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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 75-100 (1. April 1902 - 30. April 1902)
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Montag, 14.April 1902. Zweites BlsrtL. _44. JMgMg. — 86.

^rscheint täglich, SonntagS üusgenommen. — Preis mit FLmilienblattern monatlich 50 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Dnrch die Poft be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. auSschließlich Zustellgebühr.

nzeigenpreiS: 20 Psg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme vou Anzeigen au dcstimm
vorgeschriebenen Tagen wird keiue Verantwortlichkeit übernommeu. — Anschlag der Jnserate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städt. Anschlagstelleii. Feriisprech-Anschlutz Nr. 82

18SS L4. April 1SOS

HroßherM Iriedrich von Aaden

in Wort und Hhat.

Zuui 50jährigen Regierungs-Jubiläum
von

Dr. Rndols Kroue.

(Fortsotzung.)

Noben üer imügon imd vorstniidiiisvoüen Fürsorge
für sein eigenes Xland und dessen einzelne Deile und
Stände ist die unerinüdliche Beförderung deutsch-natio-
naler Einheit der nnverwelkliche Ruhinestranz Großhec-
Zog Friedrichs. Von Anbeginn seiner Regierung, auch
tvährend der Zeitläuste, welche das Streben nach eiuem
einigen deutschen Reich sast als eineu unerfüllbaren
Traum scheineu ließen, blieb sein fester Blick auf dieses
steile Ziel gerichtet. WaS er dafiir gethan, welche Opfer
er gebracht, wird unauslöschlich iin Buch der Geschichte
geschrieben stehen und ein unvergängliches Beispiel edlen
und idealen Strebens für die konmienden Geschlechter
sein. llnter allein Schwanken der Volküstinimnng und
der Politik blieb ihni der hehre Gedanke treu, dasz einem
einigen Deutschland eine große Zukunft unter der macht-
vollen Aührung PreußenS beschieden sei. Wir, die wir
des deutschen Reiches Herrlichkeit ersüüt seheu, können
nicht genug deS badischen Fürsten WeiSheit und Thatkrast
bewundern, woinit er Deutschlands Einigung üurch Wort
und Werk förderte. Kronprinz Jriedrich Wilhelni von
Preußen, der nachmalige Kaiser Friedrich III., sügte
seinem Tagebnch im Jahre 1870, alS er der Beendigung
der langen kaiserlosen jchrecklichen Zeit und des werden-
den Deutscheii Reiches freudig gedachte, die bezeichnende
Beinerkung bei: „Wir verdanken dies wesentlich dem
Großherzog von Baüen, der unausgesetzt thätig war."
Aber lange, ehe diese goldene Zeit anbrach, stand es
unserem Fürsten klar vor der Seele, datz keine Mühe
und kein Opser zu groß sei, aus dem Elend nnd der
Schwäche der schmählichen Trennung in viele deutsche
Cinzelstaaten zu einer alle deutschen StäMme nmfassen-
den Einheit sich hindurchzuringeii. Dies war in den
sechziger Jahren durch den unseligen Zwiespalt zwischen
den Großmächten Oesterreich und Preußen sehr erschwert.
Und als der deutsche Bund durch den Fürsten-Kongretz
Zu Frankfurt die Vormacht Oesterreichs im Bunde an-
erkennen sollte, brachte der Großherzog von Baden durch
seine Erklärung vom 1. September 1863 seine Gesin-
Uung unerschrocken ziim Ansdruck. Die Geschichte hat
ihn glänzend gerechtfertigt. Die Hanptsätze jener Er-
klärung lauteten:

Wie Lereit Jch auch sein niag, jederzeit Opser
Meiner Rechte und Meiner Stellung zu bringen, wo
dieselben dem Zustandekomincn des großen nationalen
Werkes der Einigimg Deutschlands gebracht sind, ja
wie bereit ich wäre, demselben auch das schwerere
Opfer der Jdeen zn bringen, wonach sich nach Meiner
sesten lleberzeugung die kiinftige Verfassung Deutsch-
lands zuni Wohle deutschen Volkes und Landes ge-
stalten muß, wenn unter allen Meinen hohen Verbiin-
deten, wenn von der Gesamtheit der deutschen Sou-
veräne ein Einvcrständnis über eine davon verschiedene
neue Verfassungssorm des deutschen Vu.ndes her-

gestellt wäre, so halte Zch stRich solange zu dieser Hin-
gebung weder sür berechtigt noch für verpflichtet, als
nicht feststeht, daß dadnrch das Znstandek'oininen einer
solchen neuen, den gerechlen Ansprüchen des badischen
Landes unü des deutschen Volkes enlsprechenden Bnn-
desresorm auch wirklich zum Abschluß gebracht werde.

Der vom Teutschen Bund, insonderheit Preußen
und Oesterreich, wegen der schon seit Langem durch
Dänemark in seinen deutschen Rechten gekränkten Herzog-
tümer Schleüwig-Holstein gesührte ruhnireiche Krieg en-
öete 1804 mit der Erwerbung dieser Länder. Jhre Vertei-
lung zwischen den beiden Großmächten führte, nachdem
schon lange vorher eine starke llneinigkeit vorhanden war,
1866 zu üem Bruderkrieg zwischen Preußen und Oester-
reich, wvbei Baden nach den bisher geltenden Verträgen
zum tiefen Schmerz seines LandeSherrn gegen Preußen
Stellung zu nehmen genötigt war. Aber in der ihni ei-
genen Selbstlosigkeit ordnete der Großherzog den Zug
deS Herzens, die Familienbande, selbst seine lleberzeugung
den fist'iher eingegangenen staatlichen Verpslichtungen
unter - - ein Opfer, das in seiner ganzen Größe noch nie
genug gewürdigt wurde. Ziim Gliick wurde der unselige
Krieg durch die L>chlacht von Königgrätz am 3. Juli
1866 rasch zu llngunsten Oesterreichs ents-chieden. Oester-
reich schied aus dern Deutschen Bunde, der dnnn gänzlich
zerfiel, und Preußen errichtete mit den Staaten nörd-
lich des iNain den Rorddentschen Bund, wobei jedoch ein
Schutz- nnd Trutzbündnis mit den süddeutschen Staaten
eingegangen wnrde. Weun damals auch der Beitritt
BadenS in den Norddeutschen Bniid noch nicht möglich
war, so wußte do-ch Großherzog Friedrich seine Heeres-
macht der preußischen so ähnlich zu machen, daß das Zu
sanmienwirken der Armeen allezeit stattfinden konnte,
wenn ein Anlaß hierzu von Außen gegeben wurde.

Tieser Anlaß sollte bald genug eintreten. Die wach-
sende iNacht deutscher Staaten war Frankreich und seineni
Kaiscr N'apoleon dem Dritten ein Dorn im Auge. Der
Vorwand zum Kriege war in der Bewerbnng deS Prin-
zen Leopold von Hohenzollern um den spanischen Königs-
thron bald gesunden. Es begann der furchtbare, aber
glorrciche Kampf von 1870—71. Wie ein Mann
erhoben sich Deutschlands Staaten und Völker: Süd-
deutschland und Norddentschland reichte sich im Angesi-chte
des gemeinsamen übermütigen Feindes die Hände. llnd
das deutsche Heer schritt iiber Blut und Leichen von Sieg
zu Sieg.

Du, deutsche Jugend, die du jene Zeiten der höch-
sten Begeisternng, der riessten Demütigung unter Gott,
des erhebenden Gottvertrauens und der dankbaren
Freude für den Sieg nicht miterlebt hast, lies die denk-
würdige Geschichte jener großen Zeit und erinnere dich,
daß das Deutsche Reich, darin du geboren wurdest und
das du licb hast, aus langer Nacht unter unsagbareu
iMühen und Opfern zum Lichte geboren ward. Was
du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu
besitzen!

Zn Ehrsurcht und Vewunderung schaut das nach-
wachsende Geschlecht auf die Söhne der badischen Heimat,
die in tapferem, heldenmütigen KNmPf unter unerhörten
Anstrengimgen ihr Leben eingesetzt und ihr Blut vergossen
haben sür das teure Vaterland. Ilnvergessen bleibt es
allezeit, was sie geleistet in den Schlachten bei Chival,
Dijon, Nllüts, bei Villersexel, Chenebier und Belsort.
Wir griißeu euch, ihr Kriegsveteranen, landans, landab,

ihr Ehrenmänner, die ihr uns eiu nnerreichtes Beispiel
des MaimeSmutes und der eiseruen Pslichttrene gegeben,
Ivir drücken euch die Haud und wir dulden es nicht, datz
nian euch in einem Athem neimt mit soöldnern, die
friedliche Heimstätten mntwillig und grausam in Brand
gesteckt und an wehrlosen Franen und Kindern ihre
Wut ausgelassen.

llnvergessen sei auch der Führer der badischen Trup-
Pen — unsereS Großherzogs Brnder, Prinz Wilhelm,
dessen Blut bei Nuits geflossen ist fürs Vaterland: ein
Vorbild aller militärischen Tugenden. — Eineu Lorbeer
und eine Thräne auf seine stille Gruft!

Jnmitten dieses blutigen Kampses und furchtbaren
Ringens, da das Blut von Freund und Feind in Ltrö-
nien sloß, bemühte sich unser Fürst, die vielen Wunden,
die der Krieg schlng, zn lindern, und die i>tot und das
Elend der Bevölkerung nach Kräften zu inildern. Jn
diesem Sinne schrieb er wührend der Belagernng von
Straßburg an den Kornmandanten dieser Stadt einen
denkwürdigen Brief, der einem edlen Herzen voll christ-
licher Menschenliebe entauellend mit der hinreißenden
Beredtsamkeik des Mtleids die unzweiselhnfte Nutz-
losigkeit des Widerstandes und die großen Leiüen der
beklagenswerten Stadt zu einer ebenso dringenden als
liebenswürdigen Anfforderung, sich zu ergeben, bemüht;
der Bries war ohne Erfolg, aber 5 Tage spärer, ani
28. September, mußte Straßburg käpitulieren. Diese
gualvollen fünf Tage hätte General llhrich der unglück-
lichen iLtadt ersparen können, wenn er die Mahnungen
des GroßherzogS beachtet hätte.

(Fortsetzimg folgt.)

Die KroMhrigkeit des Königs von Spanien.

Am 17. Mai dieses Fahres ersolgt die Großjährig-
Erklärung des K ö n i g S A lsons des Dreizehnten in
Madrid. Am 17. Mäi 1886 wurde Alsonso der Drei-
zehnte bereitS als König geboren, da sein Vater am
25. November 1886, also fast ein halbes Iahr vorher, ge-
storben war. Tie Krönung Alsonsos wird in seierlicher
Weise begangen werden. Am 16. Mai begiebt sich der
König mit seinem Hosstaate in die Repräsentanrenkäm-
mer, um den Eid auf die Versassung zu leisten. Äm fol-
geiidm Tage wird der König eincm Tedenm in der Kirche
des heiligen FranziskuS des Großen beiwohnen. Sodann
sindet eine Parade aus dem Caramanchel-Felde sratt, an
der säintliche Trnppen Rlädrids teilnehmen werden. Am
18. Mai fiiidet eine Revue über die Schüler aller Militür-
schiilen statt und am solgenden Tagc wird eine große
Ausstellimg eröffnet, die bis zum 14. Juni dauern wird.
Während dieser - Zeit veranstaltet der Stadtrat von
Madrid zahlreiche Bälle nnd Konzerte. Außerdem fin-
den am 18. Mai zwei Stiergesechte statt. Tie verschie-
denen Blächte haben bereit-s ihre Vertreter bei den Fest-
lichkeiten bestimmt. Oesterreich — die Königin-Regentin
Christine ist bekanntlich eine österreichische Erzherzogin —
Dentschland, Großbritannien und Rnßland werden durch
Mitglieder der regierenden Familien vertreten sein. Aus
Firankreich werden der Großkanzler der Elirenlegion
Gcneral Florentin, der Tirektor des Protokolls Crozier
nnd der Adjutant LonbetS, Kümmandant Reibell, bei
der Thronbesteigung anwesend sein. Auch Abvssinien
und Persien werden Vertreter senden. — Ueber die Vor-
bereitungen zu den Festlichkeiten, welche anlüßlich der

Das Zirkuskind.

^2) Noman von E m m a Mer k,

(Fortsetzung.)

Das blasse Gesicht auf der Ankkagebank zuckte znsammen.
Hans zu gcfallen, hatte sie mehr Sorgfalt anf ihre äußere
strschewung verwendet. Anch das soklte nun, vom Neid der
^olleginnen erwähnt, ihr wie eine Schuld angercchnet werden.

Mit entrüsteter Miene und salbnngsvollem Ton trat Dahlas
stnstige Jnstitntsvorsteherin vor nud bemerkte, sie habe ein
Mches Ende leider vorherschen müssen bei einem so rebellischen
^eschöpf, das auf der Flncht ihr Haus verlassen, in dem es das
Üück gehabt, erzogen zn wcrdcn.

Als schwerwiegendster Zcnge wurde Dr. Tulberg vernom-
äeii. Er berichtete der Wahrhcit getreu den Vorgang in
jsiner Wohnung, verschwicg anch nicht den Kuß, dcn er Dahla
Mtte ranben wollen, woranf sie mit wilder Abwehr von ihm
öeflohen sei, das Flüschchen mit Cycmtali, nm das sie ihn ge-
^sten, in der Tasche. Er gestand, dasz er sich eine Fahrlässig-
st>t zu Schulden hatte kommcn lassen, da er das am nächsten
Morgen bei der Schauspielerin zurückgeholte Fläschchen nicht
Häher geprüft, sonderu ohne Weiteres in seinen Schrank ge-
'^llt habe. Erst nachdem er von dem Verdacht des Giftmordes
^hört, der das Mädchen traf, habe er das Kaliumcyanid nach-
8ewogen und gefunden, datz fast ein Gramm an dem früheren
°on ihm notierten Gcwichte fehle. Der Präsident wcndete sich
die Angeklagte:

,, „Sie habcn bei dcr Voruntersuchung zugegeben, datz Sie
rjose Dosis sich widerrechtlich angeeignet haben. Warmn thaten
^>e das?"

„Jch wollte für alle Fälle cin Mittel besihen, nm stcrben
M können, wenn mir das Leben unerträglich geworden."

„Wo befindet sich das Gift, da Sie ja vorgeben, es nicht
dem Morde verwendet zu haben?"

„Jch habe es vorsichtig verwahrt."

„Man hat es bei der Nachforschnng weder imter Jhren
Sachcn noch an Jhrer Person gefnndcn. Verweigern Sie
anch jeht vor dem öfsentlichcn Gericht, nähercn Aufschlutz über
den Verbleib des Giftes zu gebcn?"

Dahla schwieg. .

Ein Murmeln der Entrüstung ging durch den Saal. DaS
Mädchen saß regnngslos, das Hmipt gcsenkt. Nur einmal hob
sie das Gcsicht empor mid eine jähe Röte flog ihr über dic
Wangen, als eine frühcre Dienerin Frau Wildeuaus von dcr
Wildheit des Seiltänzerkindes, das ihre arme Heri-in ins
Haus genomme», berichtete mid besonders jenen heimlichen
Verkmif der Korallenkette betonte. Wie hartnäckig das bösc
Geschöpf gcteugnet und über deu Berbleib dcs gelösten Geldcs
geschwiegen habe. Ein jimger Mmm, der crnst und bleich in
einer der Zuschanerlogen satz, machte bei diesen Worten eine
Bewcgung dcs Schreckens. Wie instinktmützig begegnetcn seinc
Angen den grotzen, starren, glanzlosen der Angeklagien. Er
sah einen Blick so voll unsagbaren Wehs, datz er meinte, das
Herz müsse ihm in Stücke gehen.

Nachdem die Sachverständigen. ihr Gutachtcn abgcgeben
hattcn, erhob sich dcr Säatsaiiwalt, eine vornchmc, stolze Er-
schcinung, und seinc traftvolle Stimme behcrrschte den Saal.

„Am 2. Febrnar, nachts zwölf Uhr, wurdc dic Diencrin
Frau Wildcnaus durch einen schweren Fall geweckt. Sie eilte
in das Schlafzimmer ihrer Herrin mid fand dicselbe, regungs-
los, mit gcbrochencn Augen auf dein Boden licgcn; sie vernahm
nur noch ein letztes Röcheln. Der herbeigcrnfene Arzt vcr-
mochte imr den dnrch ein rasch wirkendes Gift herbeigeführtcn
Tod zu konstatieren. Frau Wildenan, die sich eben angeschickt
hatte, sich zur Ruhe zu bcgcben, hatte, wie sie zu thun
gewohnt war, vorher mis einer vor ihrem Toilettc-
Tisch stehcnden Schachtel ein Pnlver mit einem leichtcn,
vom Arzt verordneten Schlafmittel genommcn oder viel-
inehr zu nehmen geglaubt, und dasselbe in ein bereitstehendes
Glas mit Rotwein gcmischt. Jn diesem Glase bcfand sich
noch ein kleiner Rest; ebenso in dem anf dem Boden liegenden

Papier, dcm sic das Putver entiwmmen hatte. Die Unter-
suchimg ergab sowohl in dem Glasc, wic in dem Papier einen
Restbestand von mit Zucker zerriebenem Cyankali o-er Ka-
liumeyanid.

Es ist wichtig, hinzuziifügen, datz jenes Papier gcnau den in
der Schachtel befindlichen mit dcm harmlosen Schlafmittel ge-
füllten Enveloppen entsprach. Dieser Urnstmid widerlegt jede
etwaigc Aimahme cincs Selbstmordes. Hätte Frau Wildenan
beschlossen, mit eigener Hand ihr Lcben zn enden, so würde
sie nicht nötig gehabt haben, das Gift zu vcrsteckcn, es gleiß-
nerisch unter ihre Schlafpnlver zu mischen. Gegen cine solche
Anahme spricht auch ein vorgefundener Bricf: Frau Wildenau
erwartete eine Nichte ihres verstorbcuen Gatten zn Besuch aus
Amerikä. Das Mädchen war die cinzige Vcrwandte ihres
heitzgeliebten, zweiten Mannes nnd von Frau Wildenau zur
einstigen Erbin ihres bedeutendcn Grundbcsitzes bestimmt.
Die jimge Dame war bereits iii, England gclandet, weilte
einstwcilcn noch dort bei Verwandtcn nnd schien während der
Seereise die Bekmintschaft eines Amcrikaners „Mr. Symons"
gcmacht zu habcn, der sich leidenschaftlich in sie verliebt hatte,
mit dem sie sich aber erst im Beisein der Tante verloben wollte.
Jn ihrem Bricfe frente sich Frau Wildenau hcrzlicki über diescs
Ereignis, hietz den ki'mftigen Bräntigam der Nichre aufs
wärmste willkommen imd sprach ihrc ungcduldige Sehnsucht
nach der Begcgnung mit der einzigcn Verwandtcii ibres seligen
Mmmcs mis, dcren Augcu sie schon anf dcm Bilde an seine
gclicbten, unvergetzlichcn gcmahnt hatten."

Es ist nnn ganz undenkbar, daß cinc Dame von Fran
Wildenaus klarem imd ruhigcm Charakter die Nichtc mit solcher
Herzlichkeit und Ungcduld zu sich rufen würde, wenn sie sich
den Tod gcbcn wollte, noch ehe dic Tinte an ihrcm Briefe ge-
trocknet war. Also kcin Sclbstmord. Ein Mord! Wer aber
hatte Jnteresse an dem Tod der edlen, allgemcin deliebten
Frau? Das Testament dersclben gab anf diese Frage einen
erstcn Aufschlutz. Eine Pcrson hatte in der That von dem
Tode der Fran Wildcnau einen Vorteil zu erwartcn: die Schau-
 
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