Freitag, den 11. Januar 1935
Nr. 9
Notizen vom Vatikan
Ser WM empsiingt Kayltrl unr
KreruH Ker NutterkirKr KemS
In diesen /Lagen empfing Papst Pius XI. im
Dhronsaale des Vatikans sämtliche Mitglieder
des Kapitels der Laterankirche und ihres Kle-
rus unter Führung des Erzpriesters der Erz-
basilika, Kardinal Marchetti Seivagian', in
Svnderandienz. Sie brachten dem Heiligen
Vater den Dank für seine bisher der ehrwür-
digen Kirche bewiesenen Gunstbezeugungen
dar, besonders aber Nr die in der letzten Zeit
geschehenen. Besonderen Dank sprach" die De-
legation dem Papst ans für den dem Kapitel
geschenkten kunstvollen Meßkelch. Der Papst
erwiderte in herzlichen Worten und wies auf
die engen Beziehungen hin, die gerade ihn mit
der Mutterkirche Roms und der Welt immer
verbanden und verbinden werden.
SMiAWMzMnz des rsmWrn
MteWts md Adels
Im Vatikan fand ein feierlicher Empfang
der Damen und Herren des römischen Patri-
Mts und Adels durch den Pasost statt, bei
welchem der Heilige Vater deren Neujahrs-
wunsche entngegennahm. Diese Audienz spielte
sich nicht nur unter Teilnahme der führenden
Persönlichkeiten des Päpstlichen Hoses und der
päpstlichen Familie sowie der Nobelgarde ab,
sondern erhielt auch durch eine beachtenswerte
Ansprache Sr. Heiligkeit besondere Bedeu-
tung.
Nachdem der Papst mit Gefolge den Konfi-
storiumssaal betreten hatte, verlas Fürst D.
Marcantonio Colonna eine Huldigungsan-
spvache, in der er etwa folgendes aus'ührte:
Als Dolmetscher des gesamten römischen
Adels bringe er Sr. Heiligkeit die herzlichsten
Wünsche für das weitere Wohlergehen dar.
Wie in jedem Jahr, so wolle der Adel Roms
auch dieses Bdal dem Papst durch sein Erschei-
nen seinen Gehorsam und seine Ergebenheit,
zugleich aber auch seine Bereitwilligkeit, mit
dem Papst Freud und Leid, Sorgen und Hoff-
nungen zu teilen, zum Ausdruck zu bringen.
Der römische Mel werde auch weiterhin sei-
ner alten Tradition entsprechend mit Eifer sei-
nen Glauben befestigen und gestützt auf ihn
die Werks der Caritas noch steigern.
Der Papst dankte für die Geschenke und das
Erscheinen sowie für die ausgesprochenen
Wünsche für das nunmehr begonnene Jahr.
Dann fuhr der Heilige Vater wörtlich fort:
„Das Erscheinen dieser geliebten Söhne vor
ihm lei aber umso wichtiger und kennzeichnen-
der unter gegenwärtigen Zechverhältnissen und
der Zeit, welche wir durchschreiten. Wir ver-
lassen in der Tat ein J^hr, welches voll Un-
ruhen, Sorgen, Kontrasten, Verwicklungen und
Drohungen — wenige Verheißungen, viele
Drohungen — angesüllt war und wir treten
in ein neues Fahr, von dem wir Besserung
erwarten. Doch stehen die drohenden Zeichen
nicht hinter den verheißungsvollen zurück.
Denn trotz des allseitigen großen Verlangens
und der tatsächlichen äußersten Bedürftigkeit
nach Ruhe, Eintracht und Frieden, welchen die
ganze Welt nicht finden kann, vernimmt mau
noch weiterhin unheilvolle Beunruhigungen."
Daher habe dem Heiligen Vater die Kund-
gebung des römischen Patriziats und des Adels
wohlgetan gerade m gegenwärtiger Zeit. Er
wisse, daß das römische Patriziat und der
Adel Roms auch weiterhin ihren bisherigen
Traditionen treu bleiben werde: Ter Fröm-
migkeit gegen Gott, der Liebe zum Nächsten,
der Ergebenheit zum Heiligen Stuhl, zum
Statthalter Christi, zu allem, was groß und
tugendhaft ist. Darauf erteilte der Papst den
erbetenen Segen.
Ferner empfing der Herlige Vater die Alum-
nen des päpstlichen Kollegs Hollands „Pius
XI", welche nach ihren Studien in ihrer hol-
ländischen Heimat zur Vollendung derselben
nach gekommen find.
Sodann empfing der Papst dieser Tage in
Sonderaudienz die Mitglieder der bisherigen
Kommission für öffentl. Arbeiten, deren Tätig-
keit im Anschluß an die Lateranver-
träge nunmehr ihren Abschluß gefunden hat.
Der Papst fand für jeden Einzelnen anerken-
nende Worte des Dankes.
-X-
Am Sonntag empfing Papst Pius XI Sr.
Hoheit den Großmeister des Souveränen Je-
rusalems Malteserritterordens Fürst Ludwig
Chigi Allani zur Entgegennahme der Neu-
jahrswünsche in Begleitung einer Abordnung
dieses Ritterordens. Nach Verlesung einer
Adresse dankte der Papst.
p. Valentin Uamay unh sein
SeliMreKmigsprozetz
Am I. Januar sind 30 Jahre vergangen seit
dem seligen Hinscheid en des frommen Franzis-
kaners Valentin Paquay, der schon zu Leb-
zeiten im Flamenstädtchen Hasselt in Belgien
als het heilig Paterken verehrte wurde. 30
Jahre sind von Bedeutung für den Seligspre-
chungsprozeß eines Dieners Gottes; denn nach
dem Kirchlichen Gesetzbuch muß wenigstens 30
Jahre nach dem Tode die bischöfliche Unter-
suchung im sogenannten Informativ Prozeß
eingesetzt haben. Bei ?. Valentin Paquay hat
sich das viel rascher vollzogen. Das dankbare
katholUche Volk, das von Hasselt und ganz
Belgien und den Nachbarländern, auch aus
den Rheinlanden, zum Beichtstuhl dieses see-
lenkundigen Priesters strömte, hatte het heilig
Paterken vor seinem Tode heiliggesprochen.
So setzte schon 1907, gut 2 Jahre nach sei-
nem Hinscheiden, der bischöfliche Informa! iv-
Prvzeß in Lüttich sm, warm gefördert von dem
edlen Bischof Rutten, der diesem Apostel des
Beichtstuhls eine besondere Verehrung zollte.
Im selben Jahre gab die Ritenkongregation
in Rom auch schon das Dekret, seinen schriftli-
chen Nachlaß zu sammeln. I9II war der bi-
schöfliche Vorprozeß abgeschlossen und nach
Rom gebracht, so daß Pius X. die Nachprüfung
anordnen konnte. In dieser Zeit wirkte in Has-
selt als Vice-Postulator besonders eifrig ein
deutscher Franziskaner, der Rheinländer Ja-
nuarius van den Borg. Der Weltkrieg hemmte
leider die ruhige Entwicklung dieser so ver-
heißungsvoll begonnenen Angelegenheit.
Nach dem Kriege wurde der unermüdliche
Deutschösterreicher Kardinal Fruhwirth der
Vertreter (Relator) des Prozesses bei der
römischen Kurie. Dieser einflußreiche Kirchen-
fürst konnte Papst Pius XI. 1922 die Er-
öffnung des päpstlichen Seligsprech ungsprozes-
ses Vorschlägen, und nun halte sich die Con-
gregatio Rituum häufig mA dem seeleneifrigen
Pater von Hasselt zu befassen. 1924 gab die
Kongregation den Auftrag, den Apostolischen
Prozeß über die Tugenden des Dieners Got-
tes im einzelnen zu eröffnen, und auch diesen
Prozeß konnte der 85jährige Bischof Rutten
1926 in Lüttich zu Ende führen und im selben
Jahre die Reliquien des Dieners Gottes in
die neue Grabkapelle an der Franziskaner-
kirche in Hasselt übertragen.
Nun war die Buhn frei für die Arbeiten der
Ritenkongregation in Rom. In stiller Prüfung
des weitschichtigen Aktenmaterials bereitet sich
die Seligsprechung dieses Apostels des Beicht-
stuhles vor. Wohl schreibt das neue Kirchliche
Gesetzbuch vor daß die letzte Prüfung des He-
roismus der Tugenden frühestens 50 Jahre
nach dem Tode einsetze; aber bei dem Interesse,
das Pius XI. diesem ungewöhnlichen Franzis-
kaner entgegsnbringt, ist gewiß mit einer Dis-
pens zu rechnen, und so steht zu hoffen, daß
noch manche Beichtkinder' Pater Valentins
feierliche Erhebung zur Ehre der Altäre er-
leben. ' ' F. N.
SpanijKk Rrvelutien und
SMtiistrru«
In der letzten spanischen Revolution hatten
nach der Revista Franciseana vom November
1934 die Bewohner des Franziskanerklosters
Lärida furchtbare Erlebnisse.
Im Kloster, vollständig von den bewaffneten
Kommunisten eingekreist, suchten die Patres
und Brüder, eine Brandstiftung befürchtend,
im Dunkel der Nacht in Zivilkleidern sich zu
retten. Aber die ersten zwei Patres sahen sich
sowrt von einer Rotte umgeben, von der sie
gefangen, unter Fluchen und Schlägen abge-
führt, vor ein Volksgericht gestellt und zum
Tode verurteilt wurden, wobei d'e Glaubens-
helden auf die Frage, was sie lieber hätten:
das Leben oder Christus, mit Entschiedenheit
antworteten: „Christus! Ihr könnt uns das
Leben nehmen, Christus aber nicht!" Auf dem
Wege zum Gefängnis erhielt ein Pater einen
schweren Schuß in den Unterleib.
Auch die folgenden zwei Religiösen, die im
Dunkel der Nacht zu entkommen suchten, wur-
den so heftig beschossen, wobei einer schwer ge-
troffen zu Bodden stürzte und erbarmungslos
mit einem benagelten Stock über den Kopf ge-
hauen wurde. Um ihn vollends zu töten, feu-
erte ein Kommunist noch einen Schuß auf ihn
ab, der wohl traf, aber die beabsichtigte Wir-
kung verfehlte. Auch der andere ward schwer
verwundet und von dem Pöbel barbarisch be-
handelt.
Während dieser Vorfälle verließ der Guar-
dian ?. Michael Gil mit einem Laienbruder
das Kloster, nachdem er das allerhsilgste Sa-
krament an sich genommen hatte. Um unbe-
merkt zu bleiben traten beide in den am Klo-
ster vorüberfließenden Noguervla, tauchten bis
zum Halse unter, durchwateten ihn lange und
gingen dann flußaufwärts. Da über überall
bewaffnete Posten standen, blieb den beiden
armen Brüder nichts anderes übrig, als die
ganze Nacht an einem Baum gelöhnt zu ver-
bringen, aneinanderschmiegt und vor Hunger
und Kälte zitternd. Gegen Morgen entdeckt,
wurden sie sofort mißhandelt und unter To-
desdrohungen zu den andern geführt, zu denen
man auch den Laienbruder mit Handschellen
gefesselt brachte, der als letzter aus dem Klo-
ster zu entkommen gesucht hatte.
Als am Morgen des 7. Oktober um 5 Uhr
Kanoneirdonner erdröhnte, befürchteten die
armen Gefangenen das Schlimmste. Da nahm
der ?. Guardian das hochheiligste Sakrament
m seine Hände, sie beteten es an u. genössen es
in Ehrfurcht als Wegzehrung für die Reise,
die sie als nahe bevorstehend ansahen. Doch die
Schüsse stammten von den regierungstreuen
Truppen, die um 7 Uhr die Stadt in Händen
hatten. Und damit waren die armen, zu Tode
gequälten Franziskaner befreit.
MiMrmSt auf drin Merrr
Durch das Verständnis und das Entgegen-
kommen des Norddeutschen Lloyd, auf dessen
Schiffen man sich immer zu Gast fühlt wie
bei guten Freunden, konnten auch die Teil-
nehmer an der „Cvlnmbus"-Weihnachtssaihvt
nach Madeira auf hoher See eine Weihnachts-
Mitternachtsmesse erleben, die ihres besonderen
Charakters wegen unvergeßlich sein wird. Der
weihnachtlich geschmückte Saal, der mit Dan-
nsngrün geschmückte Alter, die Weihnachtslie-
der von der Bordkapelle begleitet, schufen sine
feierliche Stimmung.
Ganz der Situation angepaßt war die kurze
inhaltsreiche Ansprache des ^katholischen Bovd-
pfarrers Professor Melsiheimer. Ein Blick
vom Promenadendeck aus den sternbesäten
Himmel, auf das unendliche Meer läßt uns
den Schöpfer dieser Unendlichkeit ahnen. Aber
wirklich steigt der Gottessohn im heiligen
Ocher zu uns Menschen hernieder, wie er einst
in Bethlehem als Kind herniederstieg, um uns
zu Gottes Kindern zu machen.
Die Teilnehmer standen sichtlich ergriffen
unter dem tiefen Eindruck der kurzen Feier,
die trotz der unruhigen See eine erhebliche
Zahl von Passagieren des Dampfers „Colum-
bus" angezogen hatte.
MESS SST«ßM
vornan von ck. 8oUnki6sr-^oer8tI
lArlrsksrreotrt^cUutr ciurolr Verlag O^Irsr Kleister,
47) (Nachdruck verboten.)
Als en gegen zehn Uhr wieder nach Hause
fuhr, trat ihm auf dem untersten Treppenab-
satz ein Mann entgegen, der auf ihn gewartet
zu haben schien. ,,Herr Doktor, einen Augen-
blick." Es war Kaspar Jaros. Er sah sich
erst nach allen Seuen um und trat dann dicht
an ihn heran. „Soll ich Sie verscharren, Herr
Rechts anwalt?"
Schütte griff nach dem Arm des Kindes
und schob es die Treppe hinauf. „Ich verstehe
nicht," flüsterte er, „was ist es denn?"
Jaros sah ihn abbittend an, schüttelte den
Kopf und raunte ihm ins Ohr. „Ihre Frau."
Ars wäre ein Felsblock auf ihn herabgs-
stürzt, so taumelte Schütte gegen das Ge-
länder. Blitzschnell streckte Jaros die Hand
aus und riß ihn zurück. „Es weiß keiner
darum, außer mir und meiner Großmutter."
Unten ging eine Türe. Eine Grammophon-
chatte spielte „Stille Nacht, heilige Nacht",
und eine Kinderstimme sang dazu. Tastend
kam ein Schritt die Wand entlang. „Kommen
Sie!" flüsterte Jaros. „Bitte, Herr Doktor!"
drängte er, Äs wären diesem bereits die Hä-
scher auf den Fersen. Stufe für Stufe mußte
er ihn die Treppe hinaufschieben. Frau
Schütte mochte die Kleine bereits hereinge-
lassen haben, denn hie Türe war nur ange-
lehnt, und vom Eßzimmer stahl sich ein Helles
Leuchten durch die Ritzen.
„Hier herein," sagte Aviv und öffnete ge-
räuschlos die Tür seines Arbeitszimmers. Er
vermochte sich nicht mehr auf den Füßen zu
halten und fand nur eine Handbewegung, die
Jaros zum Sprechen aufforderte.
Er erzählte halblaut, als fürchte er einen
Lauscher. „Es ist eigentlich ein Umweg gewe-
sen, Aber die Großmutter hatte wieder ein-
mal einen ihrer hellsichtigen Tage. Gerade als
wir an der Kiesgrube vorüberfuhren — Herr
Doktor um Himmelswillen," raunte er und
schob Anio einen Stuhl zu. ,Feines von uns
beiden verrät Sie."
„Weiter!" murmelte Anio, glitt in die Le-
derpolsteruug und ließ den Kops zur Seite
„Sie wissen es ja selber, Herr Rechtsan-
walt, sie hat immer gerufen: „Anio! Was
machst du denn, Anio! Bitte nicht mehr."
Die Großmutter hat auf mich eingeschrien:
„Fahr schneller Jaros, schneller!" Aber bis
dann die Pferde zum Stehen kamen und ich
in die Grube hinunterlief, war nichts mehr
zu retten."
„— — Und der andere — —"
„Herr Doktor, ich weiß von keinem ande-
ren." Jaros war weiß im Gesichte und sah
ihn verzweifelt an.
Im gleichet Augenblick fiel Anios Kopf auf
die Schreibtischplatte nieder und blieb. dort
liegen. Die Amtmännin hörte plötzlich zwi-
schen dem Plaudern des Kindes ein Stöhnen,
ging nach dem Büro und fand den Sohn in
einem erschütternden Weinen vor. Sie batte
erst geglaubt, er hätte noch Besuch gehabt,
denn sie war der sicheren Meinung, Stimmen
gehört zu haben. Nun fand sie ihn allein. All-
mächtiger, die Elly wußte nicht, was sie wie-
der einmal angerichtct batte. Aber diesmal
sollte sie nicht leer ausgehen. Sie würde ihr
ordentlich die Meinung sagen, sobald sie zu-
rückkam.
Vielleicht erleichterte es ihn, wenn sie ibm
die Kleine herüber brachte. Das Kind wollte
erst nicht von seinen Spielsachen weg, und
als sie es dann fast mit Gewalt am Aerm-
chen hinüberzog, war Anio verschwunden.
Nun brauchten die Zeitungen nicht mehr
um eine Sensatign für die Feiertage zu ban-
gen, Elly Schütte-Steinheil, die bekannte
Sängerin, Gattin von Rechtsanwalt Dr.
Schutte und Tochter des Präsidenten Bene-
dikt Steiuheil, war der Mordlust eines Un-
bekannten zum Opfer gefallen.
Fast alle Blätter brachten ihr Bild. Einigc
davon sogar das Schüttes und der Kleinen.
Wer ist der Mörder?
Die Polizei arbeitete fieberhaft. Schütte
brach fast zusammen unter der Last der münd-
lichen. schriftlichen und telephonischen Anfra-
gen. Präsident Stein heil hatte sich zwei Stun-
dLL M Leill LiMmex eMLLiMoÜM. und. war
dann mit gebeugtem Rücken wieder heraus-
gekommen. Wer ihn einen Tag vorher noch
gesehen hatte, vermochte es kaum zu glauben,
daß ein Haar in so kurzer Zeit völlig weiß
wenden konnte.
Die Präsidentin hatte, von ihrem Manne
gestützt, vor der Leiche ihres Kindes einen
Nervenzusammenbruch erlitten, der ihre so-
fortige Ueberführung in ein Sanatorium nö-
tig machte.
Als Steinheil gegen Mittag bei seinem
Schwiegersohn vorsprach, traf er diesen in
einer Verfassung, die einen Wahnsinnsaus-
bruch befürchten ließ. „Weißt du, was man
gefunden bat?" Mit diesen Worten sprang
er vom Stuhl auf und brach in ein unheim-
liches Lachen aus.
Steinheil winkte gebietend ab und rüt-
telte ibn an den Schultern. „Nur immer
Rübe, Anio. Das sagt noch nichts."
„Meine Handschuhe? Mein NoDbuch?
Meine Krawattennadel? Das sagt nichts, Vn
ter? — Alles sagt das!"
Steinbeil legte seinen Hut auf die Ecke des
Schreibtisches und setzte sich in den StuB, der
dem Fenster zua-ekehrt war. „Das sind noch
keine Beweise. Sie können es aber werden,
wenn du dich weigerst, anmgeben, wo du in
der Leit von moraeus 10 Uhr bis 8 Uhr
abends aewwen bist."
Schüttes Atem gmq so laut, daß er durch
das ganze Zimmer hörbar war. Unverwandt
ruhten die Augen des Präsidenten aus ihm,
was keine Erregung ins ungemessene steigerte
, Ich sagte dir schon Vater- Erst bin ich
EllN nachgelaufen, weil ich dachte, ich müßte
sie doch an irgend einem Haltepunkt noch
einbolen können. Dann habe ich gegen 11 Uhr
bei Euch angeläutet, aber es hat sich niemand
aemeldet Dann bin ich nach dem Englischen
Garten geaangcn und habe bis gegen 4 Uln
auf einer Bank gesessen und über das Fiasko
meines Lebens nachgedachk."
„Und dann?" Schüttes Mund stand nach
rechts verschoben. Rettungsuchend irrten seine
Angen über Schreibtisch und Bücherregale
hin. Er hatte die Hände erst auf den Knien
liegen gehabt. Nun sielen sie von selbst herab
und hingen reglos an dem schwarzen Bein-
kleid nieder. Er machte den Anblick restlosen
Verbrauchsteins. „So wenig Vertrauen hast
du zu mir?" unterbrach Steinheil das fürch-
tevliche KMoeMn, ^Und ich hgbe diz^dpchp
meine Tochter zur Frau gegeben, weil ich
dachte, daß du ein Ehrenmann bist."
„Ich bin es nicht mehr, Vater." Steinheils
ohnedies farbloses Gesicht war jetzt grau. Er
erhob sich und griff nach seinem Hut. Als er
schon an der Türe stand, kam ihm Schütte
mit schleppenden Schritten nach. „Was ich
dir jetzt sage, das sage ich nicht dem Richter
und Juristen, sondern nur dem Vater meiner
Frau: Ich habe beim Hasardspiel meine letzten
tausend Mark verloren."
Steinheil mußte nach der Klinke greisen,
um einen Stützpunkt zu finden. „An jenem
Nachmittag?"
„An jenem Nachmittag. Ich war völlig ver-
zweifelt. und Ellys Beschuldigung, ich hätte
den Safe geleert, hatte mich in eine derartige
Stimmung versetzt, daß ich die tollsten Sachen
im Kopfe trug. Erst wollte ich mich erschießen.
Dann schien es mir besser, in die Isar zu
springen. Aber überall waren Menschen. Als
ich gegen vier Uhr in einem Kaffeehaus vor-
überkam. drängte sich ein jun^e Bursche an
mich heran und flüsterte mir zu: „Wollen Sie
eine große Chance nützen? Sie können Tau-
sende gewinnen." Er war ahnungslos, mit
wem er es zu tun hatte. Ich folgte ihm, in
ein verräuchertes, aber ziemlich großes Zim-
mer, in welchem etwa fünfzehn Personen um
einen Spieltisch saßen. Man machte mir,
ohne zu fragen, Platz. In mir war nur der
eine Gedanke: zu gewinnen. Ich hatte in der
Tat ein sagenhaftes Glück. Dann schlug es
plötzlich um. Als ich gegen halb acht Uhr
herauskam, hatte ich nur mehr fünfzehn Pfen-
nige in der Tasche. Ich konnte nicht einmal
die Tram mehr benützen, sondern mußte zu
Fuß gehen."
Steinheil hatte ibn während der ganzen
Erzählung unverwandt angesehen. „Getraust
du" dir das Cafe wieder zu finden?" fragte
er Anio.
„Ja."
„Hast dü einen der Spieler mit Namen ge-
kannt?"
„Keinen."
„Dann wird es schwer sein, einen Zeugen
für dein Alibi zu bekommen. Wenn du Zeit
lhast, möchte ich, daß du jetzt mit mir gehst.
Wir wollen es wenigstens versuchen."
(Fortsetzung lolWH