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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,280
Lask, Emil; Rickert, Heinrich [Recp.]
(Heid. Hs. 3820,280): Brief von Emil Lask an Heinrich Rickert (Abschrift) — o.O., 1901 Oktober 10

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https://doi.org/10.11588/diglit.26144#0001
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äen 10.10.1901.

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Me’n langes Enhweigen Ihr.en gegenüber entsta»*t »einer eilzuge-
ringen Zufriedenheit *it ®ir selbst. Deren Orund eber llegt nieht darin,
dass wahrend dieser •'’Zeit meine Arbeit keinen Schritt weiter gekö*Lnen
ist, sondcrn in anderen, auch ganz theoretischen,vielleicht heilsa»en,
wehrscheinlich ^edoch nutziosen Erscgeinungen. Da langere Klagelieder
etwas ünangenehaes sind, so deute ich nur an, dass sich bei air ^etzt
üherall 4er Zwiespalt zeigt zwischen 4er »historischen» un4 receptiven
Art 4es Arbeitens und der Beobachtung, dass dadurch m5glicher»Wirse ein
vielleicht doch nicht ganz ausgesehlossener eigener immanenter öedan-
kenfortsehrltt geheaat wird. Besonders die such von Ihnen sofort her-
vorgehobene ßefahr des vielen Lesens, diese unerhattliche und bllndlings
weitertreibende Genussucht des receptiven Gemütes erfüllt »ich ait im-
mer grossere» Schrecken Jetzt da die Neigung, wenn auch vielleicht nicht
öie Fahigkeit zu etwas andere», erwacht. Ich würde Ihnen dies als über-
flüssige Selbstzersetzung garnieht »itteiien, wenn es nicht zugleich
auch derart Vväre, dass es zua Teil auf eigener Schuld beruht und des-
halh vielleicht durch Anstrengung des Willens gebessert werden kann. Ieh
bin deshalb aueh keineswegs ganz »utlos und habe sogar die Rechtsphilo-
sophie für die Eneykiopädie übernoamen; leider wird gfere.de diese Arbeit
ein ganz gefährliches üeberaass Stofflichea »it sieh bringen.

Die offizielle Uebernahme der Rechtsphilosophie geschah letzten
Montag während eines für »ich sehr genussreichen Besuehes von Professcr
Hensel. Ich weiss ,ja, dass ich iha etwas relativ Oberflächliches un4
Provisorisches werde liefern ȟssen. Aber 4a es sonst nieaaand tut und
ich »ich den denn noch Uebrigbleibenden iamerhin vorziehe, auss es ge«
wagt werden. Hatürlieh hat für »ich 4er Zwang, eine solche Aufgabe zu
unternehaen, die allergrossten Vorteile; wenn nü*r^twas längere Z eit
4es Reifens gegeben wäre.

Denn aehr ich ia Geist 4ie zweite Hälfte Ihrer#GrenzenJ die »ir
Jetzt viel zu sehaffen »acht, studiere, desto klarer wird air, wie
schwer es sein wird, 4en Reehts- und Etaatswisaenschhften ihren »etho-
dologischen Ort anzuweisen. Ich »uss gestehen, es erseheint *ir jetzt
zweifelhaft, ob Naturwlssenschaften und historische Kulturwissenschaf-
ten wirklich die einzigen fundaaentalen »ethodologischen Gegensätze der
eapirischen Wissensehaft sind, so verlockend 4ie Antithese auch sein *ag
auf der einen Seite allgeaein-bindifferent gegen Wert, auf der anderen
Ttndividuell -f- Wert.

Dabei berücksichtige ich, was ich bescnders hervorheben will, die
Reletivität und die verschiedenen »Ordnungen» des Historischen. Trotz
aller dieser Mittel weiss ich doch nieht, ob sich unter Ihre» Begriff
»histcrische Kulturwissenschaft» die gesa*ten nicht naturwissenschaft-
liehen e»pirischen Disziplinea reinlieh subsuaieren lassen. Für unan-
tastbarjhalte ich dagegen Ihre Gegenübersteiiung von N&turwlssenschaften
und Kulturwissensch&ften; sie wird die von Natur- und Geisteswissen-
scheften verdrängen und allaählich als einzige kulturaethodologische
Tat der neueren Philisophie entlarvt werden, als einzige und erste i»
strengen Sinne. Denn wer ist doeh nur ia Entferntesten Ihr Vcrläufer ?
Sollte sich der Na»e »Geisteswissenschaften» trotzde® erhslten, so ware
das nur ein terainologisches Üeberbleibsel aus der alten Unklarhelt
und würde schliesslich den Sieg Ihrer Lehre dennoch verraten, weil dann
eben i» philosophischen Sprachgebrauch die Bedeutur.gen von Geist und
Kultur einfach identifiziert werden würden. Ich hoffe also, Sie werden
»eine vorher »itgeteilten Bedenken nicht als h# blossnorglerisch e»p-
finden; besonders wenn ich noch hinzufüge, dass »ir iie inneren gegen-
seitigen Beziehungen zwischen »historisch» und Kulturwert, die besonders
Ihr fünftes Kapitel behandeln wiri, keineswegs entgangen sind. Auf das
 
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