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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

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Nr. 102-126 (1. - 31. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70375#0485
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In Serbien wurde die Kammer wegen des
Cabinetswechsels nach Hause geschickt und wird wohl auf-
gelöst werden.
Die russische Regierung hat die Ausweisung der
jüdischen Einwohner von Helsingfors angeordnet. Eine
Ausnahme wird nur gemacht von solchen Juden, die im
russischen Heere gedient haben und deren Kindern. Finnische
Zeitungen protestiren energisch gegen diese Maßregel.
Die jetzt auch von dem Sultan genehmigte neue
egyp tische Anleihe im Betrage von 2^ Millionen

im ungarischen Reichstag und im österreichischen Reichs-
rath eröffnet die Möglichkeit, daß schon in Friedenszeiten
die Truppenkörper in den bedrohten Grenzbezirken, wenn
die Umstände es erheischen, verstärkt werden können. Die
große Majorität, mit der das Gesetz in beiden Parla-
menten angenommen worden, erweckte in militärischen
Kreisen lebhafte Befriedigung.
In Frankreich machte Präsident Carnot eine po-
litische Rundreise im Süden des Landes. Die Deputirten-
kammer vertagte sich bis zum 15. d. Mts. — Die Bona-

s Bestellungen für die Monate
?f77s Mai mid Juni
Mi?? Heidelberger Tageblatt (General-Anzeiger)
Zeitung in ganz Baden), werden fortwährend von
Hg."! "chen Postanstalten, Briefträgern und unseren bekannten
!«h)jx zum Preise von Mk. 1.10 frei in's Haus,
"°n unseren hiesigen und den Trägern und Träge-
nächsten Umgebung zum Preise von 50 Pfg.
entgegcngenommen. Die Expedition.

1888.

Sonntag, 6. Mai

Druck und Verlag von Carl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

Verantwort!. Redacteur PH. Klausner
in Heidelberg.

täglich außer M-ntag. AdonnementvpreiS mit
6g' Unterhaltungsblatt „Bll Heidelberg", für Heidel-
' monatlich SV Pfg. mit Trägerlohn, durch die Post be-
viertclj. Mk. 1.25 ohne Zustellungsgebühr.

^Kündigungs-Blatt für die Bezirke Heidelberg, Weinheim, Schwetzingen, Mrslsch, Sinsheim, Epptnze«, Mosbach, Neckarbischofsheim, Eberdach, Asches
Druckerei und Expedition- Brunncngafse 24._Mlckdnrn, Adelsheim, KMttg, Taübttbischofsheim vnd Wertheim._Buchdruckern und Srpedition: Brmmengaffe -L-
S 107.

Anzeigen: die 1-fpaliige Peiitzritr »der deren Raum für au»,
»SrtS 1Ü Pfg., Lokalanzeigen 8 Pfg., Stellengesuche rmd
Wohnungs-Anz. 3 Pfg. Reclame LS Pfg. Bei mehrm. Erschein,
»»deutenden Rabatt. Gratis-BerbreiNmg durch Mauer-Anschlag.

Wochenschau.
Heidelberg, 5. Mai.
Heil Befinden des Kaisers hat sich in der letzten
ElM sei Dank, wesentlich gebessert, so daß der Hobe
.h^sig außerhalb des Bettes sein und den Regie-
Lhj^fichäften obliegen kann. — Der berühmte deutsche
^idel^ Bergmann ist aus der Reihe der den Kaiser bc-
^verk Aerzte ausgeschicden, nachdem er mit Mackenzie
Tei?e Auseinandersetzungen hatte, welch' letztere sogar
Egifix' Mackenzie's in der Presse Ausdruck fanden. Die
""d Tochter haben sich nach dem Ueberschwem-
hi^8^ict begeben, um sich persönlich von der dort
^jez überzeugen. — Unser Großherzog-
Hiii endlich wieder in der Heimath angelangt,
nach so vielen aufregenden und schmerzvollen
do«/ finden. Ebenso ist unser Erbgroßherzogliches
Cannes abgereist, um vorläufig noch in ver-
Orten Italiens Aufenthalt zu nehmen und dann
S in die traute Heimath zurückzukehren. Am neuen
lischt ngesetz, sowie an der Kirchenvorlage wird zwar
Ms? ^arbeitet, doch ist Positives über die gefaßten Be-
lstivunichts in die Oeffentlichkeit gedrungen. Ge-
^>ed h ^">uey feierte sein 40jährigcs Jubiläum als Mit-
Ichsn badischen Landtags. Er hat seinem Vaterlande
ili,, gr°Ke Dienste geleistet, die ihm daher gebrachte Ova-
waren wohlverdiente.
die Schweizer Socialdcmokraten protestirten gegen
Urj^weisung der nicht-schweizer Herausgeber des in
^scheinenden socialistischen Centralorgans „Der
ji, . "^wokrat". Um ein Weitererscheinen des Blattes
Alan f°^u fortan nur vollbürtigc Schweizer das
'«herausgeben.
^telih Budgetdebatte im österreichischen Abgeord-
tzex fort einen kritischen Charakter zu behalten,
^griss " «Staatspolizei" (120000 fl.) führte zu scharfen
ktzinil, gegen die Behandlung des Vereins- und Vcr-
Rt '^gsrechts, und schließlich wurde der Posten nur
Djx - Mehrheit von 24 Stimmen angenommen. —
^-Urimehr erfolgte Annahme des Reservisten-Gesetzes

partisten beschlossen, die boulangistische Bewegung fortan
lediglich in den Fragen der Kammerauflösung und der
Verfassungsrevision zu unterstützen, jedoch kein Plebiscit zu
Gunsten Boulangers zuzulassen. Einige Nachwahlen fielen
zu Gunsten der gemäßigten Republikaner aus.
Das Befinden des Königs von Holland hat sich
so verschlimmert, daß ernste Befürchtungen gehegt werden.—
Die Zusammensetzung des neuen holländischen Cabinets
findet in der liberalen Presse des Landes fortgesetzt An-
griffe, besonders auch deßwegen, weil als Minister des
Aeußern ein völliger Neuling in der Diplomatie, Herr
Hartsen, ernannt wurde, der Chef einer großen Firma,
die sich sonst mit kaufmännischen Geschäften, aber nicht
mit der Politik abgibt.
Die italienische Deputirtenkammer genehmigte den
Handelsvertrag mit Spanien. Der Ministerpräsident Crispi
hatte in längerer Rede auf die politische Freundschaft zwischen
beiden Völkern und Staaten hingcwiesen. Es verlautet,
Königin Margherita von Italien werde die spanische Aus-
stellung in Barcelona besuchen, begleitet von dem italienischen
Kronprinzen. Nachher würden beide auch Portugal be-
suchen. Gerüchtweise wird von einer möglichen Heirath
des italienischen Thronfolgers „mit einer Prinzessin latei-
nischer Rasse" gesprochen. Ein großes österreichisches Ge-
schwader ist bestimmt, gelegentlich der Ausstellung in Bar-
celona in dem dortigen Hafen zu erscheinen, und daselbst
mit dem italienischen und dem englischen Geschwader zu-
sammenzutreffen. Auf seiner Ueberfahrt soll es die wich- j
tigsten Häfen Italiens anlaufen.
Prinz Ferdinand in Bulgarien ist nach Tirnowa S
abgcreist. Als er sich im Hofe des Palais von den Offi- r
cieren der Garnison verabschiedete, sagte er zu denselben,
er werde ihre Kameraden im Norden besuchen; er freue
sich, alle Officiere um sich versammelt zu sehen, und rechne
darauf, daß sie auch ferner das Vertrauen zu ihm haben
würden, welches sie bisher stets an den Tag gelegt hätten.
Eine Anzahl hoher bulgarischer Officiere, darunter der
Getreue Fürst Alexanders Popow, wurden wegen be-
gangener Unterschleife vom Kriegsgericht zu schweren Frei-
heitsstrafen verurtheilt.

Mark zum Kurse von 95^ wird demnächst auch auf dem
Berliner Markt erscheinen; die Verhandlungen hierüber
sind seit längerer Zeit schon beendet, der Termin für die
Emission ist aber noch nicht bestimmt.
Das chinesische Auswärtige Amt in Peking hat
den König von Corea in scharfer Weise aufgefordert, sich
wegen der Vorgänge in Washington zu verantworten. Der
coreanische Sendbote hat sich dort als der Vertreter eines
von China vollständig unabhängigen Staates benommen
und nicht allein eine Audienz beim amerikanischen Staats-
secretär erlangt, ohne sich der Verabredung gemäß vom
chinesischen Gesandten einführen zu lassen, sondern sich
nicht einmal die Mühe genommen, Letzteren aufzusuchen
und zu besuchen.
In der nordamerikanischen Repräsentanten-
kammer brachte der Republikaner Morrow den Antrag ein,
die Unionsregierung solle die Samoaner unterstützen, um
eine unabhängige, aus Eingeborenen bestehende Regierung
einzusetzen. Der Antrag fordert den Präsidenten Cleveland
auf, seine guten Dienste zur Geltung zu bringen, um die
gegenwärtigen Schwierigkeiten in Samoa zu beseitigen.
Der Antrag richtet sich gegen die unter deutschem Schutz
eingesetzte Regierung des Königs Camsese, wird aber wohl
keine weiteren Folgen haben.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 4. Mai. Die Commission der Zweiten
Kammer für die örtliche Kirchensteuer beendigte schon
heute ihre Arbeiten. Die Erste Kammer nahm den
Staatsvertrag mit Württemberg, betr. den Bau der Bahn-
strecke Schramberg-Schiltach, sowie das Gebührengesetz an.
Berlin, 3. Mai. Treffend wird in der „Nat.-Ztg."
darauf hingewiescn, daß, während gegen Gustav Techow
wegen seiner politischen Vergehen im Jahre 1848 neuer-
dings ein Steckbrief erneuert worden ist, Karl Schurz,
der Befreier Gustav Klinkels, durch ein Festdiner in Berlin
gefeiert wird und eine Audienz beim Fürsten Bismarck
erhält. Auch Schurz hat sich activ an dem Zeughaus-
sturm und den Kämpfen in Baden betheiligt, hat sodann
einen königlichen Beamten bestochen und Klinkel aus dem

Die Keilchendarrte.
Roman von Carl Görlitz.
(Fortsetzung.)
«griff k T^rese das Comptor Ortmann's verlassen hatte,
Kitzein Bankier eines der vielen Schriftstücke, die auf
flgg^ Schreibtisch lagen, und warf dasselbe in das lustig
tztzd, ? Feuer des Kamins. Das Papier flammte auf
Kitze wenigen Secunden zu Asche verbrannt. Als
r von demselben mehr sichtbar war, murmelte
tzbgxo,.'«' welcher keinen Blick von dem brennenden Papier
, ^ise vor sich hin:
'°tztzte- letzte, das mir noch Angelegenheiten machen
.- nun bin ich auch dieser Sorge überhöhen.
^tzrteiw , e war indessen auf einem der großen, mit
äeß « geschmückten Plätzen angekommen. Erschöpft
Tjx-'M auf eine der dort stehenden Bänke nieder,
^iick-i.f / s^ "icht entschließen, ohne Hülfe nach Hause
tztze «E 5 sie zermarterte ihren Kopf mit Nachdenken,
Sätzen f von Ortmann einst ausgestellten Solawechsel
ftz erhgs/onnte, um darauf wenigstens eine kleine Summe
plötzlich Dabei öffnete sie das zusammengelegte Papier,
schriebt, » einen Schrei aus, sie hielt einen unbe-
O n Weißen Bogen in der Hand.
i«res hatte den Solawechsel geschickt gegen ein
«Kuno b'» Bapier vertauscht und Therese in ihrer Er-
tzicht bemerkt Verwechslung in dem Comptoir des Bankiers
Dip
sitztzw ni, ?rwe Frau glaubte bei dieser Entdeckung wahn-
«haffte k"»" müssen. Nicht nur, daß sie ohne die
»o» dem * ««ä) Hause zurückkehren sollte, hatte sie sich
welches .^Hurten auch noch das Dokument rauben lassen,
Atzsp^ch, einzige Möglichkeit gewährt hatte, etwaige
Theben ^gen Ortmann, wenigstens versuchsweise zu
dieser furchtbaren Entdeckung war TheresenS letzter

Stolz dahin. Der Trieb der Selbsterhaltung, die Qual des
mit jeder Minute schrecklicher werdenden Hungers ver-
drängte jede andere Empfindung bei ihr. Nein, ries sie
aus und erhob sich, ich will mit den Meinigen nicht unter-
gehen, ich bin zum Aeußersten bereit.
Sie wankte auf ihrem Wege weiter. Schon vor einigen
Tagen hatte ihr jene mildthätige Nachbarin, von welcher
sie heute früh die Milch für Emmy erhalten, gerathen,
sich an den Bezirksvorsteher ihres Reviers um Unterstützung
zu wenden. Was sie noch vor wenigen Tagen mit Scham
und Entrüstung von sich gewiesen, erschien ihr heute als
einzige Rettung; galt es doch das Leben.
Die Adresse des Bezirksvorstehers hatte sie auch von
jener Frau erfahren, und so machte sich Therese auf den
Weg zu diesem Manne, der ihrem fieberhaft erregten Geiste
plötzlich als Rettung verheißender Schutzengel erschien.
Wenn die Wohlthätigkeit nicht blos ein leerer Name
ist, dachte die unglückliche Frau, so muß ich ja dort Trost
und Milderung meines Elends finden. Die Aermste
glaubte, daß es an ihr gelegen hätte, warum ihr bis jetzt
noch keine Hilfe geworden; nun hatte sie das Opfer des
Entschlusses, zu betteln, gebracht, nun mußte die schlimmste
Sorge von ihren Schultern genommen werden, daran
zweifelte sie nicht mehr. Die Hoffnung belebte noch ein-
mal ihren Muth. Sie raffte die wenigen ihr noch geblie-
benen Kräfte zusammen und schleppte sich mit der größten
Anstrengung nach dem Hause des Bezirksvorstehers.
Dort wurde ihr auf ihr Klingeln von einem Diener
geöffnet. Auf ihre Frage nach dem Bezirksvorsteher deutete
der Diener auf eine kleine, an der Wand neben der Thüre
angebrachte Porzellantafel.
Wie Sie dort geschrieben sehen, sagte er, find die
Sprechstunden des Herrn Morgens von 9 bis 10 und
Abends von 5 bis 6 Uhr. Jetzt ist eS bereits halb elf,
da läßt sich der Herr nicht mehr sprechen, denn nun fitzt
er beim jw eiten Frühstück.
Ach, seufzte dir Unglückliche, wenn sie Ihrem Herrn

sagen, daß ich dem Hunger erliege, so wird er mir gewiß
gern einige Minuten Gehör geben.
Ich darf nicht, wenn ich auch wollte, erwiderte der
Bediente; die Weisung, nur in den dazu bestimmten
Sprechstunden arme Leute zu melden, ist zu streng.
Fügen Sie hinzu, bat Therese, in Todesangst, daß
mein Mann seit Monaten gelähmt darniederliegt und mein
einziges Kind seit vorgestern auch erkrankt ist.
Der Diener nickte zustimmend bei jedem Worte, das
die Unglückliche sprach, und dieselbe glaubte, daß sie das
Herz des Bedienten gerührt hätte, aber er nickte nur, weil
er jedes ihrer Worte schon hundert Mal von andern Bitt-
stellern gehört hatte und ihre ganze Rede vorher kannte.
Aber er gehörte nicht zu den Gefühllosesten seines Standes,
daher blieb er ruhig und hörte geduldig zu.
Das können Sie Alles dem Herrn am Nach-
mittage selbst sagen, kommen Sie nur zwischen 5 und 6
Uhr wieder.
Therese rang die Hände. Gott im Himmel, klagte
sie, wenn Sie wüßten, welche Martern ich schon im
Leben und selbst heute noch auszustehen gehabt habe, bis
ich mich zu diesem Wege entschloß.
Der Diener nickte fortwährend beistimmend, ohne ihr
zu antworten.
TheresenS Flehen wurde Plötzlich durch den Klang
einer Glocke unterbrochen. Der Diener fuhr erschreckt
zusammen.
Da klingelt der Herr, ich sollte ihm das gebratene
Kotelette dann hineinbringen. Sie haben mich davon ab-
gehalten, nun werde ich Ihretwegen einen Verweis er-
halten. Er war gutmüthig genug, um noch schnell hin-
zuzusetzen : Kommen Sie heute Nachmittag zwischen 5 und
6 Uhr wieder. Damit klappte er rasch die Thüre zu.
Therese wankt die Treppe hinab, aber kaum ist sie
aus dem Hause getreten, so befällt sie ein Schwindel, sie
taumelt, ihre Knie brechen und sie fällt von dem Trottoir
auf den Straßendamm.
 
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