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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 125-149 (2. Juni 1902 - 30. Juni 1902)
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Samslag, 14. Jmii 1902. Vrftes Blalt.

44. JllhrgllNg. — 4L M.

E rscheint täglich Somttvgs ausgenommcn. PreiL mit Familienblättern vionatlich k>0 Pfg. in'L HauS gebracht, bei tnr Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be»

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Wismarck und Mlorv.

Jn der letzten Sitzung des ReichstagS kam es be-
kanntlich zwischen dem Reichskanzier Grafen Bülow und
dem Fürsten Bismarck zu einem Zusammenstoße, der sich
recht persönlich zuspitzte und in deu Betrachtungen der
Biätter über die Schlußsitzung, aus der überhaupt so viel
Kampfstoff in die Ferien hinausgetragen wurde, als das
bemerkenswerteste Moment herausgehoben wird. Die
„Nationalzeitung" meint in der Schilderung des persöulichen
Verhältnisses zwischen dem Reichskanzler und dem Sohne
des ersten Kanzlers des deutschen Reichs: Man hat all-
gemein den Eindruck einec auf Seiten des Fürsten Bismarck
bestehenden Animosität gehabt, die auch schon bei einer
früheren Gelegenheit hervorgetreten war. Der „Vorwärts"
verschärft das dahin, daß er sagt, Fürst Bismarckvcrfolge
den Usurpator scmes vermeintlichen Erbes mit bitterem
Hasse. Zur Geschichte dcr letzten Reichstagssitzung bemcrkt
dte „Köln. Ztg." noch: „Jn der crsten Rede des Grafen
Bülow lautet einer der Sätze, die sich gcgen den Fürsten
Herbert Bismarck richten, in der amtlichcn Fassung so:
»Wer jetzt noch nicht weiß, welche Stellung er gegcnüber
der Konvention einnehmen soll — ja, was soll ich davon
denken!" (Große Heiterkeit.) Die Wendung „an dem ist
Hopfen und Malz verloren!" ist ein Zwischcnruf dcr Linken,
der ertönte, als der Reichskanzler an der betreffendcn Stelle
eine lange Pause machte; er zuckte dann die Achsclu, und
ui der stürmischen Heitcrkeit, die erbrauste, gewann es den
Anschein, als ob cr die Worte übcrnommen hätte; nunmehr
erfährt man obige Wcndung aus dem amtlichen Steno-
gramm." Fürst Bismarck vcrfocht auch nachher noch die
Meinung, daß die Abgeordncten sich durch das vorliegende
sehr umfangreiche Material auch nicht hütten durcharbeiten
können.

Deutsches Reich.

Badcn.

. — Iseber die K ammersitzun g am Donnerstag

Ichreibt man dem „Schwäb. Merk.": Eine ganze Reihe
bon Rednern brachte eine Unzahl örtlicher Beschwerden
dor, die eigentlich in die Spczialdebatte ^gehören würden.
Daöurch erhält die Erörterung, die sich mit den Grunö-
iatzen und Hauptgesichtspunkten unseres Eisenbahnwe-
iens befassey sollte, etwas Schleppendes und Ermüden-
Lrauni ist eine bedentende Frage angeschnitten, wie
Mnte durch den Abgeordneten Frühauf die des künftigen
Elektrischkm Fernverkehrs, so folgt wieder ein Redner,
oer pon irgend einer örtlichen Angelegenheit zu sprechen
^eginnt und der angesponnene Faden reißt wieder ab.
Die Bahnsteigsperrc, die Beseitigung der Niveauüber-
Länge, die Bedeutung der Privatbahnen, das sind Dinge,
"ie in die Generaldebatte von Rechtswegen- gehörten,
aber niemand wird über diese und äh.nliche Fragen einen
^esaniteindruck aus der Kammer mitgenommen haben.
F- Das Duell Wacker-Eichhorn, das bei der Schuldebatte
^gann, spielte sich auch wieder in die heutige Sitzung
^tzein. Dabei muß man sich immer gegenwärtig halten,
-?ß die beiden Abgeordneten nicht nur Gegenpole hin-
llltnlich ihrer gcsamten Weltanschauung sind, sondern
^uch Wettbewerber um das Landtagsmandat von Ett- >

lingen. Wacker hat dasselbe inne und wähnt sich in
sicherein Besitz. Nnn wandelt Eichhorn auf verbotenen
Psaden in Wackers Tomäne herum und streut eine Saat
aus, die er bei der nächsten Landtagswahl zu ernten ge-
denkt. Daß dies seinen Gegner nicht versöhnlicher stiinmt,
ist begreiflich.

Hessen.

— Jn Hessen ist das Zentrum wohl für das
direkte aber nicht für das allgemeiue Wahlrecht. Jn der
zur Zeit in der hessischen Kammer stattfindenden Wahl-
rechtsdebatte äußerte der Abg. Brentano (Zentr.): Sicher-
lich habe das direkte Wahlrecht auch seine Schattenseiten.
Ein kautelenfreies direktes Wahlrecht sei ihm deshalb
zur Zeit völlig unannehmbar, worin er der Rc-
gierung zustimme. Der Redner tritt auch für die Heran-
ziehnng zu einer gewisscn Staats- und Gemeindesteucr ein,
wenn er ste auch nicht in demselben Maße wünsche, wie
cs in Preußen der Fall ist. Er hoffe, daß auch die
änßerste Linke für dieses direkte Wahlrecht doch noch
stimmen würde, zumal auf allen Seiten mit wenigen Aus-
nahmen man der Meinung sei, das allgemeine Wahl-
recht wäre abgestorben.

Madischer Landtag.

L. 0. Karlsruhe, 13. Juni. (103. Sitzung der
Zweiten Kammer.) Präsident Gönner eröffnct die Sitzung
uin 9 V; Uhr.

Das Haus tritt in die Spezialberatun g des
Eisenbahnb aubud gets ein. Die einzelnen Para-
graphen werden genehmigt; Erörterungen entspinnen sich
u. A. bei den folgenden:

Zu Paragraph 6 Marbach-Dürrhcim 286 000 Mark, bcfür-
wortct Nbg. Kirsner (Narlib.) dic Vcrbindnng von Dürr-
hcim mit Donaucschingen sratt mir Marbach und bezieht sich
auf dic vorliegenden Pctitiöncn. Erstere Liuie müssc spätcr
doch geüaut werden. Abg. G r ü n i n g e r (Zentr.) wcndet
sich gcgcn Kirsner, giebt dem ZNarbacher Anschlutz den Vor-
zug, namcntlich im Jnteresse Villingens, und sagt Dürrheim
voraus, es werde ein Badeort ersten Ranges wcrdcn. Abg.
Herght (Zentr.) betrachtet die Bahn uur als ein An-
schlutzgeleis der Saline Dürrheim an die Schwarzwaldbahn.
Diescs hindere das Zustandekommen einer späteren Bahn
Donaueschingen-Dürrheim-Schwcnningcn nicht. General-
direktor Eiscnlohr schlictzt sich dem Vorredncr an. Der
Berichterstatter Abg. Pfefferle (Natlib.) verteidigt den
Kommissionsantrag.

Titel 1 wird gcnehmigt.

Titel 2, Paragraph 8, Zweite Geleisc, 2 500 000 Mark,
spricht Abg. S ch mid für örtliche Jntcresscn der Strccke Neckar-
gemünd-Neckarelz. Oberbandircktor W a s' m e r antwortet,
die Station Liudach komme i» die Nähe des Ortes.

Zu Paragraph 22, Wegüb/rführung bei Neckargemünd,
130 000 Mark, spricht sich Abg. Mampel (Antis.) gegen
dcn Beitrag dcr Stadt aus und berührt die Errichtung eincr
zweiten Station Neckargcmünd vstlich vom Tunnel, um welche
die Gcmeinden Dilsberg u. a. petitionieren. Oberbaudircktor
Wasmer betont, die Uebcrsührung liegc hauptsächlich im
Jnteresse der Stadt.

Zu Paragraph 24, Dienstgcbäude in Eberbach für dcn
Bähninspektor, 99 000 Mark, spricht Abg. Sch m i d (Natlib.)
dcn Dank der Stadt aus.

Paragrnph 26, Mosbach, Bahnhoferweiterung, 702 000
Mark, soll nach dem Kommissionsantrag angesetzt werdcn.

Nbg. Obkircher (Natlib.) spricht für die Notwcndig-

keit der Erweiternng und hosft, datz noch diesem Landiag eine
Nochfordcrung für ein cmdcres Projekt (8)' vorgelegt werde.
Generaldirektor Eisenlohr: Die Regierung stellc weitere
Untersuchungen an, die nicht so schncll becndct sind, wird aber
im nächsten Budget eine Fordcrung einbringen.

Zu Paragraph 27, Bahnhoferwcitcrung Königshofen,
70 000 Mark, spricht Abg. Köhler (Zentr.) über den Woh-
nungsmangel in LaudaMnd dcn Bau weiterer Dicnstwohnungen
bis dem Mangel gcsteuert sei.

Zu Paragraph 32, Güterbahnhof Ubstadt, 114 300 M.,
erörtert Abg. Brcitner (Zentr.) die Verteilung dcr Bei-
tragsleistung auf die mitinteressierten Gemeindcn und befür-
wortet die Venennung der Station als „Ubstadt-Weiher".

Der Bahnhofumbau in Durlach und die Bahnhofserweite-
rung in Pforzheim führen zu einer kurzcn Diskussion.

Nunmehr kommt 8 38, V c r l e g u n g des Karlsruher
Personenbahn h o f s, zwcitc Rate 8 Millionen, worauf
die Galleriebesuchcr schon langc spanncn.

Abg. Stockhorncr (Kons.) bittet, bei einer etwaigen
Vcrlegung des Bahnhofes und dcr dadurch bedingten Gleis-
verlegung dcr Hardtbahn die Wünsche der Hardtgemeiuden zu
berücksichtigen.

Abg. Goldschmit (Natlib.) hat weder an dcr Ver-
legung, noch an der Hochlegung ein pcrsönliches Jntcresse.
Protestiercn abcr müsse er gegen die in der Presse zum Aus-
druck gekommene Anschauung, als ob die Leute, welche gegen
die Verlegung sind, Spekulanten wnren. Man könne es
dcn Gegnern der Verlegung nicht Lbel nchmen, dah sie sich
immer wieder auf die bekannte Aeutzerung des Ministers be-
rufen. Redner hebt die Nachteile der Verlegung hervor. Der
Stadtrat stehe nach wie vor auf 'dem Staudpunkt, dah die
Hochlegung des Bähnhofes den Jnteresscn dcr Stadt am mei-
stcn diencn würdc. Werde der.Bahnhof verlegt, dann mützte
untcr allen llmständen den Wünschen der Stadt, bczüglich der
Mapaubahn, Rechnung getragen wcrden. Es sei allerdings
nicht zu vcrkenncii, datz die Vcrlcgung auch gewisse Vorteile
für die Süd- und Südwcststadt hat (Heiterkcit). Da er die
Entscheidung doch nicht beeinflussen könne, bleibe ihm nichts
übrig, als dcnr Kommissionsbeschluß zuzustimmeu. Er hoffe
uur, daß der Staat bei der Neuregelung der Verhältnisse das
grötzte Entgegeukommen zeigt und insbesondere auch die Hardt-
orte Linkenheim, Rußheim und Liodolsheim in den Verkehr
einbezieht.

Abg. Binz (Natlib.) betont, daß es sich hier um cme
Jntercssenfrage, nicht um eine politische handclt. Er habe
zum Staatsminister das Vertrauen, daß er bei Lösung dieser
Frage von grötztcm Wohlwollen gegen die Stadt Karlsruhe
gewesen sei. Rcdner prosxstiert gegcn die Angriffe, welche in
einem Flugblatt gegcn die Budgetkommission gerichtet wur-
dcn. Uebcr die Notwcndigkeit dcr Aenderung des jetzigen Zu-
standes sei alles oinig; Meinungsverschicdenhcit herrsche nur
über die Frage: Hochlegung oder Verlegnng? Rcdner lcgt
cingehend die Gründe dar, welche gegen die Vcrlegung spre-
cheii. Mit beklommcncm HcrzenXsehe er dcm Beschlussc des
Hauses cntgegeu. Er hoffe, daß die Entwicklung Karlsruhe's
durch den neuen Bahnhof nicht gehemmt, sondern gefördert und
datz öie Regierimg dcn Wünschen der Stadt Karlsruhe in wohl-
wollender Weisc Rechnung tragen wird.

Abg. K i st (Natlib.) vergleicht die verschiedenen Projekts
mit einander und kommt zu dcm Schluß, datz die Vcrlegung
der Ucberführrmg und Hochlegmig vorzuziehen sci.

Abg. Heimburger (Dem.) spricht sich für die Vcr-
legmig aus und unterstützt die Anregung des Abg. von Stock-
horner.

Abg. Hergt (Zentr.) betont, datz auch für das Zcntrum
in dieser Frage ausschließlich sachlichc Grüude matzgebcnd wa-
rcn. Redncr tritt für dic Verlcgung ein.

Abg. Wcygoldt (Natlib.) spricht gcgcn die Bedenken,
daß durch die Verlegung cme Entwerrung der Bahnhofgegcnd
eintreten wird. Die Kaiserstratze sei nnd bleibe das Vcr-
kehrszcntrmn, auch wcmi der Bahnhof vcrlegt wird. Jm

Keidelöerger Maudereien.

?? Heidelberg, 14. Juni.

^ Als der Kronprinz von Siam am letzten Donnerstag die
^chlotzruine betrachtete, wurde er — wemts wahr ist —
8siragt, welche Art der Wicdcrhcrstellmig des Otto Heinrich-
. «Ues er für die angemcsscnste halte. Dcr Prinz aus dem
ffUien Osten erwidcrte zunächst diplomatisch, datz cr ein
^tteil erst abgeben könne, wann er stch daheim mit deM Hof-
e?^cister Anflötonerikol besprochen hättc, dann aber fügte
r: schelmisch lächelnd hinzu, datz ihm persönlich natürlich ein
"^esischer Zwillingsgiebcl am sympathischsten wärc.
w- ^Nit emiger Beklemmung wird Ivuhl mancher Zcitungs-
^wr vernommcn haben, datz mit der Schrift bon Haupt die
j^kNeuerungsfrage, die in den letztLN Monaten so fest schlief,
f^öer aufgcwacht ist. Sollten sich daran ncuc Erörterungcn
fj- und wider vor dem Publikum. knüpfcu, uachdem man die
m"!>ercu xxst unt Mühe uach und nach vcrdaut und assimiliert
grjs Die Bcfürchtung ist allcm Anschcin nach zunächst unbe-
b^Tsdct. Mit den Darlegungen Haupts, die neue Aussichten
stiu^- Rückblicke cröffneu, müssen sich zmiächst die Sachver-
^ wigen absiuden, wäs immerhin einige Zeit in Anspruch neh-
ka,, und erst, wenn die mit ihrer Mcinung fertig sind,

die Crörterung vor dem Publikum begimien.

^nzivisyseu ist der Heidclberger um interessantcn neuen
s„ n nicht verlegcn. Fn uächstcr Woche ziehen die Mmmheimer
Theater eiu. Nun haben dic gewonnen, die zu
Piio' ^i^üen, jv^uu sie etwas gutes im Theatcr sehen wollten,
Nxss u sie uach Mannheim. Jm Vertraueu, cs sieht mit dem
MZ " nach Mamcheim bei jenen Leuten meistens sehr wigdig
Aber jetzt hat man Gclcgenheit, sie festzmiageln. Jeder
, kcimt ivohl eincn odcr den andcrcn dcr vezeichneten
N>,„ nheim-Schwärmer; jetzt nehme cr sic fest aufs Korn, ob sie
Ailv.PEi wirklich in unsercm Theater an den bevorstehenden
Hiic„si"mer Tagen zu finden sind. Wenn nicht, dann wehe

Auch uach einer andercn Seite ist das Mamiheimcr Gast-
spiel von Bedeutung. Wie bekannt, giebt cs hier cinige Thea-
tcrfremide, die für eine Mannheim-Heidelbergcr Theaterbe-
triebsgcmeinschaft schwürmen, ctwa wie ein gcwisser Landtags-
abgeordncter für die badisch-preutzischc Eisenbahnbctricbsge-
meinschaft. Je meyr moralische Eroberungen mm die Mann-
heimer hicr machen, desto mehr Wasscr läuft jenen anf ihre
Mühlc. Aber das Heidelbcrger Publikum in seiner GesaWt-
heit ist stark genug, cincrseits dic Selbständigkcit seines Thea-
ters zu wahren, und andererseits alles, was das Mannheimer
Gastspiel Gutes bringt, von Herzen nnd freudig anzucrken-
ueu.

Ueber die Schlotzbaufrage mid über die Thcatergastspicl-
frage geht noch die, ob der Petrus nmi cndlich ein Einsehcn
bekommt und mit daucrnd gutem Wetter gegen die
schlechte Laune ankämpfen wird, in die er die Menschheit ver-
setzt hat. Schon naht die sommcrliche Tag- und Nachtgleiche,
mid noch waren die Garteiiwirtschaflen in der Stadt mid in
der Umgebung nur ganz ausnahmsweise e'mnal überfüllt, iväh-
rend es dort doch mn diese Jahreszeit gestcckt voll scin sollte.
Die Vierbrauereien werdcn beim Jahresabschlutz des sogen.
Frühluigs mid Frühsommers 1902 voraussichtlich mit Weh-
mut gcdenken, während dw Vcrfcchter der Slbstincnz aus dem
zurückgegangcnen Konsum viclleicht frohc, abcr falsche Schlüsse
ziehen. ' Wenn nur nicht gar noch die Reichsgesetzgebmig
aus Angst bor cinem Rückgang der Bicrstcuer eingreist und
den lästigen Konkurrrentcn des Bicres, das Wasscr, zu dena-
turieren befichlt; wie sie dem Saecharin zu Ojunsten des
Zuckcrs den sützcn Lebensfaden nahezu ganz untcrbundcn
hatl Heutzutage ist mancherlei möglich, namcutlich da, wo
wirtschaftliche Jnteresseu auf dcm Spiel stehen.

Lkommt es wirklich so weit, datz das Wasscr dcnaturiert
werden mutz, so wärc für die Sommerszeit dtr Zitrone das
empfehlenswerteste Miktel hiersür. Dcnn dic Zitronen sind
alleweil sehr billig, für 10 Pfennig bekommt man Pracht-
exemplare davon. Und so cine ungckünstelte Zitronenlimonade

ist durchaus nicht bitter, sondern vielmehr, wie bekamit, angc-
nehm süuerlich.

Wer allerdings morgen die Handschuhsheimer Kirchweihe
besncht und sich in eincs dcr fünf Lokale begiebt, die gut bc-
setztc Tanzmufik angekündigt habcn, dcr wird sich mit einer
Limonadc nicht begnügen können mid wollen. Besondcrs die
Gcschäftslente aus dcr Stadt, die sich an dicscm Tage bei
ihre Kmiden zeigen, weil sie wohl wissen, datz dics sehr
gern gcsehen wird, pflegen sich auf ein halbes Huhn mid eine
Flasche Wein einzurichten. Leben und leben lasscn, sagt ein
altes ^Sprichwort, mid ein andcres fügt ergänzcud hinzu:
eine Hand wäscht die andere.

Es ist mcrkwürdig, wie sich die Kirchwcihcn durch die
Jahrhundcrte so lebendig erhaltcn haben nnd wie jedcr Ort
darauf sicht, daß er die seiiiige an ihrem althergebrachten Tage
feiert. Als man sie aus gutcn Gründen mid in guter Absicht
da mid dort auf eincn Tag zusammenlegen wollte, gab es
große Widersprüche; sogar mit schlechtcn Wahlen wurde oppo-
uicrt, und so blieb nichts übrig, als es beim Alten zu be-
lassen. Da habcu wir ein Beispiel von dcm konservativen
Zug, der in der ländlichen Bevölkermig, auch in der politisch-
liberalen, hcrrscht. Hin und wieder lätzt sich dic ländliche Be-
völkerung ivohl durch ciue scharfe leidenschaftliche Agitatiou
aus dcm Gleichgcwicht bringcn, abcr dcr natürliche Jnstinkt
bringt sie bald wieder zur Bcsinnung mid damit auf dcn alten,
gewohnten mid erprobtcn Pfad zurück. Die bedächtige Sin-
ncsart dcs Landmanns gehört mit zu dcm Fundament, auf
dem der Staat errichtet ist. Solange sie mierschüttert bleibt,
solange wird auch er nach seincr jctzigen Art bestehen. Daraus
wollen wir eins trinken!

Fcincs Krnut. Schusterjmige: „Dct is hcut 'n Jlückstag."
— Freund: „Wieso dcmi?" — Schustcrjmige (rauchend):
„Vorhin Gardekavalleriedivisionskommandcurhavanastummel
gefimdcn."
 
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