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Hermann, Hermann Julius; Wickhoff, Franz [Hrsg.]; Schlosser, Julius von [Hrsg.]; Österreichisches Institut für Geschichtsforschung [Hrsg.]
Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich (N.F. 6): Oberitalien: Genua, Lombardei, Emilia, Romagna — Leipzig: Hiersemann, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.70952#0248
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128

Oberitalien (Emilia, Romagna).

Kanten ein glatter Streifen mit aneinandergereihten Goldplättchen, die an den Längskanten je vier, an den Schmalkanten je drei rhombische Zier-
stücke bilden. Ein schmaler, an den Schmalseiten sich verbreiternder Rahmen mit blinden, eingekerbten Flechtwerkstempeln und Kreisstempeln
umgibt das große oblonge Innenfeld, das von einem mit goldenen und blauen Plättchen verzierten Rahmen mit dreieckigen, mit Blumenstempeln gefüllten
Eckstücken umschlossen ist. Das von einer mit goldenen und blauen Plättchen verzierten Umrahmung umgebene Mittelstück nach orientalischem Muster
in Gestalt zweier gegenständiger, an den schmalen Stellen vereinigter Kelche ist mit symmetrischen goldenen Blatt- und Blütenstempeln gefüllt,
die unten auf einer von drei Sphingen getragenen Leiste aufruhen und ebenso oben von einer Querleiste durchschnitten werden. Das Innere des
Mittelstückes zeigt die Form eines von drei Sphingen getragenen Deckelpokals. Im Mittelpunkte befindet sich das von der Königskrone überragte
Wappen des Königs Matthias Corvinus (geviert; i—4: Altungarn, 2—3 Böhmen). Die glatten Felder sind mit rosettenartig und im Dreieck
geordneten Goldplättchen verziert. Auf dem Hinterdeckel oben in goldener Majuskel „Sanctus Thomas super Lucam“. Die vier Schließen aus mit
roter Seide umsponnenen Gurten, die in Messingnuten an den Kanten des Hinterdeckels einhakten, sind abgeschnitten. Die acht Felder des
Rückens mit doppelten Bünden sind rautenförmig blind gestrichen und im Inneren der einzelnen Rauten mit kleineren Rosetten verziert. Das Kapital
aus einem Lederstreifchen, das mit Metallfaden, rosa und grüner Seide umstochen ist. Der mit Zickzacklinien, kleinen Kreisen und dgl. ziselierte Gold-
schnitt trägt auf der Außenseite die vorgepunzte und purpurviolett bemalte Aufschrift in Majuskel: „S. Thomas super Lucam“.
Vermutlich in Bologna im Jahre 1468 von dem Kalligraphen „Henricus Amstelredammis alias Senza paura“1') geschrieben
und von einem bolognesischen Miniator handwerksmäßig mit Initialen geschmückt. Aus dem Einbande ergibt sich, daß sich die Handschrift
dereinst im Besitze, des Königs Matthias Corvinius (1458 —1490) befunden hat. Wie aus dem Vermerk auf der Versoseite des letzten Pergament-
blattes hervorgeht, wurde die Handschrift nach dem Tode Ludwigs II. bei Mohäcs (1526) durch die Türken bei der Erstürmung Ofens im September
1526 aus der königlichen Bibliothek nach Konstantinopel verschleppt, im Jahre 1557 durch den Bischof von Fünfkirchen Anton
Vrancsi2), der sich als Abgesandter Ferdinands I. an Sultan Soliman in Konstantinopel aufhielt, aus Konstantinopel nach Wien gebracht und
offenbar dem Kaiser Ferdinand I. überreicht. Jedenfalls war sie schon 1576 Eigentum der Hofbibliothek, denn sie trägt im Inneren des Vorderdeckels
und des Hinterdeckels die Signatur |-;8o| von der Hand des Blotius, von dem auch der Vermerk auf f. 1: „Sanctus Thomas super Lucam ex biblio-
theca regis Matthiae Constantinopoli a Verrantio allatus“ herrührt. Lambeccius trug auf f. 1 noch den Vermerk: „Ex Bibliotheca Caesarea Vindo-
bonensi“ ein.

Voran sind die beiden Vorsatzblätter sowie das
offenbar mit Miniaturen reicher verzierte Titelblatt mit
dem Prologus herausgeschnitten.
Der Text beginnt f. 1 mit den Worten des Pro-
logus: „...esse potuerunt, audire Opus habebant“.
Zum Beginn der einzelnen Kapitel des Lucasevan-
geliums dunkelblau oder kirschrot bemalte Initialen in
quadratischen Feldern mit poliertem Goldgrund auf
rotbraunem Poliment und schwarzen Randlinien. Im
Inneren der Initialen stilisierte Blüten oder Äpfel; an
den Enden der linken Vertikalschäfte kirschrote, hell-
grüne oder dunkelblaue, z. T. volutenförmig ein-
gerollte, lappige Blattranken und bewimperte Gold-
plättchen.
Die zahlreichen kleinen blauen oder zinnoberroten
Initialen zu den einzelnen Versen sind mit zierlichen

roten bzw. blauen spitzenartigen Verzierungen im Fleu-
ronnöestil ausgestattet. In derselben Weise, doch
einfacher, die Überschriften „Lucas“ und die Kapitel-

zahlen

am oberen Rande.
1 : Zum 1. Kapitel: Initiale F.
14': Zum 2. Kapitel: Initiale F.
24': Zum 3. Kapitel: Initiale A.
42': Zum 4. Kapitel: Initiale I.
40 : Zum 5. Kapitel: Initiale F.
46': Zum 6. Kapitel: Initiale F.
jß': Zum 7. Kapitel: Initiale C.
64': Zum 8. Kapitel: Initiale E.
74': Zum 9. Kapitel: Initiale C.

f. 85 : Zum 10. Kapitel: Initiale P.
f 94'-. Zum 11. Kapitel keine Initiale in Deck-
farben, sondern eine kleine Initiale E mit Fleuronnee-
verzierungen.
f ioy': Zum 12. Kapitel: Initiale M.
f 117': Zum 13. Kapitel: Initiale A.
f. 124': Zum 14. Kapitel: Initiale E.
f. 140 : Zum 15. Kapitel: Initiale E.
f 140 : Zum 16. Kapitel: Initiale H.
f. 144': Zum 17. Kapitel: Initiale E.
f. 150': Zum 18. Kapitel: Initiale D.
f iy]': Zum 19. Kapitel: Initiale E.
f. 16$ : Zum 20. Kapitel: Initiale E.
f. 171 : Zum 21. Kapitel: Initiale R.
f. IT7': Zum 22. Kapitel: Initiale A.
f 189 : Zum 23. Kapitel: Initiale E.
f. 197': Zum 24. Kapitel: Initiale V.
f 204': In roter Minuskel:
„Per me Henricum Amstelredammis alias
Senga paura. Anno domini-M- CCCC-LXV1I1“.
Zum Schlüsse waren ursprünglich zwei Schmutz-
blätter eingeheftet, von denen eines herausgeschnitten
ist; auf der Versoseite des vorhandenen Blattes von
einer Hand des XVI. Jahrhunderts:
„Liber reductus ex Constantinopoli Viennam
mense Octobris anno domini M-D-LVIl-per reveren-
dissimum dominum episcopum Quinqueecclesiensem
dominum Anthonium Vrancium, oratorem regium,
qui fuit antea ex Bibilioteca (sic!) Budensi invictissimi

x) Über diesen Kalligraphen vgl.: I. W. Bradley, Dictionary of miniaturists, Illuminators, calligraphers and copyists, I (1887), S. 33. „Enrico
Amsterdam!“ [arbeitet in Bologna zwischen 1469—1578 (sic!)] und III (1889), S. 222: „Henricus Amsterdammis alias Senca Paura“. Bradley erwähnt
ein für „Belondo di S. Biagio di focii pelacan citadino di Bologna“ 1470 geschriebenes Officium beatae Mariae virginis (Bragge, Sale Catalogue
Nr. 360).
2) Anton Vrancsi (Verantius) de Schybenik, vom 3. August 1554 bis zum 19. November 1557 Bischof von Fünfkirchen, dann bis zum 18. Oktober
1569 Erzbischof von Erlau, endlich bis zu seinem Tode (16. Juni 1573) Erzbischof von Gran.
 
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