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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0966
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hältnisse noch an. Wenn auch um diesem in landes-
kultureller wie volksökonomischer Hinsicht gleich bedenklichen
Zustande entgegenzuwirken, die Staatsforstverwaltung nach
wie vor bestrebt sein wird, aus ihren etatsmäßigen An-
kaufsfonds Oedflächen zum Zwecke der Aufforstung zu
erwerben, so sollcn doch die durch Artikel 2 bereitgestellten
Fonds in geeigneten Fällen auch für den Ankauf von
Forstgrundstücken inSbesondere dann Verwendung finden
können, wenn letztere zu Gütern gehüren, die sich im
übrigen zu Domänen etgnen. Es kommt außerdem in
Betracht, daß auf diese Weise ein Zusammenwirken mit
der Ansiedelungskommisston ermöglicht wird, für die die
Zugehörigkeit größerer Forstkomplexe zu angebotenen
Gütern bisher eine besondere Schwierigkeit bot, weil die
Frage nach der angemessenen Verwertung der Waldungen
zumeist keine befriedigende Lösung fand. Es ist aber
durchaus unerwünscht, von dem unter Umständen politisch
wichttgen Erwerbe eines Gutes lediglich im Hinblick auf
die zugchörigen für die Besiedelung außer Betracht bleiben-
den Waldungen Abstand nehmen zu müssen. Jn solchen
Fällen wird daher künftig nach vorheriger Verständigung
zwischen den Behörden durch gemeinsames Vorgehen der
Ansiedelungskommission und der Staatsforstverwaltung das
Jnteresse des Deutschtums eine wesentliche Förderung er-
fahren. Jm übrigen bleiben die bestehenden Ressort-
verhältnisse für den zu erwerbenden Staatsgrundbesitz
sowie die Bestimmungen über dic Verwertung des letztern
und die Verrechnung der betreffenden Einnahmen un-
berührt. _

Deutsches Neich.

— Der in Düsseldorf tagende internationale
Bergarbeiter-Kongreß nahm mit allen gegen die
Stimmen von drei englischen Delegierten die von der eng-
lischen, belgischen und französischen Bergarbeiterorganisation
eingebrachte Resolution auf gesetzliche Einführung des
Achtstundentages in den Betrieben über und unter
der Erde an. Jm Laufe der Debatte enlspann sich eine
lebhafte Erörterung über die Frage, ob den österrcichischen
Delegierten das Recht zustehe, zur Resolution zu sprechen.
Von englischer Seite wurde der Standpunkt vertreten, datz
dem einerseits das seit Tagung des Berliner Bergarbeiter-
kongresses übliche Reglement im Wege stehe und daß an-
dererseits dann auch den Schottländern und Wallisern, als
eigenen Nationen, daS Recht zugestanden werden müsse, zu
jedem Beratungsgegenstand das Wort zu ergreifen. Der
Kongreß beschloß mit großer Mehrheit die Abschaffung des
Berliner Reglements.

Ausland.

England.

London, 21. Mai. An dor Börse wnrde beftätigt,
daß die am Samstag in Liverpool abgehaltene Versamm-
lung der Aktionäre der „W hite Star - Linie" das
Abkommen mit der M o r g a n g r u p P e, wenn
auch erst nach starker Opposition einiger großer Aklio-
näre gutgeheißen und formell sanktwniert wurdc,
nachdem die Vertreter Morgans die Verpflichtung über-
nommen, daß der bisherige Einfluß der Gründer und
bisherigen Leitcr der englischen Dampferlinie auch in
Zukunft gewahrt bleiben soüe. Von einer Opposition
aus „Patriotischen Gründen" sei keine Rede gewesen.
Mr. Pirrie ert'Iärte den Uebergang der Tampferlinie in
amerikanische Hände fiir u n v e r m Ai d l i ch, wefl
es die einzige Möglichkeit biete, für den englischen Han-
del cine Brücke nach dem stillen Ozean zu schlagen. Diese
könne nur über den amerikanischen Kontinent gehen,
und durch eine Vereinigung mit dem großen amerika-
nischen Eisenbahnring Morgans möglich werden. _

Won der deutschen Lehrerversammlung.

Chemnitz, 20. Mai.

Der V o l k s s ch u l l e h r e r t a g ist diesmal von
294 Delegiertcn besucht, welche 13 000 Lehrer vertreten.
Die erste Hauptversammlung wnrde von dem Vorsitzen-
Len Lehrer Clausnitzer-Berlin eröffnet, worauf der

Die meisten der Anwescnden gruppirten sich jetzt um die
Spieltische.

„Willst du tcilnehmen?" fragte Klautznick.

„Ncin," erwiderte Werther, sich in die Ecke eines Divans
lehneud.

Bald war das Spiel im Gange. Ladoisky verlor be-
ständig, während Warnhagen von der launischen Glücksgöttin
auffallend bcgünstigt wurde. Aber der Pole verstand es, seiu
Mitzgeschick mit unerschütterlicher Ruhe zu ertragen, und als
sich später das Glück zu seinen Gunsten wendete, strich er die
Goldstücke ebenso gleichgültig lächelnd ein, wie er sie verloren
hatte.

Das Rascheln der Banknoten, das feinc, metallische Klir-
ren des Goldes, das Knallen der Champagnerpfropfen, die
ganze wie mit Elektrizität überladene Atmosphäre wirkten
im Verein mit dem perlenden Sekt berauschend auf Herbert.

Je schärfer man am Spieltisch pointieren anfing, je
mehr des cisigen und doch so glühenden Weincs er hinab-
schlürftc, mit um so heitzeren Blicken verfolgte er das Spiel.
Jn seinen Zügen spiegelte sich eine bis zur Nervosität gestei-
gerte Spannung und in seinen Augen ein fieberhaftes Flackern.

Jetzt wurde eine kleine Pause gemacht. Dann sollte ein
neues Spiel beginnen, und Klautznick die Bank nehmen.

Hcrbert satz immer noch auf dem Divan. Niemand schien
auf ihn zu achten. Er kam sich gesellschaftlich ausgeschlossen,
ja, geradczu lächerlich vor. Seines Freundes Worte: „Man
wird dich für einen kleinen Krautjunker haltcn", klangcn ihm
beständig in dcn Ohren, und er glaubte zu bemerken, datz
mancher spöttische Blick an ihm hafte.

Wiedcr trat man an die grünen Tische heran.

„Nnn, wie ist's, willst du auf eine Karte setzen?" fragte
der Refercndar.

„Jch habe wirklich keine Lust —"

„Nun, ganz nach Belieben! Aber —" cr kehrte nochmals
um, „wenn du etwa momentan knapp bist, so steht dir meinc
Börse natürlich zur Verfügung."

Das war halblaut gesprochen, aber Warnhagen und La-
doisky kamen in diesem Augenblicke vorüber und in seiner
Erregung meintc Werther, sie mützten dicse Worte gehört ha-

sächsische Kttltiismiiiister Dr. v. Seydewitz eine Ansprache
yielt.

Vvn deii drei Vorträgen, die aiif der Teiitschen
Lehrerversammiiiig in Chemnitz gehalten wnrden, ist von
besonderem Jnteresse der Vortrag des U n i v e rsi -
t ä t s p r o f e s s o r s Dr. Rehmke - Greifswald über
das Thema: „Universität iind Volksschullehrer". llniv.-
Professor Dr. Rehmke bezeichnete es als notwendig, daß
denLchrern dasRecht deSUniversitätSbesuches eingeräumt
iverde. Es werden an die Volksschulen immer höhere
Anfordcrungen gestellt, es müsse daher den Lehrern das
Recht eingeräumt werden, ihr Wissen, das sie auf den
Seininaren erhalten, zu erweitern. Der die Universität
besuchende Lehrer müsse „studiosus philosophiae" ge-
nannt werden. Zn der Hauptsache müsse der Lehrer
pädagogische Vorlesungen hören, er werde aber auch an
anderen Wissenschaften nippen, ohne sich dadnrch zu be-
rauschen . (Beifall und Heiterkeit.) Es sei schon deshalb
notwendig, den Volksschullehrern wissenschaftliche AuS-
bildung angedeihen zu lasseu, da die Lehrer nicht bloß
die Schule halten, sondern sie auch leiten sollen. Um
aber eine Schule zu leiten, sei hohe wissenschaftliche Bil-
dung erforderlich. Mit der Forderung, der Lehrer solle
die Schule leiten, stoße man vielfach auf Widerspruch bei
deni geistlichcn Stande. Man müsse diesem klar machen,
daß die Leitung der Schule durch den Lehrer keineswegs
eine Feindschaft gegen die Religion bedeute. (Stürmi-
scher Beifall.) Es sei durchaus keine Feindschaft gegcn
die Religion vorhanden, wenn man die Selbständigkeit
und Freiheit der Schule fordere. Wenn dies aber voll
errcicht werden solle, dann müsse dahin gestrebt werden,
daß die Lehrer zu dem Universitätsbesuch zugelassen
werden. Es gebe ja für die Lehrer sogenannte Privat-
universitäten, die Lehrervereine, von denen die Lehrer
glücklicherweise den ausgiebigsten Gebrauch machen.
Allein diese Privatbildung könne die geregelte Universi-
tätsbildung in keiner Weise ersetzen. Diese Privatbildung
gleiche der Universitätsbilduiig wie Flcffchenbicr dem
Faßbier. (Heiterkeit.) Er halte es für eine Ehre der
Universitäten, wenn sie in den Tienst der Volksschule
treten. (Stürmischer Beifall.) „Wenn Mohamed nicht
zum Berge kommt, dann kommt der Berg zum Vtoha-
med." Wenn den Lehrern auf den Süminaren nicht die
erforderliche wissenschaftliche Ausbildung zu teil werde,
so müssen dieselben eben die Universitäten besuchen. Ieder
Lebrer müsse ein kleiner Pestalozzi werden. Der Redner
schloß mit eiuem Ausspruche Luthcrs: „Für ineine Teut-
schen bin ich geboren, ihnen will ich dienen." (Stürmischer
Bcifall.)

Ter Vorsitzende, Lehrer Clausnitzer-Beclin, dankte
dem Redner. Die Ausführimgen desselben seien um so
erfreulicher, als sie den Lchreru als Material dienen,
diesen Gedanken weiter zu verfolgim und zu verwirklichen.

Aus Stadt und Land.

Mannheim, 22. Mai. (Von dcr Audicnz dcr
Zionisten) beim Grotzhcrzog m.cldct t>er „Gcn.-Anz."
noch: Anf dic Ansprachc dcs Präsidcnten der zionistischen Ver-
eimgung für Deutschland, Dr. Bodenheimer, welchcr dcm Grotz-
herzog den Dank der Zionistcn für sein der Bewegung unö ihren
Führcrn bcwiesenes Wohlwollcn aussprach, crwidertc der
Grotzhcrzog in überaus gnädiger Weise, datz cr sich frcne, zu
bemerken, wie dic früher vorhandenen Mitzvcrständnisse gegen-
Lber die zionistische Bcwegung zu schwinden begänncn. Er
hakte es für seine werte Pflicht, die Bcwegung zn untcrstützen.
Hiernach nnterhiclt sich dcr Grotzherzog eingehend mit den
cingeladenen Herren der Dcpntation Lber den S'tand nnd Fort-
schritt dcr Bewegung in Dcutschland. — Nach dcn Acntzernngen
dcr Fnhrer ist der in Mannheim abgehaltene Delegiertentag der
Dentschcn Zionisten überaus erfolgreich verlaufen. Diesclbcn
sind mit den Resnltaten ihrer Bcsprechungen, besonders mit dcm
ncucn Organisationsstatut nnd den Resolutioncn, die in dcr
Frage nack, der Opportnnität bon Fratkionsbildnngen gefaht
worden sind, sowie dcm frcundlichen Empfang der mahgcbendcn
jüdischen Kreise in Mannhcim antzcrordentlich znfriedcn. Auf
das Huldigungstelcgramm des Delcgiertentages der Dcntschen
Zionisten an den Dentschen Kaiser ist folgende Antwort cinge-
troffen: „Delegicr>entag dcr Deutschen Zionisten, Mannhcim.
Ilrville, Schlotz. Scine Mqjestät der Kaiscr und König lassen
für dcn Huldigungsgrutz danken. Auf Allerhöchstcn Bcfehl:
der gehcime Kabinetsrat von Lncanns."

Mannhcim, 22. Mai. (Einbruch in die Ge-
r i ch t s s ch r c ib e r c i des G c m c i n d e g c r i ch t s.) Jn
vergangener Nacht wnrdcn in im zweiten Stocke des Hauses
0 1, 6 gelegene Gcrichtsschreiberei des Gemeindegcrichts ein

Einbrnch verübt. Die Einbrecher —- offenbar müssen cs meü
rcre gewcsen scin — sind vom Hausgang aus in die RäMs
gclangr, indem sie eine Scheibc cinschlugen und dann das
schlietzendc Fenstcr öffnetcu. Sie erbrachcu sämtlichc Puu^
fanden aber nichts, auch den Kassenschrank, dcr sich in dew
Bureau befand, suchtcn dic Einbrecher zn ösfncn, was ilM"
aber nicht gelang. Der Schrank konnte hente früh mit dcw
Schlüssel nicht geöffner wcrden, was darauf schliehen lätzt, dab
die Diebe nach vergeblichcm Bemühen von ihrer Arbeit aw
lietzen. Jn der Hanptsache scheint aber dcr Einbruch mehr dern
im Parterre dcs Hauscs gelegcnen Laden des Juwelier- wst
Uhrcngeschästcs von C. Felscnmeyer gcgoltcn zu habcn. Dst
Einbrecher habcn nämlich den Parkettboden der Gerichtsschrcst
berei mit den im Lokale vorgefundencn Schürhaken aufgenK
sen nnd suchten von hier aus in den Laden zu gelailgew
stiehen dabei abcr anf das dnrchziehendc Gebälk, so datz aua'
diesc Arbeit nmsonst war. Da die Diebe ihren Zweck aUI
dicse Art anch nicht erreichen konnten, scheinen sic ihr Beginncu
anfgegcben zn habcn. Von dcn Thätern hat man bis jE
noch keinc Spnr.

Badcnweiler, 21. Mai. (P f a r r e r w a h l.) Bei d^
heute vorgcnommenen Wahl wurde Herr Pfarrer Schmist
von Vogelbach fast cinstimmig zum Pfarrer von Badenweili'''
gcwählt.

Verlosungen.

Stavt Ostende 1Ü0 Fr -Lose vom Jahre 1898 Ziebuna
am 16 Mai 1902. Gewgene Ze-ien: ser>e 1611 9301 36y'
4060 6>97. stauotpreise: serie 4060 Nr. 16 10000 Fr. K-r'r
8301 Nr. 19 1000 Fr. Zerw 3301 Nr 23 500 rlr. Ze'. 353-
Nr. 3 Zer 6197 Nr. 5 'e 210 Fr. serie 1611 Nr. 1 4, 5,

7, 15, 16, 22 24 serie 3301 Nr. 7. 20. 25, S-r-e 3538 Nc
12. 20, Zec. 4060 Nr. 8. 17, Ser. 6197 Nr. I, 11, 18 je 125

Zur Kartsruher Mahuhofsfrage.

Von der Vorlegung des Karlsruher Bahuhofes wB
ini „P fälzer Boten " gesagt worden, sie laufe den
Knrlsruher städtischeu Jnterefsen zuwider. Gegen
sen Ausspruch wendet sich mit Lemerkenswertor Schärll
der Zwei.Tterne-Maun im „B eobachte r". Er fülK
aus, daß solche Bahnhofsfragen iinmer in die Interesl^
der Einzelnen einschneiden, bei den einen in nngünstigrr'
bei den anderen in güiiftigcr Weise. Es komme abr
auch das Landesinteresse ins >spiel. Tmin gehl de
„Beobachter" anch anf die politische Seite der An8^'
legenheit ein. Fn dieser Beziehung schrcibt er:

Auch die Stelliiiig deS Minisiers oder vielmehr d>
Folgen für seine Stellnng wären in Betracht zn ziclst,,
gewesen. Nach den vom Kritiker im „Pfälzer Bon
erwähnten Vorgängen würde höchst wahrscheinlich d'
Rliiiisterstelliuig des Herrn von Brauer ins WaruO
kommen, wenn die beschlosseM Verlegung des Bahnhoi^
rückgängig gemacht würde. Sein Fall würde dann inch
dadnrch herbeigeführt werden. daß die Kammer ihn>
eiucr wichtigeu Frage Opposition' machte, sondern ^

oem w pengeiegieu >>

Das ist aber doch nicht der Weg, auf dem cine Volksvw
tretuug einen Miuister zu Fall kommcn läfst. Eine 8-
wisse Loyalität nmß doch auch bei Ministcr-Ltürzen
gelten. Ein solcher Weg aber wäre jeglicher Loyaliw
schnurftracks zuwider, anch dann, wenn cs sich um eim
Minister handelt. desfen Amtsführung von der Volksve
tretung bet'ämpft werden müßle. ^

NaturgMiäß käme im vorliegenden Falle vor allcu
der Eisenbahnminister in Frage. Gegen diesen, nicht 81
gen den Staatsmiiiistcr, würde der .Schlag geführt. Fs',
Minister von Brauer in seiner neuniährigen AmtsfM
rung sich ausiiehmend große. Verdienste anf dem
biete der Eisenbahnpolitik erworben hat, ist allseits >h
nmwunden anerkannt worden nnd kann doch wohl ü
Ernste von niemanden bestritten werden. Jn welckst
Geleisen die Leitung der badischen Eisenbahnpolitik noh
seinem nntcr solchen Umständen erfolgten Weggang
bewegen würde, läßt sich natürlich nicht feststellen. ll),
nnerwünschter Rückgang wäre aber sehr wahrscheinli^
zn erwarten.

Es stände nnn aber wirklich der Fall einzig da '''
der Geschichte der Ministerien, wenn eine Volksvertretu^
einenMinister zu Fall brächte, n. zw. mit Bewnßtsein u>ck
Absicht, obwohl sie mit dcssen Amtsführung ganz einv^
standen nnd znfrieden wäre nnd Gefahr laufen würv.
mit einem Amtsnachsolger und seiner Amtsführnng
andere Erfahrnngen machen zu müssen. Nach dieffo

sitz von ihm, nmstricktc ihn wie mit hundertfachcn Armen U>
erstickte jeden Widerstand. „

Als der Morgen graute und die Gäste das kleinc Haus vc .
ließen, hatte Werther nicht nur die für Breuer bestivuU
Summe, sondcrn autzcrdem noch dreihundert Mark verloN' '
die er nnn Kläußnick schuldete. ^ g

Fröstelnd, peinlich eregt, sich selbst und der ganzen Affh
zürnend, trat er, dcn Hut in der Hand haltend, ins As'l,,
und bot die nnbedeckte Stirn dem scharfen, schneidendcn HerA^
wind dar. Dieser wirkte jedoch nicht erfrischend und berU- .
gend, sondern vcrdoppelte nur noch das Hämmern in u'
Schläfen, den dumpfenden, quälenden Kopfschmerz.

„Wie du nur aussiehstl Jch glaubc gar, dn nimmst
deinen Verluft zu Herzen," scherzte Referendar von Klautzv^
„Latz mich zufrieden mit deinen Spöttereienl Jch
nicht in der Laune, sie anzuhörenl" fuhr Herbert heftig j
„Wärest du nicht gewesen, so würde ich jetzt von einer P^'ß,
lichen Sorge bcfreit sein und befände mich nicht in der
mir bittere Vorwürfe über meinen Leichtsinn machen °
müssen."

„Vorwürfe — Leichtsinnl Du bist wirklich köstlich-
kannst mir ja die paar hundcrt Mark zurückgeben, weiw
dir paht. Die Sache hat gar keine Eile!"

„Für mich wohll"

„Nun, nächstcn Sonnabend sprengst du vielleicht die
„Jch rühre keine Karte mehr an!" ,

„Man darf nichts auf der Welt verschwören. Uebrig^,,
liegt es mir fern, dich überreden zu wolleu. Sosttrst
deincn Sinn noch ändern, so triffst du mich bis um halb §
llhr sicher an. llnd wegen der Bagatelle mache dir nur keist-^
Llummer. Jch bin gegenwärtig famos bei Kasse. ^

ben; und als sie jetzt die Köpfe zusammensteckten und leise
lachten, wurde er in dieser Vermutung noch bestärkt.

„Jch danke für dein frcundliches Anerbieten", entgcgnete
er lautcr, als nötig gewesen wäre. „Das Spiel gewährt
mir cinfach kein Vergnügen. Aber eincrkeil Vicllcicht fängt
es mich doch noch zu intcressieren an. Also hundert Mark auf
dic Cocurdamc l"

Mit uervös zitterndeu Fingern zog er die Brieftasche her-
aus und warf einen von dcn fünf Hundertmarkscheinen hin,
die ihm Dr. Orb gesandt hatte.

Der Einsatz war verlorcn.

Bald flogen auch die vier anderen Banknoten nach.

Schweitztropfen perlten auf Herberts Stirn, aber dic im
Salon hcrrschende Hitze pretzte sie ihm nicht aus. Sein Ge-
sicht war totenbleich, und seine Lippen zuckten heftig, als er
mit heiserer Stimme dcm Frcunde zuraunte: „Wenn ich dich
jetzt nm ein Darlehen bitten darf — ich hatte zufällig nicht
mehr bei mirl"

„Nbcr mit dcm gröhtcn Vergnügcnl Dal Und wenn du
mehr brauchst, stehe ich gern zu Diensten. Nur nicht glcich
die Flinte ins Korn werfenl Frau Fortuna ist den Kühnen
hold, man mutz ihr nur zeigen, dah man sich nicht einschüch-
tern lätzt. Jctzt brauche ich mich deiner nicht zu schämen. Du
sichst aber miserabel aus, armer Kerl! Was hast du denn?"

„Jch sagte dir ja schon —"

„Ach so, ja — widerwärtigc Verhältnisse, die in dein
Leben getreten stnd. Lieber Himmel, darüber mutz man
hinwegzukommen suchcn. Nur keine Schwerfälligkeit und
Sentimentalitätl"

Das Spiel begann einen unbeschreiblichen Nervenreiz auf
Herbert auszuüben. Er verwünschte es, datz er der Ver-
suchung unterlegen war, und wollte den für ihn sehr empfind-
lichen Verlust wieder decken. Wirklich schien es auch, als follte
ihm das glücken. Die fünfhundert Mark wurden znrückgcwon-
nen. Aber der reichlich genossene Wein und der Zauber des
Äeucn, llngewohnten brachten ihn um Vernuuft und lleber-
lcgnng. Wie von einem Magnct festgehalten, blieb er an dem
grüncn Tisch, unfähig, sich loszureitzen. Margot, Konstanze,
der Vater mit den strcngen Ansichten — alles ivar vergessen.
Dcr Dämon einer knsher imgeahnten Leidenschaft ergriff Be-

auf Wiedersehen l

Ein Gefühl unbezwinglichen, moralischen Mitzbehaö^e
hielt Herbert ab, nach Hause zurückzukehren. Wie ein eise
Reif, der immer fester zugezogen wird, preßte ihm ein
pfer Schmcrz den Kopf zusammen. Der Gedanke, datz er^
von Dr. Orb erhaltene Geld so leichtsinnig hingeworfen
nnd des Dienstes, den jener ihm geleistet, gar nicht w>ck
sei, peinigte und verfolgte ihn unablässig.

(Fortsetzung folgt.)'
 
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