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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,294
Lask, Emil; Rickert, Heinrich [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,294): Brief von Emil Lask an Heinrich Rickert (Abschrift) — Falkenberg, 1903 September 1

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https://doi.org/10.11588/diglit.27642#0002
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(Fortsetzung des Briefes vom 1.9.1903)

Positivisraus und Substantiierung 1er Allgemeinbegriffe. Andererseits
muss jeder, der Ihren Gedanken wirtlich gefolgt ist, gemerkt haben,
dass Sie von diesem Punkte aufi eine totale Revolution der Erkenntnis-
theorie inaugurieren. Ich meine, er muss es schon gemerkt haben. Für
mich sind Sie schon lange der Entdecker der »objektiven (wissenschaft-
lich noch gänzlich unbearbeiteten) Wirklichkeit». Wenn man den »Gegen-
stand» und die »Grenzen» zusammentut, kann einem das Problem gaxfnieht
mehr entrinnen. Die Wirklichkeitl&ls das coneretissimum, als die vom
absolut gütig urteilenden Bewusstsein überhaupt bejahte Welt und
endlich als das durch lauter individuelle Kausalketten verknüpfte
Gefüge - wer das alles zusammen gedacht hat, der muss fortwährend
auf das Wirklichkeitsproblem stossen, der muss auch eingesehen haben,
dass, um die Worte Ihres Briefes wieder zu gebrauchen, die Wirklich-
keit zu begreifen ist »nicht als eine Realität, sondern als der Ge-
danke einer unter bestimmten Normen stehenden Aufgabe». Je eingehen-
der Sie sich mit dem Gedanken der »Wirklichkeit» befassen, desto mehr
werden Sie gewahr werden, wie stark doch auch die Geschichtswissenwis-
senschaft sich von der »Wirklichkeit» entfernt. Die Geschickte ist
eben Individuendumswisseaschaffc, und sie Wirklichkeitswissenschaft
zu nenne», hat zwar den naturwissenschaftelnden Philistern gegenüber
einen guten Sinn, ist aber genau genommen falsch. Denn erstens lässt
sich der Satz: »Man kann alles Wirkliche als Individuendum betrach-
ten» nicht umkehren in den anderen: Alles, was sich als Individuendum
betrachten lässt, ist wirklich». Beweis: Das relativ Historische.
Zweitens aber ist sogar das absolut Historische nicht gleich der Wirk-
lichkeit als dem »femer-std-ss-laum-»«
Dass Kant »Naturwissenschaft» und » Wirklichkeitserkennen» durhh-
elnanderbrlngt, gebe ich zu. Ich wollte nur soviel sagen, dass seine
Frage in letzter Linie auf das Apriorl der Wirklichkeit gerichtet
ist. Ich gebe ferner zu, dass der Ausdruck »wirklichkeitserkennen»
unvorsichtig war. Mir schwebte in Bezug auf die Wirklichkeit etwas
der Naturwissenschaft Paralleles vor, das ich der Symmetrie wegen und
infolge der Correiativität von Subjekt und Objekt postl/iieren zu dür-
fen glaubte. Aber ich habe nicht bedacht, ob es sich dabei um eine
ausführbare oder um eine blossi* umsehreibbare Aufgabe handelt.
Ich behandle heute alles nur ganz flüchtig, da ich jetzt den
»Gegenstand der Erkenntnis» vornehmen und in einigen Tagen Ihnen et-
waige Ergebnisse Bitteilen werde.—
Nur das möchte ich Ihnen noch erzählen, dass ich neulich Kistia-
kowski auf seiner Durchreise nach Russland in Berlin gesprochen habe.
Er war einigemal bei Windelband eingeladen und hat Windelband auch
nach dem Kolleg öfter nach Haus begleitet. Winielband hat mein Buch
im Kolleg lobend erwähnt. Am Schluss des Semesters sagte er zu Kistia-
kowski, er brauche an seiner Darstellung Fichtes doch nicht so viel
zu ändern wie er anfangs geglaubt hätte; ich Hatte mich nämlich bei
meiner historischen Untersuchung zu sehr von meinem systematischen
Ueberzeugungen bestimmen lassen. Ieh muss, offen gestanden, Jetzt zu-
geben, dass Windelband nicht so ganz Unrecht hat. Klstiakowski scheint
übrigens den Eindruck bekommen zu haben, dass Windelband mit der Be-
handlung nicht recht zufrieden ist, die ich ihm in meiner Schrift habe
angedeihen lassen. Ich glaube jedoch gänzlich sine ira et Studio ge-
handelt zu haben. Das Basieren auf Windelband ist in der Schrift über-
all sichtbar und bereitwillig zugestanden. -
Heyfelder ist in Palermo krank geworden und hat, um gepflegt zu
werden, in Begleitung seiner Mutter Italien verlassen.
Zum Schluss fällt mir noch ein: den Vorschlag über die Fichte-
Monographie habe Ich natürlich nicht so gemeint, als ob diese Monogra-
 
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