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Hugo Helbing <München> [Editor]
Katalog einer Kunstsammlung: [Auktion in München in der Galerie Helbing am 3. Dezember 1906] — München, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.15730#0081
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Hans Sueß von Kulmbach.

Deutsche Schule 1476—1522.

Verkündigung (zwei Altarflügel).

(Hierzu die Tafeln XVIIa, XVIIb.)

Auf dem Flügelbilde links sitzt Maria mit Doppelkreisnimbus in rotem Kleide und blauem Mantel, ein geöffnetes
. Buch im Schoß haltend, vor einem Lesepult an einem Fenster, das zum großen Teil durch einen roten Vorhang
verdeckt ist. Auf dem Fensterbrett steht ein Glas Wasser mit Blumen, über Maria schwebt die Taube. Oben ein
goldenes Hopfenornament.

Ein ähnliches zum vorigen symmetrisch angeordnetes Ornament findet sich oben auf dem rechten Flügel
mit dem Engel Gabriel, der in wallender weißer Albe, das Lilienzepter in der Linken, auf Maria zuschreitet.

•»Und der Engel kam zu ihr hin und sprach: Gegrüßet seist du Holdselige, der Herr ist mit Dir, du Gebenedeite
unter den Weihern. Da sie ihn aber sah, erschrack sie über seine Rede und gedachte: Welch ein Gruß ist das?« Diesen
Augenblick hat wohl Kulmbach in diesen Flügelbildern herausgefaßt. Der Engel mit geschlossenem Munde hat eben
gesprochen, Maria mit halbgeöffnetem Munde, in dem die Zunge sichtbar ist — ein Motiv, das unser Meister besonders
liebt — hebt erstaunt und erschreckt die Rechte zur Frage.

Kein deutscher Künstler des Reformationszeitalters wußte die Gotik und die Renaissance so zu einer Einheit
zu verschmelzen wie Kulmbach. Nicht nur im Kolorit, sondern auch in den Linien fühlt man diese Verschmelzung
heraus. Wer wird hier nicht Dürers und auch Botticellis gedenken. Der urdeutsche Typus des Mariengesichtes mit
dem zarten Körperbau und den empfindsamen, langen, feinen Händen zeigt diese Mischung an; deutlicher aber offen-
bart sich die Renaissance im dahinschreitenden Engel, mit dem die neue Zeit gleichsam einzutreten scheint. Wir wissen,
daß unser Meister von Jacopo de Barbari mächtig beeinflußt wurde und daß diesem Einflüsse auch kurze Zeit Dürer
stark unterworfen war. Welch innige, geistige Beziehung besteht zwischen unseren Flügeln und den Dürerschen
Adam- und Evaflügeln vom Jahre 1507 zu Madrid. So glaube ich, daß auch unsere Tafeln um diese Zeit entstanden
sind; es wäre diejenige, die der treffliche Monographist des Meisters (siehe unten) als die zweite Hauptperiode »den
Übergang zur Blütezeit« (1507—1511) bezeichnet. Noch mehrere Umstände sprechen für diese Zeitbestimmung: die
allerdings wenig beweisenden Beziehungen zu zweifelhaften Dürerschen Werken, wie der Lichtfleck hinter dem
Blumenglase, hier und auf dem Dresdener Altare, wie derselbe Kopfschmuck Mariens und der Fürbringerin im Städelschen
Institut, ferner die recht starken Pentimenti an den Händen und den Füßen des Engels, die den ursprünglichen Linienzug
so anders gestalten, wie dies für einen reifen Meister kaur annehmbar erscheint, und besonders bei Kulmbach, der
in seiner Blütezeit gewiß ein trefflicher Zeichner war. Ich kann mich daher der Zuweisung unserer Tafeln in die
Spätzeit (1518—1522), wie es der Monographist Herr Köditz tut, nicht entschließen. Auch die Farbengebung, das
schraffierte Goldornament, die bräunlichen Schatten des Fleisches weisen auf frühere Perioden, so daß ich mir die
Zuweisung nur aus dem Umstände erklären kann, daß Herr Koelitz die Tafeln selbst nicht gesehen hat, indem er da
auf Seite 64 seiner Monographie sagt: »Obigen Bildern (z. B. den vier Flügelbildern mit Szenen aus dem Marienleben im
Leipziger Museum) schließen sich füglich auch die beiden vorzüglichen Tafeln der Verkündigung Maria, ehemals bei Architekt
Hasselmann in München, an, die mehrseitig wohl mit Recht unserem Meister neuerdings zugeschrieben werden. Die Behandlung
wird als weich, der Ausdruck und die Bewegung als lebendig, frei und zierlich, das Kolorit als hell geschildert. (Höhe 1.2S in,
Breite 0.32 m). Näheres zu belichten ist mir leider nicht möglich gewesen, da die Tafeln erst kürzlich bekannt wurden.«

Unsere Flügel waren, wie die graue Farbe des Hintergrundes auf dem rechten Flügel deutlich zeigt,
Außenflügel eines Marienaltares. Die Holztafeln sind nachträglich von den Innentafeln getrennt worden, wie der Säge-
schnitt durch das linke Knie des Engels deutlich erkennen läßt; die Säge ist da offenbar nach der Seite in die Bildschicht
hineingeraten. Den Maßen nach könnten die vier Flügel im städtischen Museum zu Leipzig mit Szenen aus dem Marien-
leben Innenflügel unserer Außenflügel sein, da erstere je 0.61 m hoch und 0.40 cm breit angegeben sind, während die
letzteren gerade die doppelte Höhe, 1.22 cm und die Breite 0.43 m, besitzen. Ich kenne leider diese Flügel nicht;
Herr Koelitz weist sie aber der Frühzeit 1498—1502 zu. was die Zugehörigkeit ausschließen würde. Auch an die
Krönung Mariä in der kaiserlichen Galerie in Wien (No. 1600, Höhe 1.22 m, Breite 0.82 m) könnte man als Mittel-
 
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