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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,292
Lask, Emil; Rickert, Heinrich [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,292): Brief von Emil Lask an Heinrich Rickert (Auszug) — Falkenberg, 1903 Januar 5

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https://doi.org/10.11588/diglit.27640#0001
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Falkenberg, den 5.1.1903.


Sie können sich denken, mit welcher Kümmernis und Verachtung ich
die südwestdeutschen Dinge verfolgt habe? die gemeine Gewissenlosigkeit
der Strassburger Fakultät und die einfache Verdrängung der Philosophie
durch den Katholieismus. Leider kann man sieh nicht verbergen, dass es
hierin in der nächsten Zeit nicht besser werden wird. Denn das Centrum
wird für seine Mithilfe bei der zöllnerisehen Beraubung der arbeiten-
den Massen zur Belohnung unter andere» auch deutsehe Wissenschaft in
den Rachen geworfen bekommen. Das Centru» ist Jetzt so mächtig wie
niemals. Dass Sie keinen Ruf nach Strassburg bekommen haben, ist Ja
empörend. Ob aber Ihr vorläufiges Bleiben in Freiburg bedauerlich ist,
weiss ich doch nicht. Freiburg hat das bessere Klima und ist eine
mächtig wachsende Universität mit immer frischem Zuwachs an ersten Se-
mestern; Hunderte gehen Jährlich durch Ihr Kolleg und vielen haben
Sie es angetan; Ihr Einfluss unter den Studenten ist schon an endeen
Universitäten zu spüren. Ein solcher Menschenstrom flutet aber durch
Strassburg nicht hindurch. Ueberschätzen Sie nur nicht das dortige Ma-
terial ! Die Hauptsache sind Theologen und besonders Philologen, lauter
kümmerliche, müde, auswendiglernenöe Existenzen. -
In den letzten Monaten bin ich sehr politisch gewesen, und zwar
ganz und gar als Anhänger von Naumann. Zwar kann ich nicht behaupten,
dass ich alle Bestrebungen der nationalsozialen Partei schon wider-
spruchslos mit allen übrigen Kulturidealen hätte verbinden kennen,allein
trotzdem glaube ich, dass schon Jetzt praktisch nichts anderes übrig
bleibt, als sich für Neudeutsehlands einzig mögliche Zukunft und das
heisst für eine antiagrerische, industrielistisehe und damit zugleich
sociale, mit dem nationalen Machtgedanken verbundene Politik zu ent-
scheiden. Mit den Aussichten der nationalsocielen Partei steht es viel-
leicht doch nicht so schlimm wie man beim ersten Anblick glaubt. Es ist
denkbar, dass sie zwar nicht die Socisldemokratie, wohl aber den tod-
müden Liberalismus auf weiten Strecken beerbt. Ueberall, w6 sich i» heu-
tigen Liberalismus Lebensfrische zeigt, findet »an Anklänge an das
Nationalsociale. Und dass/schliesslieh sogar innerhalb der Socialdemo-
kratie dem Nationalsocialismus entgegenkommende Tendenzen ducbhbrechen
wetten, auch diese Hoffnung Kann ich in letzter Linie nicht aufgeben.
Freilich ist an so etwas erst zu denken, wemn die Arbeiterschaft sieht,
dass es neben der Socialdemckratie eine ihre Interessen vertretende
Partei gibt. Bis Jetzt hat es eine solche Partei noch nicht gegeben...''
 
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