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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Samstag, 7. Irmi 1902. bvftes Blatt. 44. Ioüraana. — .4« 130.

^ rscheint täglich Sonntags ansgenomvien. Preis rnit Familienblättern monatlich bO P-sg. in'L Hans gebracht, bci d>r Expedition und den Zwcigstellen abgeholt 40 Pfg. Tnrch die Post be-

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ansschlietzlich Zustellgcbühr. , " M

^ nz ei g c npr ci s: LO Pfg. sür die Ispaltige Petitzeile oder dcren Ranm. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- nnd Privatanzcigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
dorgeschriebenen Tagen wird keine Lerantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeilnng und den städt. Anschlagstellen. Fernsprech-Anschlutz Nr. 82

Deutsches Reich.

— Der jctzt 74 jährige König Albert von Sachsen
Ot von seinem altcn Blasenleiden heimgesncht wordcn, und
leit einigen Tagen bettlägcrig. Am Abend dcs 5. d. M.
hatte cr eincn schwcren Anfall von Herzschwäche, sodaß
das Schlimniste befürchtet wurde nnd die Verwandten nach
Sibyllcnort an sein Krankcnlager abreisten. Gestern srüh
lvar das Befindcn dcs grciscn Monarchen etwas besser, die
Herzschwäche hatte nachgelasscn.

— Die Gerichte haben bekanntlich jede Art von
dlngebüh'r, die nicht durch andcrc Vorschriften be-
jonders nnter Strase gestellt ist, als groben llnfug be-
Itrast. Die Rechtsprechnng des Reichsgerichts hat
lleuerdings die Tragweite. der Vorschrist schärser be-
strenzt. Wiederholt hat das Reichsgericht den Stand-
tstinkt vcrtreten, daß nicht jode grobe ungebiihrliche
Handlung, die das Pnblitnin in seiner Allgemeinheit
Unniittelbar belästigt oder gesährdet, die Strasüarkeit
uegrsünde, vielmehr inüsse als weiteres Grsordernis
hürzntreten, datz die Handlnngsweise des Thäters sich
IUgleich als eine Störung oder Gefahrdung des äuße-
ven Bestandes der öffentlichen Ordnung darstelle, ähn-
"ch wie es bei nngebüyrlicher Erregung ruhcstörenden
^ärms der Fall sei. Fm Interesse einer gleichmäßigen
Durchfüyrung dieser Grnndsätze haben, dssjh „ülordd.
Allgemeinen Zeitnng" znfolge, auf Ersuchen des Reichs-
Hustizamtcs die Fnstizverwaltungen der einzelnen Bun-
vesstaaten dic Beamten der Staatsanwaltschaft ange-
juiesen, bei der Erhcbung von Anklagen wegen groben
klnfugH die in der RechtsPrechung des Reichsgerichtes
bum Au»druck gekommcnen Grundsätze sich stets genau
Zn vergegenwärtigen.

Badcn.

-s- Nach dcm „Schwäb. M erkur" spricht man von be-
"orstehendcn Veränderungen im Oberschulrat.

scheine aber nicht, daß dieselbcn sich in der vielfach
Sewünschten Richtung bewegen. Wenn etwas an
°er Sache ist, so wird es sich bald zeigen.

Madlscher Landtag.

L. 0. Karlsruhe, '6. Juni. (97. Sitzung der
^ivciten Kammer.) Präsident Gönner eröffnct die Sitzung
"°ch st^lO Uhr.

. Eingelausen vom Finanzministerium ein Nachtragsetat
'Sl ordentlichen Budget mit 2,6 Millioncii und im außer-
^ventlichen Budget 8,6 Millionen. Nach Abzug außer-
..^dentlicher und sonstigcr Mehreinnahmen bleiben im ordent-
^chen 138 982 Mehrausgaben, im außerordentlichcn 7,4
^"h.wnen. Mit Rücksicht auf die Geschäftslage schlägt der
^äsident vor, hcute eine Nachmittags- oder Abendsitzung
A halten, um mit der Schulnovelle zu Eude zu kommen.

- wrgen kann wegen Vcrhiuderung der Miuister keine Sitzung
Ptfinden, daher wird weiter vorgeschlagen, daß die Mit-
^llder sich morgcn nach Mamcheim begeben, wo sehr Sehens-
^tes gebotcn ist. Ter Vorschlag findct Zustimmung.

^ Fortsetzung der Bcratung übcr den Gesetzcntwurf betr.
^vderuna des Gcsctzes über dcn Elem e n t a ruu terricht.

Obcrschulrarsdirektor Tr. Arnsperger wcndet sich
gcgcu einc Aeutzeruug des Abgcordnetcn Goldschmtt uud cr-
kcnnr au, datz von den badischen Lehrcrn allcs gcleistct wird,
was bon lhnen verlangt werden kann. Der Rcdner bcstreitet
Cichhorn's Behauptung, datz unser Volksschiilwescn rückständrg
sei. Unter 608 Lehrern hattcn 1898 bcr dcr Prüfung ctwa
70 Prozent die Noten gut bis schr gut; nimmt man die Note
ziemlich gut hinzu, so tommr man anf 95,4 Prozent, was ein
schr günstiges Verhältnis sei. Aehnjich in andercn Jahrcn.
Man könne also zufrieden sein, was cine wcitcre Fortbildung
nnscres Schulwesens nicht ausschlietze. Die Uebcrfüllung
dcr Klasscn, wie sie in der Lehrerpctition behanptet wurdc,
habe sich bei den angeordneten Erhebnngen als richtig her-
ausgestcllt und es werde Abhilfe crfolgen. Was dcn von

Erchhorn behanpteten „qualitativen nnd quantitativen Lehrer-
mangel" betreffe, so sei das Vorhandensein des Mangels
zu bcstreiten, doch liege die Möglichkeit scines Eintretcns nicht
sehr ferne. Der Zugang zum Lehrcrstcmd habe zwar an Zahl
nicht abgenommcn, sei aöer nicht so grotz, datz alle Bedürfnisse
dcr Unterrichtsverwaltung befriedigt werden können. Jn dcn
vicr Lehrerseminarien waren 1901 490 Zöglinge, 1902 476,
abcr anch dies sei cine Zahl übcr Mittcl. Dic Zahl der
Lchrer betrug 1901 8807, 1902 abcr 4045, so datz man bon
eiiicm Rückgang nicht sprechcn könne. Nnr das Bcdürfnis dcr
Schnlcn sei grötzer gclvordcn, dahcr einc Vermehrniig des
Ziiganges crwünscht. Mit dcr Anstellnng von Schnlärzten
lönne man cinen Vcrsnch machcn, aber nur an grötzcrcn
Anstaltcn. Jn den Landortcn müsse cs dcc Lchrer scin, der
anf die Schnlhygiene aehtc. Deswegen sei diese an zivei
Seminaricn als Unterrichtsgcgenstand cingefnhrt worden.
Redner bcantwortct einige Ansragen dcs Abgeordnetcn Heim-
biirger betrcffend Tcilnahmc der Lehrer an dcn Lehrerkonfe-
renzen und Lehrerlesezirkeln, sowic betreffend der schriftlichen
Arbciten zur Fortbildung, die er im allgemeinen für nötig
hält. Rcdner ist jedöch bcreit, in dcr nächsten Konferenz der
Kreisschulräte eine Abändernng der bestehenden Verordnnng
dahin zu beantragen, daß die ältercn Lehrer keine solche Ar-
beitcn mehr einzureichcn habcn. Für die Diäten der Teil-
nchmcr an den Konferenzen habc dcr Oberschulrat das all-
gemcine Diätenreglement vorgeschlagen, damit sei aber für
nnvcreinbar gefunden wordcn, datz auch die am Konfcrcnz-
ort wohnenden Lchrer eine Vergütnng erhaltcn (bisher 3
Mark), und datz öre Anszahlnng sofort erfolgk. Deswegen
sei man zu einer andcrcn Rrgelung geschritten. Bezüglich der
örtlichen technrschcn Schulaufsicht ist der Redner mit dem
Abgcordneten Hcimburger einverstandcn nnd berweist auf die
beantragte Vermehrung dcr Kreisschulrätc.

Abg. Wackcr (Zentr.): Das Wohlwollcn fnr Lehrer
imd Schule sei Gemeingut; anch dcr einzelne Lchrer stehc
in Achtnng, sowcit cr dicsc nicht verscherze. Die Streitfragen
bezichcn sich nur auf das „Wie", nicht auf das „datz", es
sci einc Verdächtignng nnd Schmähung, wcnn man dcm Zen-
trnm odcr dem geistlichen Stande die Lchrerfrcimdlichkeit
abspreche; die Schule habe an der .Mrche immcr cinen guten
Frennd gehabt. Rcdncr bcspricht die Pctition der israeliti-
schcn Lehrer; cin Notstand liege da vor, nnd man sollte cs
dcn israelitischcn Familien erlcichrern, ihre Söhnc dcm
Lehrerstand zn widmen. Wenigflcns cin finanzicller Aus-
glcich für das langsamere Vorrücken sollte Platz greifen. Eine
andcrc Petition sei von der gesamtcn Lehrerschaft ansgegan-
gcn. Ein Gegenstand derselben bctraf die Diätcn sür die
Teilchmer der Lehrcrkonfcrenzen; hier ist Rcdner nicht mit
der Regierung eiiwerstandcn. Tie Lehrer seien keine Staats-
bemnten nnd würdcn es anch nie iverdcn; das Jntcressc der
Lehrcr an 5en Konferenzcn sei ein bernfliches nnd pcrsön-
liches; man sollte ihnen allcn die gleiche Vcrgütung gewäh-
ren. Ein cmdercr Pimkt bctraf dic Kirchcnaufsicht. Redner
ist grnndsätzlich gegen dcren Anfhebung. Solange dcr
Volksschnllehrer auch Rcligionslehrer sei, 'sci er anch Er-
zieher nnd könne die Kirchcnaufsicht nicht ablehncn. Das
Schlagwort „Kirchenbüttel" sei dnirchaus nnangebracht bei
dcr lleberwachung von Kindcrn; wärc diese in dcr Kirchc ct-

was Verächtlichcs, so wäre sic auch verächtlich in der Schule.
Es liege im Jnteresse der Lehrer selbst, datz sic sich der Er-
füllung gewisser religiöser Pflichten nicht cntziehen. Auf
dem Lande führe dics zu abfälligcn Urteilen, die das bcruf-
liche Wirken des Lehrcrs beeinträchtigen. Viele Lehrcr Ivür-
dcn frciwillig die Kirchenaufsicht weiter führcn, anf Grunü
eigener Ueberzeugung, aber diesen werde von den anderen
moralischer Zwang cmgethan werd'en. Bezüglich dcr Be-
zahlnng dcr nichtetaimätzigen Lehrer und der Vergütung der
Zngskostcn ist Redner mit den Kommissionsbeschlüssen einver-
standen, auch mit der Regelung dcr Organistenfragc, jedoch
nicht mit dcr Begründung. Dcn Lehrern sei materiell iknd
ideell am bestcn gcdient, wenn ihnen der Orgamstendienst ver-
bleibt, ebenso den Gemeinden, zu unterscheidcn von den Kir-
chen; lctztere könnten das Stillstehen der Orgeln eher ertra-
gen. Redncr wünscht, datz die Lehrer möglichst gnt bezahlt
wcrdcn sollten; die Verhältnisse der Gemcinden seien aber
schr verschieden. Wo Kirchenstener nötig falle, sollte kein
Lehrcr anf einer bcstimmten Höhe der Bezahlnng bcstehen.
Die Gründe des Rcdners für die Aufhebung des Organisten-
paragraphen bestehen darin, datz bei dem bestehenden Recht der
! Gcistliche, der in eincn Konflikt gerate, von vornherein ins
j Unrccht gesetzt werde; die Unterrichtsverwaltung werde sich
! nicht leicht auf den Standpunkt hes Geistlichen stellen, auch
> dic Standesgenosscii dcr Lehrcr nicht. Umgekehrt seien vicle
i Oleistliche bitteren Schikcmcn ausgcsetzt, die gar nicht an die
! Ocsfentlichkeit kommcn. Wcrdc der Zwang beseitigt, so habe
; der Gcistliche nnr noch mit seiner eigencn vorgesetztcn Be-
hörde zu thun; der Staat könne sich nicht mehr einmischen.
Dann brauche^ sich der Klerus keine Schikancn mehr gefallen
zu lassen. Zur Hanptsache kommcnd, begrützt es dcr Red-
ncr, datz dic Lehrcr in das Soll des Gcsetzes von 1892 ein-
gcwiesen wcrden, wic scine politischen Frcmide es schmi vor
zehn Zahrcn wünschtcn. Es sci nicht recht, wcnn die Lchrev
nnd ihre Anwälte das jetzi Gebotcne mit den Gehaltsver-
yältnissen der Braunschweigischen Lehrcr vergleichen, dcnn
dort handle cs sich nm ein Definitivnm, das lvir erst noch
schaffcn ivollen, mit abermaliger Ebhohung. Das möge man
abwarten und dann vergleichen. Unvcrantwortlich sei
cs, datz man eine jetzt gebotene Wohlthat so nieder taxiert»
wie es von den Krakehlern geschieht. Viele Lehrer sähen
die Sache gcmz anders an. Redner kann sich nicht ent-
schlictzen, sür den Antrag Heimburgcr zu stimmcn, die Re-
gierung habe in Geyaltsfragen die Jnitiative. Auch die
Stenerzahler seien zu berncksichtigen, nnd die Rcgicrung habe
bcwicsen, datz sie gerecht abwägen will. Die Dienstznlage
sei weitherzig bemessen wordcn und das loyale Enigegen-
kommen der Regierung vcrdiünc loyal beantwortet zu wer-
dc». Der Artikel der „Karlsruher Zeitung" habe sehr zeit-
gemätze Ermahnungen nnd Warnungen enthalten. Wohin
sollte cs führen, wcim andere Kategorien von öffentlichen Be-
diensteten das Bcispiel eines Teiles der Lehrcr nachahmcn
wollten. Gegcnüber dcn Aeußerimgcn des Abgeordncten Dr-
Goldschmit imd des Mimsters von Dnsch bezüglich der Si-
multcmschulen bemerkt Rcdner, von diesem Saale aus Iverds
in nächstcr Zeit an der (konfessioncllen) gemischten Volks-
schnle nicht gerüttelt iverdcn. Das Zentrum sei kein Frcund
dcr gemischtcn Schule, cs komme aber daranf an, wic das
Prinzip in dcr Praxis dnrchgeführt wcrdc. Je nachdem könn-
ten anch die Gcgner dcn bcstehenden Znstand hinnehmen.
Die Schöpfer der gcmischten Schule in Badcn seien nicht im
Stande gewcsen, ihre Wünsche bis zn den Ictztcn Konsequen-
zcn durchznführen. Die Sozialdemokraten ivolltcn jetzt die
wciteren Konsequenzen ziehen und dics sei ein Prügel zwi-
schen dic Beine der Nationalliberalcn. Wcnn wir die
zwangswcise gemischte Schule nicht hätten, würdcn wir sis
nicht mehr bekommcn. Dies beweise die „Südd. Reichs-
Korr." durch einen Artikcl, den der Rcdner verliest, wornach
der Pfarrverein in Wnrttemberg für die Beibchaltung der
konfessioncllen Volksschule war; dieser Artikcl sci allerdings
in dcr „Karlsruher Zeitnng" nicht abgedrnckt worden. Diese
nnd anderc boshafte Auslassungcn crwecken stillc Heiterkeit

Wlaudereien vom Schloßöerg.

g ^ (?) Heidelbcrg, 7. Juni.

Sonntag vor Pfingsten kam auf dem Schlotzbcrg ein
^ Schustergcscllc gcrade dazu, wie sein Freund und
°^nia,,,„ ein Schneider, in gravitätischem Schritt durch
!s^srliche Schlos^iforte schritt. Rach der gcgenseitigcn
iiqgAküng, wobei der Schneider dcn Schuster, der cincn
"cucn Anzug trug, mit kritischen Blicken musterte,
ei„"w der Schneidcr die Absicht, auf die Pfingstfeicrtage
Reise nach Frankfurt zu untcrnehmen.

'(sirrnnd, diese Reisc wirst Du hoffentlich mitmachcn,
iich üierden uns in Frankfurt köstlich amüsiercnl" wandte er
dem Schuster. Der Angcredcte zog die Achseln in die
t»id bemerkte: „Zum Rciscn gehört Geld und wie Du
sstijtz y habc ich mir etnen neuen Anzng angeschafst, der
Geld töstcte, so datz mein Geldbentel cine bcdcnk-
^ere aufweistl"

"Ä wäs, Geld ist Ncbcnsache!" ricf dcr Schneidcr aus.
Hvi,' " Onkel in Franffurt ist ein grunbreicher Mami,
^mmt es auf cin paar Zwanzigmarkstücke nicht an i
nur das Fahrgeld nach Frankfurt aufbringen,
sich die Sache schon machen; für die Ausgabcn in
'^^rt i,„d für die Rückrcisckostcn wi'rd mein Onkel .schon
">nien! Dic Hauptsache ist, datz wir elegant geklcidet
jch .s,wbrigens hätte ich Dich gar nicht eingeladen, hätte
wst. ^ . gcsehen, das; Du im Besitze eines ncucn Anzuges
üherh»ö^rtzt kaufst Du Dir noch cincn neuen Hut nnd Män-
sjud ütmn kami ich Dich in Frankfnrt mit Stolz
als meinen Frcund vorstelleni"

ü»d Schmeichelei konnte dcr Schustcr nicht widcrstchen
Al> oin.

Neh»'' I'ch i„ der Frühe des erstcn Pfingsttages der Schuster-
Abreise sertig machtc, schüttelte die Schuster-
üedenklich den Kopf. Sie hatte ihrem auf einmal
' '8 gewordcnen Gesellen das Geld für die Waschsran

ausgclegt und iönnte schon daraus schltehen, datz er schlecht
bei Kasse war. Da dcr Schnstergesclle ein stiller, fteihiger
Mensch war nnd auch das Kind dcr Schnsterseheleute, mit
dem er in fretcn Stunden oft spielte, sehr an ihm hing, so
war die Meisterin dcm Gcscllen sehr gewogcn. lim ihn von
seinem Vorhaben abzubringen, packte sie, die die schwachc
Seite ihres Gesellen genau kännte, die Sache schlan an.

„August," sagte sie, „blcibcn Sie yierl Heute Mirtag
giebt cs cingemachtes Kalbfleisch- und Itndeln, inorgen abcr
Schweinebratcn und Rotkraut u. s. w."

Der Schustcr war, wie man zu sagen pflegt, cin starkcr
Csser und wurde durch die vcrlockenden Leckcrbtsscii nochmals
wankend. Doch die Reiselust nnd das in Aussicht gestellte
Amüsemant in Frankfurt überwog und so verabschicdetc er sich.

Als der Schuster das Bahnhofsgcbiet betrat, stand dcr
Schncider bcrcits auf dem Peiiron. Anch dieser war elcgant
geklcidet. Er hatte sich, wie cr psiffig lächelnd bcmerktc, von
eincm Ncbengcsellcn einen Anzng gcliehen, der auch nagelnen
nnd von heller Farbe war. Es dauertc nicht langc, so
saßcn die Bciden im Zug nnd dicscr dampfte alsbald zum
Heidclberger Bahnhof hinaus.

„Du sollst cinmal sehen, Freund, wclchcs Vergnügcn wir
heute und morgen tn Frantfurt erlebenl" begann der
Schneider. „Hcnte Nachmittag bcsuchcn wir dcn Palmen-
garten nnd morgen gcht's in den Zoologischenl" Dann griff
er in die Tasche nnd brachtc ein Päckchen Zigarctten znm
Vorschein; während er eine solche in Brand steckte, griff der
Schustcr auch in dic Tasche und zog einc grotze Rolle Kau-
tabak, echten Nordhäuser Hannewacker, hcraus.

„Pfnil Du wirst doch nicht--I" ricf dcr Schneider

aus. „Schaffe nur das Zeug ans dcr Tasche; ich mnßte mich
zu Tode schämen,"

Mit diesen Worten präscntierte cr dem Schuster cine
Zigarette; dicser nahm sie und warf alsbald die Rolle Kau-
tabak znm Koupcefcnstcr hinans. Während dcr Fahrt stcllte
der Schneider noch allerlei Pläne auf, die zur Untcrhaltnng

nnd Zerstreuung in Frankfurt ausgeführt werden solltcn,
so datz dcm Schuster das Herz im Leibe lachtc. Hin und
wiedcr warf der Schnster einen Blick zum Fcnster hinaus,
währcnd der Schneidcr mirtelst eincs Taschcnspiegcls mit
Wohlgcfallcn sein wenn auch etwas hageres, so döch nicht
unschöncs Gesicht musterte. Die Zeit schwand rasch, nnd
schnellcr als die Beiden glaubten, warcn sie in die Itähe
Frankfurts gelangt. Der Zug passierte alsbald die Main-
brncke und stand nicht tange hernach im Frantsnrter Bahnhof.

Als dic Beiden den Bahnhof verlassen hatten, machtc der
Schuster dcn Vorschlag, in irgend ciner Wirtschaft dcr Um-
gcbung eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken, da es doch,
wie cr mcinte, eine geranme Zcit dauern dnrste, bis sie zur
Wohnung des Onkels gelangtcn. Dcr Schncidcr stimmte bci
nnd kurze Zeit daraf satzen sic im Restaurant, wo, da es
gcrade Frühstückszcit war, allerlei Leckerbisscn, Rettichc,
Bnttcr, Schinken, frisch abgckochte nnd einen köstlichcn Geruch
verbreitcndc Schwcinerippchcn und Knöcheln, znm Essen cin-
Inden und die Gelüstc dcs Schusters crregten. Doch, da das
Gcld im Ventel knapp war, begnügte er sich mit cinem Gläs-
chcn Bier nnd eincm Brötchen. Während des Aufenthalts
im Restaurant gab der Schneidcr dem Schustcr Belchrnn-
gcn, wie er sich bei Begrntzung dcs Onkels und bei dcm Anf-
enthalte in dessen Wohnung zu benchmcn habe. „Am bestcn
ist cs," meinte dcr Schncidcr, „Dn richtest Dich im Bcnch-
men und Anftretcn ganz nach mir, damit wir nns nicht bla-
micrcnl" Dcr Schneider rückte alsdann dic etwas in Un-
oidnnng geratcne Krawattc seines Frcundcs zurecht, bcsah
seiii Gesicht nochmals in cinem Taschenspicgcl nnd äls cr
sah, datz alles klappte, meinte cr, nun wäre es geradc dic
rcchtc Zeit, 'die Wohnnng des Onkels anfzusuchcn. Dic bei-
den Frcunde verlietzen alsbald die Wirtschaft nnd lcnkten
ihrc Schritte in der Rtchtung gegen das Zentrnm der Stadt.
Endc der Hanptstratzc Frnnkfnrts, der Zeil, angekom-
men, ging dcr Scbneider geradcnwegs anf einen dort postier-
ten Schutzmann lo« und fragte diescn nach der Wohnnng

i^Die heutige Nummer «mfaßt drei Blätter zusammen 14 Seiten.
 
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