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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,260c
Horwitz, Hugo; Vossische Zeitung [Hrsg.]
(Heid. Hs. 3820,260c): Nachruf "Emil Lask" von Hugo Horwitz — Berlin, 1915 Oktober 2

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https://doi.org/10.11588/diglit.27633#0001
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. / Von
Dr. Hugo Hortvitz.
Freunde'Hand zeichnet hier das geistige Antlitz des
jüngst i.n Felde gefallenen Erkenntnistheoretikers, des
Professors Emil Last, der an der Heidelberger
Universität lehrte. Last, der noch nicht vierzig Jahre
alt war, stand in der Mittagshöhe seines Lebens.
Seine letzte Arbeit hieß „Die Lehre vom Urteil".
' Zwei Freunde sind mir in diesem Krieg gefallen, bei deren
Auszug ich mit Bestimmtheit zu wissen glaubte, daß sie nicht
wiederkehren würden. Ich schreibe mir keine Ahnungen und
prophetischen Gesichte zu. Aber es gibt Menschen, in denen
irgend etwas, ihnen selbst gar nicht oder nur vorübergehend be-
wußt, zum Tode drängt, in denen innere Unausgeglichenheiten
sind, die sich nicht heilen lassen. Der Unedle und Unbedeutende
kann solche Risse und Sprünge leicht überwinden. Er bedarf
keiner einheitlichen Form und lebt fröhlich und selbstbewußt sein
bißchen Leben herunter. Aber in dem Edlen drängt es zur Er-
lösung von der Tragik seines Wesens, und wenn dann die Ge-
legenheit kommt, so sind solche Menschen verloren. Ich sage
nicht, daß sie den Tod suchen. Aber der Tod findet sie, weil er
, schon seit langem in ihnen wohnte.
Mehrere Freunde Professor Emil Lasks haben mir bestätigt,
Laß sie im Verkehr mit ihm das gleiche empfanden wie ich: daß
es keine Brücke geben konnte zwischen ihm und den andern
Menschen, daß es nicht möglich war, mit ihm zu einem lebendigen
Austausch zu kommen. Er konnte niemandem Freund sein, mit
niemandem den unmittelbaren Kontakt finden. Immer war
zwischen ihm und dem andern ein Sphäre der gegenseitigen Un-
sicherheit, ein Gefühl des Unbekanntseins, ein leerer Raum. Und
Loch war seine Sehnsucht so groß, den andern zu sich zu ziehen.
Er hatte den krampfhaften Willen, ein echter Freund, seinen
Schülern ein väterlicher Berater zu sein. Aber die Grenzscheide
ließ sich nicht niederreißen.
Die einen haben überhaupt nicht das Bedürfnis zu echter
Freundschaft und begnügen sich mit den konventionellen Be-
ziehungen, andere aber sind fähig, den andern in die Unmittel-
barkeit ihrer Vitalität hineinzuziehen. Sie stellen sich unmittel-
bar richtig ein, und nun knüpfen sich die Bande der gegenseitigen
Einfühlung hinüber und herüber. Zwar wir heutigen Menschen
sind alle einander ein wenig fremd, und einen Rest von Ein-
samkeit wird kaum einer von uns auszutilgen vermögen. Aber
wir besitzen doch alle eine gewisse Wesensausprägung, die fähig

ist, verwandte Formen zu sich zu ziehen. Emil Last aber war
ein ganz Armer geworden, und er war es, weil er ganz echt
sein wollte. Seine Selbstkritik zerfaserte ihm jedes Gefühl und
jede Lebensregung und prüfte sie auf ihren gültigen Gehalt.
Und vor dieser Kritik vermochte keines, vermochte er im ganzen
nicht zu bestehen. Und im innersten Herzen, glaube ich, verwarf
er sich. Durch seine Kritik zerbrach er sich so sehr, daß er alle
Unmittelbarkeit des Fühlens und des Gefühls für andere verlor
und dem Leben fremd wurde. Seine Persönlichkeit wurde so
gespalten und geteilt, daß man nirgends den Kern fühlte, in dem
man hätte heimisch werden können. Und wenn dann Loch sein
Selbstbewußtssin wieder hervorbrach und das Gefühl, als ob er
sich wehren müßte gegen stärkere Naturen, die nur darum stärker
waren, weil sie seine Selbstkritik nicht besaßen, dann konnte er
plötzlich die Waffe seines scharfen, treffenden Witzes gebrauchen,
um die Distanz wiederherzustellen. Seine oft beißenden, trockenen
Scherze wirkten meist wie ein Ausfall aus einer belagerten Festung.
Aber niemals kam es zu einer klar abgegrenzten gegenseitigen
Einstellung. Man fühlte es deutlich, daß er alle Anstrengungen
machte, um diese Leere zwischen sich und dem andern auszu-
füllen, daß er aufbauen wollte, sich aufbauen, den andern auf-
bauen, eine Welt aufbauen, aber jeden derartigen Gedanken be-
gleitete seine Kritik, die ihn keinen Augenblick verließ, und immer
quälte er sich von neuem.
Wie ihm die schöpferische Kontinuität des Erlebens fehlte, so
vermochte er auch nicht eine einheitliche Gedankenwelt vor sich
aufzurichten. Er war ein echter Denker. Und wenn er manchem
nur ein Spezialfovscher zu sein schien, so hat er gerade unter
diesem scheinbaren Spezialistentum furchtbar gelitten. Einem
intuitiven Geist ist die Welt seiner Gedanken angeboren,
und sie gestaltet sich nur und determiniert sich.im Laufs seiner
Entwicklung. Wer versteckt oder bewußt ist stets die Ganzheit
semes Gedankens da, und das macht den produktiven Denker so
froh und starr. Denn indem sein Werk aus ihm aufsteigt, fühlt
er sich als Schöpfer, fühlt sich frei und groß.
Auch in Last war die Sehnsucht nach dieser Ganzheit, aber
die Kraft zu so freier schöpferischer Tat befaß er nicht. Der große
Philosoph stellt ja im letzten Grunde nur sein Wesen als gültige
Form in die Welt, wie es der große Künstler tut. Nun löstet
schon an sich die Philosophie unserer Zeit zu so synthetischen
Formen noch keine Möglichkeit, aber Lask litt mehr als daran
an seinem Wesen, das solchen Schöpfungswillen nicht aus sich
hervorzubringen vermochte. Er drang mit bohrender Kritik in
die Einzelmaterie ein und versuchte es, jedes Kleinste bis zu
Ende zu denken. Aber er zerfaserte nicht nur, sondern gerade er
versuchte neu zu bauen. Seine Bücher sind Filigranarbeiten, in
denen ein einheitlicher Gedanke mit unglaublicher Konsequenz

entwickelt ist. Wer schließlich verlor er sich in seiner minutiösen
Arbe-t und fand den Weg nicht weiter. Es war eben auch hiev
ein krampfhafter Versuch zu einheitlicher Konstruktion, anstatt
einer erlebten Ganzheit. So haben ihn auch seine Arbeiten
eigentlich nur gequält, und er hatte immer das Gefühl, nicht bis
zum Ganzen vorzudringen. Und dann versuchte er plötzlich auf
neue Gebiets überzuspringen, um sich vor seiner Einseitigkeit zu
retten. Rührend war es, wenn er versicherte, er wolle einmal eine
Zeitlaing die Logik (sein Spezialgebiet) ganz beiseite lassen und
allgemeine ästhetische, ethische, weltanschauliche Probleme be-
handeln.
So hat dieser Mann, der so maßlos streng gegen sich war und
doch seinem Wesen und seiner Arbeit kein Ganzes hatte entpressen
können, sein Leben wie eine schwere Bürde getragen. Er wandte
gegen sich die ganze Härte sittlicher Imperative und hat sich damit
alle Unmittelbarkeit genommen. Ueber diese Tragik konnte sein
Wesen im Leben nicht hinwegkommen, und so ist sein Tod doppelt
edel. Denn er erlag im letzten Grunde nicht dumpfen Gewalten,
sondern er starb seinen Tod.
 
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