Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Henrich, Dieter
Die Einheit der Wissenschaftslehre Max Webers — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1952

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52825#0114
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
punkte Voraussetzung der historischen Forschung sei. Inwiefern diese
Vermengung unberechtigt ist, wurde bereits im ersten Teil dargetan.
J. J. Schaaf bringt beide Meinungen in einem Satze zum Ausdruck: „Der
große und vielbemerkte Unterschied Webers gegenüber Rickert liegt viel-
mehr vollständig in der verschiedenartigen Stellungnahme, die beide For-
scher zum Problem des Wertes und der Werte eingenommen haben. . . .
Von Rickert wird die erweisliche Geltung eines feststehenden Systems
der Werte behauptet, während Weber nur den Relativismus der Werte
kennt, d. h. den unvermeidlichen Wechsel der leitenden Wertideen.“
(Schaaf 59).
Max Weber aber spricht nun deutlich das genaue Gegenteil aus: „Wohl
das gröblichste Mißverständnis, welches den Absichten der Vertreter der
Wertkollision gelegentlich immer wieder zuteil geworden ist, enthält die
Deutung dieses Standpunkts als „Relativismus“ — als einer Lebensan-
schauung also, die gerade auf der radikal entgegengesetzten Ansicht vom
Verhältnis der Wertsphären zueinander beruht und (in konsequenter
Form) nur auf dem Boden einer sehr besonders gearteten („organischen“)
Metaphysik sinnvoll durchführbar ist. —“ (470). Wenn Klarheit über das
gewonnen ist, was dieser „Relativismus“ meint, den Max Weber für
seinen Widerpart hält, wird auch die eigene Lehre Webers deutlicher
erkennbar sein.
Der Relativismus der „organischen Metaphysik“ trägt offenbar eine
Auffassung vom Wesen des Verhältnisses der Menschen zur Norm vor,
innerhalb deren die Meinung, es könne eine sinnhafte Widersprüchlich-
keit der Werte für die Situation des Menschen bestimmend sein, nicht
denkbar ist. Max Weber nennt diese Lehre auch den „entwicklungsge-
schichtlichen“ Relativismus (154). Er bemerkt, daß eine solche Behaup-
tung Folge des „Erwachens des historischen Sinnes“ war (148). So ist
eine Auffassung vom Verhältnis von Norm und Geschichte gemeint,
welche sich in der Historie seit Herder immer mehr durchzusetzen be-
gann: Zwar ist für die Entwicklung der menschlichen Kultur bedeutsam,
daß Menschen immer auf Grund letzter Wertideen handelnd die Welt
gestalten. Daß aber bestimmte Wertideen geschichtliche Wirklichkeit
werden, ist selbst eine Folge der anderen Tatsache, daß Individuen ein-
geordnet sind in einen universalen Ablauf der Kulturgeschichte, welche
sich mit der Notwendigkeit dei- Entfaltung eines Organismus vollzieht.
Wohl sind empirische Kämpfe zwischen ideellen Gehalten beherrschende
Faktoren der Weltgeschichte. Aber diese Beobachtung ist doch für den
Blick des Universalhistorikes nur ein äußerliches Symptom. Wenn Wert-

106
 
Annotationen