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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 75-100 (1. April 1902 - 30. April 1902)
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^rscheint täglich, SonntagS auSgenouimen.

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Vvrgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernouwien. — Anschlag der Juserale auf deu Plakattafeln der Heidclbcrger Zcitiing uiid den städt. Aiischlagstellen. Feriisprcch-Anschliist Rr. >2

Dienstag 1. April 1902.

Zweites Blatt.

44. JMgMg. — 75.

Zur Erbfolge in Reuß ä. L

Die amtliche „Greiz. Ztg." ist zwar den anschcinend
übeitriebenen Meiduugen intgegengetreten, datz Fürst
Heinrich XXII. von Reutz ä. L. „totkrank" nach Grciz
Zurückgekehrt sei, hat aber zugeben müssen, datz der Kräst -
zustand des Fürsten erschüttcrt sei. Fürst Heinrich XXII.
tvird von der Last der Jahre noch nicht gedrückt; er hat
M diesen Tagen sein 56. LebenLjahr vollendet. Aus seiner
Ehe mit der Prinzessin Jda zu Schaumburg-Lippe, die scir
dem 28. Ceptember 1891 veistorben ist, sind 5 Töchter. abcr
Nurein Sohn, der Erbprinz Heinrich XXIV., hervorgegangen,
Und dieser ist unbeilbar geisteskcank. Da es sich bei dem
Fürsten Heinrich XXII. um eine langwierige Krankheit zu
handeln scheint, so ist es begreiflich, datz der Gedanke
don der bcvorstehenden Einsetzung einer Rege-nl-
schaft auftaucht. Aus Greiz wird darüber nachstehende,
auf ihre Einzelheitcn vorläufig unprüfbare Mittetlung
derbreitet: Jn dem Fürstcntum Reutz geht das Gerücht.
daß unter der Leitung des Fürsten Heiiuich XIV. von
Reutz j. L. vor etlichen Wochen auf dem Residcnzschlotz
Osterstein bei Gera ein Familienrat des Fürstlichen
Hauses gehalten worden sei, 1er stch mit dcr Frage eiuer
ctwaigen Regentschaft in Räuß ä. L. beschäftigt habc.
Dort ist neben dem zur Zeit nicht unbedenllich erkrankten
66jährigen regierenden Fürsten Heinrich XXII. als
unziges männliches Glied der Familie der 24jährige geistes-
krauke, im übrigen aber kerngesunde Erbprinz .Heinrich XXIV.
dorhanden, so datz die Möglichkeit des Eintritts einer
^iegentschaft uicht ansgeschlossen crschcint. Nach der Ver-
iassnng von Reuß ä. L. ist bei der jetzt vorhandenen Sach-
iage der nachste volljährige und regiernngsfühige Agnat des
lürstlichcn Gesamthanses Reuß zur Regentschast bernfen.
Äste man hört, wird dies Fürst Heinrich XXIV. von
^euß-Köstritz, das Haupt der Paragiatslinie Reuß-
^chleitz-Köstritz sein, der bekanntlich die sämtlichen im Heer
nehenden zahlreichen Prinzen Renß angehören. Fürst
Heinrich XXIV. ist durch seine verstorbene Mutter Luise,
derwitwele Prinzessin von Sachsen-Altenburg, geborene
Prinzessin Renß a. L., ein naher Verwandtcr des jetzt .
fegierenden Fürsten Heinrich XXII. Er ivohnt abwechselnd !

Köstritz nnd in Ernstbrnnn in Oesterreich, Ist verehelicht !
2>it Elisabcth, gebvrene Prinzessin Reuß-Schleiy-Köstritz,
steht im 47. Lebensjahr. Er ist Or. ,jur. nnd er-
icheint in der lliangliste als Riitmeister a la üuits der
^rinec mit der Ilnisorin dcs Königs-Husarcn-Negiments.

j ivcnn ordnniigsgemätz aüfgciiommciie Volksschulkandidaten schon .
, mindeslens seit einem Jahre nachweisbar für ihre weitere Aus- ..
j bildung behnfs Vorbereitung auf die Reaklehrerprüfung thätig j
; und zu diesem Zwecke Seitens der Oberschnlbehörde beurlaubt !
' sind.

Sachscn.

—- Zuin T o I e r a n z aii t r a g des Zentrums
molden dio „Tresd. tleachr.", daß dio zwischen Mitgliedern
dor tonservativen nnd nationalliberalen s ä ch s ische n
LandtagSfratlion gopflogonen Beratnngen zn dem Be-
schlnsse geführt Haben, „dnrch einen gemeinsck>aftlichen
Antrag die königliche StaatSregiernng zn ersuchen, ent-
sprechend der Erklärung, die der Reichskanzler bereits
bei Einbringnng deS Toleranzantrages im Reichstag ab-
gegeben hat, sich ablehnend zn verhalten, schon mit Rück-
sicht daranf, daß dnrch die Annahine der Konzessions-
vorschläge die, Kirchenarbeit nnd Schulgesetzgebnng der
Einzelstäaten wesentlich beeintrüchtigt würden."_

Ans der Karlsruhcr Zeitnng.

— Seinc Königliche Hoheil dee Grohherzog haben dcm
Borsrand des Forsramies Badeu, Forstmeisler Nlarimilian
Freiherrn von Bodrnan, das lliitterkrcuz erstcr Klassc mit .
Eichenlaub des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen imd
denselbcn auf sein Ansnchen wegen leidendcr Gesnndheir
nnter Aiierkennuiig seiner langjährigen trcugeleistercn Dienstc j
in dcn Nnhesland versetzt, dem Oberförster Emil Freiherrn j
v. Stett e n in Eberbach daS Forstamt Vaden übertragen imd
dcn Vorstaiid des Grotzherzoglichen Reiiramtcs Zwingenbcrg,
Forstmeister Kirchgetzner, zum Vorstand des Forstamres Eber-
bach ernannt.

Die unrer 5. März laufeiiden Iahres auSgesprochenen
Versetzungen der Regieriiiigsbaumeister Alfons B l n m von
Heidelberg nach Bruchsal imd Alberr Ionchim von Bruchsal
„ach Heidelberg wurden zurückgenoinmen und dic Genaniiteii
in ihrer dermaligcn Vcrwcndnng belasseii. ES wur- j
den die Erpedirioiisassisteiiien Angnsr Z ü r n in Wertheim nach »
Neckarelz und Anton H e i ni a n n in Mannheim nach Werthcim
versetzt.

Äusland.

Frankreich.

- Tie A n s t r i t t e tatholischer G e i st-
licher aus der Kirche nehnien ihren Fortgang. Zwei
derselben haben großes Anssehen genmcht: Abbe Te-
lair e, ehemaliger Prosessor am Kleinen Seminar von
Eanze nnd Pfarrer vcm Cvndvm nnd sainte-Cerise ist
znin Protestantismus übergetreten nnd Abbe Anthie r,
Psarrer in der Diözese Agen nnd Professor an einer
kirchlichen Mittelschule, hat 'seineni Bischof die Mitteilnng
gemacht, datz er sein Priesteramt niederlege. Der letztere
hat einen älteren Brnder, der ebensalls Geistlicher ist und
sich vergebens bemühte, ih» von seinem Austritt znrück-
znhalten. Ans einem Briese, den Authier über seinen
Anstrit schrieb, teilt der „Chretien srancais" svlgende
Stellen mit:

Deutsches Reich

Baden.

. bn. Karlsruhe, 28. März. Nach Bekannimachung im „Ge-
^tzes- und Verordimngsblatt" wird auf Antrag des Ortsschul-
f?rs Paragraph S, Zifferl der Verordnung vom 20. Mai 1881,
A? Prüfimg und Anstellung der Reallehrer betreffend, unter
pufhebung des Paragraph 26 dieser Verordnung dahin abge-
?udert, datz zur Prüfung der Reallehrer nur solche Volksschul-
s^ndidaten zugelaffen werden, welche die Dienstprüfnng für er-
?kiterte Vvlksschulen mit der Gesamtnote „gut' bestanden
daben. Die Oeberschulbehörde ist ermächtigt, sür die in den
^hren 1902—1903 stattfindenden Prüfungen von Einhaltung
jNtehender Bestimmungen in den Fällen Nachsicht zu erteilen,

Jch bin in das Seminar eingetreten deshalb, weil mein
älterer Brnder es auch that nnd weil meine sorgsamen Eltern
sür mich nicht weniger thnn wollten als für ihn. Jch wurde
grotz, erhielt die Weihen nnd wagte nicht auf dem betretenen
Wege Halt zu machen, nm nicht in Widerspruch mit meinem
Brnderümd meinen Verwandtcn zu geraten. Zehn Jahre lang
war ich Vikar und dann Pfarrer und lehrte dogmatische Wahr-
heiten, an die ich nicht glauben konnte. Jch litt schwer und
verfluchte schließlich diejenigen, die mich emen sv entiäuschungs-
vollen Weg geführt hatten. Was ich jeht gethan habe, darüber
fühle ich mich glücklich. Als ich austrat, war es mir, als habe

ich ein Gefängnis verlassen. Jch habe vft gehört, der abge-
fallene Priester sei cin Gegenstand des Abschens und der ösfent-
lichen Verachtung. Jch habe mich bald überzeugt, datz dies falsch
ist. Man sagt dies Abschrecknngsmittcl zn jenen, von denen
mmi fürchtet, datz sie das Joch abschntteln könnten.

Diese nnd andere Ans- nnd Uebertritte pressen der
„Semaine religiense" von Albi den Stoßsenfzer aus:
Wir leben in einer Zeit, wo der Protestantische Geisl nn-
zweiselhafte Fvrtschritte wacht und zwar in den Reihen
der überzengtrsten.Katholiken."

Aus Stadt und Land.

-st Musik-Schule von Sahlender. Die Mttwoch Abend
im grotzcn Harinvnie-Saale von Schülern der Sahlender schen
Musikschnle veranstaltete Ausiührung nnhm einen autzerordent-
lich vefriedigenden Vcrlnnf. Das überauS reichhaltige Pro-
gramm bestmid ans Klavier-, (2-, 4-, 6- 8händig), Vivlin-
und Gcsangsvortrügen nnd erfuhr mit Ansnahme von einigen
etwas befangenen Schülern eine äutzerst exakte Wiedergabe,
welche überall die gnte Schule des hier allgcmein gesckstitzten
LehrerS erkenncii lietz. Weir über den Dilcirmuennmwvuiitt
ragten die Leistnngen des Frl. Weinreiter (hier bereits^alZ
Pianisiin mit reichem Können bekannt), welche den ersren Satz
des 5. Beethvven'schen Klavierkönzertes spielte und Lili Ta-
strechow, einer jungen Russin, welche dnrch den Vortrag der
2. Liszt'schen Rhapsodie die Znhörer sörmliL elettrisierie. Aber
anch Mozarts Sonate für 2 Klaviere, Händels Sonate für
2 Violinen nnd Ltlavier, Wagner, Liszt's Zug der Frmien,
Griegs Nvetnrno iind Schmetterling, Lysbergs La fontaine
und schliehlich Mozarts Don-Jnan-Ouvertiire für 2 Klaviere,
(8händig) wurden mit Verständnts nnd gutem Gelingen zil
Gehör gebracht. Herr Frmiklin, ein jnnger hier studierender
Amerikaner, fand dnrch den Vortrag des 9. Konzerts für
Violine von Beriot viel Beifall, ebenso die bciden Damen»
welche Lieder von Mendelssohn - Schummin, Hildach, Raff und
Humpcrdiiick wirknngsvoll sangen. Herr v. Schenk glänzte
wicdernm als lleberbrettl-Sänger (Musik kommt von Lskar
Strmitz). Znm Schluß des sehr nmfangreichen Programms
ies spielten übcr 30 Schüler und Schüleriniienj wnrden Herrn
Mnsikdirekror E. Sahlcnder, dem verdieiistoollen Lebrer nnd
Dirigeiiten ein prachkvoller Lorbeerkrmiz seiiens seiuer Schüler
Lberreicht.

Tiis Oiermmüsche Nutioimlmuscum hat in den lcpten
Fahrzehnlen eine kleine. aber gewühltc Smnmlung holländischer
Meisier in seiner Gemäldegallerie vereinigt. Es iriirde dabei
von dem Bcstrebeu geleiter, nicht nur die im hentigen engcrn
Sinne deiitschen Tthnlen in ihrer Emwickelnng vvrziiführen,
sonderii auch die stammverwandte holländischen Knnsr in ihrer
Blütezeit. Jetzt ist es dcm Museum wiederum geluugen, ein
hervorragendes Werk dcs in dcr ^ammlung noch nickn ver-
tretenen ansgezcichneten Sittenschilderers Gerard Terboch
(1617—I672i zu erwerben, das iiack, Angabe des Verkäufers
seither in frmizösischem Privatbesitz befindlich war imd in der
Terbochlirteraiiir noch nicht bekannt ist. Das aus Leinwand
gemalre, 58 Cciuimeter hohe, 46 Cenrimeter breite Bild ist
mir dem Mönogramm des Künstlers nnd der FahreszaLl 1658
signiert. Dargestellt isr gegen einen dnnkelgraneii, einrarbigen
Hintergrniid eine verhüttnismätzig jringe, nach links vor eincm
Tisckie' mit misgeschlagenem Buchc sihcnde Dame. Das sämuck-
los am Körper herniederflietzenden schwarze Wollkleid, die gleich-
mätzigfarbige Schneppenhmibe, zn dem nur die eiufack'en weihen
Mmichettc» nnd der breite Hemdkragen aiiffallcnd wirken,
lassen in der Dargestellren eine jnnge Witwe vermnren. Dem
Beschaner halb zugewandt, lätzt sic die Linke mrf der Lchne
des Tessels ruhen, während die Rechte lässig mif dem Tchotze
liegr. Trotzdem neben dcm zart leuchtendeii Fnkarnat nnr
drei Hniipktöne das Bild beherrschcn, das (Kranbraun des
HintergrimdeS und Bodens, das Schwarz des Oleivandes und der
Tischdecke iliid daS Weitz der Wäschc nnd des Bnches, ist die Fein-
beit der koloristisckien Stimmuna nnd die Voriielimdeit der

1)

DaS Zirkusklnd.

Roman von E m m a M e r k.

(Nachdrnck verbotcn.)

^ Cs war Herbst. An dcm Bahnhofe der Ilcinen Grenzstadt,
dem sich an Sommerlagen ein buntes, internationales
??! äu entfalteu Pflegt, langweilteu sich die Zollbeamien,
^ österreichischen zur linkcn, wie die baherischen zur rechten.
dem grotzen Restaurationssaale gähnte Ler Kellner, durch
" ganzen üden Raum schien ein Gähnen zu schwebeu.

Äakk " österreichischer Offizier satz eiusam vor eiuer Tasse
Nik ""ö drehte eiue Zigarette uach der mideren zwischen deu
han "äebräuuten Fingern mit laugen spiheu Nägelu. Er
seurige, sehr lebhafte Augen, eine geldlich braune Ge-
^öfnrbe nnd hübsche, kecke Züge von unverkennbar slavischem

schien auch ihu die Laugewetle zu packen, wte mit
dz.-^Arallen. Er schleuderte die Zeituug fort, sprang in ner-
eZEr Ungedulü vvm L-tuhl mif, schuallte den Säüel fest, warf
öer s ldstück auf den Tisch, schnarrte den Kellner heftig an,
chm dem Mantel nicht gewandt genug nmhing.
dx^^ckun trat er hinaus in die schwerinütige Landschaft mit
fz-Dj?usten, tiefbraunen Bergen, die in dieser düsteren Färbung
anist^ch erdrückend ans den Türmen und Dächern der schönen
"n Stadt zu lasten schienen.

ein ^ns.dunkle Gesicht des Oberleutticmts Jan Stzezanek hatte
öösen Ausdruck, während er langsam dahinschlenderte, mit
^Antz zMveilen in grimmiger Laune die dürren Blütter
s^., ^eite stteß, die der Wind von den Alleebäumen herab-
Uui-b' . gehörte zu den Menschen, in denen die Einsmnteit
ö^nige Wünsche, finstere Gedanken, wilde Entschlüsse

" bnier Wegbiegung begegnete ihm ein jimger Mann, ein
^>Na ^ .Zivit, dem das Jagdgewehr über der Schulter
6 uno e!n brauner Teckelhund pflichteifrig nachtrippelte.

„Ah, Herr Rittmeister Wildenanl Jch habe die Ehrel"
rief Stzezanet in seiner Begierde nach Unterhalttmg, den
Kameraden, der mit einem Grntzc an ihm vorbeieilcn wollte,
znm Stillstehen zwingend.

„Habcn Sie Glück gehabt, was geschossen?"

„Nur cin paar Rebhühner. Aber es ivar wunderschön
im Wald", erwiderte der Angeredetc, ein stattlicher, blonder
Maiin mit eriisreii graublmien Angen und einem dichten j
hellen Vvllbart um ein rnhiges jecht dentsches Gesicht.

„Jch begreise nicht, wie Sie's zwei Jahre hier ausgehalten .
haben, Herr Rittineisterl" senfzte Ltzezanek, lebhaft gestt- ,
kulierend. „Es ist ja zum Tvtschietzenl Es ist ja zum Tcufel
holen! Wenn man direkt von Wien kommt."

Ritttneister WTldenan sagte nichts, zuckte nur fast mimerk- !
lich die Achseln. Er wnßte, datz dcr Oberleutnant, seiner !
Schiilden wegen, in die kleinere Garnison versetzt worden war« !
daß er sich in Wien nicht mehr zu halten vermocht mid dcs-
halb allen Grund gehabt hätte, sich mit der billigeren nnd
stilleren Nmgebung zu beguügen. Aber es kam ihm nicht iu
den Sinn, Ratschläge zu erteilen. Es schien auch kaum nach
seincm Geschmack zu seiu, datz Stzezauek sich ihm als Beglciter !
anschloß und er setzte nur mit kühler Höflichkeit das Ge-
spräch fort.

„Jch bin gerne hier. Mir gefällt die schöue Nmgebung. '
Was die Natur aubelangt, kann es ja keiue eutzückcndere
Stadt gebenl"

„Ah bah, lassew Sie mich ausl Naturl Umgebung! Das
ist ein rechtes Vergnügenl Jn dieser Jahreszeit obendreinl Sie
sind Jäger und verschaffen sich auf diese Weisc eine schöne !
Äufregung. Das ist etwas anderes, im übrigen aber geht !
man vor Langeweile fattisch zu Grunde. Schon diese vierzehn ^
Tage sind mir endlos erschienen, und wie ich hier den Win- '
ter aushalten soll —"

Er brach ab, dcnn ein Wagen kam an ihnen vorüber; der
Rittmeister grutzte. Ein feines, bleiches Frauengesicht unter !
einem eleganten Capothütchen neigte sich frenndlich lächelnd !
heraus.

Jmis scharfe Angen hatten nicht blvtz die vornehme Er-
schciniing im modernen SammttnaMel, sondern auch den Wa-
gen mid die Pferde rnit Kennerblick gemustert.

„Donnerwetter, wer ist das?" rief er sehr lebhaft mit auf-
btitzenden Angen. „Eine schöne Frau, eine Dame! Endlich
wieder eine Damel Jch habe sie nie gesehen! Wie kommt das?,
Sie wohnt doch hier in der Stadtl"

„Fran von.Lockhardt hat eine Villa in der Nähe: sie ver-
lützt nur sclten ihren hübschen Garten," erwiderte Lev Wildeimu
mit einer migeduldigen Bewegung, als verlangc er darnach»
Lästiges abzuschütteln, Es war ihm entschieden peinlich, mit
seinem Begleiter über die Dame zu sprechen. Aber dieser blieb
ihm an der Seite, vbwohl er seine lässige Gangart ungewöhn-
lich beschlcnnigen mntzte, nm mit der grotzen Geftalt des
Rittmeisters Schritt zu halten.

„Also cine Villenbesitzerinl Giebt sie Gesellschafteni' Wer
ift ihr Mann?" frug er eifrig.

„Sie ist Witwe."

Der Obcrleutnant blieb stehcn und Ivarf in frcudiger Nebcr-
raschnng die Arnie in die Luft.

„Witwe! Diescs schüne Weib! Nnd sie hält Wagen und
Pfcrde — schöne Pferde, prächttge Orlov-Trabbcrs und sie
macht einen hochmütigen Eindruck. Nach alledcm zu schlietzen,
mutz sie Geld haben! Wissen Sie's, Herr Kamerad, ist sie
reich?"

„ Man sagt's."

Widerwillig warf Leo seine Aittworten hin; durch seine
hellen Augcn schvtz ein zorniger Fnnke. Die Fragen des Be-
gleiters errcgten ihm daS Blnt. Trotz seiner ruhigen Stimme
nnd seincm gelassenen Wesen lag eine Leidenschaftlichkeit in
seiner Natur, die er nur dnrch strenge Selbsterziehung zu
zügeln gelernt hatte.

Der Oberleuttiant lachte, wie neubelebt, mit anfgeheitertem
Gesicht.

(Fortsetzung folgt.)
 
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