig ausgingen. Am 17. Vtärz reiste der
Delegierte Fischer auf Einladung des Ministers Kuyper
nach dem Haag. Dieser Konferenz solgte eine längere
Beratung zwischen Krüger, Leyds und Fischer. Leyds
verlangerte seinen Aufenthalt in Hol-and nm mehrere
Tage nnd ist erst gestern nach Brüsset zurückgereist. Alles
deutet darauf hin, daß angesichts der Wendung der Dinge
in Südafrika König Eduard entgegen dem Willen Cham-
bertains beflissen ist, möglichst bald den Krieg zu beendi-
gen, daher auch die Reise Wolseleys. Dieser trifft in Kap-
stadt voraussichtlich am 31. ds. ein, nicht mit dem
Auftrag, den Buren Friedensangebote zu überbringen,
sondern nach knrzer Orientierung dem Könige nn.parteiisch
über die Lage telegraphisch zu berichten. Die bevorstehen-
den Besprechungen Schalk Burgers mit Dewet nnd Botha
werden anf der Grundlage der absoluten Unabhängigkeit
der beiden Republiken stattfinden, jedoch sind die Buren
bereit, das „Rand"-Gebiet an England abzntreten. Sie
beansprnchen aber eine Revision des Volksrnster Ver-
trages in für sie günstigem Sinne nnd solglich desinitive
Abtretung des Zululandes.

London, 25. März. Wie dcr hiesige „Daily
Chronicle" erfährt, hat Schalk B u r g e r,
als er um sicheres Geleit für sich und seine Kollegen er-
suchte, die Stelle in der englischen Antworl auf Kuypers
Note zitiert, in der es heißt: Wenn die Bnrenführer in
Unterhandlnngen bezüglich Beendigung des Krieges ein-
treten wollten, so müßten diese Unterhandlungen nicht
in Europa stattfinden, sondern in Südafrika. Burger
habe dabei ausdrücklich erklärt, seine Mission zu Dewet
werde im Jnteresse des Friedens nntcrnommen. Die
Unterredung der Delegierten mit Kitchener in Pretoria
ist nach dem genannten Blatte nur ganz kurz und rein
formell gewesen; ste hätten sich nur bei ihm gemeldet und
seien dann südwärts nach Kroonstad gereist. Der Ort,
wo Steijn, Dewet und die Vertreter Transvaals zusam-
mentreffen würden, sei nicht bekannt, wahrscheinlich werüe
es im Bezirke von Reitz sein, wo die Mitglieder der Frei-
staatexekutive sich seit langem aufgehalten hätten. Dem-
gemäß würden die Mitglieder der Transvaalmission sich
von Kroonstad aus ostwärts gewendet haben.

Amsterdam, 25. März. (Frankfurter Zeitnng)
Das „Handelsblad" veröffentlicht einen Bericht über die
Unterredung, die einer seiner Mitarbeiter dieser Tage mit
dem Burendelegierten Fischer in Dordrecht hatte. Fißcher
sagte, daß anch der letzte Bericht aus Südafrika vom 16.
Februar sehr günstig lautete. Präsident Steijn sei vol-
ler Mut; Staatssekretär Reitz zeige seinen Optimismus
in Liedern, die von Kommando zu Kommando wander-
ten. Steijn habe sich dalstn ausgelassen: Jetzt fechten wir
nicht mehr bis zum bitteren, sondern bis zum glücklichen
Ende! Daß Lord Wolseley thatsächlich als Friedensagent
nach Südafrika gehe, wodurch gewissermaßen Lord Mil-
ner ausgeschaltet würde, sei schwerlich anzunehmen.
Jedenfalls sei aber jeder Versuch, Unterhandlnngen her-
beiznführen, als günstiges Zeichen anfznsassen, insbeson-
dere kurz nach dem Erfolge Delareys.

Deutfches Reich.

— Die n a ti onalli b eral en Ju gcn d v e r ei ne
habcn übcrall, wo solche ins Leben gerusen worden sind,
die lebhastcste Teilnahme ihrer Mitylicder zn verzeichnen,

StadLißeater.

Heidelberg, 26. März.

bvi, st ria MagdaIena." Eiu bürgerliches Trauerspiel
' Sriedrich Hcbbel.

Zyitspiel dcs Frl. M. H e i u r i ch vom Wieucr k. k. Hof-
sttz' ycater uud des Herrn Sigl vom Stadttheater iu Gör-

^so^bstgaug Mcnzel läßt sich in sciucr „Deutscheu Dichtuug"
-vernehmen: Jn dem bürgcrlichen Trauerspicl „Maria
^sttzh.Pcna" vou 1844 hat Hebbel den Ton vou „Kabale und
, 'iachgeahmt. Klara, die Tochter eincs Tischlers, wird
i?wm jungen Bcamten verführt, nachhcr aber von ihm
indcm er um cinc Reichere freit. Klaras früherer
Äd ciu cdler Sekretär, tötct den Verführer im Duell

!U>ii>?^ schtvcr vcrwundet, Klara aber stürzt sich in cinen
^ Der alte Vater Tischlcr ist entsetzt und begreift
ru nichts, Eine grätzliche Kriminalgeschichte, aber ohne
' Der Tischler, den die Tochter immer Er anrcdet, hat
dem polternden Geiger in Kabale und Liebe, aber
kcinc Lonise, und auch Walter, überhaupt die „hohen
fehlcn hier ganz, Die Kindsmörderiu nun gar zur
- '"ödalena machen wollen, ist nnwürdigT
jhi ai,<^ Verständnis für die Tragödie des Vormärz ist nun
P — tvir süid — oh wärcn wir es immer — gerech-

j?^üscn grotzen Dichter gcworden, Mit einem schönen
ist' sot das Spicl an, indem dcr Dichter Mntter nnd Toch-
?ht, „,1>nander von Hochzeitskleid und Brautkranz reden
^iiiitnl^^it'ird Klara dies Kleid tragen, nie wird sie sich
stte stlckimücken, das Schicksal stötzt sie in Not nnd Tod,
ihres Paters: „in dem Augcnblick, wo ich be-
wan anf dich mit Fingern zeigt, werd ich mich
dann das schwör' ich dir zu, rasier' ich den
AicksK ^PVeg l" —.das ist das cigcntliche Treibende in ihrein
kann sich ntcht empören, sie kann dcr strengen
Vnters nicht cntlanfen wic ihr Vrndcr Karl, sie

denkt nur an Gehorsam nnd Opfer, wie sie nicht anders gedacht
hat von Kindesbeinen an, Sie ist ihrem Schicksal nicht gewach-
sen: „Frag nicht, was alles zusammenkommt, cin armes Mäd-
chen verrückt zu machen," Sie mntz immer an die weitzen Haare
ihres Vaters denken, nur immer an ihren eigenen Schwur: „Jch
schwöre dir, däß ich dir nie Schande machen lvill!" Als ihr
Verführer ihr cntgegenhält: Du kannst goitlob nicht Selbst-
mörderin wcrdcn, ohne zugleich Kindcsmördcrin zu werden,
schreit sie anf: Bcides lieber als Vatermörderin, Jencr Schwur
des Meistcrs ist üic letzte entscheidende Gewalt in diesem Drama,
Meister Anton wild einen Schwur nicht brechcn, Er ist zwar
nur ein Handwerker und kann nicht schreiben, aber das Blut
seines Lebens ist die Ehre: Alles, alles kann ich crtragen nnd
habs bewiesen, nur nicht die Schandel Lcgt mir auf dcn Nacken,
was ihr wollt, nnr schneidet nicht den Nerv durch, der mich
zusammenhält. Er trägt einen Mühlstein wohl znweilen als
Halskrause, statt damit ins Wasser zu gehen — das giebt
einen steifcn Rücken. Er kann es in 'einer,Welt nicht aushalien,
wo die Menschen mitlcidig sein mühten, wenn sie nicht vor ihm
ausspuckcn sollen. Alles, was in Meiftcr Antons Hause ist,
„gehört ihm". Strenge Zücht, Mützigkeit, Sparsamkeit, Ehr-
barkeit gelten ihm über alles. Wie weih er zum Reinhalten
der Berufsehre zu mahnen: „Ein Handwerksmann kann nichts
ärgeres trciben, als wcmi er seinen sauer verdienten Lohn
aufs Spiel sctzt. Der Mensch mutz, was er mit schwerer Mühe
im Schweitze seines Angesichts crwirbt, ehren, es hoch nnd
wert halten, wenn er nicht an sich selbst irre werdcn, wenn
cr nicht sein ganzcs Thnn nnd Trciben verächtlich findcn soll.
Wie können sich alle meine Nerven spannen für den Thaler, den
ich wcgwerfcn will l" Was er sich gönnen will an Frenden, mutz
alles scinc Art haben: „Jch stecke in meinem Hause keine Ker-
zen an, als öie mir sellist gehören . Dann weiß ich, datz
niemand kommcn kann, der sie wicder ausbläst, wcnn wir
eben unsere beste Lust daran haben," Er liebt Gottesfnrcht nach
schlichter altcr Art, Er ist nicht stark genug, die Modc mit-
zumachen, er kann dic Andacht nicht wie eincn Maikäfer ans

deren Zahl wic auch die Zahl neu gegründeter Vereine beständig
wächst. Namentlich im Westen, in der Rheinprovinz, macht
sich dcr Zuwachs der nationalliberalen Partei durch die
Jugendvcreine in höchst erfreulicher Weise bemerkbar. Be-
sonders zu begrüßen ist die Gründung eines Jugendvereins
in Aachen, der seine erste Sitznng am 11. März abhielt.

Heffcn.

Dar in st a d t, 26. Mgrz. Jn der Heutigen Sitzun§
der Zweiteu Kninmer erklärte Staatsminister Rothe
auf einc Aufrage des Abg. Grafen Oriola betresfend die
Ge t r e i d e z ö l I e, die Regieruug chabe sich auf den
Boden der Voriage gestellt. Sie sei autzerSt a n d e,
auf die Erhöhuiig der Miuimalzölle auf Getreide hiuzu-
wirken. Graf Oriola erklärte sich mit diesen Aus-
sührungen zufriedeu.

Braunschwcig.

Braunschweig, 25. März. Gegen den Land-
gerichtspräsidenten Dr. Dedekind ist das Disziplinar-
verfahren wegen der Verösfentlichung seiner, die Denk-
schrift der Regierung über die staatsrechtliche Stellung
der Regentschaft bekämpfende Gegenschrift eröffnet wor«
den.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Die Postpraktikcmten Reinhard Banmgarten aus Roten-
burg und Franz Josef Neiuinger aus Karlsruhe wurdcn zn
Postsekretären eruaunt.

Karlsrnhe, 25. März. Die Großherzogin ist
hente Nacht gegen 2 llhr hicr wieder eingetroffen. Der
Großherzog wohnte gestern Abend 8 Uhr, einer Ein-
ladnng der Abteilung Karlsruhe der Deutschen Kolonial-
gesellschast folgend, dem Vortragp des Oberleutnants
Wettstein vom Jnsanterie-Regiment Markgraf Ludwig
Wilhelm (3. Badisches) Nr. 111 über „Deutsch-Südwesi-
Asrika" an. Heute Vormittag von 10 Uhr an hatte Seine
Königliche Hoheit verschiedene Besprechungen nnd nahm
nm 12 Uhr den Vortrag des Staatsministers von Brauer
entgegen. Zur Frühstückstafel kam die Prinzessin Wil-
belm, Nachmittags balb 6 Uhr hörte der Großherzog
den Vortrag des Geheimen Legationsrats Dr, Fresherrn
von Babo, Um 6 Uhr besuchtcn die Großherzoglichen
Herrschaften die Abendandachten in der Schloßkirche.
Von 7 Uhr an nahm der Großherzog den Vortrag des
Legationsrats Dr. Seyb entgegen.

Ausland.

Bclgien.

Brüssel, 24. März. Der General der Reserve
Hennequin, Direktor des Kartographischen Jnstituts im
Großen Generalstab, erschoß sich in seinem Arbeitskabinett
mitt^ls eines Gewehres alten Models. Aus welchen
Gründen, ist vorläufig nicht bekannt. Der General lei-
tete das Kartographische Jnstitut seit zwanzig Jahren, er
war eine streng wissenschaftliche Natur. Der Kriegstz
minister ließ sofort das Kabinett und die Papiere des
Verstorbenen versiegeln und beaustragte mehrere Offi-
ziere dcs Generalstabes mit der Untersuchung des dunklen
Vorfalls. Ob es sich auch in diesem Falle um
den Verrat militärischer Gcheimnisse handelt, wird viel-
leicht die gerichtliche Untersuchung ergeben. Unwillkürlich
erhebt sich ein Verdacht in dieser Rickstimg, da die Vor-

der Stratze emfaugen, bei ihm kann das Gezwitschcr dcr Spatzcn
nnd Schlvalbcn die Stelle dcr Orgel nicht vertrcten.

Solch einMcmn will von dem neuenWescn nichts wissen.Die
Zeiten verändern sich, die Welt wird immer klügcr. Die Alten,
da sie sich nicht auf Lesen und Schreibcn verstehen, klagen
sie müßten sich von den neunjährigcn Buben ausspotten lassen.
Meistcr Anton brummt mit Bittcrkeit: „Früher gkaubte die
dumme Wckt, der Vater sci dazu da, den Sohu zu erziehen,
umgekehrt, dcr Sohn soll dcm Vater die letzte Politur geben,
damit dcr arme, cinsfiltige Mann sich im Grabe nicht vor
dcn Würmern zu schämen braucht." So ist der Meistcr hart
gewesen und immcr härter geworden. Ilnd er weitz es. „Man
hat," sagt er, „zum Glück cin steincrncs Herz." Die Welt, die
emporkommen will, die Jungen, die ihre Flügcl regen, ins
Wcite zichcn wollen, Erwcrb und neuc Kenntnisse zn suchcn,
neue 'Genusse kemicn zu lernen, sic soll niedcrgehalten werden
Diesem Sinne ist er ganz ergcben. Hicr ist kein Ohr'sür die
Herzensklage der Tochter, hier ist kcin Blick für die holde
Schwäche nnd fiir die grausamen Zufälle des Lebens, die eme
Ilnschuldige in' die Netze eines kalten Verführers fallen lassen,
die cin zartes Mädchcn dazu bringen, im Groll Lber „schein-
bar verschmähte Liebe sich dcm nngcliebten Manne hinzugeb.en."
Aier ist die Tugend, wir sie starr wird, wie sie aufhört, 'dcm
Leben zu dicnen und der Liebe, wie sie in ihrer Erfüllung
nichts mit sich führt als den Tod.

Die Tragödie, bei dcren Betrachtung sich eine Fülle cthischer
dramatisch-technischer und künstlcrischer Fragen cmfthut, dis
sich hier nicht bcrührcn lassen, ist von dcr mächtigstcn Wirkung,
die tiefe Pocsie der Situationen und die stälslerne Prackst der
Sprache nehmcn uns immer cmfs neue in ihren Bann. Diese
Anfführimg war das eigcutliche künstlerische Ercignis dieses
Thcatcrwinters und cntschädigte nns für vieles, das wir wün-
schen müsscn.

Jn der Sprache Hebbcls sprossen uud schictzcii die Bilder
mir so auf, alles in diescm Reickstum ist auf den knappesten
und schärfstcn Ausdruck gebracht. Tieser Stil stellt an den dar-
 
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