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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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genauesten Angaben über die Starke der verschiedenen
Waffengattungen in den einzelncn Teilen der Mantschurei.
Als Gesamtsumme ergeben stch danach nicht weniger als
116 000 russtsche Soldaten, die auf chincsischem Boden
stehen. Nicht eingcrechnet sind dabei die Mannschaften zur
Bewachung der Eisenbahn, die etwa 8000 Mann stark
stnd. Endlich schätzt der Berichterstatter die Stärke der in
Ostsibirien befindlichen Truppen auf weitere 130 000
Mann. Wenn diese Zahlenangaben richtig sind — und
man hat keinen Grund, sie für übertrieben zu halten —
so läßt sich daraus ersehen, wie wenig Wert irgendwelche
papierne Zugeständnisse haben, die Rutzland zur Zeit aus
Zweckmäßigkeitsgründen an China macht. Mit einer
Liertelmillion Soldaten erreicht es über kurz oder lang
doch Alles, was es will.

Itorentinische Itastik des 15. IaHrhunderts
(1. Kätste) im Keidetöerger Kunstnerein. *)

Die Renaissancebewegung setzt mit der Neubelebung reli-
giösen Gcistes durch Franz von Assissi mit starkem Aufschwung
sozialen Gcmeinsamteitsgefühls ein und bchält, namentlich
in der Knnst, während des 14. Jahrhunderts noch den anfäng-
lichen überwiegcnd religiösen Charakter. Diese religiöse
Strömung, die im 15. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts
immer stärker durch ein entsprechendes Sinken der INoral
eingedämnrt nnd durch dcn aristokratischen Jug dcr welt-
lichen Renaissancerichtung überdeckt wird, schcint gleichwohl
in der Unterschicht des Volkes lebendig zu bleibcn, bricht hie
und da wie in Savonarola. auch mehrfach in der Äunst. ge-
Waltsam hervor und sammelt sich endlich wieder in dem brei-
ten Sammelbecken der Gegenreformation iil der Nlitte des
16. Jahrhunderts. Das Zurücktreten der rcligiöscn, in bieler
Hinsicht mittelalterlichen Richtung im 15. und der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts erklärt sich aus dem Aufrreten
der zweiten die Renaissance durchziehenden und sie eigentlich
ausmachenden Bewegung: man bezeichnet sie gewöhnlich als
Wiederbelebung des Altertums, obgleich das Wesentliche an
ihr das Aufkommen moderner, weltlicher, stark individualistisch
gerichteter Jdeale ist. Die Grundlagen der modernen Kultur
mit der Berechtigung und geistigeu Freiheit der Persönlich-
teit werden durch sie, freilich nur noch der weltlichen Seiiie
hin gelegt, während nach der gleichwichtigen geistlichen Seite
hin Gleichgrotzes nicht durch die religiöse Bewegung Jtaliens,
sonderit durch die dcutsche Reformation Luthers geleistet
wird. Diese moderne weltliche Richtung setzi mit Dante ein,
wird durch die Neubelebung der Wissensä-aften und Künste
und nicht weniger durch die indibidualistische Ausbildung des
italienischen Stadtstaates, durch die geographische Erweite-
rung des Horizontes und Wiederbelebnng des Altertums
weiter entwickelt und bringt als wcsentlichstes Resultat die
Entdeckung des Menschen, seiner selbsr und der Welt um ihn;
eine Richtung, die auf absteigender Linie zu starker Selbst-
verherrlichung und die Gegenreformation heraufbeschwören-
der Entsittlichung führt.

Florenz ist schon im 14. Jahrhundert in der Hauptsache,
im 1b. Jahrhnndert durchaus Mittelpunkt des geistigen und
künstlerischen Lebens. — Die Kunst, die auch iion der reli-
giösen Bewcgung in Giotto, dem Malcr, und Giovanni Pi-
sano, dem Plastiker, im 14. Fahrhundert ihren Ausgang
nimmt, ist im 15. Jahrhundert auf der einen Seite ein
leuchtender Abglanz all' der sprudelnden Lebcndigkeit und Le-
bensfreudc, in dem siw dcr neue Geist in reichster Vielseitig-
keit, zugleich mir deurlichen Kennzeichen des Kultus der Per-
sönlichkeit entfaltet, auf der andern Seite spiegelt sie auch
noch dcn anfangs fortdauernden Gemeinsamkeitsgeist des 14.
Jahrhnnderts und die rcligiöse Unterströmung, die, wo fie
deutlich wird, leidenschaftlich gegen die Verweltlichung auf-
begehrt, anschaulich wieder.

Hier kommt dafür nur die zu glcicher Höhe wie die
Malerei sich aufschwingende florentinische Plastik, die zu-
gleich die Blütc der italienischen Plastik des fünfzehnten
Jahrhundcrts überhaupt ist, in Betracht, im Wesentlichen die
der erstcn Hälfte des Jahrhunderts mit ihren bedeutendsten
Dertretern: dem gotisches und antikes Schönheitsideal bei
erfinderischem Erzählerton zauberhaft vereinigenden Lorenzo
Ghiberti, dem gewaltigen, vielseitigen und leidenschaftlichen
Donatello und dem einfach religiösen, frischen und harmo-
nischen Luca della Robbia.

Ucberblickr man ihre Werke in der Gesamtheit, so sind
Darstellungcn nicht religiöser Art scheinbar verhältnismätzig
selten. Da sind einc Reihe Marmormcdaillons aus dem Hof
des Palazzo Medici (Taf. 87—90) mit mbthologischen Dar-
stellungcn, nach antikcn MLnzen kopiert, ein bronzener Spiegel
(Taf. 91a; auch in Nachbildung), ein Schwertgriff, verschie-
dene Plakettcn (Taf. 91b u. 92) mit antikcn Motiven von
Donatcllo. Jn ihnen zcigt sich, wic weit man die Antike
benützte. Es sind dekorativ verwertete Dinge, wie auch Do-
natello gern im dckorativen Detail seiner plastischcn Werke
folche Entlehnungen aus der Antike bringt: so an Rüstungen

*) Der Artikel bildct einen Abschnitt aus einem im Knnft-
verein aufliegenden Führer durch die Ausstellung.

„Das wär' unnötig; ich kann auch nicht mehr warten."

„L-o geh' voraus. Jch hol' dich schon ein."

Als Fust in die kalle, scharfe, nebelige Morgenluft hin-
austrar, schwindelte ihm. Er vermochte auf dem glanen,
jchneebeüecklen Boden kaum festen Futz zu fassen.

Plötzlich erschien sein Schwiegervater, der eine Pelzmütze
bis über die Ohren herabgezogen hatte und in einen langen,
alten Pelzrock gehüllt war, neben ihm.

„Häng' dich doch einl Du machst ja immer einen Schritt
vor nnd zwei zurück," sagte er den Akund zu spöttischem
Lächeln verziehend.

„Jch kann schon allein gehen," fuhr der junge Mann
zornig auf. „Aber so'n Teufelsgetränk, wie du da zusam-
men gemischt hast, kommt mir nicht wieder über die Lippen."

„Die andern mügen's fehr gern. Na, und ausgewärmt
hat's dich dochl"

„So ausgewürmt, datz mir der Kopf noch davon brennt
und datz es mir ist, als mützte mir das helle Feuer aus meinen
Augen schlagen."

„Bei der Kälte ist's nicht schlimm, wenn einer so'n Ofen
mit sich herumträgt."

„Lieber hätt' ich drautzen erfrieren sollen, als in die gott-
verlafsene Wirtschaft eintreten."

„Herrje, als ob's ein Unglück wäre, wenn einer mal zu
tief ins Glas schaut!"

„Jch bin nicht betrunkenl"

„Was bist denn?"

„Krank bin ich."

„Na, die Krankheit schläfst daheim aus. Ha ha!"

„Du brauchst gar nicht zu lachen. Es ist so, wie ich sagel"
beharrte Reiner mit dem Starrsinn des Berauschten.

„Ja, wenn du's sagst, dann wird's wohl wahr seinl"
Marburg begann leise vor sich hin zu pfeifen.

„Hör' auf mit der Pfeifereil"

„Wie Euer Gnaden befehlenl Uil Wenn ich dich aber
jetzt nicht gehalten hätt'I Gieb acht l Da steht ein Baum
mitken auf'm Weg. Renn' rhn nicht uml"

ivie am Hclm des Goliath (David Taf. 73), am Holofernes
(Judith Taf. 110), am Gattamelata (Taf. 112), an Sarko-
phagen wie auf der Grablegung in Wien (Tafel 95 a), an
architcktonischen Umrahmungen und dergleichcn mehr.

Die Uebernahme ist also nebensächlichcr und dazu noch
äutzerlicher Art, wie überhaupt noch nie eine grotzc selbst-
schöpferischer Zeit von der Nachahmung vergangener Anschau-
ungen gelebt hat. Selbst die dekoralivcn Einzelheiten wer-
den in die eigene, höchst persönliche Sprache von Donaiello
umgesetzt, der bei seinem unruhvollen, stets gesteigert und
pathetisch sich ausdrückenden Temperament im Grund der
Antike so fern als möglich steht. Für Motive der eigentlichen
Darstellung wirkt die Antike nur in einem wesentlichen Mo-
ment ein: in der Uebernahme des Putto, des Lieblings des
15. Fahrhundcrts in Jtalicn. Doch auch hier zeigt sich gerade
besonders dcutlich die neue Zeit mit eigenen Jdealen. Wo die
Kinder dargcstcllt wcrden, überall gründet sich ihrc Wieder-
gabe auf höchst rcalistische, selbständige Naturbeobachtung,
sei es bei Donatellos dramatisch begabtcm Naturell in dec
drolligsten Ansgelassenheit wie an dcr Kanzel in Prato (Taf.
78—81) odcr der Sängertribüne des Florentiner Toms
(Taf. 83—86) oder in bitterlich weinender Verzweiflung
und in davonstürzender Angst wie bei verschiedenen Passions-
szenen, se! cs bei Lnca dclla Robbia's mchr friedlich naiver
Begabung in der Charakterisierung der scheuen und zarten
Schüchternheit vor der Welt, die sich mit dcm in den klaren
reinen Augen spicgelnden zufriedenen Gefühl, sich sicher an
dcr Mutter Brust zu fühlen, vereint. Nichts von dcm unförm-
lichen Ausschen der Kinder des Trecento noch von der ernsten
Klugheit dcs seine Zukunft ahnenden Chriftkindes des Cin-
qnecento, sondcrn die ganze Freude, den Menschen in seiner
unsäglichen Mannigfaltigkeit der Erscheinung wiedergefunden
zu haben, fessclt dcn Künstler frohen Blickes an die Reich-
tümer der Erde. So dringt in die religiösen Darstellungen
lcbendigstcs Wirklichkcitsleben, nicht nur in dcr Wicdergabe
des Kinbes; man freut sich auch, den Mcnschen in jedem
Alter mit noch ungckannier Begeisterung an individueller Cha-
rakteristik in reicher Fülle wiederzugeben, so datz man erst
die religiösen Tarstellungen zum naiven Ausdruck des eige-
nen Wesens machr und sich schlietzlich zur grötzten Errungen-
schaft, der Porträtdarstellung, durcharbeitct. Da wird das
Jünglingsalter entdcckt in seiner derben Eckigkeit (Johannes
d. T. Taf. 47, David Taf. 73), in drolliger Selbstgefälligkeit
(die Singenden des Robbia Taf. 194K) oder in stolzem fro-
hen Selüstvcrtrauen (h. Gcorg Taf. 46); da lerikt män den
Charakter in den wettergebräunten Zügen dcs Mannes lesen
(Gattamelata, Niccolo da Uzzano Taf. 51) und sieht die
Furchen herben Leidens in den hageren Gesichtern der Greise
sHabakuk Taf. 48, Josua Taf. 49), und die hohlwangige
Schärfe (Magdalena im Battifterio), odcr milde Üebenser-
fahrung in denen älterer Frauen (Taf. 134); allcs Errun-
genschaften der Beobachtung, die uns hente so selbstverständ-
lich crscheinen, dätz wir leicht vergessen, welche Konzentration
des gcistigen Erfassens sie erst zu allgemeinen Gütern der
Menschheit machen mutzte. Und dabei, wie in jedem that-
kräftigen und lebenspendenden Zeitalter die unbekümmerte
Freude, seine subjcktive Eigenart auf allen passcnden und un-
passenden Gebietcn anzubringen, den Zeitgeist bcsonders stark
auszuprägen: Hcilige werden nicht nur zu Menschen, sondern
manchmal zu Porträts bedeutendcr Persönlichkciten (Fran-
cesco, Soderini als Jeremias, ein andrer Prophet als Gwv.
Cherecchino Laf. 50); besonders bcliebtc Heilige wie der
h. Georg, David, Judith werdcn zu Sinnbildcrn der florenti-
nischen,' repnblikanischen Freiheit und die Himmelskönigin
selbst steigt von ihrcm Thron und wohnt als zarte reine Bür-
gersfran unter Menschen, bald ihr Kind herzcnd oder mit rhm
spielend, ihm Blumen reichend oder im Roscnhag schend.
Während auf der einen Seite noch der Gemeinsamkeitsstnn
des 14. Jahrhunderts sich in glänzender Weise in der Aus-
schmückung des Doms bethätigt (Piero Tedesco und Arezzo;
Nannr di Banco und Donatello: Statuen; Luca della Robbia:
Reliefs in Campanile n. s. f.) und doch auch das rcligiöse
Leben ncben vielem Aeutzerlichen in der frischen und schlich-
ten Frömmigkeit Luca dclla Robbiäs oder der ältercn Thon-
bilder zu gcwitz aufrichtig gemcintem und anch allgemeinem
Ausdruck der Zcit komint, setzt man seinen grotzen Persönlich-
keiten schon Sarkophage mit Porträtstatuen in die Kirchen
(Taf. 53—55) und lätzt die Ruhmsucht der Zcit lebendigsten
Ausdrnck in dem crstcn bronzenen Reiterporträt dcs Gatta-
melata (Taf. 112 und 113) gewinncn, cincs jcner Condot-
tiere, die den kleinen Tyrannen dcr Städte halfcn, den freien
Gemeinsinn dcr Bürger durch pcrsönlichc Willkür zu zcrreitzen.
Und dabei die Künstler selbst echte Renaissancemcnschen: das
harmonische Mcnschheitsidcal, das damals allc Wclt erstrcbtc,
antike Naivität und christliche Frömmigkeit in wunderbarster
Freiheit in sich vcreinigend, Luca della Robbia; nnd die kraft-
volle, viclscitige nnd wcltstürmende Pcrsönlichkcit, markig und
ehern wic seinc Bronzen, in sich vcrkörpernd, Donatello: er,
der gewaltigste unter den Plastikern Jtaliens im 15. Fahr-
hundert, der nur einen ihm glcichen Vorgänger, Giovanni
Pisano, und nnr e i n e n ihm gleichcn Nachfolger, Michel-
angelo, hatte, giebt am konzentriertcsten wieder, was dic flo-
rentinische Onattrocentoplastik zu sagen hatte; er ist zugleich
Repräsentant des florentinischen moniimentalen und scharf-
geistigen Sinnes nnd zugleich Repräsentant dcr beiden Rc-
naissanceströmungen, der religiösen und der weltlich moder-
nen, die sich bei innerlich wahrhaftigen Geistern niemals ver-

„Mach cin Ende mit den dnmmen Spätzen, so was latz
ich mir uicht gefallenl"

Jn den Zweigen eines nicdrigen Gebüsches raschelte es,
dann sprang etwas hervor nnd jagte üüer dic schnecbedeckte
Wiesenfläche."

„Da schau her, der grotze Hund!"

„Was Hund? — Ein Rehbock ist's."

„I wo! 'n Hundl"

„Bildst dir wohl ein, ich könnte keincn Kötcr mehr von
einem Stück Wild unterscheiden?"

„La, la, la! Du wcitzt halt, datz hier immer Rehe und
Hirsche zu findeii sind, weil da oben die Futterstelle ist!"
„Ein Rehbock ist's — dort fritzt er jetzt!"

„Da schau herl Aber treffen, wenn du könntestl"

„Das würd' ich auchl"

„O jel"

„Meinst bielleicht, ich thät' ihn fchlcn? "

„Ja, das mein' ich!"

„Dann bist du auf'm Holzweg!"

„Ha, ha, ha! Totlachen könnt' sich einer, wenn er so
was' hörtl Geh' mach weiterl"

Das hitzige Getränk stieg Reiner immer mehr zu Kopf.
„Sobald ich dir sage, ich knall' ihn nieder —" lallte er
und seine Augen unterliefen rot.

„Nicht zehn Schritte weit triffstl"

„Fch verfehl' mein Ziel niel"

„Schon möglich, wenn du nüchtern bist, aber jetzt —"
„Fetzt schieh ich auch nicht daneben —"

„Ha, ha, ha, hal"

Mathias krümmte sich förmkich vor Lachen.

Anf das Aeutzerste gereizt und jeder vernüftigen Ueber-
legung unfähig, ritz Just das Gewehr von der Schukter,
zielte und drückte ab.

Der Rehbock machte einen mächtigen Sprung, stürzte zu-
sammen und wälzte sich auf dem Schnee.

„Herrgott, was hab' ich denn gethanl" stammelte Reiner,
über sich selbst erschrocken.

einigen konnten. lind ihm, der die ganze Mannigfaltigke^
des neu erblühenden tünstlerischen Reichlums zu erfasfen ver(
mochte, der in Marmor und Silber, in Thon und Stuck arbe((
tete, in dcr kaum gekannten Bronze Gruppenstandbild (lP'
Judirh) und Reiterdenkmal bilden lehrle, und das Portrw
in der Plastik erft schuf, der als Archirekt von schöpferichftew
Reichinm sich gelegentlich selbst als Goldschmied und Dürler
bezeichnet, dcr es wie keiner verstand, im Dekorativen drr
Anrike nen zn beleben, nnd vielleicht der grötzte Reliefbildner
der Renaissance war, der den Humanismus nnd die selbstherr'
liche Persönlichkeit in zugleich prächtiger und anfricistiörr
Wcise zn verherrlichen wutzte, ihm hatte die Natnr als
ersten einer ganzen Rcihe von .Künstlern das im iiinerfteP
Kern zwiespültigc Wescn seiner Zeit ins Herz gelegt. Aar
ein glühender Lavastrom bricht die heitzeste religiöse Leidew
schafr aus seinen späteren Passionsdarstellnngen, der Grab(
legung, der Beweinnng, der Geiselung n. a., hervor; wie ver^
sunken scheint die freudige Renaissancewelt, wie sie sv herr^
lich in seinem siegesfrohen h. Georg zum Ausdruck kam, prr
dcm ?lufschrei und herzzerreitzendem Klagen, dem Händeriu^
gen und krampfhaften Zusammenbrechen der Weiber und
Männer, die Christns' beklagen. Es ist ein ernster Klage^
schrei von religiüsem Fanatismus, der aus den Tiefen
Volkes herauftönend die glünzende Oberschicht aristokran(
schen Renaissancegeistes zu durchbrechen drohte; nur erft rin
stummes, grelles Wettcrleuchten vor dem Auftreten SavonM
rolas. Jhm folgte bald, von den glühenden Rufen dei-
grotzen Dominikaners aufgerüttelt, der Ausdruck gleicbsU
Geistes in Schöpfungen anderer Künstler wie Manregua^'
Botticelli's, nm in denen des grötzten, Michelangelo's, zum
schneidendsten Ende der Renaissance, zum Anfang der Gegew
reformation zu wcrden, IV. V- ^

Aus Stadt und Land.

— Mcrkur als Aüendstern. Eine dcr seltenen Gclegew
hciren, dcn Planelen Mcrkur zn fehen, bierer gegeniväiU(ö
der Abendhimmel bei freiem Nordwesthorizvnt, und zwar nn-
günftigste in diesem Jahre. Merkur tritt eine Siunde »aw
Sonnenuniergaiig, enva um halb 10 Uhr, in geringer Hvyc
über dein Nordwesthorizvnt aus der Dümmerung in Ersä^^
nung; er steht linls von dem gleichfalls ziemlich hohen Stei'
Beta im „Stier", üüertrifft ihn aber an Glanz und vv
allem an Weihe, Merkur wandert in den nächsten Tageu
rasch nach links von dem Sterne hinweg, Er geht AnfaW
Juni um 10)L Uhr unter, am 12. Jnni aber bereits u«
halb 10 Uhr, und dann nähert er sich rasch wicder dcr Sou>
nnd verschwindet in der Dämmernng. .

Mannhcim, 28. Mai. (Engherzig.) Zum Kapiu.
„Frauenfrage" hat nach der „Frankfurter Zeitung" geste>-
die diesjährige ordentliche Mitgliederversammluiig des KaUU
männischen Vereins Mannheim einen klcinen Beitrag gcl>^
fert. Jn seiiicr Eigenschaft als Stadwerordneter hat de
juristische Beirat des Vereins, Rechtsanwalt von Harder, vv
einiger Zeii im Bürgerausschutz die Anstellung nnd Verwc> .
dung von Gehilfinnen in den kaufmännischen Betrieben v(
Stadtverwaltung empfohlen. Als Ilntwort hierauf hat ^
gestrige Gencralversammlung Harder aus der Reihe der ?lu?(
schutzmitglicder gestrichen. Es wnrde unter grohem, >fup
nngeteiltcm Beifall betont, es lasse sich mit der StelluE
des Ausschusses eines Handlungsgehilfenvereines' nicht
einbaren, datz er auherhalb des Bereines andere als die
teressen der männlichen Gehilfen vertretel

Mannhcim, 30, Mai, (B a h n st e i g s p e r r e wä^
rend der Landwirtschaftlichen Landesa u-(
stellung,) Nach einer Mitteilung des Grohh. Herrn ^
triebsinspcktors soll für den hiesigen Personenbahnhof UUuI)
rend der Landwirtschaftlichen Ansstellung, d. i. vom 5. bis
Juni l. I., dic Bahnsteigsperre dergestalt eingeführt
den, dah das Betreten der Dahnsteige in der bezeichneten
nur solchen Personen gestattet werden wird, welche mit einew
Fahrtanswcis versehcn sind, bezw. aus besonderer VeraU^
lassung zuznlassen ivärcn. Eine cigentliche Fahrkartenpr^
fung wie bei vollständig durchgefiihrter Bahnsteigsperre "
dagegen nicht beabsichtigt.

Vom Bodcnsee, 29. INai. (V 0 n der Eisenbah ü.^
Schon seit Jahren sind die Gelder für die Legung eines
ten Geleises anf der Bahnstrecke zwischen Konstanz
Radolfzell bclvilligt; auch ist der neue Schienenstrang ZÜ''
schen Konstanz und Station Reichenau, sowie zwischen Radow)
zell nnd Markelfingen bereits vollendet — da plötzlich stuu
die ?lrbeit infolge Einsprache der Gemeinde Allensba^
Der Ort liegt nnmittelbar am See; der Bahnkörper ist stU
niedrig, so datz von Radolfzell aus ein ziemlich starkes
fälle vorhanden ist. Dieses Gefälle ist aber dem SchneÜZUU
bci dem Bahnnnglück vor Hegne, das sich vor zwei Jahee
ercignete, namentlich auch in Verbindung mit dem mooriöf
Untergrnnd, nach Tlnficht verschiedener Sachverständigen
hängnisvoll geworden. Deshalb soll dem „Heg. Erz."
folge dcr ganze Bahnkörper soweit erhöht wcrden, datz.

et

bis cm das Dach des jetzigen Allensbacher Bahnhofes rerä^
Diese Erhöhung ivird auch dadurch notwendig, weil nach
jetzt ernstlicher zur Durchführung kommenden Bestimmuugu
keine Bahnübergänge ebener Crde, sogenannte Niveanüb^.
gängc, bei Neuerstellungen von Bahnlinien gestattet stU)'
in ?lllensbach muß die Stratze unter dcm Schicnengcstu

„Geschossen hast! Wenn jetzt ein Jäger in der
war'! Mach, dah du forttommst mit deiner Büchse. Jch
scharr" den Bock im Schnee. Aber ein Kapitalschnß war'''
Kannst stolz darauf sein!" „

„Stolz —auf so'ne Nichtwürdigkeit? Aber da

ist keiner schuld, wie du! Du Satan —> dn elender
sucher — du —" ^

„Geh lieber deiner Wege! Geschehen ist geschehen. ^
änderst nichts mehr. Fort! Bleib' nicht wie angeWur'Z
stehen!" s

Just schlug sich vor die Stirne und schwankte dan»
den Wald hinein.

So cntsetzlich wie jetzt war ihm noch nie zu Muie S ^
wesen. Bleischwer lag es ihm in den Gliedern, die Bä» ^
schienen einen wilden Tanz anszusühren, der Boden schieu
in eine Drehscheibe verwandelt zu haben. Dazu der dulU-
stechende Schmerz in den Schläfen — .

Just konnte endlich nicht weiter und lehnte sich an e» ^
Cichenstamm. Der Hut war ihm herabgefallen, und ^
Kopf neigte sich bald nach rechts, bald nach links. ^

Da kamen plötzlich Schritte nüher — vermutlich ein
faller, der an die Arbeit ging. Reiner öffnete die schwer ^
Augenlider gar nicht. Da blieb der rasch DahergekonMU §
dicht vor ihm stehen nnd sagte mit vor Cntrüstung bebeu
Stimme:

„Ja, bist du es denn wirklich, den ich in solcheM
stande sehe? Das ist doch wahrhaftig eine Schande undO^
Jammer! Wenn ich noch denke, wie sich meine herzensg^
selige Frau deiner so mütterlich angenommen und gewe ^
hat, wir würden einen tüchtigen, ordentlichen MeM^„
ans dir machen! O Pfui, psui! Der Ekel könnte e'
packen, wenn Wohlthaten derartig verschwendet sind!"

„Herr Oberförster, Sie haben ja recht!" lallte 0
aber —"

(Fortsetzung folgt.)
 
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