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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,437
Lask, Emil; Medikus, Fritz [Recp.]
(Heid. Hs. 3820,437): Brief von Emil Lask an Dr. Fritz Medikus — Falkenberg, 1903 September 16

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https://doi.org/10.11588/diglit.26732#0001
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- 73

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Brief en Doktor Frltz Madikus. Falkenberg, den 16.9.1903.

Verehrtester Herr Doktor !

Haben Sie meinen herzlichsten Dank für die ebenso liebenswürdige
wie inhaltsreiehe Art Xhres QrussesJ/^SIe zeigt, dass aus dem ehemaligen
Seminargenossen nun ein Streitgenosse im Kampfe der Geister geworden ist.
Dass das meine Freude noeh erhöht hat, ist doch wohl begreiflich.

Ich möchte Ihnen heute nur meinen Dank aussprechen, aber noeh nicht
viel Eingehendes über Ihre Studie *4 sagen, vielmehr eine ausführliche
Antwort wegen einiger kleiner aber dringender Arbeiten um wenige Wochen
aufschieben. Ich will Ihnen doch gernel ,‘ etwas Wohlüberlegtes erwidern,
da es mir ausserst wertvoll ist, Ihnen mitzuteilen, wozu Ihre Schrift
mich angeregt hat. Besonderes Gewicht werde ich dabei auf die Differen-
zen zwischen uns legen. Heute möchte ich nur soviel andeuten, dass ich
Ihre Polemik gegen Scheler vortrefflich finde und aus vollem Herzen
billige. Wenn ich mich nicht irre, halten Sie mibh ein klein wenig für
einen Fanatiker des historischen Sinnes. Dem ist aber durchaus nicht so!
Das Versinken in Historismus, die Verabsolutierung des Gewordenen und
Tatsächlichen halte ich gerade für den Fluch unserer unspekulativen
banausischen Zeit, und nichts tut uns mehr not als der Sinn^§§'s üeber-
historische, die Versenkung in den KoslSbs zeitloser Werle. Dass nun
aber andererseits auch dem Geschichtlichen eine ewige Bedeutung zukommt,
darin sind wir ja beide einig. Ihrer wtranssceBdentalen Dialektik» Je-
doch kann ich wiederum nicht durchweg zustimmen. Ich werde meine ab-
weichende Meinung im nächsten Briefe begründen und dabei zugleich sub
domo sprechen, namlich mich der vcn I^nen erwähnten Stellen meines Buches
annehmen. Auch mit Ihrer Behandlung der Kausalität und der teleclogi-
schen Dep^äenz kann ich mich - so interessant mifc auch Ihre Auffassung
ist - nicht einverstanden erklären, und ich glaube, dass man hierin
auf den Wegen Rickerts weitergehen muss. Ferner werde ich auszuführen
haben, dass ich den Gedanken der einen, aller natur- und geschichts-
wissenschaftlichen Bearbeitung gleichmässig vorausgegebenen Wirklich-
Fsdü,hssk keit bei Ihnen vermisse oder besser? dass Sie/^4en Gedanken wohl strei-
fen, aber nicht Ernst mit ihm machen.

Aus diesen wenigen Worten werden Sie Immerhin schon entnehmen kön-
nen, wieviel Freude und Anregung mir die Uebersendung Ihrer Schrift ver-
ursacht hat.

Wir haben in der letzten Zeit durch Herrn Kaufmann einiges von-
einander erfahren. Sie werden darum wohl wissen, dass ich Jetzt juristi-
sche Studien betreibe, aber lediglich als Mittel für philosophische
Zwecke. Als Ziel schwebt mir eine Logik der Sozialwissenschaften vor,
die ich neben den historiechen Disciplinen als zweite Unterart der
Kulturwissenschaften betrachte.

Für heute innigen Dank und viele Grüsse von Ihrem ganz ergebenen

Emil Lask
 
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