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Heidelberger Zeitung (61) — 1919 (Januar bis Juni)

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Nr. 126 - 148 (2. Juni 1919 - 30. Juni 1919)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3202#0925
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°rwo.

bsut,

^ MttabhSngigs Tageszeiküng)

->erkündiguttgsblalt für Nordbaden und die angrenzenden Teile von Vayern. Sessen ünd Würliemberg.

Nr. 148

Montag, den 3V. Iuni 1919

61. Iahrgang

Heidelberger JeitllNg «rscheint an jedem Wochentag mittags 12 Uhr. Amtliche» Derkiindi-
gungrblalt. Grattsbeilagen kind die Hsidelberger Fanillienblätter, auherdem amtlicher Wohnungs-
anzcigcr. Die tzeidelberger geiiung kann durch alle Postanstalten, durch die Agenturen auf dem
Lande. die Trägerinnen und bei d-r EeschSftsstelle selbst - Sauptslratze 2, - monatlich und
vierteljährstch bestellt werden.

Hauptschriftleiter: k u r I ss i l ch e r In Heidelbecg."

Druck un» Derlag Heldelberger Derlagsanstalt und Druckerei, w. m. b. tz.

Bezugs- und Anzeigenpreis. Die „Heidelberger Zeitmrg' kostet bei jeder Postanstalt
monatlich l.36 M., vierleljährlich 4.08 M. ausschliehlich gustellgebühc, durch dl« Agenturen oder
die Trllgerlnnen frei tzaus monatlich I.4S M. — Die sechsgespaltene Petitzeile oder deren Naum
kiostet 35 Psg.r Im Neblanietell die viergespaltene Pelitzeile l.20, mlt Plahvorschrlft 1.40 M.
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Druck rmd Verlag: Heidelberger Berlagsanstalt und Druckerei D. m. b. H.

Poslscheckkonlo Karlsruhe Nr. lSSllS. Fernsprecher: Redaktton 182, Geschäftsstell« 82

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Das Verfahren gegen den
Kaiser

Bethlnnnn-Holl«eg ftellt sich der Entente
zur Vcrfüzuug

Der ehomallge Reichskanzler v. Vethmann-
hal. nachdem or bereits am 20. Mai
1019 den gleichen Schritt auf ausdrückltchen Wunsch
oer^Retchsregierung hat fallen lasien müsi^n am
2o. ^junt an Llemenceau ein Schreiben gerichtet. in
dem er diesen bittel. nachstehendes Schriftstück zur
rienntnis der alliierten und assozüerten Mächte zu
bringen:

Jn Artikcl 227 der Friedensbcdmgungrn ha-
vcn dre alliierten und assoziierten Mächte W r l-
helm il. von Hoheuzollern, den srühe-
ren deutscheir Kaiier, wegen schwerster Verletzung
des rnternationalen Srttengesetzcs und der ge-
heiligten Macht der Verträge unter öfsent-
«che «nrlage geftellt. Sie haben
gleichzeitig derr Entschlub kuirdgetan, an die Ne-
gierung dee Niedrrlande ein Ersuchen zu richten,
ü; dsm sir bittrr«. derr ehemaligen Kaiser zum
Zwecke seiner Verurteiluirg auszuliefern. Mit
Bezug hierauf erlaube ich mir an dre allnerten
und assoziierten Mächte die Bitte zu richtrn,
das gegen den Kaiser beabsichtigte
Verfahren gegen mich stattfinden zu
lassen. Zu diesenr Zweck stelle ich mich hiee-
durch zur VersUgung dcr alliierten und assozirer-
teu Mächte. Als ehemaliger deutscher Neichs-
Lanzler trage ich für meine Amtszeit die im
deutschen Staatsrecht gerogelte alleiuige
Verantwortung fiir dre politischsn Hand-
luirgcn dcs Kaisers. Jch glaube hirraus den
Anspruch herlerten zu diirfen, dah die Rechen-
schaft, welche die alliierten und assoziierten
Mächte für diese Handlungen forderrr wollen»
ausschlieglich von mir gesorvert wird.

Jn dee Ueberzeugung, dah die alliiertcn und
assoziierten Mächte einem durch öffentlichcs
Staatsrecht normicrten Rechtszustand auch dre
irrternationale Beachtung nicht versagen wollen,
darf ich der Hoffnnng Slusdruck geben, dah ste
merner dringenden Bitte ftattzugeben gencigt
se!» werden."

Mau mag zur Politik des früheren Kanzlers
stehenwiis man will, dartn werden sichdieAnhänger
u. Gegner einig sein, dast dieser Schritt Bethmanns
etne Mannestat voller Stolz u. Würde ist, die
dem Charakterbild Belhmanns einen neuen vor-
nehmen und sympathischen Zug einprägt.

Was sie mit dem Kaiser vorhabon
Der Pariser Korrespondent des „Amsterdamer
Telegraaf" hatte eine Unterredung mit einer »Htz-
gebenden Persönlichkeit. die während der Fnedens-

konferenz der wichtlgste Natgcber im Rate der
Vier gewesen sein soll. Dieser Eewährsmann teilte
mit, dag die Verhandlungen gegen den deutschen
Kaiser nur auf m o r a l'.s ch-e r Basts geführt
rvjerdrn sollen und das; das Urteil nur mora-
lischer Art (?!) sein könne. Von einem Todes-
nrteil oder Eefängnis könne keine Nede sein. Man
werde das Geschlecht der Hohenzollern für alle
Zeiten dkrs Thrones für unwürdig erklären und
werds es dem Kaiser unmöglich machen, irgend-
welche Nachteile für die Alliierten herbeizuführen.
Zu diesem Zweck werde man dem srüheren Kaiser
einen Wohnsitz anweisen, den er nicht verlassen
dürfe. Sollte sich Kaiser Wilhelm wergern. vor
dem internationalen Eerichtshof zu erscheinen und
Holland ihn auffordern. das holländische Gebiet zu
verlassen, so werde den Kaiser nichts h i n-
dern nach Deutschland z u r ü ck z u k e h r e n.
Zn diesem Falle würde man in Unterhandlungen
mit der deutschen Republik elntreten. um das Er-
scheinen vor dem Eerichtshof zu erzwingen. Der
Korrespondent versicherte zum Schlus;, das; gegen
die deutschen Offiziere, deren Verfolgung die Al-
lüerten verlangen, im Gegensat; zum Exkaiser
auf einer rein j u r i st i s ch e n Basis verhan-
delt werden soll.

StHirer Ver Auslreferuttg
Die „Lhicago Tribune" schrsibt: Seit Beginn
der Konferenz waren die Amerikaner fort-
während gegen die Auslisserung des Kaisers
nnd gegen seine Verurteilung. weil kein Mit-
te'l vorhanden ist. um diesen Prozes; durchzufüh-
ren, und we.l man nicht aus dein früheren Kai-
ser einen Märtyrer machen und die monarchistische
Vcwegung in Deutschland unterstützen wollte. Dem
gcnannten Blatt zufolge haben sich rnzwischen
auch Franlroich und Belgien zu diesem
Standpunkt bckannt. Das Blatt glaubt auch nicht,
das; man d.e deutschen Offizi"re. d.eren Ausliefe-
rung im Vertrasie verlangt wird, verurteilen
werde.

Hollaud bleibl fest

Der Vossischen Zeitung wirid aus Rottevväm ae
nesdet. d.rb der Rat der Vvoü eine schärfere
vewa ch u n g d s früheroi ideutschen Kalst'rs fo.-

Ver Zriede von versailles

Die Unterzeichnung

Versarlles, 28. Zuni. Die Zere-
mouie der UnLerzeichmmg rm Splegelsaale
zu Versailles begamr um 3 LSHr rmchmittags.
Nachdem sämtliche Delegierte Ser alliierten urrd
assoziierten Mächte ihre Pliitze eingenommen
hatten, wurden diedeutschen Delegier-
Len in den Saal geleitet und zu den für ste de-
strmmten Plätzen geführt. Der Gorsitzende der
Friedenskonferenz Clemenceau erhob sich
u.rd erklärte, nachdem die Bedingungen der al-
liierten und assoziierten Mächte von den Deur-
schen angenommen seien. ersuche er die deut-
schen Bevollmächtigten, das Friedensdo-
kument zu u n t e r z e i ch n e n. Er hob her-
vor, die Unterzeichnuug des Friedensvertrages
bedeute, dah die Brdrngunqen in loyaler Weise
cingehalten werden mühten. Um 3.12 Uhr nn-
terschrieben Hermann Müller und Dr. B e l l
als erste den Friedensverrrag. Hierauf unter-
schrieben der Reihe nach die Delegierten dcr al-
liierten und assozrierten Mächte. Kurz vor 4
Uhr rvar der Akt beendet. Clenrenceau hsb die
Sihung mit der Erklärunq auf, der Frieöe
sei geschlossen. Er ersuchtr die Delegier-
Len der alliierten und assoziierten Mächte, zu
wartcn, bis dre deutsche,» «evollmächtigten fich
entfernt hätten. Dre Militärmrssion werde die
deutsche Delegati-n in das Hotel des Neser-
voirs zurückgeleiten. Die deutschen Bevoll-
mächtigten verlietzen daraus als crste den Taal
und begabcu sich auf demselben Wege, auf dem
sie gekommen waren, sofort in das Hotel des
Neservoirs zurück.

Die deutsthe Regieiuug batte 'daräuf aufmerksam
osmacht, dasi das Erenwlar des Vectrages, das
uilterzeichnet werdcn sollte, mit dem friLher Wer--
gvbenen nicht ver^lichen sei und deshcrkb Fehlsr
enthalten könne, Darauf übrrbrachto der Sekretär
oer Konferenz Dutasta am Freitag iatbrnd
llhr Herrn v. Haniel einen Brief Elemsn -
c e au s, in dem dieser dte Garantie fllr die
Gleichförmtgkoit der Vevträge übernimmt. Ausier
dem Hlgentlichen Fiedensvertraa waren ru rmtcx.
zeichnen 1. zwei Z u s a tz p ro t o ko l le. 2. die Av-
machuaaen über das Nheingebiet. 3. etwas
-lanz neues: eine Abmachung üb-er Polo;:.
die angüblich ivur für dis allüerten Grotznvächte und
die Rügierung in Warfck>cvu Znteresse hat; sie soll
sich auf die Sichorheiten bo-ie.hen, die Polen den na-
ti-onalow und rEaiösen M,cherhoite,r zusichern muh.

Die Delsgvertcnl Hsmn. Müller und Dr. Be ll
waren bogloitct von deir SachverstänIdigHn Prof.
Dr. Kraus (Leipzig) und dem Twlmetlcher Dr.
Michaolis. Sonst waven nur noch 15 tn Ver-
sailles anwesonde Vertreter der deutschen Presie
anwssüikd. die aiber für dicse Gelegenheit cvUf einen
Higlmcn Bericht vrrzichtetcn: sie hatten eine Kom-
misiion von 3 Mitgliäoeen gewählt. dt- sinen lur--
-cn. sachlichen. für alle dcutsch-ir Zeitun-gen gelten-
d-n Bericht oerfahle. An dicsem Trcvuertag deui-
schev EoschsthtS darf kmn stilistisch s Feusrwerk ab-
gebvannt werden, nur ale Zeugin der Vorgänge
war die d-eutsch' Oesfentlichkeit zugegen. bamtt sis,
wonn es nötig sein sollte, cine tendenziöse Darstel-
limg dcx Entcnte durch einwanldfreiHS Zsugnis wi-
derlegon könne.

Nicht-Unterzeichnung und Protest

Allgemein wtrd festgostellt, dah >die in der Sik-
ung cvnwösendeii Dclcgimteir Chrnas den Ber-
trag nicht u n te r z e i ch n e t haben un!d dah Ge-
tteval Smuts cinen Protest gegen die Be-
strafuiig des Kaisers und ej»vtgs wichtige
Punkte des Vertrages übcrreicht hat. Am Teinps

veröfsentlrcht General Smuts dcrzu noch eine Er-
kläruir-g, in d-er or unter anderom sagt:

Dor Friodonslvertrag habo den orhoffte-n. Friedsn
i'icht gclbracht. Scine wahre Ausarbeitung beginns
erst iotzt. Mlanche drr Abmachungen über LandaL-
Lreluirg seien änderungsbedürftig. Manche
Eichoruinaslbsstimmungen stimden mit Ler neusn
friMichon Gchinnung uttd der Eütwaffnuivg dsr
FrLunde iiicht im Einklang. Die vorgesehe-
y en Strafen müöton bei ruhiger Erwägung
gestrichen wc-iden. Der Völkerbund sei
i:och n nv o l lko ni m e n und müsie zuni wahren
Wsrkzoug dss Fortschrrtts umgewandelt weilden-.
Nur so werlde die Vörnichtung des Militarismus
SU..N Segen für alls Völker.

Abreise unserer Delegierten
Versailles, 29. Juni. Reichsminister Hevmailn
Müller und Dr. Vell sowie einige Mitglieder

Pvessögrupp- der doutschen FrrüdenÄrolögaiion
find am 24. Juni voi» Vevsailler nach Deubschland
abgereist

Dic Blockade

Die Entente hat am Samstaa abend folgende
Note Än die doutsche Delegajtvon übrrreicht:

"Jch beehre Sie in Kenntnis zu setzen. dah der
W«ffrnjftillstandvr»ertear dke Anfrechterhrltung der
Blockade bis zum Austaufch der Na-
tifikation vorsieht. Die alliierten und asio-
ziierten Regierungen erktären sich aber trotzdem
bereit, dir Blockade schon d«nn aufzuheben, fohald
sie amtlich «»on drr regulären und oölli-
gen Rattfikation ds» Bertrases durch
Deutjchland vecständigt »srden ist.

EeneHmigen Sie Ew. Elemenceau.

Die Frage der Kriegsresangenen

Gesaivdter von Haniel richtete folgende Note
an den Borsitzenden der Fribdenskonfereiiz, Cle-
menoeau:

»Jm Auftvage des Reichrniinisters des Aus-
wärttgen beehre ich inich. Euer Exzellenz folgen-
des mitzut-eilsi,: llnler Hiawels auf den Schlacs;-
ab?atz des Schroi.beiis Eurer Erzellenz wegen der
H e i mbe fö r de r'u n g der K r i e a s ge f a n g e-
nsn und cmf Teil 6 der Antmort der olliterten
-und asio.viierten Mächte auf die Bieimerkungen der
deutschen Delegaittan z-u den Friedensbedin-
gungon bittet die deutsche Neglerimg um tun-
lichst bcvldige Erklävung. wamn uud wo und in
wülcher ZusaimNensotzung der Zusammeiltritt der
tm Arttke-l 213 Absach 1 des FriedensvHrtrages
oovgesehenön Kommiission in Aussicht genonnnöil
ist.

Gönohmisett Sie. Herr PrLsidsnt usw.

v. H a n i e l.

Der Tümps schreibt. das, die Riicklendung
der deutschen Kriegsgefangene,, früh:-
stcms Anfang August beainnen könne. wonn
dte Vorbsdinaungen ü>s dahin seitenr der deut-
schen Regieruilg erfüllt wären.

Festfreude in Paris

Ain Samst a a aben) sand tn Paris aur An-
last ider UnLevteichnung des FrieLensvertrages em
Volksfest statt. Ächt Ntilitärkiapellen zogen
durch die Strahen von Paris. Di-e Rostaurants
unarey bis 1 ttl,r aeWiiet. E!>n Emosiana iml
St-adthaus zn Ehren der Beoollmäclrtivten wird
am Mbntag abend sdattsinden. dom Vevwaltnngs-
persaiml wird auf Anordnung der Rlegievung ein
bezaHlter freier Tag gewährt.

Wilson übcr den neuen Dreibund

Veim Abschied von den amerikanische.n Dele-
giiertan Hvklärte Wtlson. la!nt Neuter. er sei be-
rett. eiiren Vertrag zu u n l e rze i chne n,
tn den die Vevei'itgten Staatön und Grosibritan-
nieil sich verpfltchten. Frankreich zu Hilfe zu koni-
nren, falls es vo>n Deutschland be-vroht
wird.

derte. Dazu erfähist der Korresvondent. dah dio
bc lläitdi'sche Neg'-evnng nicht daran denk c,
iihre Hallui'g gegcnMer dem Kaiser unld dem
Kronivrinzen zu änd - rn.

Die Jnsormation meldet aus Parls:
Zahlreiche Proteste englischer und ame-
rilanischer Politiker und Staatsmön-
ner gegen eine Auslieferung des deutschen Kai-

sers sind eingelaufen. Am englrschen Königs-
hos ist man der Fordcrung einer Auslieferung
abgeneigt. Clemenceau beharrt dage-
gcn auf dieser, und zmar verlangt er die Äb-
urteilung des Kaisers in dcssen Eigenschaft als
oberster Kriegsherr der deutschen Armee und
dcr Flotte und nicht als oberster verantwort-
licher politischer Neichsleiter.

Frieden i

Nun ist auch der lehteSchritt getan!
Das kaudinische Joch liegt hinter uns, wcr ha-
ben Frieden, wenn auch noch mit manchen Ein-
schränkungen, und neueZeiten. neueAufgaben,
neue Ziele stehen vor uns. Darf man hoffen,
mit dem letzten Akt der Tragödie, der sich in
Versailles abgespielt hat, endlich auch am Ende
einer verhängnisvollen Entwickluug angelangt
zu sein? Darf man hoffen, datz nun vielleicht
ein neuer Aufstieg beginnt? Noch klingen
von überall her die Töne an unser Ohr, die
in den letzten Monaten die Begleitmusik rm-
seres Abstieges gewesen sind, die Töne der re-
signierten Verzweiflung und der stillen Erge-
bung in ein unabänderliches Schicksal. Aus
den Kundgebungen der Regierung, aus den
Erklärungen der Vehörden in der Ostmark hö-
ren wir immer wieder dasselbe: unendlich
bitter ist das Opfer, das wir zu bringen haben,
aber angesichts der Eervalt gebietet uns die
vernünftige Ueberlegung, nachzugeben. Nach'
dieser Melodie ist auch die traurige Weise in
Weimar gegangen. Kein Hauch war zu spü»
ren von jenem Keiste, der unbekümmert um
die Folgen alles an die Ehre setzt. Darf man
hoffen, datz darunter jeht endlich ein abschlie--
tzender Strich gezogen^wird? Nicht in dem Sinn,
als ob jetzt Vergangenes für uns vergangen
setn und immerdar ruhen solle. Nein, davon
kann keine Nede sein. Wir stimmen dsm Vor-
wärts völlig zu. wenn er erklärt, dast Deutsch-
land nicht ruhen werde. bis der Fetzen Papier,
aus dem der Vertrag oon Versailles verzeich-
net steht, zerrisien ist. Was wir im Augen-
blick preisgeben müsien, geben wir nicht blu-
tenden Herzens preis, sondern halten wir blu-
tenden Herzens fest. Keine Sekunde lang he-
gen wir dcn Eedanken. als ob deutsches Land
und das Nolk, das es bewohnt, uns deshalb
verloren seien, weil sie sich fremde Gewaltherr-
schaft gefallen lasien müsien. In einem ande-
ren Sinne aber wollen wir einen Strich un-
ter das Vergangene ziehen. Wir wollen unsere
ganze Kraft daransetzen, dcch jetzt endlich ein«
neue Entwicklung anhebt und je»e Linie, die
seit dem 9. November immer tiefer abwärto
geführt hat, abgebrochen wird.

In all dem Leid und Weh dieser Tage dllr-
fen wir aber doch stolz sein'. Zwischen wem
denn alle ist am Samstag eigentlich Frie-
den geschlossen? „Die Veremigten Staaten
von Ämerika, das Britische Neich, Frankreich,
Italien und Iapan. Mächte, die in dem ge-
genwärtigen Vertrage als alltierte und asso-
ziierte Hauptmächte bezeichnet sind. Velgien,
Bolivien. Brasilien. China, Kuba. Ecuador.
Griechenland. Euatemala, Haiti, Hedschas,
Honduras, Liberia, Nicaragua, Pnnama,
Peru, Polen, Portugal. Rumänien, Serbien-
Kroatien-Slawonien, Siam, die Tschecho-Sto-
wakei und Uruguay, die mit den oben bezeich-
neten Hauptmächten die alliierten und ass»^
ziierten Mächte bilden, einerseits nnd
Deutschland anderseits": so beginnt
das ewig denkwürdige Dokument menschlicher
Vcrirrung. das am 28. Iuni 1919 zu Versail-
les unterzeichnet wurde. Wir dürfen stolz sein,
sagen wir, in aller unserer Trauer,' denn d i e
ganze Melt war nötig. um in -leinhalb.
jährigem Ningen das deutsche Volk an den
Verhandlungstisch zu bringen. Und auch d»nn
noch nicht aus eigener Kraft: das deutsche Volk
selber war es, das nus freiem Entschluß da»
Ende des Weltkrieges durch Verhandlungen
statt durch die endgültige Entscheidung der
Waffen herbeizuführen gedachte; dieses dentsche
Volk, das ein Iahrfünft lang von atten Hilfs-
guellen der weiten Welt da draußen abge-
schnürt, allein auf sich selbst und sein gutes
Necht vertrauend, Leistungen unter Erschwer«
nisien und Entbehrungen vollbracht hat, wie
nie ein Volk, solange die Welt steht. Das sei
heute noch einmal nachdrücklichst festgestellt.
Ein solches Volk ist wert. doß es lebe!

Und es w i rd leben! Wir sind nach wie
 
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