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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1885

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No. 203 - No. 228 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43927#0907
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Serantaorel. nevatteur I, Klausner in Heidelberg.

wa Otint täglig sußer Montag. Abonnementäpreis mit bem

— UnterHaltungsblatt für Seidelberg: monatlich 45 4

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222.







Veränderungen in der Türfei,
Der Draht hat geftern Morgen die Welt mit
Äner merkwuͤrdigen Nachricht überrajfcht: In der
Tobinz Oſtrumelien iſt eine Erhebung ausgebrochen,
velche nichts Geringeres, als die Losreißung Oſt⸗
Men von der Pforte und Verſchmelzung der⸗
Aben mit dem Fürſtenthum Bulgarien zum Zweck
*— „Volk und Herr“ erklären dieſe Vereinigung
ür vollzogen und Fürft Alexander von Bulgarien
Mobilifirt jeine Armee, aber nicht etwa, um die Er⸗
ers ſich vom Leibe zu halten, ſondern um ſich
8 nach Philippopel der Hauptſtadt der auf⸗
Erie Provinz, zu begeben und dem getreuen
At und Herr auf ein gut Stuͤck Weges entgegen—
Elommen und die Huldigung der neuen Ünter—⸗
Anen entgegenzunehmen. So wäre mit einem
N Ae die Erhebung da, glücklich und im Handum⸗
ereben durchgeführt und eigentiich auch ſchon be⸗
Nbet, Und wie bei dem Wehen des Windes, weiß
iiemanb woher er kommt und wohin er geht, aber
An Braufen hoͤrt man wohl. Wer hat fie gemacht?

4]

At und Herr, iſt die einzige Antwort. Wer
ihr Träger? Wiederum Volk und Herr“. Sonſt

9* wahrzunehmen geweſen, nicht einmal die
Arung, welche doch ſonſt derartigen Erhebungen
enzugehen pflegt. Etwas brodelt es ja in dieſem
entalijchen Hexenkeſſel ſtets. Diesmal aber moͤgen
* Vermuthungen ja wohl Recht haben, welche
* Grund dieſer Erhebung anderwaͤrts ſuchen,
e in derfelben nichis erblicken, al8 eine gut
* Velte Maſſenſcene, welche eine weisheitsvoͤlle
** in Kremſier geſchickt vorbereitet hat. Europa
anc dieſe Erhebung allerdings berührt, aber
T örfcheinlich jicht beunruhlgt werben Auf Ruß-
Ands Antrieb ꝰund unter Fuͤßlands Schuß wird
@ulgarien erſtarken, die Pforte, ehe ſie einmal die
Bebung recht wahrnimmt, ſteht vor der vollendeten
rac Oeſterreich und Deutſchland finden an
Exr nichts auszuſesen — und die Ceſchichte geht
* dieſe kleine Revolution, die trotz der Mobiliſi⸗
4* des bulgariſchen Heeres vom Blute ſich rein
U zur Tagesordnung uͤber und erkennt einfach
Gewordene an. Für Deutſchland insbeſondere
8 es nur von Vortheil ſein, wenn Bulgarien
ßer, machtiger und beftandSfähtger wird. Denn

2 ;
M ftarfer Staat im Orient nutzt uns mehr, als

Autonomie darin beſteht, daß fie der hohen Pforte
tributpflichtig ſind. Auf dieſe Weiſe löſte ſich die
orientaltſche Frage auf friedlichem Wege. Es iſt
aber auch möglich, daß die Dinge eine ernſtere
Wendung nehmen, was für die Tuͤrkei leichtmöglich
den Anfang vom Ende bedeuten könnte.

deutſches Keich.

Karlsruhe, 21. Sept. Nach hier eingetroffener
telegraphiſcher Nachricht hat geſtern, Sonntag, Vor⸗
mittags 11 Uhr 9 Minuten, die Vermaͤhlung Sr.
Königl. Hoh. des Erbgroßherzogs mit J. Hoh. der
Prinzeſſin Hilda von Naſſau auf Schloß Hohen—
burg ſtattgefunden. Das Wetter war dort des
Morgens etwas trüb. Nebel umhüllte die Berge
und ein feiner Spruͤh⸗-Regen rieſelte hernieder.
Später jedoch heiterte ſich der Himmel auf. Der
in der Schloßkapelle erfolgten kirchlichen Trauung
ging kurz vorher die Eheſchließung vor dem Stan-
desbeamten des großh. badiſchen Fuͤrſtenhauſes voran.
Anweſend bei beiden Akten waren die Fürſtlichkeiten,
die Hofftaaten, Vertreter der Gemeinde, der Preſſe 2C.
Das hohe neuvermaͤhlte Paar iſt ſofort nach Auſſee
Steiermark, bei Iſchh abgereiſt. — Sobald das
freudige Ereigniß in Karlsruhe bekannt geworden,
wurde hier mit ſämmtlichen Kirchenglocken geläutet
und 101 Kanonenſchüſſe abgegeben. Die Stadt iſt
reich beflaggt. Heute früh on eingegangene Nach⸗
richten laſſen erkennen, daß vom ganzen Lande der
Tag in freudigſter Bewegung gefeiert wurde.

Hohenburg, 20. Sept. Der Großherzog, die
Frau Großherzogin von Baden, ſowie der Kronprinz
und die Kronprinzeſfin von Schweden find heute
Abend nach Muͤnchen abgereiſt.

Berlin, 21. September. Die „Nordd. Allg.
Ztg.“ ſchreibt: Das Zuſtandekommen der bul—
gariſchen Union würde eine Verſchiebung der Be—
ſtimmungen des Berliner Vertrages in ſich begreifen,
woran alle Signaturmächte gleichmäßig intereſſirt
ſind. Ohne die Tragweite des Geſchehenen im
geringſten zu unterſchätzen, dürfte man vielleicht
gerade aus dem Umſtande, daß die Vertragsmächte
gleichmäßig berührt ſind, die Zuverſicht auf eine
ſolche Austragung der Kriſe ſchöpfen, wie ſie mit
den leitenden Geſichtspunkten der internationalen
politiſchen Aktion noch am wenigſten kollidirt. Es
entſpricht dieſer Auffaſſung, daß von den ange—




‘ 1885,

ſehenſten Preßorganen der europäiſchen Hauptſtädte
die Zuſtändigkeit der Vertragsmaͤchte betont und
der weitere Verlauf des rumeliſchen Aufſtandes von
ihnen dieſem Geſichtspunkte untergeordnet wird.

Halle, 19. Sept. Der im Hochverrathsprozeß
gegen Reinsdorff und Genoſſen mit verurthetlte
Holzhauer erhängte ſich geſtern in der hiefigen
Strafanſtalt.

Stuttgart, 21. Sept. Der Kaiſer und die
Prinzen begaben fich heute nach dem Manbverfelde
bei Hochdorf, O.-A. Vaihingen, wo die beiden
Divifionen des württembergiſchen Armeecorps gegen
einander manöverirten. Auf dem Wege zum Ma—
növer machten der Kaiſer, der deutſche Kronprinz
und die uͤbrigen Prinzen dem Freiherrn von Varn—
büler in Hemmingen einen Beſuch. Während des
Manbvers verließ der Kaiſer wiederholt den Wagen,
um den Truppenbewegungen zu folgen.

München, 20. Sept. Der König hat, wie die
„Allgem. Ztg. erfährt dem Erbgroßherzog von
Baden den Hubertus⸗Hausritterorden verliehen und
demſelben die Infignien dieſes Ordens durch den
Generaladjudanten Grafen Pappenheim heute auf
Schloß Hohenburg überreichen laſſen.

Frankfurt, 20. Sept. Mit dem Schluß der
Reichstagsſeſfion iſt, wie der Weſtphäliſche Merkur
berichtet, auch die Schonzeit für die ſozialdemokra—
kratiſchen Abgeordneten zu Ende gegangen. Es
befinden ſich nämlich zur Zeit faſt alle ſozial demo—
kratiſchen Reichstagsabgeordneten im Anklagezuſtand.
In den chemnitzer Strafprozeß ſind ſechs, nämlich
Auer, Bebel, Dietz, Frohme, Viereck und. v. Vollmar
verwickelt. Diätenklagen richten ſich gegen drei
Gaſenklever, Heine und Kräcker) Heine verbüßt
außerdem zur Zeit eine Gefängnißſtrafe von ſechs
Monaten wegen Beleidigung des Vorſtandes der
Arbeiterkolonie Sahda. Noch uͤbler iſt Kräcker
daran, dem man nicht nur die Druckeret verfiegelt
und in ſeiner Perſon als ſozialdemokratiſchen Um—
ſturzverein aufgelöſt hat, ſondern auch noch 1018
Mark Diäten abverlangt für vier Seſfionen des
Reichstages. Liebknecht hat demnächſt eine Strafe
wegen Beleidigung abzubuͤßen. Singer hat eine
Unterſuchung wegen Verſtoßes gegen das preußiſche
Vereinsgeſetz, ebenſo Viereck, der außerdem noch
wegen Beleidigung der Frankfurter Polizei angeklagt
iſt. Es ſchweben alſo im Ganzen zur Zeit elf



M
— autonomen Provinzen, deren ganze

Der Rubinenſee.

Novelle von Karl von Prenzlau.

(10. Fortſetzung.)

Darnach mußte ich wohl in einer Anwandlung
Madigkeit mich in den Lehnſtuhl, der am Fenſter
Nd, geworfen haͤben und eingenickt ſein. Ich er—
Vie von einem ſcharfen, kalten Luftzug, der durch
bl Zimmer ſtrich, und vernahm in demfelben Augen⸗
* das heftige Zuſchlagen einer aͤußeren Thur.
ſprang erſchrocken auf erkannte aber die Urſache
d in dem eifigen Nordwind, der heulend um das
erde Haus fegte und Staub auf der Straße
wilbelte. Der Mond- ftand leuchtend am Himmel
ſchien faſt mit Tageshelle in mein Zimmer.
— einen Blick zum Fenſter hinaus. Die
rese lag öde und hell vom Mondlicht be—
—— vor meinen Blicken. Da ſah ich eine
* bliche Geſtalt langſamen Schrittes in der Mitte
* Straße ſich fortbewegen. Sie war trotz der
4 geringen Kälte in einer ſo leichten Klei—
* daß mir beim bloßen Anblick die Zaͤhne
erten Die Geſtalt ging bald ſchneller, bald
ſamer. oft ſchwankend, wie es mir ſchien, und
5 eine beſtimmte Richtung innehaltend. Je näher
* kam, deſto lauter pochie mein Herz, wie von
* düſteren, unheilvollen Ahnung ergriffen. Da
8 Ug es laut und dröhnend vom Kirchthurm her⸗
“ zwölf Schläge, Mitternacht. Die ſeltſaͤme
Ederin war jetzt ſo nahe gekommen, daß ich ihre
* erkennen konnte. Mir ſtand das Herz vor
ſetzen flil. es war Thereſe, meine Thereſe,




ſchlich, der nach der Befitzung des Herrn von Stein⸗
dorf füthrte.

„Was ich bei dieſer gräßlichen Entdeckung ge⸗
dacht, gefühlt, gethan, ob ich einem Wahnfinnigen
gleich durch die Zimmer meines Hauſes gelaufen
oder in gänzlicher Betäubung aller meiner Lebens⸗
geiſter auf mein Bett geſunken, weiß ich nicht
mehr.“

„Die Vorſtellung, daß ich von Derjenigen, die
ich uͤber Alles geliebt auf das ſchmählichſte ver—
rathen und betrogen worden ſei, folterte mich wie
ein nagender Schmerz. Konnte ich doch an der
Falſchheit des Mädchens nicht länger zweifeln, nach⸗
dem ich ſie mit eigenen Augen zu einem nächtlichen
Rendezvous hatte eilen ſehen. Den ganzen fol—
genden Tag hielt ich mich auf meinem Zimmer ein⸗
geſchloſſen und am Abend hatte ich mich zu einem
Entſchluß durchgearbeitet, der mir nach der Lage
der Sache am geeignetſten ſchien.“

„Ich ſchrieb einen ſehr bitteren Brief an den
Major, in welchem ich ihm in kurzen Worten von
Dem, was ich wahrgenommen, in Kenntniß ſetzte
und ihm anheimſtellte, die Geliebte ſeines Sohnes
und gleichzeitig Erzieherin ſeiner Kinder der beſſeren
Harmonie wegen für immer bei ſich zu behalten,
falls er es nicht vorziehe, ſie anderweitig zu pla—
ciren. In noch ſchärferem Tone ſchrieb ich an
Thereſe. Ich wuͤnſchte ihr Glück zu der von ihr
getroffenen Wahl, ſagte ihr, daß ich mich für zu
gut hielte, um ihrer Koketterie als Spielball zu
dienen, und überfandte ihr in einem wohlverwahr—
ten Päckchen die kleinen Angebinde und Geſchenke
mit denen fie mich hin und wieder erfreut hatte.



Um jede Annaͤherung abzuſchneiden übertrug ich
die Leiturg der wirthſchaftlichen Angelegenheiten
meinem Inſpektor und trat ſofort eine Reiſe nach
der Hauptſtadt an. Ich hatte beſchloſſen, in dem
Meere der Vergnugungen, welche eine große Stadt
bietet, Vergeſſenheit zu ſuchen. Mein Glaube an
weibliche Tugend war zu ſehr erſchüttert, als daß
ich einem vernünftigeren Plane hätte Raum ver—
ſtatten können. Wohl zuckte durch meine ver—
worrenen Vorſtellungen zuweilen der Gedanke an
die Möglichkeit, Thereſe könne dennoch ſchuldlos
ſein.“

„Wenn ich an die vielen ſo klaren Beweiſe von
Liebe und Vertrauen dachte, die das Nädchen mir
bei jeder Gelegenheit gegeben, an ihr kindlich offenes,
natuͤrliches Weſen, das ſtets in reinſter Harmonie
mit ihren Blicken Worten und Geberden ſtand und
wenn ich damit den nächtlichen Spaziergang in
Verbindung brachte für den ich trotz alles Nachdenkens
keinen auch nur einigermaßen ſtichhaltigen Grund
aufzufinden vermochte, dann konnte ich nur anneh⸗
men, daß fie entweder ein Teufel an Verſtellungs—
kunſt oder durch eine furchtbare Leidenſchaft aller
Vernunft beraubt ſein müſſe.

Bald erhielt ich einiges Licht in die Sache.
Ich war bereits drei Tage in der Hauptſtadt, da
trat am Nachmittag des vierten der Sohn des
Herrn von Steindorf in mein Zimmer.

„Sie haben an den Major v. Steindorf einen
Brief geſchrieben,“ begann er in kaltem hochfahren—
dem Tone, nachdem er in derſelben Weiſe gegrüßt
hatte, „einen Brief, in dem Sie das Fräulein Linden,
die Gouvernante meiner Geſchwiſter, auf die un—
zarteſte Weiſe eines Verhältniſſes mit mir beſchul—


 
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