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Herrmann, Herbert
Untersuchungen über die Landschaftsgemälde des Peter Paul Rubens — Stuttgart, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.28047#0021
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17 —

chener Pinakothek44. Rubens verwendete also ein der flämischen Land*
Schaftstradition geläufiges Schema, indem er es im realistischen und
naturalistischen Sinne neu durchbildete. Charakteristisch für seine ganze
Gesinnung ist, daß er die Gebirgsszenerie nicht allein aus dem Gefallen
am Pittoresken hier phantasievoll verwendet, sondern um den Schau*
platz der Handlung der homerischen Szene, die Felseninsel der Phäaken,
möglichst getreu wiederzugeben. Die offenbar für die Frühzeit des
Rubens bezeichnende Neigung zu Landschaftsmotiven objektiv*maleri*
sehen, pittoresken Charakters veranlaßt uns zur früheren Ansetzung der
Odysseelandschaft, abgesehen von dem weiter unten besprochenen Färb*
Charakter.

Es ist angebracht, trotz der Bedeutung der Naturstudien für Baum*
Stämme, wie wir sie in Rubens’ Zeichnungen haben, und wie wir sie
als Grundlage der naturnahen Formen seiner Bilder erkennen, auf das
spezifisch Flämische eines solchen Details wie die in der Florentiner
Landschaft vorne bei den weidenden Mauleseln liegenden Baumstämme
hinzuweisen. Besonders ein Flame, Abraham Goevaerts, bringt in seinen
Bildern mit Vorliebe im Vordergrund solche Baumstämme an. So in
der Waldlandschaft von 1612 im Haag46.

Die Kirmes im Louvre46 haben wir ebenfalls im Zusammenhang der
flämischen Tradition zu behandeln. Besonders ergiebig ist der Vergleich
mit einer Form, die Bartholomäus de Momper 1560 dem Thema des
Bauernfestes gab47. De Mompers Bild ist ganz nach den Gesetzen der
klassischen Kunst aufgebaut. Ein Baumstamm und vor ihm sitzend die
Hauptperson des Festes, die Braut, verfestigen die vertikale Mittelachse
der Bildfläche. Unter Wahrung des Gleichgewichts der Bildhälften
ordnen sich die Gruppen der Speisenden um eine zum Beschauer hin
offene Tafel in Hufeisenform. Oberer und unterer Bildrand sind durch
die ausladende Baumkrone, beziehungsweise ein Getränke zapfendes
Weib befestigt. Der Schauplatz, ein Bauerngehöft, an das sich ein Ge*
treidcfeld anschließt, ist auch im Detail mit derselben linearen und ge*
schlossenen Form gebildet, die die Struktur des Bildes ausmacht. Dem
entspricht die lineare Raumfolge in flachen Schichten. Diese geschlossene
Ordnung weicht bei Rubens einer scheinbaren Freiheit und Regellosig*
keit: In Wirklichkeit der offenen Form, und, was uns besonders wichtig
erscheint, einer höchst komplizierten Ordnung von ineinandergreifenden
Räumen und Bewegungen. Ganz anders als die kleinmeisterliche Bild*
lösung de Mompers wirkt der Bauerntanz Pieter Brueghels des Älteren
in Wien48 gegenüber Rubens. Bei beiden ist zwar das Thema des be*
liebigen Festes ins Symbolische und allgemein Menschliche erhoben.
Die Darstellung de Mompers erschöpfte sich im Gegenständlichen. In
der Monumentalität der Brueghel’schen Figuren offenbart sich aber ein
fast noch mittelalterlicher Sinn gegenüber der Geistreichigkeit des
Rubens. In der Kirmes des Rubens herrscht bacchantisch sinnliche
 
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