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Henrich, Dieter
Die Einheit der Wissenschaftslehre Max Webers — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1952

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https://doi.org/10.11588/diglit.52825#0113
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II. DIE GRUNDLAGEN DER ETHIK

Die Ethik Max Webers soll aus dem gleichen Prinzip verstanden wer-
den wie seine Methodenlehre. In ihm soll sich die Einheit der Wissen-
schaftslehre herstellen.
Diese These hat zur Voraussetzung, daß in der Wissenschaftslehre eine
Ethik enthalten ist und nicht nur Anmerkungen und zufällige Meinun-
gen zur Ethik vorgetragen werden. Es gilt zunächst, diese Voraussetzung,
welche der allgemeinen Meinung vollständig entgegensteht, zu begrün-
den, ehe sich die These der Interpretation in der Lehre von der soge-
nannten „Wertekollision“ bewähren kann.
§ 1 Relativismus und Persönlichkeit
Es ist genügend bekannt, daß die Wissenschaftslehre die Behauptung
eines notwendigen Widerstreites von Werten enthält. Eine Vielzahl mög-
licher letzter Stellungnahmen sind jeweils für jede Situation sinnvoll
denkbar, auf Grund deren sich der Mensch handelnd in der Welt orien-
tiert. Wissenschaftliche Entscheidung zwischen diesen „Göttern“, denen
der Mensch sich unterwerfen kann, ist eine prinzipiell unlösbare Aufgabe.
Und das ist eben deshalb der Fall, weil diese Götter miteinander im „ewi-
gen Kampfe“ liegen, so daß die Unterordnung unter die Forderungen des
einen nicht etwa Gleichgültigkeit gegen die des anderen zur Folge hätte,
sondern mit deren Geboten und den Handlungen von Menschen, welche
diesen Geboten gehorchen, in unumgänglichen Widerstreit kommt.
Von dieser eben nur skizzierten Lehre wird zumeist gesagt, daß sie ein
radikaler „Relativismus“ sei. Darüberhinaus wird sie nicht unterschieden
von der methodologischen Behauptung, daß ein Wandel der Gesichts-
Vernunft sich am besten mit den Begriffen Hegels beschreiben läßt als der Geist,
der aus dem bloßen An-sich-sein zur für-sich-seienden Bewußtheit gelangt. Zudem
ist Hegel der Erste, (was nie beachtet wurde), der die Methoden der empirischen
Geschichtswissenschaft analysierte, und zwar mit der Absicht, ihre Äußerlichkeit
gegenüber seiner philosophischen Betrachtung der Geschichte zu erweisen. Sämt-
liche Werke Hegels sind Fundgruben solcher methodologischer Reflexionen. Die
überlegene Kraft dieses Denkers in unserer Zeit wird gerade durch unbewußte
Übernahme von Wesentlichem seiner Leistung bei scharfer Ablehnung seiner Syste-
matik sichtbar, wie man bei Max Weber beobachten kann.
Sodann wird in der folgenden Interpretation der Ethik Webers die Nähe zu
Problemstellungen unserer Zeit auffallen. Doch setzt das Verständnis dieser Be-
ziehung voraus, daß der eigene Aufbau der Wissenschaftslehre durchschaut ist. Die
hier vorliegende Arbeit beschränkt sich bewußt' auf dieses erste Ziel der Rekon-
struktion.

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