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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,427
Lask, Emil; Cohn, Jonas [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,427): Brief von Emil Lask an Prof. Jonas Cohn — Falkenberg, 1902 Oktober 20

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https://doi.org/10.11588/diglit.26729#0002
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also mein Haupterlebnis gewesen ist, so dürfen Sie es mir auch nicht
verübeln, wenn ich Sie heute mit solcher Beichte plage.

Um übrigens nieht missverstanden zu werden! Jlinen klaren »Abfall»»
hatte mein früherer Plan, mich in der aüsserlich verlockenden Juris-
prudenz zu betatigen, nicht bedeutet. Die Juristische Laufbahn sollte
Ja den anderen und eigentlichen Zwecken nichts schaden. Allein in die-
ser Zuverlassigkeit lag zunächst eine grobe Fahrlässigkeit, sodann aber
aueh ein versteckter Kompromiss, eine geheime Ubersehatzung der etwai-
gen äusseren Vorteile. Daraus entnehmen Bie zugleich was iitttff//

J e t z t mein Prinzip geworden ist:Keine auch noch so geringe Verwiri*
rung und Fälschung des rein saehlichen Strebens durch nicht rein sach-
liche Rücksichten. Dieser Grundsatz wird dadurch weniger selbstverständ-
liehund verwickelter, dass er, so von vornherein ins Auge gefasst, unter
den heutigen Umständen den barsten Cynismus, eine grenzenlose Verach-
tung von Ehr und Herrlichkeit der Welt in sich zu sehliessen scheint.

Er erhält deshalb seine notwendige Erganzung erst dann, wenn man zu
diesem äusserlich aufgedrungenen Cynismus einen hochst uncynischen Sinn
für das Positive und ßewordene, das Verlangen, sich bestehenden über-
individuellen Organisationen als wirkendes Glied einzuordnen, hinzudenkt
- Alle diese selbszersetzenden Betrachtungen sind Ja wohlrf etwas patho-
logischjaber ich freue mich dennoch über den Gewinn^an Klarheit und
zwar an Klarheit nicht nur über mieh, sondern auch über das ganze aka-
gemisch-wissenschaftliche Getriebe.jii Denn das ist zweif/ellos, dass
selbst dief ehrlichsten Leute die hier waltenden Mächte des Streber-
haften und Professoralen, also der Philisterhaften und^Unsacbischen,
beiweitem unterschatzen. Dass ich mit dieser einen Schärfung des Blickes
aueh sonstige Erweiterungen des Hol?izontes verbinde, möchte man wenigs-
tens wünchen. Man erstreckt schliesslich sein Grübeln aueh darauf,
wie unmittelbares »»Leben» und Arbeiten an den unpersönliehen Zielen
(so sehr dieses selbst auch ein persönliches Erlebfen sein mag) gegen-
einander abzugrenzen seien. Sie werden lachen, wie pathologisch spät
bei mir diese Probleme brennend werden. Auch kann ich nicht behaupten,
dass dieses in Berlin zugebrachtete Jahr schon etwas W$fitliches an mir
gerüttelt hätte. Vielleieht 1 e i d e r nicht! Aber zum Mindesten
ta&chen Jetzt von allen Seiten solche Gedanken auf. Darum möchte ich
auch Berlin vorläufig nicht missen. Man k a n n hier freier werden;
ob es geschieht ist eine andere Frage!

Unter diesen Umständen bin ich, wie sich denken können, sehr froh,

dass meine Dissertation hinter mir liegt,.....

Ich überreiche Ihnen nun die Schrift als
Ganzes und danke Ihnen dabei noch einmal heazlich für die Hilfe, die
Sie einst der »Einleitung»» und dem »»ersten Teil>» haben angedeihen lassen

.Im vierten Kapitel ist bereits dasAte^-zt-e

angedeutet, was aich in Zukunft am meisten beschäftigen wird. Ieh
glaube aber, es ist so wenig ausgeführt, dass man es nur schwer ver-
stehen kann. S.253 f. habe ich ganz vorläufig und schematisch den me-
thodologischen Ort der empi^rischen Wissenschaften angegeben, die ich
nach Rickerts Klassifikation nicht anterbringen kann. Rickerts ewiges
Verdienst ist die Einteilung in Naturwissensehaften und Kulturwissen-
schaften, die Erkenntnis, dass das Unterscheidende deCrjletzten Gruppe
das Monent des Kulturwerts ist. Aber er hätte nicht Naturwissenschaften
und historische Kulturwissenschaften , g//////sondern

Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften gegenüberstellen und in-
nerhalb der letzteren eine historisehe und eine systematisierende(wie
ich sie vorläufig nennen will) Riehtung auseinanderhalten sollen. So
bestrickend es auch ist, allgemeinbegrifflich indifferent gegen Wert
und individuellbegrifflich Wertgesichtspunkt als/( logischen Haupfc-
gegensatz zu behandeln, so sehr es auch Rickert gelungen ist, die tief-
 
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