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Ungewöhnlich der Bildausschnitt, bis über die Kniee der Madonna
herabreichend*), und ungewöhnlich der Reichtum des Bildes in den
ßgürlichen Motiven, in der Bewegung und Farbe. Alles das erklärt
sich aus der Abzweigung von dem großen Altarbild. Auch der
leuchtende Vorhang, durch dessen Linien die Bewegung der Figuren
zugleich gerahmt und gehoben scheint, die krönenden Engelchen,
überhaupt die ganze festliche Inszenierung des Bildes sind desselben
Ursprungs. Aber den Eindruck der Mühe und Kälte, des „Demon-
strierens" wird man auch hier nicht los; vielleicht spricht nur der
kleine Kerl dort unten in der Ecke mit seinen Maiglöckchen, den
keiner von den Würdenträgern des Bildes beachtet, ganz unmittelbar
zum Gefühl des Beschauers.
Offenbar ist hier noch mehr als bei der Madonna mit der Meer-
katze das Kind der Mittelpunkt des Interesses: nackt, reich bewegt,
aber nicht im Spiel, sondern mit peinlich zurechtgeschobenen und
dann erstarrten Gliederchen. Die genaue Studie für das Kind ist
erhalten (in Bremen, L. 112): es sitzt auf einem verhüllten Schemel
mit einem Kissen darauf, vor einem Vorhang, und fast ganz so ist
es dann hinübergewandert in das Bild, nur sind statt des kleinen
Kreuzchens beide Hände mit den für diesen Fall bereit liegenden
Attributen, dem Vogel und dem Beutelchen, ausgestattet. Nicht
einmal der ursprünglich aufstehende rechte Fuß hat sich rühren
dürfen. Statt Schemel und Vorhang die Madonna. Denn das ist
nun das Merkwürdige, daß von diesem doch so starken Bemühen
um die plastische Form, die fast übertrieben herausbossiert wird,
gar nichts der Madonna zu gute gekommen ist. Es ist bezeichnend,
daß an ihrer Stelle bei der Kinderstudie ein Vorhangmuster die
Fläche füllt: der Körper der Madonna spricht als solcher nicht mit
in dieser Kombination plastischer Bewegungen. Unmöglich, das
Motiv des Sitzens plastisch durchzudenken, ohne in empfindliche
Kollision mit der Tisch- oder Bankecke zu geraten. Also dieselbe
Abschwächung der plastischen Durcharbeitung von dem sorgfältig
herausgetriebenen Bildzentrum nach der Peripherie der Bildinteressen
hin, wie bei dem Rosenkranzfest. Die Annahme, daß „Dürer — ab-
gesehen von einem kahlen Schema der symmetrischen Komposition
1) Im Bildausschnitt ähnlich nur die Zeichnung L. 52$ = Alb. 180 (1512), bei der
Ungewöhnlich der Bildausschnitt, bis über die Kniee der Madonna
herabreichend*), und ungewöhnlich der Reichtum des Bildes in den
ßgürlichen Motiven, in der Bewegung und Farbe. Alles das erklärt
sich aus der Abzweigung von dem großen Altarbild. Auch der
leuchtende Vorhang, durch dessen Linien die Bewegung der Figuren
zugleich gerahmt und gehoben scheint, die krönenden Engelchen,
überhaupt die ganze festliche Inszenierung des Bildes sind desselben
Ursprungs. Aber den Eindruck der Mühe und Kälte, des „Demon-
strierens" wird man auch hier nicht los; vielleicht spricht nur der
kleine Kerl dort unten in der Ecke mit seinen Maiglöckchen, den
keiner von den Würdenträgern des Bildes beachtet, ganz unmittelbar
zum Gefühl des Beschauers.
Offenbar ist hier noch mehr als bei der Madonna mit der Meer-
katze das Kind der Mittelpunkt des Interesses: nackt, reich bewegt,
aber nicht im Spiel, sondern mit peinlich zurechtgeschobenen und
dann erstarrten Gliederchen. Die genaue Studie für das Kind ist
erhalten (in Bremen, L. 112): es sitzt auf einem verhüllten Schemel
mit einem Kissen darauf, vor einem Vorhang, und fast ganz so ist
es dann hinübergewandert in das Bild, nur sind statt des kleinen
Kreuzchens beide Hände mit den für diesen Fall bereit liegenden
Attributen, dem Vogel und dem Beutelchen, ausgestattet. Nicht
einmal der ursprünglich aufstehende rechte Fuß hat sich rühren
dürfen. Statt Schemel und Vorhang die Madonna. Denn das ist
nun das Merkwürdige, daß von diesem doch so starken Bemühen
um die plastische Form, die fast übertrieben herausbossiert wird,
gar nichts der Madonna zu gute gekommen ist. Es ist bezeichnend,
daß an ihrer Stelle bei der Kinderstudie ein Vorhangmuster die
Fläche füllt: der Körper der Madonna spricht als solcher nicht mit
in dieser Kombination plastischer Bewegungen. Unmöglich, das
Motiv des Sitzens plastisch durchzudenken, ohne in empfindliche
Kollision mit der Tisch- oder Bankecke zu geraten. Also dieselbe
Abschwächung der plastischen Durcharbeitung von dem sorgfältig
herausgetriebenen Bildzentrum nach der Peripherie der Bildinteressen
hin, wie bei dem Rosenkranzfest. Die Annahme, daß „Dürer — ab-
gesehen von einem kahlen Schema der symmetrischen Komposition
1) Im Bildausschnitt ähnlich nur die Zeichnung L. 52$ = Alb. 180 (1512), bei der