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Donnerstag, den 10« Januar 1S35
Nr. 8
-Mtvr OmM Wsr Hitz
RaisßktzZs kW. MkMWt
In den letzten No-vemberwoch-e erfolgte in
Ma-i-la-nd nach altem Brauch die feierliche Er-
öffnung -des akademischen Jahres der Univer-
sitäten und sonstigen a-kad-emif'chen Institute
der Stadt. Den Rahmen für die Eröffnungs-
feierlichkeiten -bot der historische Ratsaal des
Castells, -in dem einst die Sforza regiert Haden.
Neben einer Reihe anderer Festredner kam da-
bei auch ?. Ago-stino Gemelli O. F. M., der
Rektor der Mailänder Herz-Jesu-Univ-ersität
Zu Wort. Lant dem „Osse'vvatore Romano"
vom 27. 11. 34. führte er u. a. folgendes über
die Tätigkeit der Mailänder katholischen Uni-
versität und -ihre Stellung im akademischen Le-
ben Italiens aus: Die Mailänder H-erz-Jchu-
Universität blickt aus einen 14jährigen Bestand
zurück; vor 10 Jahren erhielt sie ihre rechtliche
Anerkennung durch -den Staat. Die Zahl der
Studenten, die sich auf ihren Fakultäten auf
akademische Diplome vorbereiten, beträgt heute
bereits nahezu 2000, nämlich 1988. 512 Stu-
dierende sind an der Fakultät für Literatur
und Philosophie inskribiert, 333 an der rechts-
wissenschaftlichen Fakultät, 134 an der Fakul-
tät für politische, wirtschaftliche und kommer-
zielle Wissenschaften; 918 Studierende besuchen
das Institut für höhere Lehrerbildung, das
mit der Universität vereinigt ist, 94 die der
Universität angegli-edert-en Fortbildungsschu-
len. Nur ein geringer Bruchteil der Studen-
ten -stammt aus Mailand und -der Mailänder
Pravin-z; die Herz-Jesu-Universität ist in
Wahrheit zu einem Athenäum der -italienischen
Katholiken aus allen Teilen des Landes ge-
worden. Auch -die Zahl der ausländischen Stu-
dierenden -wächst zusehends. Die demnächst be-
vorstehende Einweihung der zwei Un-ivers-i-
tätslollegien, des Augustinian-um und Lud-o-
vi-cianum, bedeutet einen weste-ren Schritt zur
Ausgestaltung der Universität in eins kleine
Universitätsstadt. Im letzten Jahre konnten
zwei neue Lehrkanzeln, eine für spanische Spra-
che und eine für rumänische Sprache, geschaf-
fen werden. Sehr bewährt haben sich die außer-
ordentlichen Kurse, di-e -seit einiger Zeit alljähr-
lich abgehalt-en werden. Im letzten Jahr hat-
ten sie die Wirtschaftskrise, die Adriafrags, die
Pandekten, die Geschichte des Theaters, die
Mi-t dieser Frage beschäftigt sich Dr. Wil-
helm Rößle, Jena, in einem soeben erschie-
nenen Buch „Ständestaat und politischer
Staat", I. C. Mohr (Paul Siebecks Tübin-
gen. Diese Neuerscheinung verdient nicht nur
wegen der darin versuchten Antwort auf obige
Frage besondere Beachtung, sondern auch des-
wegen, weil noch fahr viel Unklarheit in der
Allgemeinheit gerade über den Begriff
„Ständestaat" f-estzustellen ist. Um so mehr ist
es erforderlich, daß darüber Klarheit ge-
schaffen wird, um mit übernommenen Schlag-
worten, die noch nicht -das Rechte treffen, auf-
zuräum-sn und den Maßnahmen unserer Re-
gierung ani Politischem Gebiet weiteres Ver-
ständnis zu verschaffen. Ob der Verfasser mit
seiner Antwort auf die Frage, ob der natio-
nalsozialistische Staat ein Ständestaat ist, das
Richtige getroffen hat oder nicht, dürste wohl
bald von der Führung der Praktischen Poli-
tik der NSDAP, und des Staates gesagt
werden.
Nach Prüfung des Programms der N. S.
D. A P. und den zu ihr gegebenen authenti-
schen Erläuterungen, unter Berücksichtigung
des Hitlerbuches „Mein Kampf" und vor allem
der bisherigen Gesetzgebung des Dritten Rei-
ches kommt der Verfasser zu der Schlußfol-
gerung: Der Begriff Ständestaat kann auf
den nationalsozialistischen Staat Adolf Hit-
lers nicht in Anwendung kommen. Bei seiner
Beweisführung zieh-t Rößle auch das faschi-
stische Beispiel und Gegenbeispiels aus dem
Mittelalterlichen Ständestaat und anders-
woher heran.
Lafsen wir nunmehr den Verfasser selbst
das Ergebnis seiner Untersuchung Zusammen-
fassen:
„Dreifach ist die Möglichkeit für das Ver-
hältnis der Stände zum Staat:
1. Sie sind selbst der Staat.
2. Sie erzeugen den Staa-tz
3. Sie sind dem Staat unterworfen.
„Beruhte der mittelalterliche Staat auf den
gesellschaftlichen Gruppen, der absolutistische
Staat auf dem Staatsapparat des Landes-
herrn, der liberale Staat auf den wirtschaft-
lichen Gruppen, so beruht der nationalsozia-
listische Staat auf der nationalsozialistischen
Partei. Damit tritt (ähnlich wie im faschi-
stischen Staat) in der Geschichte der Staatsge-
staltungen -etwas ganz Neues auf: Der Ver-
such, dis staatliche Willensbildung grundsätz-
lich außerhalb von Wirtschaft und Gesell-
schaft, ja sogar auch außerhalb des Staats-
apparates zu begründen. Die treffende Be-
zeichnung für diese Staatsform ist noch nicht
gefunden. Das Wort „Führerstaat" kennzeich-
net nur das inn-erwganisatorische Prinzip
des Staates, nämlich oie Art, wie die staat-
liche Willensbildung stattfindet, nicht aber
Gedanken zu sammeln. „Wo hat er denn ae-
Am Morgen des Heiligen Abends muhte
Anw jeimLn S' ' '
der nationalsozialistische Staat
ein Ständestaat?
das, worauf es bei der endgültigen Bestim-
mung einer Staatsform ankommt: Wo der
staatliche Wille gebildet wird. Dis Erklärung
Adolf Hitlers vor den politischen Leitern der
NSDAP, -auf dem Parteitag 1934 in Nürn-
berg hat über diesen Punkt jeden Zweifel be-
seitigt: „Nicht der Staat befiehlt uns, son-
dern wir befehlen -dem Staat. Nicht der Staat
hat uns geschaffen, sondern wir schaffen den
Staat."
An einer anderen Stelle sagt der Verfas-
ser: „Es ist hier nicht der Ort, Erwägungen
über den Träger der Souveränität im natio-
nalsozialistischen Staat nachzuge-ben — hier
handelt es sich nur darum, den tieferen Grund
für die Verlagerung der staatlichen Willens-
bildung in die nationalsozialistische Partei
hervorzuheben. Dieser liegt in der deutschen
staatlichen Geschichte, deren Erbe der Natio-
nalsozialismus an,getreten hat. War die staat-
liche Willensbildung im mittelalterlichen
Staat in -die Rivalität des Gesellschaftlichen
verstrickt, die des modernen Staates in die
Rivalität des Wirtschaftlichen, so verlegt -d-er
nationalsozialistische Staat die staatliche Wil-
lensbil-dung -ausschließlich in das Politische,
dem „das Politische" kein lebmrdiger Begriff
ist. Das Politische ist der Inbegriff des Selbst-
beh-auptungswillens einer völkischen Gemein-
schaft über alle in dieser Gemeinschaft vor-
handenen sonstigen Gegensätze hinweg. Die
Partei ist das Organ, in dem dieser politische
Wille rein erhalten und immer wieder in sich
selbst entfacht wird, und von wo aus er immer
wieder in die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und staatlichen Gliederungen des Volkes ein-
strömen sgll. Man kann -deshalb den natio-
nalsozialistischen Staat als „den politischen
Staat schlechthin" bezeichnen."
„Mit der Stellung der nationalsozialisti-
schen Partei hat sich die Stellung des Staates
überhaupt verschoben. Seit dem Staat des
monarchischen Absolutismus haben wir uns
daran gewohnt, den „Staat an sich" als die
Verkörperung und Vertretung des Politischen
Willens Zu betrachten. Nun tritt er der den
politischen Willen verkörpernden Partei ge-
genüber und damit fast in die Reihe der
Stände. Es ist durchaus möglich, nunmehr
-die Vertreter des Staatsapparates, die Be-
amten bis hinauf zu den höchsten Funktio-
nären, als einen Stand „Staat" zu bezeich-
nen, ausgestatte> mit einer ebensolchen
„S-achsouveränität" wie etwa der Stand
„Wirtschaft" oder der Stand .. Kultur", —
aber, er ist so eben kein politischer Stand im
-eigentlichen Sinne mehr. Er steht fast in dem-
selben Verhältnis zu dem Träger des Politi-
schen Willens der Partei, wie die andern
Stände: Das der personalen Querverbindun-
gen. Denn di-e Stände stehen ja in einer dop-
LcffneiZsr-boerstl
ciurcir Verlsx Oskar Kleister, ^er6au
„Hier! Gerade hier neben diesem Buch."
„Und davon sagst du mir nichts."
Sie staunte ihn an, -als habe sie es mit
einem Unzurechnungsfähigen zu tun. „Er-
laube, lieber Anio, erst gehst du weg, ohne
mir Bescheid zu geben, dann bleibst du bis
acht Uhr abends fort, kommst verärgert nach
Hause -und ich muß dich erst fragen, was ihr
eigentlich gesucht habt. Vorher konnte ich -doch
nichts von dem Schlüssel erwähnen."
Er sah sie abbittend an. Ellys ganze Reise
nach Mailand war nun unnötig. Er mußte
ihr sofort eine Depesche n-achschicken.
Am anderen Mittag kam dies? als unbestell-
bar zurück. Er setzte das Telephon in Bewe-
gung und erfuhr, daß Frau Dr. Schütte-
Steinheil zwar vor Tagen im Hotel gewohnt
habe — Zwei ihrer Koffer stünden noch hier,
— bis jetzt aber nicht wieder eingetroffen
wäre. Er bat, ihn sofort zu benachrichtigen,
wann dies der Fall sei. Uird als nach vierund-
zwanzig Stunden noch immer kein Bescheid
kam, ließ er sich von neuem die Verbindung
mit Mailand Herstellen.
„Gott, das viele Geld!" jammerte die Amt-
männin. Der Blick, mit welchem er sie streifte,
ließ sie sofort verstummen. Schweigend zog
sie sich in die Küche zurück. Er war doch auch
gar zu nervös, ihr Anio. Wahrscheinlich lachte
sich die Elly was, hatte sich mit irgendeinem
Verehrer zusammenbestellt und amüsierte sich
prächtig.
Das Telephon schrillte so überlaut, daß sie
erschrocken -einen Topf, den sie ans Feuer
stellen wollte, auf die Herdplatte fallen ließ.
Mailand gab Bescheid: Gestern abend — sehr
spät — habe ein Herr Vorgesprächen und nach
Frau Dr. Schütte-Steinheil gefragt. Wie der
Herr aus-gesehen habe, wollte Schütte wissen.
Das vermochte der Portier nicht so ohne wei-
teres zu skizzieren. Er habe -gerade Gäste zu
empfangen gehabt -und dem Fremden nicht
sehr viel Aufmerksamkeit schenken können.
Erziehung d-er Abnormalen usw. zum Gegen-
stand. Im neuen Studienjahr werden Son-
derkurs-e über neuere Strafgesetzgebung und
päpstliches Zivilrecht abgehaldew ?. Gemelli
sprach dann über -die Erziehungsaufgab-e der
Mailänder katholischen Universität, die unter
dem Motto „Die Furcht des Herrn ist der An-
fang aller Weisheit" bestrebt ist, die Studie-
renden nicht nur zu belehren, sondern auch
religiössittlich zu bilden, ja noch mehr, sie Zu
frommen Menschen zu machen. Mit einem
Hinweis -auf das wohlwollende Interesse, das
Mussolini gegenüber der H-erz-Jesu-Universi-
tät bekundet, schloß ?. Gemelli seine Ausfüh-
rungen.
(Entnommen d-er Wochenschrift „Schönere
Zukunft" zugleich Ausgabe von „Das neue
Reich". Vewlagsgesellschaft „Schönere
Zukunft" (Dr. Jo'-es Eberls und Ver-
lagsanstalt Tyrolia A.-G., Wien).
pekten Beziehung Zu der Partei: Ein bestimm-
ter Teil ihrer Angehörigen ist als Partei-
mitglied zugleich Organ -der politischen Wil-
lensbildung, andererseits ist der Einfluß der
Partei in ihnen dadurch besonders gesichert,
daß die leitenden Stellen ihrer Gliederungen
und Untergliederungen mit bevorzugten Mit-
gliedern der Partei besetzt sind. Immerhin
steht der Stand „Staat" in einem engeren
Verhältnis zum politischen Willenszentrum,
da dessen Einfluß auf die wirtschaftlichen und
kulturellen Stände ja nicht nur durch die
Personalunion von -der Partei her, sondern
eben auch über den Staatsapparat erfolgt."
Abschließend laß: Rößle seine Untersuchun¬
gen noch einmal folgendermaßen zusammen;,
„1. Der nationalsozialistische Staat ist kern
Ständestaat, denn -er wird weder von dertz
Ständen gebildet, noch geht er aus den Stän-.
-den h-erv-or.
2. Der Sinn der nationalsozialistischen
S-tändeordnung ist, einerseits die politische
Willensbildung von den Einflüssen der ge-
sellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen
freizuhalten, andererseits eben diese Gruppen
der politischen Führung bsreitzustell-en.
3. Dem entspricht der „politische Staat",
das heißt die Verlegung der politischen Wil-
lensbldunig in -ein Organ der „reinen Poli-
tik."
machen, -daß er fürchte, Elly könnte ein Un-
glück zugestoßen sein. Der Präsident legte seine
Zeitung beiseite und -sah ihn belustigt an.
Wenn die Elly sagt, sie fährt nach Mailand,
kann sie ebenso gut nach London gefahren sein
oder sonstwohin. Warum ist sie denn eigent-
lich wieder abgereist?"
„Sie hatte ihren Safeschlüssel verloren."
Aufmerksam hörte er nun auf das, was Schütte
ihm von der ganzen Sache erzählte. „Hast du
die Polizei verständigt?" fragte -er. „Nein?
Warum denn nicht? Das wäre doch das
Nächstliegende gewesen! Und der Schlüssel hat
sich gefunden, sagst du?" Er schüttelte den
Kopf und faßte Anio scharf ins Auge. „Ist
da vielleicht irgend etwas, das du mir ver-
schweigst?"
Schüttes Blick wurde wie der eines gehetz-
ten Wildes. „Die Elly ist der Meinung, ich
selbst hätte sie bestohlen."
„Na," meinte Steinheil begütigend, „das
mußt du nicht weiter tragisch nehmen. Anio.
Die Elly ist zuweilen nicht -gerade wählerisch
in ihren Ausdrücken und manchmal sehr vor-
schnell in ihrem Urteil. Das wissen wir doch
alle. Du hast natürlich nichts herausgenom-
men."
„Nein," sagte Schütte, und in dem Glau-
ben, er habe in Steinheils Gesicht einen lei-
sen Zweifel bemerkt, sprang er erregt in die
Höhe. „Mein Ehrenwort, Vater."
„Wozu denn," besänftigte der Präsident und
dr-ückw ihn wieder auf den Stuhl nieder. „Ich
glaube dir ja. Immerhin b-alt-e ich es nun
selbst für notwendig, möglichst bald herauszu-
bringen, wo die Elly steckt. Wann wollte sie
-denn zurück sein?"
„Heute nachmittag."
Steinbeil hatte schon wieder ein Lächeln.
„Gut. Warten wir also bis heute nachmittag,
ich wollte sagen, bis heute abend. Du rufst
mich an, wenn sie nicht eintreff-en sollte."
„Ja, Vater."
Der Präsident erhob sich, Zog Anios Arm
durch den seinen und ging mit ihm nach dem
Frühstückszimmer hinüber. „Ich habe da einen
recht netten Prozeß für dich in Aussicht. Ein
kleiner, großer Bankkrach. Die Abwicklung
dürfte über ein Jahr und länger in An-
spruch nehmen. Nur nicht die Flinte ins Korn
werfen, fo -lange es noch etwas zu schießen
gibt, mein Sohn. Und wegen der Elly keine
Rrrm EsMSNM im JiMtr ksr
SWisil
Nach 40 Jahren d-er Trennung trafen sich
kürzlich in Paris acht Brüder und Schwestern,
die sich alle dem Dienste der Hei-denmiis-sion ge-
widmet hatten. Von d-en Brüdern ist -einer
Marist. Er hatte Frankreich 40 Jah-re nicht
mehr gesehen. Mehr als 25 Jahre hat er auff
einer Mi-sfions-station der F-id-schi-Jnseln ge-
wirkt und kehrt, nächstens wieder dorthin zu-
rück. Ein anderer hat als Franziskaner in In-
dien missioniert. Einer ist Kapuziner und -einer
Redemptorist. Von den vier Schwestern ist
eine Franziskanerin U. L. Frau von den En-
geln, di-e -drei andern gehören der Gesellschaft
d-er Treuen Gefährtinnen Jesu an.
Im Konvent dieser letzten Geossertschaft M
Paris fand -die Zusammenkunft statt. Es war
ein ergreifender Augenblick, als -die vier Brü-
der nach einem mit dankerfülltem Herzen ge-
sungenen Magnifioat ihren vier Schwestern,
die sich vor ihnen auf d-ie Knie geworfen -hak-
ten, den Segen erteilten. Wehmütig smpfarchsrr
die acht Geschwister bei diesem Wiedersehen,
daß ihre fünfte Schwester, auch Franziskanerin
U. L. Frau von den Engeln, schon vor eini-
gen Jahren in Indien gestorben war. ANe
neun Kinder der Familie Villaine hatten ihr
Leben als Ordensleute der He-idenm-Gion ge-
weiht. F. N.
K.OM8N VON
Olr!rei)«rr6okt88cIrutL
46) (Nachdruck verboten.)
Es wurde Mittag, ohne daß jemand nach
Hause kam. Man hatte ihr doch wenigstens
telephonisch wissen lassen können, wenn die
jungen Leute zu Tisch bei den Eltern blie-
ben. Nun hatte sie ganz umsonst gekocht. Als
gegen vier Uhr noch immer keines zurückge-
keHrt war, läwete sie bei Präsident Steinh-eil
an. Dis Herrschaften waren sehr erstaunt. Die
Elly hätte nicht bei ihnen Vorgesprächen. Auch
Anio nicht. Mama Schüütte sorge sich? Ach
woher. Die Kinder hätten wahrscheinlich Be-
kannte getroffen und amüsierten sich. Sie
sollte froh sein, wenn alles wieder so gut ins
Geleise gekommen war.
Gegen acht Uhr abends kam Schütte endlich
nach Hause, müde, verfroren, mißmutig, ner-
vös bis i-n die Fingerspitzen. Wo -seine Stie-
fel hintraten hinterließen sie nasse Spuren.
Er schob die Kleine, welche sich an seine Knie
drängte, zur Seite und sagte, er wolle gleich
zu Bett gehen. -Ob er krank wäre, sorgte sich
die Amtmännin. Er knurrte etwas, das so-
wohl ein „Ja" wie ein „Nein" bedeuten
konnte, und fragte, ob jemand dogswesen se,
oder ob jemand von den Klienten angerufen
habe. Ob er die Elly zur Bahn gebracht
hätte, wollte Mama Scbüütt" wissen und be-
kam ein ungeduldiges „Nein".
Als sie ihm noch eine Tasse heißen Flie-
dertees ans Bett brachte, fragte sie: „Nach
was hat denn Elly heute so aufgeregt gesucht?"
„Nach ihrem Safeschlüsssl."
„Ach," meinte sie erleichtert, „warum habr
ihr denn das nicht gleich gesagt. Ich Habs
nachmittag dein Büro gesäubert und einen
Schlüssel gefunden, der es vielleicht sein
könnte: -ein kleiner, ganz komisch geformter
Schlüssel." Mit einem Ruck flog die Decke zu-
rück, und An-io sprang auf den Boden. Sie
lief ihm voraus und -holte aus d-er Schublade
des Schreibtisches -den Schlüssel, -den sie h-inein-
gslegt hatte. „Ist er das?"
Schütte trank ein Glas Wein und ginH
-dann mit dem Schwiegervater nach dem Fu-
stizpalast. Vor dem Hauptportal winkte Hm
der Präsident noch einmal zu. Dann schlugen
die schweren Türen hinter ihm zusamm-sn.
„Wir hätten die Elly besser erziehen sollen,"
sagte Steinheil am Heiligen Abend, nachdem
ihm Schütte mit-ge^eilt hatte, daß er noch im-
mer vergeblich auf sie warte. „Nun läßt sie
den armen Menschen sogar an dem heutigen
Tage im Stich."
Die Präsidentin betrachtete mit seitwärts
geneigtem Kopf -den geschmückten Christb-aum
und war nicht ganz zufrieden. Die . Kerzen
hatten einen Stich ins Gelbe und. sie hatte
weiße gewollt. „Soviel gute Partien hätte
sie machen können," sagte sie, als Steinheil
es -schon auf-gegeben hatte, überhaupt eine Ant-
wort zu bekommen. „Und gerade die schlech-
teste bat sie sich hsrausgesucht."
Steinheil haßte allen Widerspruch, aber
so -ganz ohne jede Verteidigung wollte er
Schütte doch nicht lassen. „Ich weiß nicht",
meinte er und befestigte noch.einen.Streifen
Lamettag an einem Aestchen. „ich schätze Anio
beute noch ebenso wie ich En früher geschätzt
b-abe. Er ill sicher keine Größe in der Justiz.
Aber er stellt seinen Mann."
„Und wird es nie zu Bwas anderem brin-
gen, als zu einem simplen Rechtsanwalt,"
sagte sie -abfällig.
Er lachte ihr gutmütig darein. „Es kann
nicht jeder Präsident werden, mein Liebes.
Tis Hauptsache bleibt, daß du mit mir Zu-
frieden bist." Und als sie ihn aus schiefen
Augen ansah, küsste er sie rasch auf den Mund,
denn er war nicht nur ein kluger Jurist, son-
dern auch ein kluger Eb-cmann, was unter
Umständen mindestens ebensoviel wert war,
wenn nicht Zuweilen noch mehr.
Schütte kam -gegen neun Uhr abends und
brachte Klein-Ellen mit. Aber es wollte keine
Stimmung aufkommen. Der Präsident war
ärgerlich auf die Tollster. Seine Frau wollte
von Anio noch einmal alles wiederholt, ha-
ben, was sich in den wenigen Stunden ihres
Beisammenseins ereignet hatte. Schütte selbst
war von einer Nervosität, die nur mehr eines
Funkens bedurfte, um lichterloh empovzu-
, schlagen.
Während seine Hand darnach griff, mußte Schütte bat, ihm sofort Nachricht Zu geben,
er sich Zugleich.an die Stirne fassen um seine wenn seine Frau eintreff-en sollte.
Donnerstag, den 10« Januar 1S35
Nr. 8
-Mtvr OmM Wsr Hitz
RaisßktzZs kW. MkMWt
In den letzten No-vemberwoch-e erfolgte in
Ma-i-la-nd nach altem Brauch die feierliche Er-
öffnung -des akademischen Jahres der Univer-
sitäten und sonstigen a-kad-emif'chen Institute
der Stadt. Den Rahmen für die Eröffnungs-
feierlichkeiten -bot der historische Ratsaal des
Castells, -in dem einst die Sforza regiert Haden.
Neben einer Reihe anderer Festredner kam da-
bei auch ?. Ago-stino Gemelli O. F. M., der
Rektor der Mailänder Herz-Jesu-Univ-ersität
Zu Wort. Lant dem „Osse'vvatore Romano"
vom 27. 11. 34. führte er u. a. folgendes über
die Tätigkeit der Mailänder katholischen Uni-
versität und -ihre Stellung im akademischen Le-
ben Italiens aus: Die Mailänder H-erz-Jchu-
Universität blickt aus einen 14jährigen Bestand
zurück; vor 10 Jahren erhielt sie ihre rechtliche
Anerkennung durch -den Staat. Die Zahl der
Studenten, die sich auf ihren Fakultäten auf
akademische Diplome vorbereiten, beträgt heute
bereits nahezu 2000, nämlich 1988. 512 Stu-
dierende sind an der Fakultät für Literatur
und Philosophie inskribiert, 333 an der rechts-
wissenschaftlichen Fakultät, 134 an der Fakul-
tät für politische, wirtschaftliche und kommer-
zielle Wissenschaften; 918 Studierende besuchen
das Institut für höhere Lehrerbildung, das
mit der Universität vereinigt ist, 94 die der
Universität angegli-edert-en Fortbildungsschu-
len. Nur ein geringer Bruchteil der Studen-
ten -stammt aus Mailand und -der Mailänder
Pravin-z; die Herz-Jesu-Universität ist in
Wahrheit zu einem Athenäum der -italienischen
Katholiken aus allen Teilen des Landes ge-
worden. Auch -die Zahl der ausländischen Stu-
dierenden -wächst zusehends. Die demnächst be-
vorstehende Einweihung der zwei Un-ivers-i-
tätslollegien, des Augustinian-um und Lud-o-
vi-cianum, bedeutet einen weste-ren Schritt zur
Ausgestaltung der Universität in eins kleine
Universitätsstadt. Im letzten Jahre konnten
zwei neue Lehrkanzeln, eine für spanische Spra-
che und eine für rumänische Sprache, geschaf-
fen werden. Sehr bewährt haben sich die außer-
ordentlichen Kurse, di-e -seit einiger Zeit alljähr-
lich abgehalt-en werden. Im letzten Jahr hat-
ten sie die Wirtschaftskrise, die Adriafrags, die
Pandekten, die Geschichte des Theaters, die
Mi-t dieser Frage beschäftigt sich Dr. Wil-
helm Rößle, Jena, in einem soeben erschie-
nenen Buch „Ständestaat und politischer
Staat", I. C. Mohr (Paul Siebecks Tübin-
gen. Diese Neuerscheinung verdient nicht nur
wegen der darin versuchten Antwort auf obige
Frage besondere Beachtung, sondern auch des-
wegen, weil noch fahr viel Unklarheit in der
Allgemeinheit gerade über den Begriff
„Ständestaat" f-estzustellen ist. Um so mehr ist
es erforderlich, daß darüber Klarheit ge-
schaffen wird, um mit übernommenen Schlag-
worten, die noch nicht -das Rechte treffen, auf-
zuräum-sn und den Maßnahmen unserer Re-
gierung ani Politischem Gebiet weiteres Ver-
ständnis zu verschaffen. Ob der Verfasser mit
seiner Antwort auf die Frage, ob der natio-
nalsozialistische Staat ein Ständestaat ist, das
Richtige getroffen hat oder nicht, dürste wohl
bald von der Führung der Praktischen Poli-
tik der NSDAP, und des Staates gesagt
werden.
Nach Prüfung des Programms der N. S.
D. A P. und den zu ihr gegebenen authenti-
schen Erläuterungen, unter Berücksichtigung
des Hitlerbuches „Mein Kampf" und vor allem
der bisherigen Gesetzgebung des Dritten Rei-
ches kommt der Verfasser zu der Schlußfol-
gerung: Der Begriff Ständestaat kann auf
den nationalsozialistischen Staat Adolf Hit-
lers nicht in Anwendung kommen. Bei seiner
Beweisführung zieh-t Rößle auch das faschi-
stische Beispiel und Gegenbeispiels aus dem
Mittelalterlichen Ständestaat und anders-
woher heran.
Lafsen wir nunmehr den Verfasser selbst
das Ergebnis seiner Untersuchung Zusammen-
fassen:
„Dreifach ist die Möglichkeit für das Ver-
hältnis der Stände zum Staat:
1. Sie sind selbst der Staat.
2. Sie erzeugen den Staa-tz
3. Sie sind dem Staat unterworfen.
„Beruhte der mittelalterliche Staat auf den
gesellschaftlichen Gruppen, der absolutistische
Staat auf dem Staatsapparat des Landes-
herrn, der liberale Staat auf den wirtschaft-
lichen Gruppen, so beruht der nationalsozia-
listische Staat auf der nationalsozialistischen
Partei. Damit tritt (ähnlich wie im faschi-
stischen Staat) in der Geschichte der Staatsge-
staltungen -etwas ganz Neues auf: Der Ver-
such, dis staatliche Willensbildung grundsätz-
lich außerhalb von Wirtschaft und Gesell-
schaft, ja sogar auch außerhalb des Staats-
apparates zu begründen. Die treffende Be-
zeichnung für diese Staatsform ist noch nicht
gefunden. Das Wort „Führerstaat" kennzeich-
net nur das inn-erwganisatorische Prinzip
des Staates, nämlich oie Art, wie die staat-
liche Willensbildung stattfindet, nicht aber
Gedanken zu sammeln. „Wo hat er denn ae-
Am Morgen des Heiligen Abends muhte
Anw jeimLn S' ' '
der nationalsozialistische Staat
ein Ständestaat?
das, worauf es bei der endgültigen Bestim-
mung einer Staatsform ankommt: Wo der
staatliche Wille gebildet wird. Dis Erklärung
Adolf Hitlers vor den politischen Leitern der
NSDAP, -auf dem Parteitag 1934 in Nürn-
berg hat über diesen Punkt jeden Zweifel be-
seitigt: „Nicht der Staat befiehlt uns, son-
dern wir befehlen -dem Staat. Nicht der Staat
hat uns geschaffen, sondern wir schaffen den
Staat."
An einer anderen Stelle sagt der Verfas-
ser: „Es ist hier nicht der Ort, Erwägungen
über den Träger der Souveränität im natio-
nalsozialistischen Staat nachzuge-ben — hier
handelt es sich nur darum, den tieferen Grund
für die Verlagerung der staatlichen Willens-
bildung in die nationalsozialistische Partei
hervorzuheben. Dieser liegt in der deutschen
staatlichen Geschichte, deren Erbe der Natio-
nalsozialismus an,getreten hat. War die staat-
liche Willensbildung im mittelalterlichen
Staat in -die Rivalität des Gesellschaftlichen
verstrickt, die des modernen Staates in die
Rivalität des Wirtschaftlichen, so verlegt -d-er
nationalsozialistische Staat die staatliche Wil-
lensbil-dung -ausschließlich in das Politische,
dem „das Politische" kein lebmrdiger Begriff
ist. Das Politische ist der Inbegriff des Selbst-
beh-auptungswillens einer völkischen Gemein-
schaft über alle in dieser Gemeinschaft vor-
handenen sonstigen Gegensätze hinweg. Die
Partei ist das Organ, in dem dieser politische
Wille rein erhalten und immer wieder in sich
selbst entfacht wird, und von wo aus er immer
wieder in die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und staatlichen Gliederungen des Volkes ein-
strömen sgll. Man kann -deshalb den natio-
nalsozialistischen Staat als „den politischen
Staat schlechthin" bezeichnen."
„Mit der Stellung der nationalsozialisti-
schen Partei hat sich die Stellung des Staates
überhaupt verschoben. Seit dem Staat des
monarchischen Absolutismus haben wir uns
daran gewohnt, den „Staat an sich" als die
Verkörperung und Vertretung des Politischen
Willens Zu betrachten. Nun tritt er der den
politischen Willen verkörpernden Partei ge-
genüber und damit fast in die Reihe der
Stände. Es ist durchaus möglich, nunmehr
-die Vertreter des Staatsapparates, die Be-
amten bis hinauf zu den höchsten Funktio-
nären, als einen Stand „Staat" zu bezeich-
nen, ausgestatte> mit einer ebensolchen
„S-achsouveränität" wie etwa der Stand
„Wirtschaft" oder der Stand .. Kultur", —
aber, er ist so eben kein politischer Stand im
-eigentlichen Sinne mehr. Er steht fast in dem-
selben Verhältnis zu dem Träger des Politi-
schen Willens der Partei, wie die andern
Stände: Das der personalen Querverbindun-
gen. Denn di-e Stände stehen ja in einer dop-
LcffneiZsr-boerstl
ciurcir Verlsx Oskar Kleister, ^er6au
„Hier! Gerade hier neben diesem Buch."
„Und davon sagst du mir nichts."
Sie staunte ihn an, -als habe sie es mit
einem Unzurechnungsfähigen zu tun. „Er-
laube, lieber Anio, erst gehst du weg, ohne
mir Bescheid zu geben, dann bleibst du bis
acht Uhr abends fort, kommst verärgert nach
Hause -und ich muß dich erst fragen, was ihr
eigentlich gesucht habt. Vorher konnte ich -doch
nichts von dem Schlüssel erwähnen."
Er sah sie abbittend an. Ellys ganze Reise
nach Mailand war nun unnötig. Er mußte
ihr sofort eine Depesche n-achschicken.
Am anderen Mittag kam dies? als unbestell-
bar zurück. Er setzte das Telephon in Bewe-
gung und erfuhr, daß Frau Dr. Schütte-
Steinheil zwar vor Tagen im Hotel gewohnt
habe — Zwei ihrer Koffer stünden noch hier,
— bis jetzt aber nicht wieder eingetroffen
wäre. Er bat, ihn sofort zu benachrichtigen,
wann dies der Fall sei. Uird als nach vierund-
zwanzig Stunden noch immer kein Bescheid
kam, ließ er sich von neuem die Verbindung
mit Mailand Herstellen.
„Gott, das viele Geld!" jammerte die Amt-
männin. Der Blick, mit welchem er sie streifte,
ließ sie sofort verstummen. Schweigend zog
sie sich in die Küche zurück. Er war doch auch
gar zu nervös, ihr Anio. Wahrscheinlich lachte
sich die Elly was, hatte sich mit irgendeinem
Verehrer zusammenbestellt und amüsierte sich
prächtig.
Das Telephon schrillte so überlaut, daß sie
erschrocken -einen Topf, den sie ans Feuer
stellen wollte, auf die Herdplatte fallen ließ.
Mailand gab Bescheid: Gestern abend — sehr
spät — habe ein Herr Vorgesprächen und nach
Frau Dr. Schütte-Steinheil gefragt. Wie der
Herr aus-gesehen habe, wollte Schütte wissen.
Das vermochte der Portier nicht so ohne wei-
teres zu skizzieren. Er habe -gerade Gäste zu
empfangen gehabt -und dem Fremden nicht
sehr viel Aufmerksamkeit schenken können.
Erziehung d-er Abnormalen usw. zum Gegen-
stand. Im neuen Studienjahr werden Son-
derkurs-e über neuere Strafgesetzgebung und
päpstliches Zivilrecht abgehaldew ?. Gemelli
sprach dann über -die Erziehungsaufgab-e der
Mailänder katholischen Universität, die unter
dem Motto „Die Furcht des Herrn ist der An-
fang aller Weisheit" bestrebt ist, die Studie-
renden nicht nur zu belehren, sondern auch
religiössittlich zu bilden, ja noch mehr, sie Zu
frommen Menschen zu machen. Mit einem
Hinweis -auf das wohlwollende Interesse, das
Mussolini gegenüber der H-erz-Jesu-Universi-
tät bekundet, schloß ?. Gemelli seine Ausfüh-
rungen.
(Entnommen d-er Wochenschrift „Schönere
Zukunft" zugleich Ausgabe von „Das neue
Reich". Vewlagsgesellschaft „Schönere
Zukunft" (Dr. Jo'-es Eberls und Ver-
lagsanstalt Tyrolia A.-G., Wien).
pekten Beziehung Zu der Partei: Ein bestimm-
ter Teil ihrer Angehörigen ist als Partei-
mitglied zugleich Organ -der politischen Wil-
lensbildung, andererseits ist der Einfluß der
Partei in ihnen dadurch besonders gesichert,
daß die leitenden Stellen ihrer Gliederungen
und Untergliederungen mit bevorzugten Mit-
gliedern der Partei besetzt sind. Immerhin
steht der Stand „Staat" in einem engeren
Verhältnis zum politischen Willenszentrum,
da dessen Einfluß auf die wirtschaftlichen und
kulturellen Stände ja nicht nur durch die
Personalunion von -der Partei her, sondern
eben auch über den Staatsapparat erfolgt."
Abschließend laß: Rößle seine Untersuchun¬
gen noch einmal folgendermaßen zusammen;,
„1. Der nationalsozialistische Staat ist kern
Ständestaat, denn -er wird weder von dertz
Ständen gebildet, noch geht er aus den Stän-.
-den h-erv-or.
2. Der Sinn der nationalsozialistischen
S-tändeordnung ist, einerseits die politische
Willensbildung von den Einflüssen der ge-
sellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen
freizuhalten, andererseits eben diese Gruppen
der politischen Führung bsreitzustell-en.
3. Dem entspricht der „politische Staat",
das heißt die Verlegung der politischen Wil-
lensbldunig in -ein Organ der „reinen Poli-
tik."
machen, -daß er fürchte, Elly könnte ein Un-
glück zugestoßen sein. Der Präsident legte seine
Zeitung beiseite und -sah ihn belustigt an.
Wenn die Elly sagt, sie fährt nach Mailand,
kann sie ebenso gut nach London gefahren sein
oder sonstwohin. Warum ist sie denn eigent-
lich wieder abgereist?"
„Sie hatte ihren Safeschlüssel verloren."
Aufmerksam hörte er nun auf das, was Schütte
ihm von der ganzen Sache erzählte. „Hast du
die Polizei verständigt?" fragte -er. „Nein?
Warum denn nicht? Das wäre doch das
Nächstliegende gewesen! Und der Schlüssel hat
sich gefunden, sagst du?" Er schüttelte den
Kopf und faßte Anio scharf ins Auge. „Ist
da vielleicht irgend etwas, das du mir ver-
schweigst?"
Schüttes Blick wurde wie der eines gehetz-
ten Wildes. „Die Elly ist der Meinung, ich
selbst hätte sie bestohlen."
„Na," meinte Steinheil begütigend, „das
mußt du nicht weiter tragisch nehmen. Anio.
Die Elly ist zuweilen nicht -gerade wählerisch
in ihren Ausdrücken und manchmal sehr vor-
schnell in ihrem Urteil. Das wissen wir doch
alle. Du hast natürlich nichts herausgenom-
men."
„Nein," sagte Schütte, und in dem Glau-
ben, er habe in Steinheils Gesicht einen lei-
sen Zweifel bemerkt, sprang er erregt in die
Höhe. „Mein Ehrenwort, Vater."
„Wozu denn," besänftigte der Präsident und
dr-ückw ihn wieder auf den Stuhl nieder. „Ich
glaube dir ja. Immerhin b-alt-e ich es nun
selbst für notwendig, möglichst bald herauszu-
bringen, wo die Elly steckt. Wann wollte sie
-denn zurück sein?"
„Heute nachmittag."
Steinbeil hatte schon wieder ein Lächeln.
„Gut. Warten wir also bis heute nachmittag,
ich wollte sagen, bis heute abend. Du rufst
mich an, wenn sie nicht eintreff-en sollte."
„Ja, Vater."
Der Präsident erhob sich, Zog Anios Arm
durch den seinen und ging mit ihm nach dem
Frühstückszimmer hinüber. „Ich habe da einen
recht netten Prozeß für dich in Aussicht. Ein
kleiner, großer Bankkrach. Die Abwicklung
dürfte über ein Jahr und länger in An-
spruch nehmen. Nur nicht die Flinte ins Korn
werfen, fo -lange es noch etwas zu schießen
gibt, mein Sohn. Und wegen der Elly keine
Rrrm EsMSNM im JiMtr ksr
SWisil
Nach 40 Jahren d-er Trennung trafen sich
kürzlich in Paris acht Brüder und Schwestern,
die sich alle dem Dienste der Hei-denmiis-sion ge-
widmet hatten. Von d-en Brüdern ist -einer
Marist. Er hatte Frankreich 40 Jah-re nicht
mehr gesehen. Mehr als 25 Jahre hat er auff
einer Mi-sfions-station der F-id-schi-Jnseln ge-
wirkt und kehrt, nächstens wieder dorthin zu-
rück. Ein anderer hat als Franziskaner in In-
dien missioniert. Einer ist Kapuziner und -einer
Redemptorist. Von den vier Schwestern ist
eine Franziskanerin U. L. Frau von den En-
geln, di-e -drei andern gehören der Gesellschaft
d-er Treuen Gefährtinnen Jesu an.
Im Konvent dieser letzten Geossertschaft M
Paris fand -die Zusammenkunft statt. Es war
ein ergreifender Augenblick, als -die vier Brü-
der nach einem mit dankerfülltem Herzen ge-
sungenen Magnifioat ihren vier Schwestern,
die sich vor ihnen auf d-ie Knie geworfen -hak-
ten, den Segen erteilten. Wehmütig smpfarchsrr
die acht Geschwister bei diesem Wiedersehen,
daß ihre fünfte Schwester, auch Franziskanerin
U. L. Frau von den Engeln, schon vor eini-
gen Jahren in Indien gestorben war. ANe
neun Kinder der Familie Villaine hatten ihr
Leben als Ordensleute der He-idenm-Gion ge-
weiht. F. N.
K.OM8N VON
Olr!rei)«rr6okt88cIrutL
46) (Nachdruck verboten.)
Es wurde Mittag, ohne daß jemand nach
Hause kam. Man hatte ihr doch wenigstens
telephonisch wissen lassen können, wenn die
jungen Leute zu Tisch bei den Eltern blie-
ben. Nun hatte sie ganz umsonst gekocht. Als
gegen vier Uhr noch immer keines zurückge-
keHrt war, läwete sie bei Präsident Steinh-eil
an. Dis Herrschaften waren sehr erstaunt. Die
Elly hätte nicht bei ihnen Vorgesprächen. Auch
Anio nicht. Mama Schüütte sorge sich? Ach
woher. Die Kinder hätten wahrscheinlich Be-
kannte getroffen und amüsierten sich. Sie
sollte froh sein, wenn alles wieder so gut ins
Geleise gekommen war.
Gegen acht Uhr abends kam Schütte endlich
nach Hause, müde, verfroren, mißmutig, ner-
vös bis i-n die Fingerspitzen. Wo -seine Stie-
fel hintraten hinterließen sie nasse Spuren.
Er schob die Kleine, welche sich an seine Knie
drängte, zur Seite und sagte, er wolle gleich
zu Bett gehen. -Ob er krank wäre, sorgte sich
die Amtmännin. Er knurrte etwas, das so-
wohl ein „Ja" wie ein „Nein" bedeuten
konnte, und fragte, ob jemand dogswesen se,
oder ob jemand von den Klienten angerufen
habe. Ob er die Elly zur Bahn gebracht
hätte, wollte Mama Scbüütt" wissen und be-
kam ein ungeduldiges „Nein".
Als sie ihm noch eine Tasse heißen Flie-
dertees ans Bett brachte, fragte sie: „Nach
was hat denn Elly heute so aufgeregt gesucht?"
„Nach ihrem Safeschlüsssl."
„Ach," meinte sie erleichtert, „warum habr
ihr denn das nicht gleich gesagt. Ich Habs
nachmittag dein Büro gesäubert und einen
Schlüssel gefunden, der es vielleicht sein
könnte: -ein kleiner, ganz komisch geformter
Schlüssel." Mit einem Ruck flog die Decke zu-
rück, und An-io sprang auf den Boden. Sie
lief ihm voraus und -holte aus d-er Schublade
des Schreibtisches -den Schlüssel, -den sie h-inein-
gslegt hatte. „Ist er das?"
Schütte trank ein Glas Wein und ginH
-dann mit dem Schwiegervater nach dem Fu-
stizpalast. Vor dem Hauptportal winkte Hm
der Präsident noch einmal zu. Dann schlugen
die schweren Türen hinter ihm zusamm-sn.
„Wir hätten die Elly besser erziehen sollen,"
sagte Steinheil am Heiligen Abend, nachdem
ihm Schütte mit-ge^eilt hatte, daß er noch im-
mer vergeblich auf sie warte. „Nun läßt sie
den armen Menschen sogar an dem heutigen
Tage im Stich."
Die Präsidentin betrachtete mit seitwärts
geneigtem Kopf -den geschmückten Christb-aum
und war nicht ganz zufrieden. Die . Kerzen
hatten einen Stich ins Gelbe und. sie hatte
weiße gewollt. „Soviel gute Partien hätte
sie machen können," sagte sie, als Steinheil
es -schon auf-gegeben hatte, überhaupt eine Ant-
wort zu bekommen. „Und gerade die schlech-
teste bat sie sich hsrausgesucht."
Steinheil haßte allen Widerspruch, aber
so -ganz ohne jede Verteidigung wollte er
Schütte doch nicht lassen. „Ich weiß nicht",
meinte er und befestigte noch.einen.Streifen
Lamettag an einem Aestchen. „ich schätze Anio
beute noch ebenso wie ich En früher geschätzt
b-abe. Er ill sicher keine Größe in der Justiz.
Aber er stellt seinen Mann."
„Und wird es nie zu Bwas anderem brin-
gen, als zu einem simplen Rechtsanwalt,"
sagte sie -abfällig.
Er lachte ihr gutmütig darein. „Es kann
nicht jeder Präsident werden, mein Liebes.
Tis Hauptsache bleibt, daß du mit mir Zu-
frieden bist." Und als sie ihn aus schiefen
Augen ansah, küsste er sie rasch auf den Mund,
denn er war nicht nur ein kluger Jurist, son-
dern auch ein kluger Eb-cmann, was unter
Umständen mindestens ebensoviel wert war,
wenn nicht Zuweilen noch mehr.
Schütte kam -gegen neun Uhr abends und
brachte Klein-Ellen mit. Aber es wollte keine
Stimmung aufkommen. Der Präsident war
ärgerlich auf die Tollster. Seine Frau wollte
von Anio noch einmal alles wiederholt, ha-
ben, was sich in den wenigen Stunden ihres
Beisammenseins ereignet hatte. Schütte selbst
war von einer Nervosität, die nur mehr eines
Funkens bedurfte, um lichterloh empovzu-
, schlagen.
Während seine Hand darnach griff, mußte Schütte bat, ihm sofort Nachricht Zu geben,
er sich Zugleich.an die Stirne fassen um seine wenn seine Frau eintreff-en sollte.