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Hermann, Hermann Julius; Wickhoff, Franz [Hrsg.]; Schlosser, Julius von [Hrsg.]; Österreichisches Institut für Geschichtsforschung [Hrsg.]
Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich (N.F. 6): Oberitalien: Genua, Lombardei, Emilia, Romagna — Leipzig: Hiersemann, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.70952#0107
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Oberitalien (Genua, Lombardei).

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des XVIII. Jahrhunderts, Luc-Antoine Boyet). Auf beiden Deckeln eine breite goldene Bordüre mit Ovalen mit gekrönten Lilien über Füllhörnern,
die mit Sonnen in breiteren kartuschenartigen, mit Voluten und Blattwerk verzierten Rahmen ab wechseln, flankiert von Rollenstempeln („Boyet-Rolle“)
mit Palmetten und Lilien. An den äußeren Ecken des Rahmens größere Lilienstempel, an den inneren Ecken größere Sonnen. Steh- und Innen-
kanten vergoldet. Siebenteiliger Rücken mit breiteren Außenfeldern. Im zweiten Felde in Goldlettern: „Virgilii opera“; in den übrigen Feldern
rautenförmige Mittelstücke und dreieckige Eckstücke mit Spitzenmuster aus Spiralranken, dazwischen Goldpunkte. Im untersten Feld eine Rolle mit
Rankenwerk und Vögeln, ganz unten die Boyet-Rolle mit Lilien und Palmetten1). Spiegel- und Vorsatz: Marokkomarmor. Glatter Goldschnitt. Das
Kapital mit grünem, weißem und rosa Spagat umstochen. Als Lesezeichen ein hellblaues Seidenband.
Lombardische Arbeit, wohl in Mailand am 25.Jänner 1452 für den Herzog Galeazzo Maria Sforza (gestorben 1476) vollendet.
Später im Besitze des Francesco Bernardino Visconti (gestorben 1504), der zu beiden Seiten des Wappens auf f. 1 seine Initialen FR—VI an-
bringen ließ. Der Einband macht es wahrscheinlich, daß sich die Handschrift um 1700 im Besitze des französischen Hofes (Louis XIV?)
befand. Später besaß sie der Generaladjutant des Prinzen Eugen von Savoyen, Georg Wilhelm Freiherr von Hohendorf, dessen reiche Bibliothek
1720 für die Hofbibliothek erworben wurde.

f. 1: „PubliiVirgiliiMaronis Mantuani poetae
Bucolicorum aegloga prima, qui dicitur Tityrus“.
Breiter Rahmen mit schmalen goldenen Rändern,
verziert mit dicht verschlungenen, weiß ausgesparten, in
Tinte gezeichneten Spiralranken aus kräftigen Haupt-
stämmen und schwächeren Ästen mit stilisierten Blättchen
auf ultramarinblau, kirschrot und hellgrün bemaltem, mit
weißen Punktdreiecken verziertem Grund. Die Ranken
der linken Rahmenleiste bilden in der Richtung wech-
selnde Spiralen, die symmetrischen Spiralranken der
oberen und rechten Rahmenleiste herzförmige Motive.
In der Mitte der vier Leisten sind rechteckige Felder
mit Impresen der Visconti auf kirschrotem Grund mit
goldenen Strichelchen und Strahlen in Goldrähmchen
ausgespart, und zwar:
In der Mitte der oberen Leiste drei goldene
verschlungene Diamantringe („tre anelli incrociati“);
In der Mitte der linken Leiste eine Bürste
(„spazzola“) mit einem silbernen Spruchband darüber
mit der — z. T. zerstörten — Devise „[MERITO] ET
TEMPORE“;
in der Mitte der rechten Leiste ein goldenes
Pferdegebiß („il morso“) mit einer weißen Schnur und
einem silbernen Spruchband darüber mit der — schwer
lesbaren — Devise: „[HIC (sic!)] VERGHES • NIT •“
(d. h. Ich vergesse nicht)2 3 * * *)
In der Mitte der unteren Leiste in einem achteckigen
Goldrähmchen auf grünem Grund mit goldenen Punkten
und Strahlen das Wappen der Visconti [die gekrönte
blaue Viscontischlange („la vipera“) auf Silber, mit einem
roten Teufelchen im Rachen]; rechts und links davon
an Stelle getilgter Initialen von etwas späterer Hand die

gelben Initialen: • FR • • VI • d. i. Francesco Bernar-
dino Visconti (gest. 1504). Welche Initialen ursprüng-
lich zu beiden Seiten des Wappens standen, läßt sich
nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Dürftige Spuren,
die bei einiger Phantasie als Unebenheiten im grünen
Grund erkennbar sind, deuten auf die Initialen • G • • M •
d. h. Galeazzo Maria Sforza (gest. 1476), auf den auch
die Datierung passen würde. Rechts und links von dem
achteckigen Rahmen mit dem Wappen wieder je eine
Impresa der Visconti auf kirschrotem Grund, ein gol-
dener Felsberg mit drei grünen Pinienzapfen („il pino“)
mit stilisierten Blüten an langen Stilen auf einem silbernen,
an einer Vertikalfläche blau bemalten Sockel mit der
Devise MIT £ ZEIT £“. Beer, a. u. a. O. erklärt die
Impresa als Blumenvasen und beruft sich auf die Be-
merkung V. E. d’Azeglios in dem Werke: „Manuscrit
Sforza, Facsimile d’apres le manuscrit original, photo-
graphie et publie par C. Silvy, London 1860“: „Cette
impresa parait representer une vase, des ouvertures
duquel poussaient des plantes; comme on en voit en
Hollande pour les bulbes des jacinthes“; doch ist diese
Erklärung sicher unrichtig, da die Impresa nicht eine
Blumenvase, sondern deutlich einen goldenen Berg dar-
stellt, wie er ähnlich — mit Diamanten besetzt — als
Impresa der Aragonesen („montagna d’oro“ oder „monta-
gna di diamanti“) in neapolitanischen Miniaturen vor-
kommt8).
Große goldene Initiale T mit gelben und schwarzen
Konturen in einem quadratischen, in derselben Weise
wie die Randleiste mit streng symmetrischen weiß aus-
gesparten Spiralranken auf blau-rot-grünem Grund ver-
zierten Feld [Tafel XXV].

x) Dieselben Stempel — nebst dem Wappen Louis XIV. — zeigt der Einband des der Nationalbibliothek gehörenden Exemplars des Werkes:
„Medailles sur les principaux evenements du regne de Louis le Grand, Paris 1702“; vgl. Katalog der Ausstellung von Einbänden der Hofbibliothek
(Wien o. J.), Nr. 253; desgleichen, doch an Stelle der gekrönten Lilien und Sonnen das Kreuz des Hauses Savoyen und eine ungekrönte Lilie, der
für den Prinzen Eugen von Savoyen von Luc Antoine Boyet 1715 hergestellte Einband des in der Nationalbibliothek befindlichen Exemplars des
Werkes: ,,Acta conciliorum et epistolae, decretales et constitutiones summorum pontificum“ (Parisiis 1715); vgl.: Theodor Gottlieb, Bucheinbände
der k. k. Hofbibliothek (Wien 1910), S. 61, Tafel 56.
2) Beer a. u. a. O., S. 474, macht darauf aufmerksam, daß in einem Impresenbuch der Trivulziana in Mailand (Cod. 2168) unter einem Spruch-
band mit der Devise: „Hic verghes nit“ ein zweites Spruchband mit der Devise: ,,Hic | et en | ches“, d. h. wohl Ich denk es, sich befindet. Über
die Impresen vgl. Marchese Gerolamo d’Adda, L’arte del minio nel ducato di Milano dal secolo XIII al XVI, Archivio storico lombardo, seriell,
volume II, anno XII, (Milano 1885), S. 33off., bes. S. 353.
3) In der für Ippolita Maria Sforza (gestorben 1488), Gemahlin des Königs von Neapel Alfonsos II. von Aragonien, ausgeführten Hand-
schrift der Bibliotheque nationale zu Paris (ms. ital. 1712), Vita di S. Paolo primo hermita, kommt neben anderen Impresen, u. a. dem Pferdegebiß
(„morso equino“) und den Devisen: „Mit zeit“ und „Hic verges nicht“ auch der Berg mit den drei Pinien vor, die auch G. Mazzatinti (La biblioteca
dei re d’Aragona in Napoli (1897), S. 108, Nr. 263, als „scoglio sormontata dalla triplice pina“ erklärt.
 
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